Antisemtische Ausschreitungen in deutschen Städten – Ein kritischer Blick auf die Tätergruppen ist notwendig

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Die jüngsten Ausschreitungen waren keine bloßen „antiisraelischen Demonstrationen“. Die judenfeindlichen Einstellungen ergaben sich allein schon dadurch, dass als Orte davon vielfach Synagogen betroffen waren. Differenzierte Aufmerksamkeit für Antisemitismus bei Menschen mit Migrationshintergrund muss erhöht werden, will man damit einhergehende Fragen nicht bestimmten politisch Interessierten überlassen…

Von Armin Pfahl-Traughber

Kommt es zu einer militärischen Eskalation im Nahost-Konflikt, kommt es häufig auch zu einem Anstieg antisemitischer Entwicklungen. Diese Beobachtung ließ sich in den letzten Jahrzehnten immer wieder machen. Indessen gibt es zwischen beiden Entwicklungen eigentlich keinen direkten inhaltlichen Zusammenhang. Denn unabhängig von der Frage, wie man das Agieren der israelischen Regierung jeweils bewerten mag, können die in Deutschland lebenden Juden dafür schwerlich verantwortlich gemacht werden. Sie mögen jeweils persönlich eine affirmative Einstellung zu Israel haben, gleichwohl stellen sie als Individuen ebenso wenig Institution des Staates wie etwa Synagogen dar. Wenn demnach einzelne Gläubige wie religiöse Einrichtungen für israelisches Vorgehen verantwortlich gemacht werden, so ist derartigen Denkungsarten und Handlungen eine innere Position eigen. Diese konstruiert in der Konsequenz objektiv, wenn auch wohlmöglich nicht subjektiv bewusst, im Selbstverständnis ein fiktives „Weltjudentum“.

Genau daraus ergibt sich dann eine antisemitische Grundposition, die bei den jüngsten Angriffen und Ausschreitungen an unterschiedlichsten Orten insbesondere gegen Synagogen deutlich wurde. Das markanteste Ereignis hierfür erfolgte in Gelsenkirchen, wo sich um die 40 Menschen vor der dortigen Synagoge versammelten. Bereits die Auswahl des Ortes sprach dafür, dass Antisemitismus als Einstellung präsent war. Bestärkt wurde dieser Eindruck noch durch die ständigen Rufe „Scheißjuden, Scheißjuden, Scheißjuden“. Über zehnmal sind diese Äußerungen auf einem auf Twitter veröffentlichten Video hörbar. Doch wer waren hier die Akteure? Erstaunlicherweise findet man dazu nur wenige Informationen in den Medien. Die erwähnte Aufzeichnung zeigt auch etwas verschwommene Bilder. Indessen sind unverkennbar Fahnen zu sehen, gleich mehrfach die türkische Flagge, aber auch eine palästinensische und eine tunesische Flagge. Es ist demnach offenkundig, dass die antisemitischen Akteure einen derartigen Migrationshintergrund hatten.

Ähnliche Beobachtungen ließen sich in anderen Städten machen, wobei die jeweiligen Aktivitäten unterschiedliche Dimensionen annahmen. In Bremen kamen gar um die 1.500 Personen zusammen. Dort konnte man palästinensische und türkische Fahnen sehen, „Allahu Akbar“-Rufe hören. In Hannover kamen um die 500 Personen zusammen, wobei eine Israel-Flagge öffentlich verbrannt werden sollte. Ähnliche Aktivitäten gab es in vielen anderen Städten, sei es in Berlin, Solingen oder Würzburg. Auch gab es Angriffe auf Synagogen, wofür Bonn und Münster als Orte stehen. Im erstgenannten Fall flogen Steine auf den indessen gut gesicherten Zugang. Drei junge Männer mit syrischem Migrationshintergrund konnten festgenommen werden. Befragte Angehörige der jüdischen Gemeinden an den jeweiligen Orten erklärten: Es habe bei den Demonstranten eine überaus aggressive Stimmung vorgeherrscht. Man mochte sich gar nicht vorstellen, was es für Folgen gehabt hätte, wären Juden etwa durch eine Kippa als solche wahrgenommen worden. 

Derartige Ereignisse müssen zunächst als eindeutig antisemitisch bezeichnet werden. Es handelte sich gerade nicht um „antiisraelische Demonstrationen“ wie es in einigen Medien hieß. Ginge es darum, die israelische Politik zu kritisieren, hätte man öffentliche Plätze für solche Veranstaltungen gewählt. Indessen zogen die Demonstranten häufig vor Synagogen. Gerade diese konkrete Entscheidung macht die judenfeindliche Zielsetzung deutlich. Dabei muss eine solche Denkungsart den Handelnden gar nicht zwingend bewusst sein, Antisemitismus kann auch in latenter und muss nicht nur in manifester Form vorkommen. Diese Ereignisse rücken die israelbezogene Form der Judenfeindschaft ins Zentrum. Und sie zeigen erneut, Antisemitismus muss nicht nur von Rechtsextremisten ausgehen. Diejenigen, die ihren Blick darauf und auf die Mehrheitsgesellschaft konzentrieren, sollten ihre Perspektive weiten. Wer Antisemitismus unter Migranten nicht differenziert thematisiert, überlässt dies Anderen – dann in undifferenzierter Form.