„Dämonisierung“, „Delegitimierung“ und „Doppelstandards“ stehen für den 3-D-Test, der kritische Einstellungen zur israelischen Politik und antisemitischen Positionen gegen den Staat Israel unterscheidbar machen will. Die einzelnen Bestandteile bedürfen aber noch einer inhaltlichen Konkretisierung, wozu hier einige Anregungen und Vorschläge unterbreitet werden…
Von Armin Pfahl-Traughber
Gegenwärtig gibt es wieder einmal eine Debatte über die richtige Begriffsbestimmung von „Antisemitismus“. Dabei stehen sich die Anhänger der IHRA-Definition und die der „Jerusalemer Erklärung“ gegenüber. Beide blenden die Defizite in ihren jeweils bevorzugten Konzepten aus, politische und damit sachfremde Implikationen verhindern einen Konsens und auch schon eine Verständigung. Demgegenüber ist der bekannte 3-D-Test, der eine Differenzierung von kritischen Einstellungen zur israelischen Politik und antisemitischen Positionen gegen den Staat Israel vornehmen will, konzeptionell und inhaltlich viel weiter. Bekanntlich stellt er auf „Dämonisierung“, „Delegitimierung“ und „Doppelstandards“ als Kriterien ab und liefert mit diesen drei Ds ein eingängiges und mehrdimensionales Konzept. Entwickelt hatte es 2003 Natan Scharanski, der damals israelischer Minister für soziale Fragen war. Indessen können auch hierzu kritische Einwände formuliert werden, aber mehr zur Ergänzung oder Konkretisierung, nicht zur Verdammung oder Verwerfung.
Es sollte dabei um eine Differenzierung gehen, „um legitime Kritik an Israel von Antisemitismus zu unterscheiden“. Doch hier stellt sich die Frage, worin eine „legitime Kritik“ besteht. Die Grundlage könnten die Menschenrechte und das Völkerrecht sein. Dazu müsste noch eine Ergänzung hinsichtlich der Glaubwürdigkeit vorgenommen werden, womit eine einseitig gegen Israel gerichtete Perspektive ausgeschlossen wäre. Gleichwohl besteht hier ein erster Ergänzungs- und Konkretisierungsbedarf. Darüber hinaus darf noch ein anderer Einwand formuliert werden: Kann es auch Einwände gegen die israelische Politik geben, die einseitig, falsch und unfair, aber doch nicht antisemitisch sind? Der Autor plädiert etwa für eine Differenzierung von erstens (akzeptablen) differenzierten menschenrechtlichen und nicht-antisemitischen Einwänden gegen die israelische Politik, zweitens (kritikwürdigen) israelfeindlichen, nicht-antisemitischen Positionen und drittens (verwerflichen) israelfeindlichen und antisemitischen Vorstellungen.
Nun aber zu einer Diskussion der einzelnen Ds, wobei am Beginn die „Dämonisierung“ steht. Wenn etwa das „Böse“ schlichtweg in Israel gesehen und das Land allein für den Nahost-Konflikt verantwortlich gemacht wird, dann hat man es sicherlich mit einer Dämonisierung zu tun. Gleichwohl stellt sich auch die Frage, ob dies immer für Antisemitismus steht. Das Gemeinte kann durch einen Vergleich besser veranschaulicht werden. Früher sahen die Linken in den USA die Verkörperung des „Weltimperialismus“. Gleichwohl richtete sich die erkennbare Feindschaft und Pauschalisierung nicht gegen die US-Amerikaner an sich. Wenn die gemeinte Dämonisierung eben von Israel auf „die Juden“ übertragen werden würde, dann hätte man es sicherlich mit einer antisemitischen Position zu tun. Denn Antisemitismus meint eben diese Feindschaft gegen Juden als Juden, welche bei einer derartigen Verallgemeinerung auch deutlich werden würde. Bei dem ersten D-Kriterium bedürfte es demnach einer solchen inhaltlichen Ergänzung um einer inhaltlichen Trennschärfe willen.
Beim zweiten D, der „Delegitimierung“, geht es darum, dass „die Legitimität des jüdischen Staates“ verneint wird. Grundsätzlich antisemitisch sei es, wenn „das Existenzrecht Israels angezweifelt wird“. Indessen ergibt sich daraus nicht direkt eine Feindschaft gegen Juden als Juden. Ein dafür entscheidender Gesichtspunkt ist in den erwartbaren Folgewirkungen einer solchen Position zu sehen. Diese bestünden darin, dass nicht nur die israelischen Juden keine staatliche Heimstätte und damit auch keine entsprechende Sicherheit mehr hätten. Die mit der Begriffsbestimmung einhergehende Erläuterung deutet diesen Gesichtspunkt an, nennt ihn aber nicht als das eigentliche Kernmerkmal für die antisemitische Orientierung derartiger Positionen. Diffamierende Gleichsetzungen mit menschenverachtenden Systemen, wobei die Apartheid, der Kolonialismus wie der Nationalsozialismus genannt werden, laufen in Kombination mit dem ersten Unterscheidungskriterium dann ebenfalls auf solche antisemitischen Wirkungen hinaus. Darin bestünde der eigentliche Kern.
Und drittens werden als D die „Doppelstandards“ genannt. Dies gelte für Fälle, wo „mit einer anderen Messlatte“ gearbeitet oder „die Kritik an Israel selektiv angewendet wird“. In der ursprünglichen Erläuterung heißt es, dass in anderen Fällen dortige Menschenrechtsverletzungen nicht ebenso thematisiert werden. Als Beispiele gelten China, Iran, Kuba oder Syrien. Indessen könnte hier die Auffassung vertreten werden, dass man einen höheren Maßstab an einen demokratischen Verfassungsstaat angelegt. Dies wäre kein inhaltlich überzeugendes Argument, könnte aber für eine solche Sichtweise motivierend gewirkt haben. Entscheidend bei der Antisemitismus-Einschätzung wäre aber auch hier, dass es für die erkennbare Einseitigkeit ein besonderes Motiv geben muss. Es kann bei den Akteuren nach unterschiedlichen Erklärungen gesucht werden. Mitunter bleibt dann nur ein feststellbarer Grund übrig: Es geht mit Israel eben gegen den jüdischen Staat als jüdischen Staat. Und dies macht aus Doppelstandards dann antisemitische Positionen.
Die kritischen Anmerkungen richten sich demnach nicht gegen die drei D-Kriterien. Es ging darum, deren inhaltliche Ausrichtung stärker mit antisemitischen Einstellungen zu verbinden. Hier wurde bei den Erläuterungen eine Lücke in der Verbindung gesehen. Beim letztgenannten Aspekt wären dies eben nicht die „Doppelstandards“ allein, sondern die dafür bestehenden jeweiligen Gründe. Denn eine offenkundige Einseitigkeit gegen Israel spricht ja nicht für ein universelles Menschenrechtsverständnis. Auch wenn sich hierfür keine antisemitischen Einstellungen feststellen ließen, wäre eine solche Position übrigens nicht unproblematisch. Die oben erwähnten „(kritikwürdigen) israelfeindlichen nicht-antisemitischen Positionen“ sind auch für sich allein ein Problem. Denn Israel agiert außenpolitisch nicht in einem luftleeren Raum. Derartige Auffassungen nehmen die reale Bedrohungslage nicht zur Kenntnis, womit sie ein einseitiges Bild von der Lage im Nahost-Konflikt vermitteln. Ein solches bedarf allein von daher der inhaltlichen Kritik.
Bild oben: An der Kölner „Klagemauer“, (c) Gerd Buurmann, aufgenommen am 11. April 2015
Zum Thema:
Kritik von Monika Schwarz-Friesel und Jehuda Reinharz, die och ein viertes „D“ vorschlagen
Sehr geehrter Herr Professor Pfahl-Traughber,
prinzipiell gebe ich Ihnen recht.
Was heißt aber dies:
„Eine Mitarbeiterin der Behörde hatte dem Bundesfinanzministerium (BMF) am 11.05.2016 mitgeteilt, es sei auffällig, „dass die verdächtigen Personen (… neben natürlichen Personen auch anglo-amerikanisch „Hedge-Fonds“) dem Anschein nach einen recht einheitlichen kulturellen Hintergrund haben – überwiegend israelische und britische Staatsangehörige“. Daher sei nicht auszuschließen, so die Mitarbeiterin weiter, dass es sich um eine netzwerkartige Struktur („Insiderring“) handele. BR vom 11.01.2021“
„Denn Antisemitismus meint eben diese Feindschaft gegen Juden als Juden, welche bei einer derartigen Verallgemeinerung auch deutlich werden würde.“
Ist in Ihren Augen die Bezeichnung “ recht einheitlichen kulturellen Hintergrund“ bezogen auf diverse Staatsangehörige nicht sowohl antiisraelisch wie auch antijüdisch?
Sehr gerne lesend
Ente
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