Mit Unterstützung des Staates – Argentinien als Exil für NS-Verbrecher

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Der Journalist Hannes Bahrmann legt mit „Rattennest. Argentinien und die Nazis“ eine Darstellung zur Hilfe für NS-Verbrecher nach 1945 vor. In dem anschaulich geschriebenen Buch werden die historischen Kontinuitäten und unterschiedlichen Interessen veranschaulicht. Darüber hinaus korrigiert es Legenden wie etwa die zu „Odessa“…

Von Armin Pfahl-Traughber

Mitunter werden Geschichtsbilder auch durch Romane geprägt. Dies gelang Frederick Forsyth mit seinem 1973 erstmals erschienenen Polit-Thriller „Die Akte Odessa“, der von der Existenz einer konspirativen „Organisation der ehemaligen SS-Angehörigen“ ausging und mit einer Spannungshandlung über ihr mörderisches Wirken berichtete. Indessen existierte eine solche Gruppierung nie, sie ist eine Legende, worauf die neuere Forschung zum Thema einhellig hinwies. „Daraus zu schlussfolgern, es habe keine organisierte Fluchthilfe für NS-Verbrecher gegeben, geht nach meinen Recherchen zu weit.“ Dies meint der Journalist Hannes Bahrmann, der durch kritische Darstellungen zur politischen Entwicklung in Lateinamerika bekannt geworden ist. In seinem neuen Buch „Rattennest. Argentinien und die Nazis“ schreibt er weiter: „Nicht die Nazis schufen eine Schleuserorganisation, es war der argentinische Staat … Daraus wurde eine große Organisation unter Einbeziehung des Staatspräsidenten … und exekutiert von ehemaligen SS-Offizieren“ (S. 266f.).

Bekanntlich flohen nicht wenige NS-Kriegsverbrecher nach 1945 in das Land, um sich dort einer gerechten Strafe für ihre Untaten zu entziehen. Adolf Eichmann ist nur der berühmteste Fall. Es gab noch Andere, die in Argentinien zumindest zeitweise Aufnahme fanden. Auch Josef Mengele und Erich Priebke waren dort. Das Gleiche galt für „Kriegshelden“, wovon Adolf Galland und Hans-Ulrich Rudel lediglich die bekanntesten Vertretern waren. Erstere lebten in Argentinien unter falschem Namen, die ehemaligen Flieger arbeiteten aber ganz offen für die dortige Luftwaffe oder private Unternehmen. Doch was erklärt die besondere Argentinien-Liebe dieser spezifischen Deutschen, die dort auch von der Gesellschaft, aber noch mehr vom Staat erwidert wurde? Bahrmann geht in dem genannten Buch dieser Frage nach, wobei er historisch-chronologisch die historische Entwicklung in kurzen Kapiteln mit gesonderter Untergliederung folgt. Darin berichtet der Autor anhand von Einzelpersonen über die historische Entwicklung dieser besonderen argentinisch-deutschen Nähe.

Er beginnt mit den Auswanderungen m 19. Jahrhundert, geht auf die frühe militärische Kooperation noch vor dem Ersten Weltkrieg ein, beschreibt den Aufbau von NS-Strukturen in Argentinien, schildert die dortige Diskriminierung von Juden und erinnert an das Exil-Leben des Luxemburg-Mörders. Insbesondere der Aufbau von Auslandsstrukturen durch die Nationalsozialisten ist interessant, konnten die Genannten doch dort Hilfe finden. In Argentinien entstand sogar eine bedeutsame NS-Spionagezentrale. Dort kam es aber auch zu politischen Entwickelungen, welche die spätere Kooperation erleichterten. Oberst Peron wurde Präsident und etablierte eine mit Massenbasis ausgestattete Militärdiktatur. Damit bestanden gewisse ideologische Gemeinsamkeiten mit den Nationalsozialisten. Nach dem Ende des Krieges kamen pragmatische Motive hinzu, waren ihm doch deutsche Militärs und Techniker wichtig. Und so entwickelte sich eine einschlägige Kooperation immer stärker. Die schützende Hand wurde vom argentinischen Staat über die NS-Verbrecher gehalten.

Bahrmann schildert all dies mit leichter Hand, wobei er die Entwicklung meist an einzelnen Personen verfolgt. Er bettet all dies auch in die argentinische Geschichte ein, erklärt doch erst deren Besonderheit die thematisierte Unterstützung. Dass dabei bestimmte Aspekte wie etwa das Leben von Evita Peron zu ausführlich behandelt werden, ist angesichts der anderen interessanten Schilderungen mehr als nur verzeihlich. Gleiches gilt für kleinere Fehler, wurde die „Endlösung der Judenfrage“ doch nicht auf der Wannsee-Konferenz beschlossen. Die argentinische Existenz vieler NS-Verbrecher hätte indessen noch genauer geschildert werden können, etwa hinsichtlich der besonderen Fluchtwege und Unterstützung. Lediglich zu Adolf Eichmann besteht ein eigenständiges Kapitel. Es gibt auch keine genauen Belege für Informationen und Zitate. Indessen wird im Anhang die genutzte Literatur genannt und kommentiert. Zwar hat man es hier nicht mit einem wissenschaftlichen Buch zu tun, gleichwohl hat Bahrmann eine informative wie spannende Monographie vorgelegt.

Hannes Bahrmann, Rattennest. Argentinien und die Nazis, Berlin 2021 (Ch. Links-Verlag), 270 S., 20 Euro, Bestellen?