Tweets für den Staatsanwalt

2
57

In Straßen- und U-Bahnen wurden gleich an mehreren Orten in Deutschland antisemitische Flyer entdeckt. Als ein Mitglied der Kölner Synagogen-Gemeinde ein Foto von ihnen auf Twitter veröffentlichte, um den Vorfall publik zu machen, bekam er Ärger mit der Staatsanwalt. Es ist nicht der einzige Fall, warum das Handeln der Justiz derzeit für Irritationen sorgt…

Von Ralf Balke

„Schalömchen Köln“! Und „miteinander – mittendrin“ – mit diesem Schriftzug ist derzeit eine blau-weiße Straßenbahn in der Domstadt unterwegs. Die Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB) sowie die örtliche Synagogengemeinde wollen auf diese Weise ein Zeichen für Demokratie und gegen Antisemitismus und Rassismus setzen. Anlass für diese Aktion ist ein Jubiläum, das dieses Jahr bundesweit ausgiebig gefeiert werden soll, und zwar „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“. Doch etwas anderes, was zuerst in zwei Kölner Straßenbahnen und später auch in einer U-Bahn in Berlin entdeckt wurde, erregt gerade die Gemüter und wird wohl auch die Justiz beschäftigen. Denn auf den Sitzen lagen vor einigen Wochen Flyer aus, auf denen Folgendes zu lesen war: „Haben wir denn wirklich nur ein Corona-Problem? Oder haben wir nicht vor allem ein Juden-Problem?“ Daneben waren dann die Namen von Angela Merkel, Jens Spahn, Heiko Maas sowie Christian Drosten aufgelistet, die allesamt als Juden diffamiert wurden. So sei die Bundeskanzlerin eine „polnischstämmige Jüdin, verbandelt mit B’nai B’rith“, der Gesundheitsminister ein „schwuler Jude, war u. a. zum Thema >Krieg um Information< bei Bilderberg-Konferenz“ und der Bundesaußenminister ein „Jude, verlogener Oberzensor mit NetzDG u. Stasi-Jüdin Kahane“. Mit dem Satz: „Wisse: Je mehr Juden in Politik und Medien, desto übler die Zustände!“ schloß das üble Mini-Pamplet.

Die KVB erfuhren davon via Twitter. „Wir gehen konsequent gegen solche Dinge vor, haben sofort Anzeige gegen Unbekannt gestellt“, erklärte ein Sprecher der Verkehrsbetriebe gegenüber der Jüdischen Allgemeinen. „Solche Fälle sind untragbar.“ Auch die Kölner Synagogen-Gemeinde reagierte umgehend. „Wir haben gestern früh von diesem Vorfall erfahren“, so Vorstandsmitglied Abraham Lehrer, der auch Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland ist. „Das ist ein absolutes Unding.“ In der Synagogen-Gemeinde beschloss man ebenfalls, Strafanzeige in der Angelegenheit zu erstatten. Kölns Oberbürgermeisterin, die parteilose Henriette Reker, meldete sich gleichfalls zu Wort und bezeichnete den Vorfall als „ein besonders widerwärtiges Beispiel dafür, dass Antisemitismus in den Köpfen einer gefährlichen Minderheit unverändert weiterlebt.“ Auf Twitter betonte sie: „Wer so etwas denkt hat weder in Köln, noch irgendwo sonst in unserer Gesellschaft etwas verloren.“ Nun ermittelt der Staatsschutz in der Sache.

So weit, so rechtsstaatlich. Doch nun nimmt die Geschichte einige absurde Wendungen. Samuel Ahren, ein Mitglied der Kölner Synagogen-Gemeinde, teilte auf Twitter ein Foto des antisemitischen Flyers, um auf diese Weise dem Vorfall mehr Aufmerksamkeit zu verleihen. Deshalb markierte er darin unter anderem die Kölner Oberbürgermeisterin. Genau dieser Tweet, das rund 500 Mal geteilt und über 2500 Mal geliked wurde, bescherte ihm gerade Ärger mit der Justiz. Denn die Staatsanwaltschaft Köln ermittelte daraufhin auch gegen Ahren, weil aufgrund der Weiterverbreitung dieses Flyers der Anfangsverdacht Volksverhetzung vorliegen würde. „Das strafrechtliche Verbot der Volksverhetzung nach § 130 StGB hat zum Ziel, generell die Verbreitung hetzerischer Inhalte in der Gesellschaft zu unterbinden“, hieß es dazu seitens der Staatsanwaltschaft in Köln zuerst. „Dabei ist es zunächst einmal ohne Belang, welche Ziele mit der Verbreitung etwa eines hetzerischen Flugblattes verfolgt werden, da eben die Verbreitung als solche unterbunden werden soll.“

„Ich bin jetzt formal gesehen Beschuldigter in Sachen Volksverhetzung – weil ich gestern diesen unsäglichen Flyer auf #Twitter geteilt habe – mir wurde soeben von der Kripo Köln mitgeteilt, dass die Staatsanwaltschaft Köln aus formalen Gründen ein Verfahren gegen mich in die Wege leitet! Ich habe etwas gut gemeint und die Folgen nicht bedacht!“, schrieb Ahren am 11. Februar in zwei Tweets. „Ich möchte mich auch bei der @KVBAG entschuldigen für die Arbeit die ich euch gemacht habe – ohne dass das wirklich zu einem Ergebnis geführt hat!“ Auf Empfehlung der Kriminalpolizei hatte er das Tweet mit dem Foto des Flyers wieder gelöscht. Sogar die Kölner Oberbürgermeisterin könne Probleme bekommen, weil sie Ahrens Tweet geteilt hat, hieß es in einigen Zeitungsberichten über den Fall. Dazu „report-K – Internetzeitung Köln“: „Diese Internetzeitung fragte nach, ob die Polizei Köln die Ermittlungen gegen die Kölner Politikerin bestätigen könne und warum in der Pressemitteilung nur von Ermittlungen gegen einen Twitter-Nutzer die Rede sei? Ralf Remmert, der Leiter der Kölner Polizeipressestelle schreibt: >Die Polizei Köln hat zu Personen, die den Ursprungsbeitrag retweetet haben, keine Auskünfte erteilt und diesbezüglich auf die umfassende rechtliche Bewertung von Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn verwiesen.< Auch auf weitere Fragestellungen verweist die Polizei nur auf ihre ursprüngliche Pressemitteilung.“

Die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft Köln nun Ressourcen gegen ein Mitglied der lokalen Synagogen-Gemeinde mobilisierte, stieß vielerorten auf Entsetzen und Unverständnis. Michael Blume, Beauftragter der Landesregierung von Baden-Württemberg gegen Antisemitismus, solidarisierte sich umgehend mit Ahren und teilte ebenfalls ein Foto des Flyers. „Die Aufklärung gegen Antisemitismus schließt das Aufzeigen antisemitischer Symbole und Texte mit ein“, so seine Begründung. „Dies kann, wenn klar eingeordnet, niemals strafbar sein. Ich habe den von Sammy Ahren gezeigten Flyer zu Aufklärungszwecken gezeigt und werde dies auch künftig tun.“

Zentralratspräsident Josef Schuster verurteilte das Ganze ebenfalls mit deutlichen Worten: „Der Umgang der Justiz mit Antisemitismus wirft immer wieder Fragen auf. Während die Staatsanwaltschaft in Hamburg bei dem Mann, der mit einem Spaten einen jüdischen Studierenden vor der Synagoge angegriffen hat, die antisemitischen Motive des Täters aufgrund dessen psychischer Verfassung relativiert, zeigt die Staatsanwaltschaft in Köln Eifer gegenüber Menschen, die auf Antisemitismus aufmerksam machen wollten. Mir scheint, hier drohen Maßstäbe zu verrutschen“, so der Präsident des Zentralrats der Juden gegenüber der „Jüdischen Allgemeinen“. Auch die Synagogen-Gemeinde Köln zeigte sich reichlich irritiert durch das Verhalten der Staatsanwaltschaft. „Die Pflicht zur Einhaltung von Recht und Ordnung bzw. der Gesetze kann nicht bedeuten, dass Menschen in der Absicht einen abscheulichen Flyer zu brandmarken ihn öffentlich gemacht haben, um die Gesellschaft damit aufzurütteln, nun selbst der Volksverhetzung bezichtigt werden“, hieß es in einer Presseerklärung. „Dieser Vorwurf ist demütigend und entwürdigend für Personen, die in der Vergangenheit ihren Einsatz gegen Rassismus und Antisemitismus zur Genüge unter Beweise gestellt haben.“

Am Donnerstag dann lenkte die Staatsanwaltschaft Köln überraschend wieder ein und erklärte, das Verfahren gegen Samuel Ahrens einzustellen und von weiteren Ermittlungen gegen ihn abzusehen. „Ausnahmsweise“ könne Volksverhetzung nicht strafbar sein, „wenn sie der staatsbürgerlichen Aufklärung oder der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens dient“, hieß es in der Begründung von Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn. „Nicht unproblematisch war etwa, ob diese Ausnahmevorschrift für das Handeln von Privatpersonen in sozialen Netzwerken überhaupt Geltung beanspruchen kann oder nicht nur für das Handeln von Beschäftigten von Bildungseinrichtungen oder für sonstige im Bereich staatsbürgerlicher Aufklärung handelnde Amts- und Mandatsträger gilt.“ Auch diejenigen, die Samuel Ahrens Tweet geteilt hatten, können jetzt beruhigt sein. Man würde von förmlichen Ermittlungen absehen.

Volker Beck hätte anderenfalls womöglich ebenso Ungemach gedroht – der Grünen-Politiker zählte zu den Personen, die den Post mit dem Foto auf Twitter weiterverbreitet hatten. „Ein Anfangsverdacht, der Anlass zum Einschreiten gibt und zur Erforschung des Sachverhaltes verpflichtet, setzt voraus, dass zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfolgbare (ohne erkennbare Verfolgungshindernisse, wie etwa offensichtlicher Schuldausschließungsgründe bei Kindern) Straftat vorliegen“, hatte Beck deshalb vor einigen Tagen geschrieben und sich entsetzt über das Vorgehen gezeigt. Denn konsequent zu Ende gedacht, hätte das Verhalten der Staatsanwaltschaft in Köln jegliche Aufklärungsarbeit zum Thema Antisemitismus einen Riegel vorgeschoben. Schließlich muss man sich mit den verschiedenen Manifestationen, sei es in den sozialen Medien oder anderswo, gezielt auseinandersetzen, um ihre diffamierenden oder gegebenenfalls auch zum Mord aufrufende Inhalte erkennen zu können und auch beim Namen zu nennen. Mit seiner aktuellen Begründung für die Einstellung des Verfahrens macht es die Staatsanwaltschaft Köln mit ihrem Verweis auf die eingeschränkten Möglichkeiten von Privatpersonen all denjenigen, die auf solche Hassbotschaften hinweisen und Konsequenzen fordern wollen, nicht unbedingt einfacher. Im Gegenteil, die Hemmschwellen, Vorfälle öffentlich zu machen, werden höher.

Gerade im Falle von Volker Beck hätten juristische Folgen für das Retweeten des Posts von Samuel Ahren auch einen äußerst merkwürdigen Beigeschmack gehabt. So hatte der Corona-Leugner und Verschwörungsmythen-Propagandist Attila Hildmann im vergangenen Jahr mehrfach diverse Folter- und Morddrohungen gegen ihn offen und vor Publikum ausgesprochen. Auf einer Kundgebung vor dem Alten Museum in Berlin erklärte der Vegan-Koch vor etwa 150 Anhängern unter anderem „wenn ich Reichskanzler wäre, dann würde ich die Todesstrafe für Volker Beck wieder einführen, indem man ihm die Eier zertretet auf einem öffentlichen Platz.“ Auch auf seinem Telegram-Kanal schwadronierte Hildmann immer wieder von einem geplanten Völkermord durch Impfungen gegen das Virus und von einem „zionistischen Regime unter Angela Merkel“. Beck hatte damals sofort Anzeige erstattet.

Und was geschah? Erst einmal gar nichts. Nach über einem Monat teilte ihm die Staatsanwaltschaft dann folgendes mit: Man habe zu dem Fall keine eigene Meinung, sondern alles an die Kollegen der Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft Cottbus weitergeleitet. „Sofern eine Verfahrensübernahme“ der Cottbuser erfolge, werde man aber Bescheid geben. Doch offensichtlich musste man die Verantwortlichen dort erst zum Jagen tragen. Bis Mitte November 2020 sollte es dauern, dass Ermittler des Staatsschutzes des Landeskriminalamtes Brandenburg und der Polizeidirektion Ost Hildmanns Wohnung im Landkreis Barnim durchsuchten, wobei man diverse Laptops, Handys und Festplatten sicherstellte. Dann übernahm die Staatsanwaltschaft Berlin wieder den Fall. Hildmann setzt seine antisemitische Hetze auf seinem Telegram-Kanal fort – täglich. Vor Gericht stand der Vegan-Koch aber bis heute nicht – weil die Justiz ja intensiv an anderen Fällen arbeitet und deshalb beschäftigt sein kann, wie beispielsweise dem mit Samuel Ahren.

Bild oben: Screenshot Instagram Michael Blume

2 Kommentare

  1. Ich würde zu dem Bericht gerne als Jurist etwas sagen. Der Staatsanwat ist an das geschriebene Recht gebunden. Den Straftatbestand, den er hier angewandt hat ist allein durch das objektive Tatbestandsmerkmal des Verbreitens erfüllt. Die Motivation desjenigen der verbreitet ist dabei erstmal irrelevant. Geschrieben wurde der Staftatbestand durch das Parlament und zwar mit voller Absicht genau so. Ziel ist es jede Verbreitung zu unterbinden. Was wäre wenn das nicht so wäre? Dann würden die Leute, die eben solche Ideen verbreiten wollen, dies ungeniert dadurch tun, indem sie immer wieder solchermaßen von jemand anderem verbreiteten Pamphlete verbreiten, mit einem schmierigen Lächeln darauf verweisen, dass sie das doch nur tun, um zu zeigen: solche Ungeheuerlichkeiten werden verbreitet. Und in Gehirne kann man eben nicht schauen: innerliche Tatsachen sind dem Beweis nicht zugänglich. Zudem würde solche Leute vielleicht noch einen kleinen Hinweis auf Ihrer Weiterverbreitung anbringen, wie „Ungeheurlich“ oder vielleicht noch doppeldeutig wie die NPD vor etlichen Jahren den Vorsitzenden auf einem Motorrad sitzend auf einem Wahlplakat abbildete mit dem Slogan „Gas geben“. Und das ist der Grund, weshalb sich das Parlament entschieden hat, jedwede Verbreitung zu verbieten, die gutwillige, die böswillige, die unbedachte, die fahrlässige. Also ist das Verhalten der Staatsanwaltschaft völlig in Ordnung und rechtsstaatlich. Gelöst wird das Dilemma bei dieser Anzeige, dass sie wegen Geringfügigkeit eingestellt wird. Die Motivation wird also in einer weiteren Stufe berücksichtigt.

Kommentarfunktion ist geschlossen.