Es gibt eine „Islamisierung“, aber keine „Verjudung“ – Kritische Anmerkungen zu falschen Gleichsetzungen

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Bei Aussagen, die auf eine Gleichsetzung von Antisemitismus und „Islamophobie“ hinauslaufen sollen, werden auch „Islamisierung“ und „Verjudung“ als ähnliche Verschwörungsvorstellungen hingestellt. Indessen macht der Blick auf die politische und soziale Realität deutlich, dass es eine Islamisierung als gesellschaftliches Phänomen sehr wohl gibt, während es eine „Verjudung“ in der realen Welt nie gab…

Von Armin Pfahl-Traughber

Kann man Antisemitismus und „Islamophobie“ gleichsetzen? Über diese Frage gab es vor Jahren eine unergiebige Kontroverse, die auch von sachfremden Motiven geprägt war. Als bedenklich galt dabei bereits, dass Antisemitismus als Feindschaft gegen Juden als Juden klar definierbar ist. Bis heute bleibt aber unklar, was genau mit „Islamophobie“ gemeint sein soll. Die Anhänger der Bezeichnung vermochten es nicht, eine Definition im trennscharfen Sinne zu entwickeln. Hinzu kam bei der Auswahl der Formulierung, dass der Bezugspunkt der Islam und nicht die Muslime sein sollte. Wenn es aber um eine Feindschaft gegen eine Menschengruppe geht, dann müssten diese auch im Begriffsverständnis vorkommen, sollen keine Zerrbilder entstehen. Indessen war ein solcher Einwand für die Nutzer des Terminus nicht relevant. Demgegenüber unterstellten sie, weiterhin Gemeinsamkeiten bei den Ressentiments, die es gegen Juden und Muslime geben würde. Dazu zählte man auch die Bezeichnungen „Islamisierung“ und „Verjudung“ als Verschwörungstheorien.

Hier geraten aber die Dimensionen gleich wieder durcheinander, denn in dem einen Fall geht es auch um ein reales gesellschaftliches Phänomen und in dem anderen Fall um eine schlicht erfundene Verschwörungsvorstellung. In der Gesamtschau gilt gleichwohl: Es gibt weder eine jüdische noch eine muslimische Konspiration, würde eine solche doch das geheime Agieren von Menschenmassen voraussetzen. Belege dafür gibt es noch nicht einmal ansatzweise. Indessen handelt es sich bei „Islamisierung“ auch um eine analytische Kategorie, während „Verjudung“ lediglich für ein hasserfülltes Zerrbild steht. Durch eine Differenzierung werden die jeweiligen Konturen deutlicher. Die erste Bezeichnung steht auch für einen historischen Entwicklungsprozess, der mit den arabischen Eroberungen bzw. islamischen Expansionen zwischen den 630er und den 960er Jahren verbunden war. Seinerzeit diente für die imperiale Eroberungspolitik eben auch der Islam als religiöse Legitimationsgrundlage. Durch die konkreten Folgen wirkte dies auch als soziale Islamisierung.

Indessen kann man für die Gegenwart gerade nicht von einem solchen Vorgehen sprechen. Gleichwohl ist die Bezeichnung „Islamisierung“ für eine islamistische Strategie anwendbar. Denn die gemeinten Akteure, häufig Ableger der „Muslimbruderschaft“, wollen Gesellschaft und Politik in einem islamischen Sinne prägen. Dies lässt sich bei einem Bedeutungsanstieg von Islamisten auch daran erkennen, dass im Alltag „islamische Kleidung“ als erwünscht oder verbindlich gilt. Ein Blick auf die Entwicklung im Iran nach der „islamischen Revolution“ veranschaulicht dies ebenso wie die einschlägigen Veränderungen in manchen französischen Vorstädten. Die Bezeichnung „Islamisierung“ kennzeichnet als sozialwissenschaftliche Kategorie derartige Veränderungen. Mit den genannten Konspirationsvorstellungen haben solche Wahrnehmungen insofern nichts zu tun. Wenn bei gegenteiligen Aussagen indessen eine Gleichsetzung vorgenommen wird, dann meist, um kritische Einschätzungen zu diesen Entwicklungen als verschwörungsideologisch zu diskreditieren.

Derartige Aussagen ignorieren bewusst oder unbewusst, dass einschlägige Bekundungen dazu vorliegen. Bekannt ist beispielsweise, dass der gegenwärtig bedeutsamste islamistische Ideologe Yusuf al-Qaradawi äußerte: „Der Islam wird Europa erobern, ohne Schwert und ohne Kampf.“ Das gemeinte Agieren wurde auch durch die kritische Forschung aufgearbeitet, wofür etwa die Arbeiten von Alison Pargeter, Barry Rubin oder Lorenzo Vidino stehen. Bedeutsam dafür ist auch ein Dokument („Project“), das 2001 bei einer Durchsuchung bei einem Geschäftsmann aus dem Muslimbruderschaft-Umfeld in der Schweiz gefunden wurde. Es benannte in zwölf Punkten einschlägige Strategien – auch für Unterwanderungen. An einer Echtheit wurden keine Zweifel geäußert. Lediglich über die genaue Bedeutung und Funktion gab es Unklarheiten. Dies bedeutet in der Gesamtschau: Eine „Islamisierung“ gab und gibt es sehr wohl, eine „Verjudung“ gab und gibt es nicht. Insofern sind Gleichsetzungen beider Termini als Verschwörungsideologien unangemessen.

Bild oben: Titel des European Islamophobia Report 2018, siehe PDF-Download