Die Fotografinnen Nini und Carry Hess

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Nini & Carry Hess, Alexander Rumnev (Tänzer), 1923, Galerie Berinson, Berlin

Mit Nini und Carry Hess treten zwei herausragende jüdische Fotografinnen der Weimarer Republik in den Fokus, deren Karrieren von den Nationalsozialisten zerstört wurden. Der Band stellt Biografie und Werk der Frankfurter Schwestern vor. Der Schwerpunkt liegt im Bereich von Porträt- und Theaterfotografie, aber auch Tanz-, Mode- und Architekturaufnahmen werden gezeigt.

Das 1913 von Nini (1884–1943?) und Carry Hess (1889–1957) gegründete Fotostudio gehörte zu den angesehensten in Deutschland. Das innovative Frankfurter Bühnengeschehen dieser Jahre hielten sie in Szenenfotos und Rollenporträts fest. Eindrucksvolle Bildnisse von Stars wie Heinrich George und Mary Wigman, Thomas Mann, C. G. Jung oder Max Beckmann belegen die Qualität ihrer Arbeit, in der sie sich der Bildsprache des Neuen Sehens annäherten. Das mit Zerstörung des Ateliers in der Reichspogromnacht 1938 vernichtete Werk der Fotografinnen wird anhand von ca. 120 Vintage-Prints umfassend rekonstruiert.

Die Fotografinnen Nini und Carry Hess, Hg. Eckhardt Köhn, Susanne Wartenberg im Auftrag des Museum Giersch der Goethe-Universität, Hirmer Verlag 2021, 256 Seiten, 247 Abbildungen in Farbe, gebunden, € 39,90 (D), Bestellen?

Bild oben: Nini & Carry Hess, Alexander Rumnev (Tänzer), 1923, Galerie Berinson, Berlin

Nini & Carry Hess, Irene Weill, 1920–1930, Berlinische Galerie – Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Foto: Felix Jork / Berlinische Galerie

LESEPROBE:

Von Eckhardt Köhn

Die erste nachgewiesene Fotografie von Carry Hess aus dem Jahr 1912 zeigt eine Stadtansicht von Frankfurt am Main. Der Blick von Süden auf die harmonische Fügung von Fluss, alter Brücke und Dom vermittelt eine Vorstellung, warum man in dieser Zeit vom »schönen Gesicht von Frankfurt am Main« sprach. Vielleicht lässt sich die sorgfältige Gestaltung des Motivs als Ausdruck des innigen Verhältnisses verstehen, das Cornelia Hess und ihre Schwester Stefanie mit ihrer Heimatstadt verband. Hier erinnerte man sich später daran, ihr Atelier habe einmal »Weltruf« genossen, jedenfalls war noch 1935 eines ihrer Porträts von Thomas Mann auf der Titelseite der »New York Times« zu sehen. Zweifellos, so der Kunstkritiker Wilhelm Hausenstein, gehörte ihr Studio »zu den besten photographischen Ateliers von damals«. Sein Ruf galt für »ganz Deutschland«, wie der renommierte Journalist der früheren »Frankfurter Zeitung« Benno Reifenberg 1950 rückblickend hervorhob. Beide kannten die künstlerische Leistung und den beruflichen Erfolg der Schwestern gut.

Die gegenwärtigen, erst vor einigen Jahren einsetzenden Bemühungen, ihre Lebensgeschichte genauer zu rekonstruieren, waren hingegen mit einer extrem dürftigen Quellenlage konfrontiert. Da es weder einen Nachlass gibt noch Zeitzeugen gefunden werden konnten, die nähere Auskunft hätten geben können, blieb nur der Weg intensiver Archivrecherchen, um sich Nini und Carry Hess biographisch zu nähern und ihr Werk im Kontext der Fotografie der Weimarer Republik historisch zu verorten.

Stefanie Hess wurde am 21. August 1884 in Frankfurt am Main als Tochter des Kaufmanns Samuel Hess und seiner Frau Lina geboren. Fünf Jahre später, am 11. November 1889, kam ihre Schwester Cornelia zur Welt. Sie wuchsen in einem großbürgerlichen jüdischen Elternhaus auf, dessen liberaler Geist es beiden Töchtern ermöglichte, eine fotografische Ausbildung zu absolvieren. Leider ist bislang weder etwas über ihre Lehrjahre noch über ihren schulischen Werdegang bekannt. Als folgenreiches Ereignis ihrer Lebensplanung kann man die ungewöhnliche Entscheidung betrachten, ihre Vornamen in »Nini« und »Carry« zu verändern. Wenn Namen auch als Institutionen verstanden werden können, die durch fortwährenden Gebrauch auf Anerkennung und Bekanntheit zielen, dann gelang es den Schwestern auf diese Weise, einen öffentlich wirksamen Firmennamen für das 1913 von ihnen in Frankfurt gegründete Atelier für Porträtfotografie6 zu prägen: Nini und Carry Hess – das spricht sich leicht, klingt modern und prägt sich ein. Ihr Studio in der fünften Etage des ein Jahr zuvor erbauten Sigmund-Strauss-Hauses einzurichten, erwies sich als glückliche Wahl. In dem repräsentativen Geschäftshaus im Herzen der Stadt hatten sich auch die Kunsthandlung Ludwig Schames, der Maler Friedrich Ernst Morgenstern sowie der Architekt Fritz Epstein angesiedelt, sodass die Börsenstraße 2–4 schnell als feste Adresse des Frankfurter Kulturlebens galt. Persönliche Beziehungen scheinen den geschäftlichen Start erleichtert zu haben, nachbarliche Kontakte ebenso. So ließ 1914 Fritz Epstein Frau und Kinder von den Hess-Schwestern fotografieren. Porträts des jungen, dynamischen Verlegers der »Frankfurter Zeitung« Heinrich Simon, des expressionistischen Schriftstellers Kasimir Edschmid oder des späteren politischen Akteurs der Münchner Räterepublik Gustav Landauer belegen, dass bereits in den ersten Jahren auch prominente Kundschaft den Weg in ihr Atelier fand.

Aus dem Band: Die Fotografinnen Nini und Carry Hess, Hg. Eckhardt Köhn, Susanne Wartenberg im Auftrag des Museum Giersch der Goethe-Universität, Hirmer Verlag 2021, 256 Seiten, 247 Abbildungen in Farbe, gebunden, € 39,90 (D), Bestellen?