Aus der Welt der fränkischen Medine

0
94
Ortsansicht von Ottensoos, um 1900. Das beliebte Postkartenmotiv zeigt den Ort von Süden mit Blick auf den Rothenberg und Glatzenstein im Hintergrund © Jüdisches Museum Franken

Anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Jüdischen Museums Franken in Schnaittach startet das Museum eine neue Ausstellungsreihe. Mit einem wiederentdeckten Kleinod aus Ottensoos beginnt die Reihe im März…

In der neuen Reihe werden in regelmäßigen Abständen noch nie gezeigte Objekte aus der Museumssammlung der Öffentlichkeit präsentiert. Das neue Format gibt Einblicke in die Geschichte und das Alltagsleben der Jüdischen Gemeinden von Ottensoos, Schnaittach, Forth und Hüttenbach, die einst einen Rabbinatsdistrikt bildeten.

„Die Medinat A’SCH’Fo’H“ – Der Rabbinatsdistrikt Ottensoos – Schnaittach – Forth – Hüttenbach

Seit Ende des 15. Jahrhunderts lebten jüdische Familien unter dem Schutz der Ganerben, einer Gemeinschaft von 44 Adeligen, die die Festung Rothenberg und das dazugehörige Gebiet beherrschten. Der Beginn der Ansiedlung steht im Zusammenhang mit der frühneuzeitlichen Vertreibung der Juden und Jüdinnen aus der Reichsstadt Nürnberg und einer Reihe anderer süddeutscher Territorien.

Die jüdischen Dorfbewohner der Herrschaft Rothenberg bildeten ab dem 16. Jahrhundert einen gemeinsamen Rabbinatsbezirk: Die sogenannte „Medinat A`SCH`Fo`H“, benannt nach den hebräischen Anfangsbuchstaben der vier Orte Ottensoos, Schnaittach, Forth und Hüttenbach. Schnaittach, Hauptort der Herrschaft Rothenberg, war Rabbinatssitz und jüdischer Begräbnisplatz für alle in der Medine.

Ihre größte Blütezeit erlebte die Medine im 17. und 18. Jahrhundert. Etwa ein Viertel der Dorfbevölkerung war jüdisch. Die Schnaittacher Rabbiner waren gleichzeitig Landrabbiner und unterhielten eine eigene Talmudschule. Ab dem 19. Jahrhundert ging als Folge von Auswanderung in die USA und Abwanderung in die umliegenden Städte die Zahl der jüdischen Einwohnerschaft stark zurück. Der Rabbinatsbezirk erlosch 1883.

Jüdisches Leben in Ottensoos

Der erste urkundliche Nachweis über jüdisches Leben in Ottensoos stammt aus dem Jahr 1519. Bis Ende des 17. Jahrhunderts lebten stets zwischen 10 und 15 jüdische Familien im Ort, später bis zu 20. In Ottensoos fristete die jüdische Bevölkerung ein ärmliches Leben als Hausierer und Kleinhändler in beengten Wohnverhältnissen. Durch den Aufschwung des Hopfenhandels verbesserte sich ihre wirtschaftliche
Situation im 19. Jahrhundert. Bis zur Auflösung der jüdischen Gemeinde durch die Nationalsozialisten 1939 verdienten die meisten jüdischen Geschäftsleute ihren Lebensunterhalt als Textil- oder Hopfenhändler.

1686 errichtete die jüdische Gemeinde eine Synagoge unweit der Kirche St. Veit und stellte einen Schächter, Lehrer und Schulklopfer an. Nach einem Brand wurde die Synagoge 1872 am selben Platz mit Schulhaus neu aufgebaut. Über die Innenausstattung ist nichts bekannt.

Ab 1933 waren die 25 noch im Ort lebenden Juden und Jüdinnen zunehmend Übergriffen ausgesetzt und verließen Ottensoos bis 1939. Während der Novemberpogrome 1938 wurden die jüdischen Verbliebenen verhaftet, ihr Besitz „arisiert“ und der Innenraum der Synagoge geschändet. Die politische Gemeinde erzwang den Verkauf des Gebäudes für 100 RM und baute es zu Wohnungen um. Nach diversen Nutzungen, längerem Leerstand und einer aufwendigen Sanierung dient der Gebäudekomplex seit 2015 als Erinnerungs-, Bildungs- und Kulturzentrum.

Tora-Vorhang aus Ottensoos, gestiftet von Heinrich und Helene Prager
© Jüdisches Museum Franken | Fotografin: Annette Kradisch, Nürnberg

Der Tora-Vorhang der Familie Prager

Im Mittelpunkt der ersten Kabinett-Ausstellung steht die Familie Prager und ein Tora-Vorhang aus violettrotem Samt, den das Ehepaar Heinrich und Helene Prager 1884 für die Ottensooser Synagoge stiftete. Die Pragers gehörten zu den alteingesessenen jüdischen Familie in Ottensoos, die sich bereits im 16. Jahrhundert dort niederließen.

Heinrich und Helene Pragers Tora-Vorhang steht exemplarisch für die jüdische Tradition, die Tora (fünf Bücher Mose) und das Studium der Tora zu achten und zu ehren. Während Synagogenbauten aufgrund restriktiver Vorgaben nach außen hin schlicht erscheinen mussten, erlebten die in der Synagoge genutzten Kultgeräte eine Aufwertung. Stiftungen, wie der Toravorhang der Pragers, wurden in Inschriften auf den
Kultgeräten selbst, wie auch in den dort geführten Memorbüchern verzeichnet. Sie wurden wichtige Träger des lokalen jüdischen Selbstverständnisses, in denen sich die Liebe zum jüdischen Brauchtum auf dem Lande bis heute widerspiegelt.

Der Vorhang überstand die Zerstörung der Ottensooser Synagoge in den Novemberpogromen 1938. Auf unbekanntem Weg gelangte er nach 1945 in eine Privatsammlung nach Israel. Dort wurde er vierzig Jahre bewahrt, ehe ihn das Jüdische Museum Franken 2017 erwarb.

Laufzeit: ab So, den 14.3. bis März 2022
Veranstaltungsort: Jüdisches Museum Franken in Schnaittach (Museumsgasse 12-16)
Öffnungszeiten: So, 12-17 Uhr (nach vorheriger Anmeldung: schnaittach@juedisches-museum.org)

https://www.juedisches-museum.org/

Bild oben: Ortsansicht von Ottensoos, um 1900. Das beliebte Postkartenmotiv zeigt den Ort von Süden mit Blick auf den Rothenberg und Glatzenstein im Hintergrund, © Jüdisches Museum Franken