Israelbezogener Antisemitismus und Othering: Antisemitische Vorfälle seit dem 9. Mai

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Der Bundesverband RIAS e.V. dokumentierte seit dem 9. Mai deutschlandweit zahlreiche antisemitische Vorfälle mit Bezug auf die Auseinandersetzungen um das Jerusalemer Viertel Sheich Dscharrah sowie auf israelische Militäroperationen nach Raketenangriffen durch islamistische Terrorgruppierungen in Gaza auf Israel…

Bundesverband RIAS e.V.

Während sich zahlreiche Jüdinnen_Juden in Deutschland Sorgen um Angehörige und Freund_innen in Israel machen, werden sie selbst als vermeintliche Stellvertreter_innen Israels adressiert. Menschen, die als jüdisch wahrgenommen werden oder erkennbar sind, werden auf Social Media Kanälen dazu aufgefordert, sich zu positionieren. Jüdinnen_Juden sind Beleidigungen und Anfeindungen bis hin zu Morddrohungen ausgesetzt. Auch offline sind dem Bundesverband RIAS mehrere Vorfälle gegen jüdische Personen und Einrichtungen bekannt geworden.

Antisemitische Vorfälle gegenüber jüdischen Gemeinden und bei Synagogen

Am Abend des 11. Mai schmissen mehrere Personen Steine auf den Eingang der Bonner Synagoge und verbrannten eine weiß-blaue, vermutlich israelische Fahne. An der Fensterfront der Synagoge wurden von der später eingetroffenen Polizei Einschläge und mehrere Zettel mit arabischem Text festgestellt.

Ebenfalls am Abend des 11. Mai versammelten sich ca. 15 Personen vor der Synagoge Münster und verbrannten eine israelische Fahne.

Eine Spontandemonstration am 12. Mai in Gelsenkirchen konnte von der Polizei kurz vor der Synagoge gestoppt werden. Dabei wurden aus der Gruppe von fast 200 Personen die Parolen „Scheißjuden“ und „Kindermörder Israel“ skandiert, außerdem wurde ”Allahu akbar“ gerufen.

Ebenfalls am 12. Mai rief eine Person bei der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover an und drohte mit einem Brandanschlag.

Auch am 12. Mai fand vor der Synagoge in Ulm eine Protestaktion statt, in deren Rahmen ein beidseitiges Schild ausgestellt wurde. Auf einer Seite wurden „blutige“ Handabdrücke mit der Aufschrift „Stop Killing Innocents“ präsentiert. Auf der anderen Seite des Schildes lautete die Aufschrift, ”Don’t forget your own story“. 

In der Nacht auf den 13. Mai warf eine Person einen stumpfen Gegenstand, vermutlich einen Stein, auf ein Fenster der Synagoge in Mannheim.

Erneut wurden am 13. Mai vor der Synagoge Ulm antisemitische Banner mit Bezug zur derzeitigen Eskalation präsentiert.

Bereits am Abend des 10. Mai hatten Personen am Mahnmal für die ehemalige Große Synagoge in Düsseldorf ein Feuer entzündet. Offenbar wurde auf der Steinplatte am Gedenkstein Müll verbrannt.

Antisemitische Online-Vorfälle gegen jüdische Menschen und Institutionen

Neben diesen Vorfällen wurden dem Bundesverband RIAS zahlreiche Fälle antisemitischen verletzenden Verhaltens, aber auch von Bedrohungen, gegenüber Jüdinnen_Juden und jüdischen sowie israelischen Institutionen in den Sozialen Medien bekannt.

Am 9. Mai erhielt das israelische Generalkonsulat in München eine Direktnachricht auf Facebook, in der der Mord an und die Vergewaltigung von Jüdinnen_Juden angekündigt wurde. In der Nachricht hieß es unter anderem: „Nun ist es für Euch an der Zeit Palästina zu verlassen und uns in Frieden leben zu lassen. Ihr seid der Grund für Terror in der Welt. In den nächsten Tagen werden wir als Gruppe das beginnen, was Hitler gestartet hat: Eure Bürger und Botschaften in Europa zu verbrennen.“ Im weiteren Verlauf wurde explizit die Verschleppung und Vergewaltigung von Frauen angekündigt.

Am 9. Mai reagierte eine Person auf die Instagram-Story einer jüdischen Frau aus Berlin, die zum Ende des Shabbats ein Bild von einem Brettspielabend mit ihrer Familie mit dem Gruß „Shavua Tov“ gepostet hatte, mit antisemitischen Anfeindungen: „Palästina für immer ihr israelischen bastarde ich hoffe gott bestrafte euch hürensohne“ [sic!]. Inhalte älterer Tweets, die im Zusammenhang mit Raketenbeschüssen aus Gaza auf Israel stehen, kommentierte eine Person am 11. Mai und verglich die israelische Reaktion mit dem Nationalsozialismus und die Situation in Gaza mit der Schoa. Am selben Tag antworte ein weiterer User auf einen anderen Tweet, dass Israel sich „verteidigen dürfe“, fügte dann hinzu „aber zurückfeuern, oder über die Staatsgrenze gehen und die Moschee anzuzünden und zu jubeln ist genauso ein Kriegsverbrechen. Es ist nichts anderes als 1938 in der Reichskristallnacht als die Synagogen abgefackelt wurden!“ Die Person erhielt seitdem zahlreiche weitere antisemitische Nachrichten und Anfeindungen in den Sozialen Medien. 

Am 10. Mai schrieb eine Person an eine in Berlin ansässige jüdische zivilgesellschaftliche Einrichtung eine Direktnachricht auf Facebook: „Möge sich Gott an euch Juden rechen für das was ihr Palästina antut. Schmort in der Hölle dafür!“

Am 11. Mai postete ein jüdischer Berliner eine israelsolidarische Nachricht auf Instagram. In den Kommentaren erhielt er von vielen User_innen Zuspruch, jedoch auch zahlreiche antisemitische Kommentare. Verschiedene Personen schrieben Nachrichten wie „Israel are the real monsters and real hitler“, ”Free the world from Israel“, „I miss Hitler. He should come back for a quick wipe out“ oder „Möge Allah alle Vernichten die gegen muslime sind“. Eine Person, die sich als Palästinenserin vorstellte, verschickte an den Betroffenen mehrere Sprachnachrichten. Unter anderem sagte sie, „Whereever you are, I can make problem for you. […] If you live in Israel, I gonna kill you, I gonna kill your mom, kill your dad and family.“ Eine weitere Person, die eine Sprachnachricht schickte, drohte ebenfalls, ”I’m gonna kill your face and kill your family.“

Ebenfalls am 11. Mai fragte ein Facebook-Nutzer eine Person aus Berlin, ob sie jüdisch sei. Als diese mit „Ja“ antwortete, wurde sie als „Kindermörder“ beleidigt. Die beiden kannten sich nicht. Die betroffene Person lebt in Berlin, Verweise auf Israel gab es in ihrem Profil keine. 

Nachdem eine Person aus Flensburg am 13. Mai in einem Tweet u.a. den Hashtag „#IsraelUnderAttack“ verwendete, wurde der Tweet durch eine andere Person retweetet und mit dem Hashtag „Scheiß Jude“ versehen.

Auch Personen und Insitutionen, die nicht als jüdisch adressiert wurden, die aber zum Themenkomplex Israel sowie Antisemitismus arbeiten, erhielten antisemitische Nachrichten. Eine zivilgesellschaftliche Organisation aus Berlin erhielt bei Instagram den Kommentar: „Hitler hätte euch alle löschen sollen #freepalestine #terroristisrael“. Am 12. Mai verwies die Ansprechperson zu Antisemitismus des Landes Berlin darauf, dass die erneute Eskalation im palästinensisch-israelischen Konflikt in Deutschland zum Anlass und zur Rechtfertigung für antisemitische Gewalt genutzt wird. Ein User antwortete darauf: „Angriffe auf Synagogen sind falsch. Falsch ist es auch wenn jüdische Gemeinden Solidarität mit dem zionistischen Apartheidstaat haben. Dieser ekelhafte Terrorstaat hat kein Existenzrecht.“

Weitere antisemitische Vorfälle im öffentlichen Raum

Am 11. Mai sprühte eine Person antisemitische Parolen mit Bezug zur derzeitigen Eskalation an mehrere Gebäude in Ludwigsburg.

Am 12. Mai befand sich eine Frau an einer Bushaltestelle Berlin-Neukölln. Ein Mann beobachtete sie dabei, als sie ein Poster abfotografierte, auf dem zu einer Versammlung anlässlich des sogenannten Nakba-Tags aufgerufen wurde. Er kam auf sie zu und beschimpfte sie mit „Fick dich Juden Schlampe“. Er lief dann an ihr vorbei, drehte sich noch einmal um und lachte laut. Die Betroffene stieg in den nächsten Bus ein, der anhielt. Sie trug eine Davidsternkette. 

Zum Jahrestag der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel am 12. Mai wurde vor mehreren öffentlichen Gebäuden Israelflaggen gehisst. Mehrere solcher Flaggen wurden beschädigt oder entfernt, so in Solingen vor dem Rathaus sowie in Würzburg vor dem Landratsamt. Auch vor dem Konrad-Adenauer-Haus in Berlin-Mitte wurde eine Fahne entfernt. Es wurde zudem versucht, die Fahne vor dem Pankower Rathaus anzuzünden. Am 13. Mai warfen Personen mehrere angezündete Wurfgeschosse auf die Fassade des Rathauses Nordhausen, an dem ebenfalls eine Flagge gehisst wurde, die die Personen jedoch nicht trafen.

Nach militärischen Auseinandersetzungen oder diplomatischen Entwicklungen im Zusammenhang mit dem israelisch-arabischen Konflikt kommt es auch in Deutschland regelmäßig zu einer Vielzahl von Demonstrationen mit antisemitischen Ausdrucksformen. So kam es im Sommer 2014 während einer militärischen Auseinandersetzung zwischen Israel und der islamistischen Terrororganisation Hamas in ganz Deutschland zu zahlreichen antisemitischen Vorfällen und Straftaten, insbesondere im Kontext von Demonstrationen. Im Dezember 2017 dokumentierte RIAS deutschlandweit zahlreiche Demonstrationen mit antisemitischen Äußerungen anlässlich der Ankündigung des damaligen US-Präsidenten Trump, die US-Botschaft in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen zu wollen. 

Auch derzeit zeigt sich bundesweit ein dynamisches Demonstrationsgeschehen. Weitere Versammlungen sind für die nächsten Tage angekündigt, die die Ereignisse in Israel und den palästinensischen Gebieten thematisieren. So fanden bereits im gesamten Bundesgebiet Versammlungen statt, dabei kam es auch zu antisemitischen Äußerungen auf Parolen und Schildern. Hervorzuheben ist die bereits erwähnte Spontandemonstration am 12. Mai in Gelsenkirchen. Der Bundesverband RIAS wird in den kommenden Tagen hierzu eine umfassendere Darstellung veröffentlichen. 

Derzeit zeichnet sich eine deutlich schnellere Dynamik antisemitischer Vorfälle ab als noch im Dezember 2017. Bereits mit Beginn der Demonstrationen kam es zu einer Vielzahl antisemitischer Vorfälle, die sich auch jenseits von Versammlungen direkt gegen Jüdinnen_Juden, in besonders bedrohlichen Fällen gegen Synagogen und jüdische Gemeinden richteten. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Situation weiter entwickelt. 

Sollten Sie in den kommenden Tagen und Wochen selbst von Antisemitismus betroffen sein oder Zeug_in von antisemitischen Vorfällen werden, melden Sie dies bitte unter https://report-antisemitism.de.