Antisemitismus in der klassischen Detektivgeschichte

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Auch in heute noch bekannten klassischen Kriminalgeschichten kommen antisemitische Stereotype ebenso wie Verschwörungsideologien vor. Gilbert Keith Chesterton, der Erfinder des Pater Brown, kann dafür als besonders ausgeprägtes Fallbeispiel gelten…

Von Armin Pfahl-Traughber

Nicht nur Krimi-Fans kennen die Pater Brown-Geschichten. Es gibt darüber unzählige Filme oder Hörspiele. Geschrieben wurden die ursprünglichen Erzählungen um einen Geistlichen, der mit besonderem Einfühlungsvermögen seine Fälle löst, von Gilbert Keith Chesterton (1874-1936). Neben Agathe Christie und Conan Doyle dürfte er der berühmteste klassische Krimiautor sein. Er schrieb auch acht Erzählungen um den Hobby-Detektiven Horne Fisher, die als eigenes Buch 1922 als „Der Mann, der zu viel wusste“ erschienen. Die Formulierung spielt darauf an, dass zwar die Fälle gelöst wurden, aber dies ohne Konsequenzen bleib. So war der Mörder etwa einmal der Premierminister, was um der Staatsräson willen geheim bleiben musste. Am Ende der letzten Erzählung begeht die Hauptfigur denn auch Selbstmord. Bis in die Gegenwart hinein fanden die Geschichten positive Resonanzen, sei es bezogen auf die humoristische Beschreibung der Oberschicht, sei es hinsichtlich der Darstellung der englischen Landschaft, sei es wegen der Klugheit bei der Lösungsfindung.

Eine der Geschichten trägt den Titel „Der bodenlose Tunnel“, worin sich ein eifersüchtiger General aus Versehen selbst vergiftet. Am Ende äußert sich „Fisher“ in einem längeren Monolog mit judenfeindlichen Statements, die indessen zur Erzählung in keinem inneren Zusammenhang stehen: „Schlimm genug, dass uns eine Bande verdammter Juden hierher verpflanzt hat, wo es keinerlei englische Belange zu verteidigen gibt und alle auf uns einprügeln, nur weil das halbe Kabinett bei Nosey Zimmern in der Kreide steht.“ Und weiter meint die Figur von „Fisher“: „Aber ich werde es nicht zulassen, dass der Union Jack ständig tiefer und tiefer sinkt in die Schwärze der bodenlosen Hölle, in Niederlage, Hohn und Spott unter dem Gejohle ebenjener Juden, die uns bis aufs Blut aussaugen“ (Gilbert Keith Chesterton, Der Mann, der zu viel wusste. Kriminalgeschichten, Zürich 2011, S. 113-144, hier S. 142f.). Chesterton sei in keinem anderen Text so „brutal offen, auch so plump wie hier“ (S. 339) gewesen, kommentierte dazu der Nachwort-Autor Elmar Schenkel.

Nun könnte man bei dieser Aussage erwägen, dass Chesterton nicht mit seiner literarischen Figur übereinstimmen müsste. Indessen macht ein Blick auf andere fiktionale wie nicht-fiktionale Texte deutlich, dass ihm eine antisemitische Grundeinstellung eigen war. Dafür sprachen Charakterzeichnungen in seinen Erzählungen mit einschlägigen Stereotypen ebenso wie Einschätzungen zu gesellschaftlichen und politischen Problemen. Einen Antisemiten Chesterton kann man sich indessen gar nicht so richtig vorstellen, finden sich bei ihm doch sehr viele progressive Positionen: Er engagierte sich für die Armen und gegen das Großkapital. Er lehnte den britischen Kolonialismus ab und trat für die irische Unabhängigkeit ein. Er verwarf Eugenik, Euthanasie und Rassismus. Auch gegen die Ideologie des deutschen Nationalsozialismus positionierte er sich. Und dann trat er auch für eine eigene Heimstätte für die Juden ein. Er äußerte gar, er sei kein Antisemit, sondern ein Zionist. Wie konnte da der Antisemitismus mit diesen Einstellungen einhergehen?

Chesterton versuchte gerade mit dem Hinweis auf sein „The New Jerusalem“ von 1920 abzustreiten, dass er ein Judenfeind voller Stereotype war. Gleichwohl belegen allein die erwähnten Auszüge aus der Kriminalgeschichte, dass es sich bei ihm um den Anhänger antisemitischer Verschwörungsvorstellungen handelte. Denn für Chesterton sollten Kapitalismus wie Sozialismus gleichzeitig zur „jüdischen Weltherrschaft“ führen. Diese Auffassung erklärt auch seine antikolonialistische und kapitalismuskritische Grundeinstellung. Insofern sind die Aussagen von Chesterton und von „Fisher“ denn auch inhaltlich deckungsgleich. Übrigens war er Anhänger eines Distributismus, also kein Sozialist. Chesterton wollte eine Gesellschaft von Kleineigentümer, womit er von der Idylle vergangener Zeiten träumte. In den Juden sah er wohl die Moderne mit ihren Umbrüchen verkörpert. Seine Aversionen dagegen führten dann zu den erwähnten Ressentiments, in literarischer Form flossen sie auch in seine Kriminalgeschichten ein.