Maaßen und das Verschwörungsdenken

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Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, 2012, (c) Bundesministerium des Innern/Sandy Thieme

Dem „Cato“-Essay von Hans-Georg Maaßen sind antisemitische Verschwörungsvorstellungen zugeschrieben worden. Welche formalen und inhaltlichen Aspekte sprechen für und gegen diese Einschätzung?

Von Armin Pfahl-Traughber

Antisemitismus ist Feindschaft gegen Juden als Jude. Eine derartige Auffassung kann sich in direkten Herabwürdigungen artikulieren. Dafür stehen etwa „Scheißjuden“-Rufe, wie man sich jüngst auf Gelsenkirchens Straßen hören konnte. Antisemitismus kann sich aber auch in Codewörtern artikulieren, wobei mit Anspielungen und Stereotypen gearbeitet wird. Die „Auserwählten“, die „Hintergrundmächte“ oder die „Nasen“ stehen dafür. Das Besondere besteht hier darin, dass „Juden“ gar nicht explizit genannt werden. Die Begriffswahl ist dann aber auf eine religiöse, politische oder rassistische Form der Judenfeindschaft bezogen. Und es kann auch Forderungen geben, welche ebenfalls nicht ausdrücklich eine Feindschaft gegen Juden hervorheben, gleichwohl negative Konsequenzen für sie bei einer Umsetzung hätten. Dafür steht die Auffassung, wonach Israel als jüdischer Staat aufgelöst werden sollte. Diese Forderung bedeutet in der Praxis, dass die dortigen Juden keine Schutzrechte mehr hätten. All dies läuft objektiv auf eine Benachteiligung von Juden als Juden heraus.

Jüngst wurden auch antisemitische Äußerungen direkt Hans-Georg Maaßen vorgeworfen. Er war früher Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz und ist heute CDU-Bundestagskandidat in einem südthüringer Wahlkreis. Bereits bei der Artikulation entsprechender Einwände kam es indessen zu inhaltlichen Missverständnissen. Denn es wurde die Aussage getroffen, Maaßen verbreite antisemitische Vorstellungen (Luisa Neubauer). Dem wurde entgegnet, er sei kein Antisemit (Armin Laschet). Indessen unterstellt dies die erstgenannte Aussage auch nicht, bedarf es doch hier einer Differenzierung. Sie mag für die Debatte in einer Fernsehtalkshow nicht nachvollziehbar sein, gleichwohl ist sie für eine Einschätzung aus der einschlägigen Forschungsperspektive wichtig. Dies erklärt die hier einleitend vorgenommene Begriffsbestimmung und Typologisierung. Denn als Antisemit wurde Maaßen in der Talkshow nicht bezeichnet. Die Ablehnung dieser Aussage ging demnach nicht auf den inhaltlichen Kern des geäußerten Vorwurfs ein.

Indessen wurden dafür auch keine Belege in der konkreten Gesprächssituation vorgetragen. Später verwiesen indessen Kritiker auf bestimmte Texte, wobei ein Artikel in „Cato“ immer wieder hervorgehoben wurde. Dabei handelt es sich um ein zweimonatlich erscheinendes Magazin, das dem publizistischen Umfeld einer Wochenzeitung entstammt. Gemeint ist damit die AfD-nahe „Junge Freiheit“, die sich von einer ihr zu liberal erscheinenden CDU distanziert und den als gemäßigt geltenden Flügel der genannten Partei sympathisierend kommentiert. Eine ähnliche inhaltliche Ausrichtung ist „Cato“ eigen, worin man sich als „konservativ“, aber nicht als „rechts“ verstehen will. In der ersten Ausgabe 2021 erschienen von Maaßen gleich zwei Texte. Dazu gehörten ein längeres Interview mit acht Seiten und ein kürzerer Beitrag mit lediglich drei Textseiten. In der folgenden Erörterung geht es nur um diesen Kommentar, der einen „Johannes Eisleben“ als Mitautor nennt und unter dem Titel „Aufstieg und Fall des Post-Nationalismus“ erschien (S. 31-33).

Zunächst sollen dazu die Hauptaussagen referiert und zitiert werden, jeweils verbunden mit Anmerkungen zu den Belegen. Danach geht es um eine Erörterung der Frage, inwieweit antisemitische Stereotype in dem Text enthalten sind. Diesen führte die Redaktion mit folgendem Teaser ein: „Der Westen wird von einem neuen Totalitarismus bedroht, der im Namen von Freiheit, Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit auftritt. Kritik an diesem linken Weltrettungsprogramm wird bislang als Verschwörungstheorie gebrandmarkt. Es ist aber Zeit, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen“. Den Autoren können diese Formulierungen nicht notwendigerweise zugeschrieben werden. Gleichwohl verdienen bereits diese Ausführungen aus ideologiekritischer Blickrichtung eine kritische Kommentierung: Denn einerseits wird hier ein Exklusivitätsanspruch auf die „Wahrheit“ erhoben. Und andererseits scheint auch der Redaktion klar gewesen zu sein, dass die Aussagen eben wie eine Verschwörungsideologie wirken. Gegen einen solchen Eindruck beruft man sich präventiv auf die „Wahrheit“.

Nun aber zu den eigentlichen Aussagen des „Cato“-Textes von Maaßen und seinem Mitautor: Zunächst konstatieren die beiden Autoren, dass es eine immer massivere Konzentration des Privatvermögens geben würde, wobei sie auch kurz einige Daten nennen. Die wirtschaftliche Globalisierung wird dafür als eine Hauptursache hervorgehoben. Bei diesen Ausführungen könnte man noch an eine eher linke Kapitalismuskritik denken. Danach wird indessen auf das Ausmaß der Migration verwiesen, worin ein weiteres Problem für die westliche Welt gesehen wird. Die gemeinten Entwicklungen, so Eisleben und Maaßen, würden von „einer neuen politischen Ideologie orchestriert“. Zu deren Bestandteilen gehörten insbesondere Identitätspolitik und Minderheitenrechte. „Diese Ideologie wird nicht nur finanziell von interessierter Seite massiv gefördert, sondern auch von einem aggressiven und anpassungsfähigen Propagandaapparat beworben“. Wer denn nun aber die hier gemeinten Akteure genau sein sollen, erläutern die Autoren nicht. Sie liefern darüber hinaus zu Finanzierungswegen und Hintergründen noch nicht einmal allgemeine Quellenhinweise.

Es ist heißt zunächst nur: „Die Pseudolinken, die sich gar nicht für die Mühseligen und Beladenen einsetzen, haben als Richter, Hochschullehrer, Politiker, Journalisten und Manager von Großunternehmen zentrale Positionen übernommen.“ Auch hier handelt es sich um eine allgemeine Bekundung, wozu es an näheren Belegen oder Erläuterungen mangelt. Dass „Pseudolinke“ in „Großunternehmen zentrale Positionen übernommen“ hätten, stellt eigentlich eine begründungsbedürftige Annahme dar, erschließt sich doch eine solche Aussage nicht notwendigerweise. Es ist dann weiter von einer „mehr oder weniger offenen Verschmelzung der vormals sozialistischen Linken mit dem Wirtschaftsliberalismus“ die Rede. Die erwähnte Ideologie „bildet eine Projektionsfläche für die politischen Erlösungshoffnungen linker Denker, während Wirtschaftsglobalisten sie als Rechtfertigung ansehen, globales Eigentum und globale Profite zunehmend auf einige tausend Familien zu konzentrieren, die sich daranmachen, bald alles zu besitzen.“

Über diese Entwicklung heißt es weiter: „Dieser Übergang vollzieht sich weitgehend im verborgenen und ist den meisten Bürgern der westlichen Welt kaum bewußt.“ Die beiden Autoren beanspruchen gleichwohl ein gesichertes Wissen darüber. Indessen teilen sie es hinsichtlich genauerer Angaben oder konkreteren Belegen nicht mit ihren Lesern. Es besteht für sie gleichwohl die Gefahr, dass sich supranationle, totalitäre und undemokratische Systeme etablieren würden. „Die sozialistischen und die globalistischen Kräfte scheinen sich verbündet zu haben, um genau dieses Ziel zu erreichen.“ Es gehe um die Auflösung von Familien, Nationalkulturen und Traditionen. „Denn auf diese Weise verwandeln sie sich in eine anonyme, atomisierte Masse, die leicht zu kontrollieren und zu manipulieren ist.“ Auch dazu werden keine genaueren Angaben mit nachprüfbaren Informationen gemacht. Dies geschieht indessen bei den jeweiligen Ausführungen dazu, wie es um die Besitzverhältnisse und die Einkommenspyramiden in der westlichen Welt steht.

Die vorstehende Darstellung referierte lediglich die hauptsächlichen Inhalte des Textes, die formale Präsentation wurde durch die ausgewählten Zitate deutlich. Wichtig für die analytische Einschätzung ist zunächst, dass einige behauptete gesellschaftliche Entwicklungen genauer belegt werden und andere diffus und geheimnisvoll bleiben. Letztes erklärt sich offenbar dadurch, dass das Gemeinte im Verborgenen geschehen soll. Die Autoren wählen bewusst diese Formulierung, womit sie die Existenz einer Konspiration nahelegen. Sie beanspruchen für sich selbst, hinter die Kulissen der Politik blicken zu können. Dabei nennen sie aber noch nicht einmal in Ansätzen einige Belege, woraus die Exklusivität ihres Wissens ableitbar sein soll. Man ergeht sich vielmehr in Andeutungen und Geraune, denn selbst die gemeinten Akteure der Konspiration werden nicht näher beschrieben. Da ist allgemein von den „globalistischen“ und diffus von den „sozialistischen“ Kräften die Rede, wobei die Letztgenannten auch „vormals sozialistische Linke“ gewesen sein sollen.

Die Autoren gehen demnach von verschwörerischen Kräften und deren gemeinsamem Wirken aus. Sie benennen dafür auch eine diffuse Absicht, können aber keine Belege vorbringen. Demnach hat man es noch nicht einmal mit einer Verschwörungshypothese, sondern mehr mit einer Verschwörungsideologie zu tun. Dazu stellt sich die Frage, ob diese für eine antisemitische Vorstellung steht. Denn derartigen Konspirationsvorstellungen sind häufig solche Prägungen eigen. Blickt man dazu auf die Ausführungen im Text, so lässt sich zunächst konstatieren, dass Juden als angebliche Verschwörer nicht explizit genannt werden. Es ist jeweils von den „Globalisten“ und den „Linken“ die Rede. Doch während mit den Erstgenannten wohl die „Identitätslinken“ gemeint sind, bleiben die Konturen der Zweitgenannten unklar. Da wird dann allenfalls von einigen „tausend Familien“ gesprochen, wobei die Gemeinten nicht näher vorgestellt werden. Immerhin hätten sie nach den Autoren doch bei ihren Handlungen besondere Herrschaftsinteressen und Ziele.

Auch hierzu dominiert die Diffusiät im Text. Daher soll die Betrachtung von einer anderen Perspektive aus erfolgen, wobei die Frage erörtert wird: Was spricht für die Existenz einer latenten antisemitischen Verschwörungsideologie? Auf den ersten Blick findet man dazu keine Hinweise, werden doch mögliche Akteure nicht namentlich genannt. Früher stand etwa die Familie Rothschild dafür, heute George Soros. Beide kommen bei Eisleben und Maaßen namentlich nicht vor. Indessen benutzen sie die Bezeichnungen „globalistische Kräfte“ und „Wirtschaftsglobalisten“. Diese könnten auch als Codewords im antisemitischen Sinne dienen, wie dies gelegentlich in einschlägigen Diskursen etwa „Finanzkapital“ ist. Der letztgenannte Begriff wird indessen auch als formale und neutrale Bezeichnung genutzt. Dies ist aber kaum der Fall bei „Globalisten“, gibt es doch nur selten damit Nutzungen in einem seriösen Sinne. Eher kursiert diese spezifische Bezeichnung dann doch in einem antisemitischen Kontext, sei es als latente oder manifeste Verschwörungsvorstellung.

Doch welche Besonderheiten könnten hier für eine solche Deutung sprechen? Der Blick auf die behauptete Bündniskonstellation bietet dazu inhaltlichen Reflexionsstoff. Denn es soll ja um eine zwischen „Globalisten“ und „Linken“ bestehende Zusammenarbeit gehen, welche sich wiederum gegen die kulturelle Tradition und nationale Verwurzelung wende. Die historische Betrachtung von Konspirationsvorstellungen veranschaulicht nun, dass derartige Auffassungen auch als „jüdisch-bolschewistische Verschwörung“ propagiert wurden. Die jeweiligen Absichten und Akteure weisen demnach inhaltliche Schnittmengen auf. Insofern bestehen sowohl formale wie inhaltliche Gemeinsamkeiten, die sich aus den inhaltlichen Prägungen ergeben. Damit einher geht kein eindeutiger Beleg dafür, dass es sich um eine antisemitische Verschwörungsvorstellung handelt. Die Aufklärung über Belege und Protagonisten könnte in eine andere Richtung weisen. Dafür mögen die Autoren mehr Klarheit schaffen, wenn sie zu den genannten Fragen eine klare Positionierung vornehmen.

Bild oben: Hans-Georg Maaßen, 2012, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, (c) Bundesministerium des Innern/Sandy Thieme