Bissig gegen den Antisemitismus 2.0

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Sandra Kreislers Buch „Jude Sein. Ansichten über das Leben in der Diaspora“ ist eine bissige Kampfansage an jegliche Formen des Antisemitismus. Ihr besonderes Verdienst ist es, dass sie den auf Israel bezogenen Antisemitismus, der von unterschiedlichen politischen Lagern immer wieder als inexistent oder als Erfindung der israelischen Regierung diffamiert wird, schonungslos aufzeigt. Ferner tritt sie der Delegitimierung, Dämonisierung und den Doppelstandards, mit denen der jüdische Staat regelmäßig konfrontiert ist, mit Fakten und spitzer Zunge entgegen. Dabei steht die 59-Jährige in ihrer wortgewandten Direktheit ihrem Vater, Georg Kreisler (1922-2011), dem anarchistischen Sänger, Dichter und Komponisten in Nichts nach.

Von Patrick Helber

Ihr Werk lebt von seinem mündlichen Stil inklusive österreichischem Vokabular. Die 31 Essays des Buches sind größtenteils verschriftlichte Podcasts[1], die Kreisler beim Online-Magazin Mena-Watch[2] veröffentlicht hat. In Ihren Texten, die manchmal den Charakter einer Bühnenperformance haben, zu der auch Abschweifungen und Assoziationen gehören, wendet sie sich direkt an ein imaginiertes Saalpublikum. Für die Leser*innen ihres Buches hat sie ihre bissigen Polemiken um einen Fußnotenapparat zum Faktencheck erweitert, der auch als Nachschlagwerk gegen allgegenwärtiges Israel-Bashing gute Dienste leistet.

Teils mit schwarzem Humor arbeitet sich Kreisler meinungsstark an den Reizthemen, Debatten und Antisemitismus-Skandalen der Gegenwart und jüngsten Vergangenheit ab. Ins Visier nimmt sie insbesondere die obsessive Beschäftigung renommierter linksliberaler Würdenträger*innen mit dem einzigen jüdischen Staat der Welt: „Warum sind diese ganzen hochgelobten Intellektuellen und Vorzeigekünstler der Linken just in puncto Israel so unterbelichtet? Judith Butler, Noam Chomsky, Slavoj Žižek, Jean Ziegler, Daniel Barenboim, die gruseligen Aleida und Jan Assmann, früher auch Erich Fried und Stephen Hawking – die Liste geht eine Weile so weiter –, alle keine Historiker oder Politologen, aber in puncto Israel haben sie alle den Schlapfen offen und erzählen ihrer linken Klientele, wie böse der israelische Jude ist“ (S. 228).

Überdies verteilt Kreisler unter anderem verbale Haken an die Vereinten Nationen aufgrund deren „Israelverurteilungsorgien“ (S. 104), an hiesige BDS-Unterstützer*innen, den postkolonialen Theoretiker Achille Mbembe, die deutschen Kritiker*innen von Donald Trumps Nah-Ost-Friedensplan, den kochenden Verschwörungsantisemiten Attila Hildmann, das Zentrum für Politische Schönheit sowie die österreichische Kabarettistin Lisa Eckhart.

Kreislers Ansichten und ihre Sprache reiben sich am postmigrantischen Diskurs um subalterne Identitäten, Alterisierungen und rassistische Diskriminierungen, wie er in vielen aktuellen Publikationen auftaucht und an Universitäten geführt wird. Sie ergänzt diesen Diskurs um eine manchmal subjektive, stets selbstbewusste und säkulare jüdische Perspektive aus einer anderen Generation von Aktivist*innen. Kreisler bereichert die gegenwärtig in der Presse und in den sozialen Medien geführten Debatten um ihre Sensibilität für „Antisemitismus 2.0“ und dessen Wandelbarkeit als Welterklärungsideologie. Im Unterschied zu einigen anderen (jüdischen) Aktivist*innen und Autor*innen schließt sie Israel in ihre Texte zur deutschen und österreichischen Gegenwart stets mit ein.

In ihrer Auseinandersetzung mit Cancel Culture schießt Kreisler allerdings über das Ziel hinaus: „Demokratie ist Verhandlung, Kompromiss, vorsichtige, und dadurch – sicherlich nicht nur für mich – viel zu langsame Entwicklung. Das gehört aber dazu, denn es müssen Lernprozesse her, nicht Denkverbote. In den USA entwickelt sich mit der erst cancel und dann woke genannten Strömung eine geradezu faschistoid agierende Verbotskultur, die Menschen ebenso ausschließt, wie sie behauptet, sie zu inkludieren“ (S. 218). Das sogenannte Canceln zu monieren oder sich wie vor einigen Jahren üblich über zu viel „politische Korrektheit“ zu beklagen, sind feste Bestandteile eines reaktionären Vokabulars und einer rechten Kulturkampfstrategie. Was Kreisler hier fälschlicherweise als „faschistoid agierende Verbotskultur“ bezeichnet, mag manchmal bedauerlicherweise humorlos, meist aber berechtigte Kritik an diskriminierenden und verletzenden Äußerungen sein.

Zu Recht zeigt Kreisler hingegen auf, dass die Kritiker*innen von Diskriminierung sich selbst entlarven, wenn sie die Anfeindungen gegen Juden und Jüdinnen oder Israel mit anderem Maße messen als Rassismus, Homophobie und Sexismus. Oft erfährt gerade der oder die vermeintlich Gecancelte leider mehr mediale Aufmerksamkeit und Empathie als die Gruppe, von der die Kritik ausging. Das hat Kreisler allerdings wieder selbst in ihren Essays zu Achille Mbembe und Lisa Eckhart demonstriert. Summa summarum ist Kreislers Buch eine anregende, sehr unterhaltsame und zur Diskussion ermunternde Lektüre.

Sandra Kreisler: Jude Sein. Ansichten über das Leben in der Diaspora, Hentrich & Hentrich Verlag 2021, 248 S., 18,00 €, Bestellen?

LESEPROBE

[1] https://soundcloud.com/user-436254005
[2] https://www.mena-watch.com/ ist ein pro-israelischer Blog, auf dem Journalist*innen unterschiedlicher politischer Richtung publizieren.

1 Kommentar

  1. Lieber Herr Helber,
    Vielen lieben Dank, dass Sie sich für mein Buch interessieren, und danke auch für die freundlichen Worte. Ich möchte dennoch kritisieren, dass Sie mir vorwerfen, ich verwendete rechtes Vokabular – denn das ist erstens unrichtig, und zweitens wirkt es auf mich, als hätten Sie das Buch überflogen, aber nicht gelesen.
    Ich sage sehr klar, dass ich eine gendergerechte Sprache für wesentlich halte, und eben auch einen offenen kritischen Umgang mit jenen „Säulenheiligen“ die, sagen wir es flapsig, Scheisse gebaut haben.
    Ich finde nur, dass ein ersatzloses Streichen – also Bildersturm statt einer Diskussion und dem Aufzeigen der schwarzen Punkte schlechter für die Gesellschaft ist, weil es verbirgt anstatt blosszustellen.
    Ich lasse meine Leser sehr genau wissen, dass es eben auch eine Zwischenposition gibt: man muss nicht „streichen“, man kann hervorstellen – und das ist in meinen Augen die sinnvollere Variante. Ich bin der Ãœberzeugung, dass das sehr klar aus meinem Text – ja sogar aus dem von Ihnen gewählen Zitat! – herausgeht.
    Könnte es sein, dass Sie konditioniert sind, zurückzuzucken, wenn etwas ungewohntes zu lesen ist, anstatt sich die Zeit zu nehmen zu erfassen, was konkret da steht?
    Ja, der „rechte Kulturkampf“, wie Sie schreiben, versucht, sensible Aufmerksamkeit gegenüber ausgegrenzten Minderheiten zu verhindern: Wer sich über Angriffe auf Macht wehrt, hat meistens gerade die Macht inne. Ich finde dennoch, dass die Diskussion, beispielsweise über das Gendern in der Sprache, besser und wichtiger ist, als die Form, die derzeit bevorzugt wird, mit Doppelpunkt oder Genderstern und Binnen-I. (Es gibt beispielsweise vom Österreichichen Künstler Phettberg einen sprachlich mE besseren Vorschlag) – aber die Diskussion ist das, was wichtig ist!
    Einfach verbieten, streichen, von Säulen werfen bringt nix. Das ist es, was ich sage. Nix mit Rechtem Vokabular.
    Trotzdem freut es mich, wenn ich auch hier Gespräche anstossen kann. Liebe Grüsse, Sandra Kreisler

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