„Ist vermutlich nicht wichtig“

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Vor 10 Jahren starb Peter Falk. Columbo könnte ewig leben.

Von Miriam N. Reinhard 

Im Jahr 1968 öffnete in den USA der Kriminalfilm „Mord nach Rezept“ die Bühne für einen ganz außergewöhnlichen Inspektor, der fortan Fernsehgeschichte schreiben sollte; der Film war auf Anhieb ein so durchschlagender Erfolg, dass man sich entschied, diesen Inspektor auch in die Ermittlungen zu weiteren Fernsehtatorten zu rufen. Das, was in dieser ersten Folge von „Columbo“ passiert ist, ereignet sich in einer ähnlichen Weise dann in allen weiteren; nach einer kurzen Vorgeschichte bekommen die Zuschauer einen Mord zu sehen – ausgeführt von Täter:innen, die meist eine überschaubare Öffentlichkeit hinter sich versammeln: Als u.a. Anwälte, Ärzte, Dirigenten, Generäle, Kunstsammler, Regisseure, Schachmeister, Schauspieler, Schriftsteller, Sänger, Regisseure, Verleger oder Zauberer stammen sie fast ausnahmslos aus der gehobenen weißen amerikanischen Mittelschicht. Am Tatort findet sich dann sehr bald Inspektor Columbo vom Morddezernat des Los Angeles Police Departments ein. In den eleganten Häusern der gehobenen Gesellschaft fällt der tapsig wirkende Ermittler sofort auf. Auch der bürgerliche Habitus der Täterfiguren kontrastiert das unbeholfen wirkende Verhalten des Inspektors: Er wirkt wie ein Orientierungsloser in ihrer Welt, naiv und fast traumwandlerisch, staunend über all das, was er wahrnimmt, läuft er den Verdächtigen hinterher, die meistens sein Erstkontakt am Tatort sind. Die neusten technischen Errungenschaften – in der Anfangszeit von Columbo sind das u.a. Faxgeräte – lässt er sich von ihnen erklären, die sich dem ahnungslosen Inspektor nicht nur damit weit überlegen fühlen. Wie wir wissen täuschen sie sich. Wenn sie glauben, sie sind den nervigen Ermittler mit seinen lästigen Fragen endlich losgeworden, dreht er sich auf der Schwelle noch einmal um, denn er hat „nur noch eine Frage, ist vermutlich nicht wichtig, nur für meinen Bericht.“

Columbo wird uns bei seinen Ermittlungen schnell zu einer vertrauten Person. Wir erfahren, dass er italienischer Herkunft ist, kinderlos, aber dafür Neffen und Schwäger mit teils sehr speziellen Interessen zu haben scheint: Ein Neffe nimmt an Wettbewerben sowohl in Sticken als auch Gewichtheben teil, ein Neffe interessiert sich für Musik, einer für Filme, ein Schwager besitzt eine Autowerkstatt. Columbo plaudert scheinbar unverfänglich aus seinem immer zur Lebenswelt der Täter passenden Privatleben – für die Verdächtigen, die er überführen soll, sind diese Plaudereien nicht selten eine Falle. Wenn wir so auch all diese Details aus Columbos Leben erfahren, so müssen wir doch davon ausgehen, dass es sich dabei auch um fingierte Geschichten handelt, die zu erzählen ihm als Ermittlungsstrategie dient; die Nähe, die er suggestiv zu den Verdächtigen aufbaut, bleibt auch gegenüber den Zuschauern bloße Suggestion, denn auch sie können Columbo nie unabhängig von seinem beruflichen Wirken erleben und können so den Wahrheitsgehalt seiner Geschichten nicht an einer Wirklichkeit außerhalb des Tatortes messen. Trotz einer scheinbaren Fülle an Informationen über Columbo wissen wir im Grunde nichts Genaues über ihn. Im Gegensatz zu einer neueren Krimiserie wie „Law and Order New York“, deren heterogenes Ermittlungsteam sich inmitten kontrovers diskutierter gesellschaftliche Konflikte gestellt sieht, und dessen Angehörige sich durch ihre spezifische Sozialisation individuell zu diesen positionieren, man so etwas über ihre Biographie, die psychische Verfassung und die Weltanschauung erfährt und auch weiß, was ihre Ermittlungen antreibt und ihren Blick auf die Taten bestimmt, erfahren wir über Columbo all dies nicht. Wir wissen nicht, wieso er tut, was er tut, was ihn dabei bewegt. Wir erleben nie, dass er innere Konflikte, Selbstzweifel oder Ängste durchlebt, wir bekommen nichts von seinen Erkenntnisprozessen und seinen sonstigen Haltungen über die Tatorte hinaus mit. Wenn er in „Lösegeld für einen Toten“ der des Mordes überführten Star-Anwältin Leslie Williams (Lee Grant) zum Schluss mitteilt: „Sie haben kein Gewissen und das macht Sie leider phantasielos“, so ist das einer seiner wenigen Sätze, über die man wegen ihrer Inhaltsfülle stolpern kann.

Columbo ist eine Art moderne Märchenfigur, die während der zu bewältigenden Aufgabe, die ihr gestellt ist, keinerlei charakterliche Entwicklung durchmacht. Er verlässt den Tatort genauso, wie er ihn betreten hat. Die scheinbar deutlich individuelle Ausprägung seines Charakters ist weitestgehend durch Attribute erzeugt, eine Art Requisite, die einen speziellen Charakter suggeriert: Dazu gehören sein zerknautschter Trenchcoat, der schon mal dazu führt, dass man ihn mit einem Obdachlosen verwechselt, die Zigarren, sein Schrottauto, mit dem er regelmäßig in Polizeikontrollen gerät, der lethargische Hund mit Namen „Hund“. Auch seine Ehefrau, die niemals als Person auftaucht, aber in allen Fällen durch Columbos Erzählungen von „Mrs. Columbo“ mit ihnen verknüpft wird, weil sie oft ein spezielles Wissen über die Verdächtigen haben will, das Columbo dann zitiert, seine immer gleiche Art mit der er seine scheinbar harmlosen Fragen stellt und Gesten ausführt – all das täuscht einen Charakter vor und schafft so Raum für Projektionen. Als inszenierte Figur führt Columbo aus, wie man Persönlichkeit inszenieren kann – und diese Suggestion von Authentizität wird bei der Suche nach Wahrheit als entscheidende Stärke gezeigt. Vielleicht ist Columbo deshalb so eine starke Figur, weil die Leere seiner Persönlichkeit durch die Inszenierung von Charakter so überdeckt wird, dass sie als Leere nicht mehr auffallen kann. Wir kennen nicht einmal den Vornamen der Person, die uns doch so vertraut vorkommt. Da Columbo kein Potential zu Polarisierung bietet, weil er eben keine konkrete Weltanschauung besitzt, gibt es auch nichts, was Sympathien für ihn jemals grundsätzlich infrage stellen kann. Der, der schon immer völlig unmodern war, ist auch immun dagegen, jemals aus der Zeit zu fallen: Das junge Publikum heute, kann mit ihm über Faxgeräte staunen.

Die Täter sind ihrerseits nie völlig unsympathisch, ihre Motive banal: Eifersucht, Geltungssucht, Karriere, Macht, Rache, Verschleierung. Ihre Opfer stammen meist aus ihrem näheren Umfeld, zuweilen sind es klassische Beziehungstaten. Alle Verdächtigen bieten mit ihren Persönlichkeiten kaum Reibungsfläche. Eine Ausnahme ist die Folge „Waffen des Bösen“, die sich auf der Ebene der Tat eines politischen Konfliktes annimmt: Hier ermordet der irische Dichter Joe Devlin (Clive Revill) einen Waffenhändler, der Waffen für den Nordirlandkonflikt liefern soll, in dem Devlin auf der Seite der irischen Terroristen steht. Columbo überführt Devlin des Mordes – zu dem Kampf, dem dieser sich verschrieben hat, positioniert er sich dabei nicht, wie er sich auch sonst zu strittigen Fragen keine Stellung bezieht. Andere Folgen streifen zwar Politik, in der Folge „Wenn der Schein trügt“ mordet Zauberer Santini (Jack Chassidy), weil er aufgrund seiner Nazivergangenheit erpressbar ist, in „Mord unter sechs Augen“ will der hochdekorierte General Hollister (Eddie Albert) mit seiner Tat einen Waffenschmuggel verschleiern – aber in diesen Filmen wird das Tatmotiv nicht innerhalb der Strukturen des möglichen politischen Konfliktes angesiedelt, den die Biographien der Personen implizieren könnten, und sie entfalten somit auch kein kritisches Potential über die unmittelbare Kriminalhandlung hinaus.

Die meisten Fälle in denen Columbo aktiv ist, bieten keinen Anlass zur Tiefenreflektion; das individuelle Verhalten der Täter aus dem weißen Establishment ist genauso Suggestion, wie die Persönlichkeit Columbos –  der sich noch dadurch unterscheidet, weil er auch die Täuschungen der Gegenseite durchschaut und in seine Strategie einzuarbeiten vermag. Die schillernde Upperclass präsentiert sich als die ewig selbe ihren Selbsttäuschungen selbstgefällig erlegene Gesellschaft, was für Teile dieses Milieus durchaus eine zeitlos realistische Darstellung sein mag – und damit hat diese Serie auch das Potential, konstant gesellschaftliche Stimmungen zu überdauern. Denn obwohl „Columbo“ die wohlhabende, weiße, schöne, geordnete Welt in ihrer Inszeniertheit auf- und auch vorführt, greifen die Handlungen die Prämissen dieser Welt nicht grundsätzlich an. „Columbo“ ist damit so affirmativ, wie das Milieu, in dem Columbo ermittelt. An den Strukturen der gezeigten Welt zielen die Kugeln der Mörder vorbei – diese Wirklichkeit bleibt unerschüttert heil in sich, weil der Einzelne in ihr nur erschossen wird, wenn er den Falschen im Falschen ins Fadenkreuz läuft. Das kann so auch sehr beruhigend sein. Die Revolution, die „Columbo“ begraben könnte, müsste schon sehr grundsätzlich ausfallen.

Im Gegensatz zu Columbo war Peter Falk nicht italienischer Herkunft, aber man dichtete es ihm an. Seine jüdischen Eltern Michael und Madeline stammten aus Polen und Russland; er wuchs, geboren am 16.09.1927, in einem Viertel von New York auf, in dem viele italienische Einwanderer lebten – als Jugendlicher wurde er oft für einen Italiener gehalten. So ist aus einem fiktiven Hintergrund einer realen Person realer Hintergrund der fiktiven Figur geworden, die seine Schauspielkarriere fortan dominiert hat – mit Columbo bleibt sein Name wohl für alle Zeit verknüpft: 69 Fernsehkrimis in 35 Jahren haben all die anderen Bühnenstücke, Serien und Filme, in denen er mitwirkte (zwei Mal war Falk Anfang der 1960er Jahre für einen Oskar nominiert), bei weitem überstrahlt.

Peter Falk starb am 23.06.2011 in Beverly Hills. Drei Jahre vor seinem Tod wurde bekannt, dass er an der Alzheimer-Krankheit leidet, die ihm nach und nach alles nahm – auch an Columbo hatte er irgendwann keine Erinnerungen mehr. Doch die vielen Auszeichnungen für „Columbo“, der weltweite Erfolg, die generationenübergreifende Beliebtheit haben es längst fest im kulturellen Gedächtnis verankert: Peter Falk hat diesen verschroben liebenswerten Inspektor in überragender Weise gespielt. Columbo, davon kann man ausgehen, wird ihn auch weiter überleben.

Foto: Peter Falk als Columbo, 1973