Es kamen gut 1000 Menschen auf den Kölner Heumarkt und es blieb relativ „friedlich“ – wenn man von den einschlägigen antizionistischen Parolen absieht. Im vorderen Teil war eine Bühne aufgebaut, mit einer sehr kleinen Lautsprecheranlage. Anfangs dominierten optisch palästinensische Symbole, die von den Veranstaltern – winzige, BDS-nahe Gruppierungen – vorgegeben waren. Im hinteren Teil des Heumarktes waren hingegen viele türkische Fahnen zu sehen, AKP-Leute waren dem Aufruf der „linken“ Gruppen gefolgt…
Von Jennifer Marken
Der Platz füllte sich um 16 Uhr rasch, Corona-Auflagen wurden zu keinem Zeitpunkt eingehalten. Die Polizeistrategie erschien als angemessen: Sie forderte die Verantwortlichen auf der Bühne von Anfang an auf, für den notwendigen Abstand zu sorgen, ansonsten würde die Veranstaltung verboten. Hierdurch verzögerte sich der Ablauf der Kundgebung immer wieder. Eine junge Frau mit palästinensischem Outfit von den Veranstaltern versuchte sich in einer Rede mit BDS-Diktion. „Israelische Fahnen sind hier verboten!“ rief sie zur Begeisterung des Publikums, darunter sehr viele jüngere Frauen, offenkundig aus dem „Migrantifa NRW“-Spektrum mit eindeutigen BDS-Parolen und BDS-Transparenten. Ihre Ansprache wurde jedoch nur in den vorderen Reihen verstanden. Dann fügte sie noch, strategisch bemüht, hinzu, dass das Abbrennen von israelischen Fahnen unerwünscht sei. Ihnen war bewusst, dass die zahlreich präsente Polizei die Kundgebung ansonsten verboten hätte.
Der mittlere und hintere Teil der Kundgebung trennte sich von der Inszenierung her rasch von den Reden ab. Junge Männer versuchten die Menge aufzupeitschen, riefen die obligatorischen antisemitischen Hassparolen wie „Kindermörder Israel“ und Aufrufen zum „Widerstand“. Zahlreiche Familien traten gemeinsam auf, viele Kinder, auch Kleinkinder, trugen antiisraelische Plakate und palästinensische Symbole, posierten gemeinsam zum familiären Fotoshooting, teils mit Victory-Zeichen. Adornos „Erziehung nach Auschwitz“, jegliches pädagogisches Engagement gegen Antisemitismus in deutschen Schulen ist zum Scheitern verurteilt, solange solche Instrumentalisierungen von Kleinkindern zugelassen wird. Palästinensische Familien, die in Deutschland Schutz gefunden haben, riefen immer wieder zur „vollständigen Rückkehr“ nach Palästina auf, beschimpften den demokratischen Staat Israel als Mörderstaat. Arabische Sprechchöre mit eliminatorischen Botschaften dominierten die Atmosphäre im mittleren Teil der Kundgebung (Video mit Untertiteln):
Mobilisierung im Vorfeld
Für die Kundgebung war seit mehreren Wochen intern geworben worden. Aufgerufen zum „Nakba-Tag“ hatten anfangs ausschließlich winzige „antizionistische“ Gruppierungen, die sich als „antirassistisch“ darstellen, deren aggressiv antizionistische Grundhaltung jedoch unübersehbar ist. „Palästina spricht“, „Migrantifa NRW“ und „Black Lives Matter“ mobilisierten in den sozialen Medien.
Wenige Tage vor der Kundgebung, nach dem Angriff der Hamas gegen die israelische Zivilbevölkerung, mobilisierte dann auch die Palästinensische Gemeinde Köln sowie die „Linksjugend NRW“ – die Jugendorganisation (solid) der NRW-Linken – in einem primitiven Aufruf zur Kundgebung: „Freiheit für Palästina! Schluss mit dem israelischen Staatsterror. Free Palestine“ hieß es bei den „Marx 21“-Vertretern. Sie vertreten eine eindeutige BDS-Position, trugen entsprechende Transparente und traten in Köln gemeinsam mit stalinistischen Sekten wie der MLPD, Young Struggle, der trotzkistischen Sekten SAV und ISA sowie einigen Mitgliedern des – inzwischen aufgelösten“ – Jugendwiderstandes auf. Mehrere dieser Gruppen sind offizieller Teil von „Köln gegen rechts“; ein notwendiger Klärungsprozess, dass als „Antizionismus“ verkleideter Antisemitismus kein Teil linker Bündnisse sein kann, ist auch in Köln nicht mehr zu erwarten. Das politische Elend ist schwer erträglich. Auch kurdische Fahnen der YPG waren vertreten, meist neben den Linksjugend-Vertretern. Ihr Bundesvorstand hingegen, dies sei erwähnt, vertritt eine entschieden andere Position: „Trauer um die Toten. Hass für die Hamas!“ postete sie am 12.5. auf ihrer FB-Seite. Und weiter: „Als Linksjugend [’solid] verurteilen wir den andauernden Beschuss ziviler Gebiete und Einrichtungen in Israel durch die terroristische Hamas aufs Schärfste! Innerhalb der letzten 48 Stunden sind über 1.000 Raketen aus dem Gazastreifen vor allem auf zivile Einrichtungen in Israel abgeschossen worden. Viele konnten dank der israelischen Abwehrsysteme abgefangen werden, manche schlugen trotzdem ein. Einige Menschen starben, viele sind verletzt.“
Vorgeschichte Februar 2021: Hanau, Israel und Gaza
Die Kundgebung hat einen einige Monate zurückliegenden, besorgniserregenden Vorläufer gehabt: Im Februar fanden bundesweit Kundgebung zu dem ein Jahr zurückliegenden rassistischen Anschlag in Hanau vom 19.2.2020 statt: Der Attentäter Tobias R. ermordete aus rassistischen Motiven zehn Menschen, überwiegend Migranten. In Köln fanden nacheinander zwei Gedenkveranstaltungen statt: Auf dem Wilhelmplatz in Köln-Nippes und in Köln-Mülheim. Auf der Veranstaltung in Nippes dominierten eindeutig, auch vom offiziellen Rednerspektrum her, kämpferisch-antizionistische Gruppierungen, die Rassismus ausgerechnet im demokratischen Staat Israel sehen. Eingeladen hatten relativ neue winzige Gruppierungen wie Young Struggle Köln und Palästina spricht NRW.
Vergleichbare antizionistisch konnotierte Kundgebungen migrantischer Antifagruppen gab es in im Februar 2021 in weiteren Städten. Auch dort wurde israelbezogener Antisemitismus geschürt, um den demokratischen Staat Israel zu delegitimieren, wie Tom Uhlig (in jungle world, 11.3.2021) sowie Meira Garcia & Igor Netz (jungle world 29.4.2021) kürzlich beschrieben haben.
Bei den Reden vor knapp 300 Zuschauern, viele posierten mit erhobenen Fäusten, wurde immer wieder Israel attackiert und Gaza als ein brutal unterdrückter Staat bezeichnet – noch einmal: Anlässlich einer Gedenkkundgebung zu den Morden in Hanau! Offenkundig waren die Redner, im geistigen Einklang mit Neonazigruppierungen wie „Die Rechte“ in Dortmund, der Auffassung, dass die Morde in Hanau nur durch „den Zionismus“ bedingt sein könnten. Für die mehr als grenzwertigen Redebeiträge in BDS-Diktion gab es immer wieder Beifall, auch bei der antizionistischen BDS-Kampfparole „from the river to the sea“
Auf der Veranstaltung war auch ein Transparent von „Kein Veedel für Rassismus“ zu sehen. Obwohl bereits im Vorfeld in sozialen Medien scharf gegen das Einladerspektrum Kritik geübt wurde erhob keine einzige rassismuskritische Gruppierungen in Köln öffentlich Protest gegen das unappetitliche, die rassistischen Morde in Hanau instrumentalisierende antisemitische Spektakel. Einzig die bürgerlich-betuliche Kölnische Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit formulierte am 23.2.2021 in einer Pressemitteilung im Nachklang deutliche Kritik an den „antisemitischen Äußerungen“ bei dieser Hanau-Kundgebung: Diese seien „nicht hinnehmbar“. „Rassismuskritische Bündnisse, denen es nicht“ gelinge, „antisemitische Stimmen auszuschließen“, machten sich „unglaubwürdig“ und schadeten ihrem Anliegen.
Die Mahnung blieb in Köln folgenlos. Kritik an offenkundigem Antisemitismus scheint bei linken Gruppierungen in Köln ein Tabu zu sein, um „dem gemeinsamen Anliegen“ nicht zu schaden.
Schrille Parolen und Hassbotschaften gegen Israel: „Zionism is Fascism“
Die Kundgebung entglitt den Veranstaltern aus dem BDS-Spektrum zunehmend aus der Kontrolle. Nach 20 Minuten kletterten drei junge Männer mit palästinensischem Outfit auf das hinter der Bühne befindliche Reiterdenkmal und hissten dort eine großformatige palästinensische Fahne. Ein Teil der Demonstranten feierte dies und nahm die Szene mit ihren Handykameras auf. Die Veranstalter hingegen, denen die Polizei mit einem Abbruch der Kundgebung drohte, versuchten ihre Kampfgefährten mit einem Mikrofon – einer von ihnen trug ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift „Boykott Israel“ – zu einem Verlassen des Reiterdenkmals zu bewegen. Als sie nacheinander wieder das Reiterdenkmal verließen, einer von ihnen trug ein T-Shirt mit arabischer Aufschrift und einem Gewehr, wurden sie von der Polizei kurzzeitig festgenommen.
Die Transparente auf der Kundgebung trugen eindeutige Botschaften: „Ich kehre zurück!!!“, „Opfer des israelischen Terrors“, angereichert mit entsprechenden Bildern. „Völkermorden zu Bruderschaft zusehen“, Free Palästina“, „Wir werden nicht schweigen“ und „End Israel Crimes. Free Palestine“ war zu lesen. Ein junger Mann posierte mit gleich zwei Plakaten vor der Kamera: „Völkermörder zu Rechenschaft ziehen!“ sowie „Israel ist einzigartig in der illegalen Landbesetzung“. Mehrere junge Frauen, offenkundig von den Veranstaltern, trugen offen geschichtsrevisionistische Plakate wie „End the Palestinian Holocaust“. Mehrere Gruppen verschleierter Frauen trugen riesige Fronttransparente bzw. sangen arabische Lieder und riefen im Gleichklang arabische Kampfparolen.
Weitere Plakatinschriften: „We can´t breath since 1948“, „Zionism is Fascism“, „Well done Israel. Hitler would be proud“, „Israel is killing children“ sowie „Israel will alles nur keinen Frieden.“
Es hatten sich auch ca. 50 Gegendemonstranten vor allem aus dem Antifaspektrum versammelt. Die Idee einer kurzfristig angemeldeten Gegenkundgebung wurde jedoch aus Sicherheitsgründen verworfen. Es kann als sicher gelten, dass sich dann ähnliche gewalttätige Szenen wie in Berlin ereignet hätten, die das JFDA dokumentiert hat.
Auf dieser Berlin-Neuköllner Kundgebung wurde auch die israelische Journalistin Antonia Yamin bei einem Interview mit einem schweren Böller attackiert – wie bereits vor drei Jahren schon einmal.
Bei einem Autokorso in London wurde zeitgleich zur Vergewaltigung von JüdInnen aufgerufen: „Fuck the Jews, rape their daughters!“.
Es sei an die Kundgebung anlässlich des „Gazakrieges“ Juli 2014 in Köln erinnert, zu der auch die NRW-Linkspartei aufgerufen hatte und bei der Vertreter von ihnen sprachen. In Essen wurden im Juli 2014 auf einer Linksjugend-Demo einzelne Gegendemonstranten mit israelischen Symbolen durch die Straßen gejagt. Mehrere Teilnehmer tragen bis heute traumatische Sequenzen mit sich herum.
Nach 70 Minuten wurde die Kundgebung von der Polizei aufgelöst, weil die Coronaregeln weiterhin nicht eingehalten wurden. Daraufhin versuchte ein kleinerer Teil der Demonstranten, vor allem aus dem türkischen AKP-Spektrum, einen Demozug, der Richtung der zwei Kilometer entfernten Synagoge verlaufen sollte.
Nachklang
Im Anschluss an die Kundgebung tauchten, wie auch die gut informierte Seite „Herr K“ berichtet hat, mehrere kleine Gruppen aus der Kundgebung auf dem Rathenauplatz vor der Kölner Synagoge auf. Eine kleine Gruppe von proisraelischen Demonstranten, die sich zuvor zum Selbstschutz nicht auf der Kundgebung zu erkennen gegeben hatte, stellten sich daraufhin kurz demonstrativ mit zwei israelischen Fahnen vor der Synagoge auf. Sie wurden von zwei professionellen Recherche-Fotografen der antiisraelischen Gruppe systematisch abfotografiert. Daraufhin erschienen sogleich mehrere Wannenwagen der Polizei. Die antisemitische Geste der Einschüchterung war sehr eindeutig. Gespenstische antisemitische Szenen, das Verbrennen von israelischen Fahnen, wie sie sich in mehreren NRW-Städten abgespielt haben, insbesondere vor der Synagoge in Gelsenkirchen, wo Demonstranten, mit palästinensischen und türkischen Fahnen, immer wieder „Scheiß Juden“ brüllten und ihren Hass öffentlich zeigten, ohne dass die Polizei einschritt, sind auch in Köln jederzeit möglich.
Die Gefährdung von Juden sowie von jüdischen Einrichtungen in Köln hat noch einmal immens zugenommen, daran kann kein Zweifel bestehen. Ohne neonazistische und rechte geschichtsrevisionistische Gruppierungen klein zu reden: Die Gefahr geht heute vorwiegend von „linken“ BDS-Gruppierungen sowie von türkischen und arabischen Gruppierungen aus.
Eine „Erziehung nach Auschwitz“ (Adorno), eine Erziehung gegen Antisemitismus, sie könnte als gescheitert gelten. In linken Gruppierungen wird weiterhin offenkundiger Antisemitismus zumindest geduldet – um es zurückhaltend zu formulieren.
Die verschiedenen „pro israelischen“ Gruppierungen sind unter sich zerstritten. Es sieht nicht gut aus. Die Gefahr für Juden in Köln ist groß. Dies in Abrede zu stellen erscheint bestenfalls als Ausdruck von Naivität.
Fotos: J. Marken