Mitmachen erwünscht! #2021JLID – Jüdisches Leben in Deutschland

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Am Anfang war ein kaiserliches Dekret. Dies wurde vor genau 1.700 Jahren erlassen und gilt als erster urkundlicher Beleg für die Existenz jüdischen Lebens auf deutschem Boden. Genau dieses Jubiläum soll nun ausgiebig gefeiert werden. Mit einem vielfältigen und buntem Programm…

Von Ralf Balke

Es klingt ein wenig nach einem Countdown. 321 war das Jahr, in dem erstmals von ganz offizieller Seite eine jüdische Gemeinde erwähnt wurde, die sich auf dem Territorium des heutigen Deutschlands befand. Denn vor genau 1700 Jahren erließ Kaiser Konstantin ein Dekret, in dem Juden im damals römischen Rheinland der Zugang zu Ämtern in der öffentlichen Verwaltung gestattet wurde und sie die Möglichkeit erhielten, in den Stadtrat von Köln berufen zu werden. Zwar hieß Köln zu dieser Zeit noch lange nicht Köln, sondern Colonia Claudia Ara Agrippinensium und es auch sollte noch einige hundert Jahre dauern, bis für die Regionen am Rhein und östlich davon, die erst zum Fränkischen Reich und später zum Heiligen Römischen Reich gehörten, die Bezeichnung Deutschland üblich wurde. Und last but not least kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass Juden bereits lange Zeit vor dem Jahr 321 in der römischen Provinz Germania inferior gelebt hatten. Aber das soll dem Jubiläum keinen Abbruch tun, das dieses Jahr ausgiebig gefeiert wird – jedenfalls so weit es die Coronavirus-Pandemie zulässt.

Doch bereits 321 zeigte sich ein Muster, das bis weit in die Neuzeit hinein Gültigkeit haben sollte. Denn Kaiser Konstantin hatte mit seinem Dekret auf eine Anfrage des Kölner Stadtrats reagiert. Am Rhein war man wohl damals schon etwas knapp bei Kasse. Und die Berufung von Juden in dieses Gremium bedeutete, dass nun auch die finanziellen Mittel, die mit diesem Ehrenamt als Voraussetzung verbunden waren, der Stadt nun für ihre Projekte zur Verfügung standen. Kurzum, man hatte die Juden als weitere Geldgeber so mit an Bord geholt. Damit war aber keinesfalls der Grundstein für die in der Gegenwart oft beschworene deutsch-jüdische Symbiose gelegt. Und der Begriff Toleranz, der dabei stets gebraucht wird, ist ebenfalls mit Vorsicht zu genießen. Denn Kaiser Konstantin mochte Juden nicht sonderlich. Der Übertritt von Christen zum Judentum war verboten und hätte einem Kandidaten den Kopf gekostet. In die andere Richtung dagegen förderte er den Religionswechsel, Juden sollten sich taufen lassen. Aber auf jüdische Expertise oder finanzielle Unterstützung wollte seine Hoheit dann doch ungern verzichten. Also arrangierte sich Konstantin genauso wie die Mehrheit der politischen Verantwortlichen und kirchlichen Würdenträger seiner Zeit und in den Jahrhunderten danach irgendwie mit ihnen.

Wer sich also mit diesem Schlüsseldokument und seiner Bedeutung für das Leben von Juden im späteren Deutschland näher beschäftigen möchte, der sollte sich im Netz eine eigens für dieses Jubiläum produzierte Publikation von „MiQua. LVR – Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier Köln“ anschauen. Darin ist nicht nur das Dekret von Kaiser Konstantin aus dem 4. Jahrhundert im Wortlaut enthalten, sondern auch seine historische Einordnung in den Kontext dieser Epoche. „Die Publikation gibt den Forschungsstand zum Judentum im 1. Jahrtausend nördlich der Alpen wieder, erläutert die Bedeutung des Codex Theodosianus – einer spätantiken Gesetzessammlung aus dem frühen 5. Jahrhundert – und stellt das Edikt selbst vor dem Hintergrund der religiösen Situation im Imperium Romanum konstantinischer Zeit vor. Wichtig sind zudem die Interpretationsansätze nach den archäologischen und historischen Quellen“, skizzieren ihre Herausgeber die Zielsetzung.

Aber auch der Zentralrat der Juden in Deutschland ist ganz vorne mit dabei, wenn es um dieses Festjahr geht. Sein Präsident Josef Schuster gehört zu den Gründungsmitgliedern des Vereins „321 – 2021: 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“, der eigens dafür ins Leben gerufen wurde. Geplant sind unter anderem Podcasts, Konzerte sowie Podiumsdiskussionen, eine Ausstellung sowie eine Tagung. „Häufig setzen die Menschen Judentum in Deutschland leider mit der Schoah gleich“, so Schuster gegenüber der „Jüdischen Allgemeinen“. „Dabei übersehen sie vollkommen, dass es zuvor über viele Jahrhunderte jüdisches Leben in Deutschland gab und es eben auch heute wieder ein aktives jüdisches Leben gibt. Tatsächlich leben Juden seit 1700 Jahren in deutschen Landen. Wenn das in den Köpfen der Menschen ankommt, ist schon viel erreicht.“ Am 21. Februar soll die Auftaktveranstaltung stattfinden, natürlich Pandemie bedingt online. Mit dabei ist dann Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der zugleich auch Schirmherr des Festjahres ist. Aber bereits vorher gibt es einen großen symbolischen Akt: Im Reichstagsgebäude sollen am 27. Januar, dem Holocaust-Gedenktag, die letzten Buchstaben auf der „Sulzbacher Torarolle“ geschrieben werden. Diese ist eine der ältesten erhaltenen heiligen Schriften ihrer Art aus Deutschland und wurde in Israel liebevoll restautiert.

Als einer der weiteren Höhepunkte ist vom 20. bis 27. September – ganz bescheiden – das weltgrößte Laubhüttenfest geplant, und zwar „Sukkoth XXL“. 105 jüdische Gemeinden laden dann überall in Deutschland zu einer Mega-Feier ein. Sie alle ordern Laubhütten, die nach einer Art Baukastensystem entworfen wurden und auf öffentlichen Plätzen zusammengesetzt werden sollen. Schließlich gibt es noch „Mentsh – Das Festival der Begegnungen“ mit Konzerten und in einer Video-Reihe reist die Puppen-Bande von „Bubales“, dem einzigen jüdischen Puppentheater Deutschlands, in einer Straßenbahn mit der Aufschrift „Schalömchen“, gesteuert von einem Rabbiner, durch Köln und erklärt, was es mit dem Schabbat und den jüdischen Feiertagen so auf sich hat. „Wenn wir auf diese 1.700 Jahre zurückblicken, sehen wir, wie prägend jüdisches Leben für die deutsche Kultur war“, erklärt Joachim Gerhardt, zweiter Vorsitzender des Verein „321 – 2021“. Des weiteren läuft seit diesem Monat eine Podcast-Reihe. Jede Woche wollen Mirna Funk, Shelly Kupferberg und Miron Tenenberg mit Gästen über die Facetten des jüdischen Lebens hierzulande sprechen und damit seine Diversität erlebbar machen.

All das geschieht aus gutem Grund. Denn das Wissen über die reiche jüdische Tradition hierzulande ist noch ziemlich defizitär. „Immer wieder sagen mir Leute: >Ich habe natürlich in der Schule über die Schoah gelernt. Und meine Verbindung zu jüdischem Leben, zu Juden ist im Prinzip dieses Thema, also der Holocaust.<“, bringt es gegenüber Domradio.de ähnlich wie Schuster auch Abraham Lehrer auf den Punkt. „Das möchten wir so nicht haben. Noch einmal: Wir möchten dieses Thema nicht vergessen, wir möchten es nicht abschließen“, so der Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln und Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. „Aber es muss möglich sein, auch die andere Seite zu zeigen – nämlich das Positive, die positiven Einwirkungen und Auswirkungen jüdischen Lebens auf unser Land, auf unsere Gesellschaft – damit sich das Bild des Judentums nicht ausschließlich auf die Schoah stützt.“

Auch die meisten Bundesländer mischen bei dem Festjahr kräftig mit. So hat der Verein „321 – 2021“ bereits entsprechende Vereinbarungen sowohl mit Baden-Württemberg als auch mit Hamburg geschlossen. Verbände, Vereine, Kirchen, Religionsgemeinschaften, Parteien und Unternehmen sind alle herzlich dazu eingeladen, das Jubiläumsjahr mit ihren Projekten und Veranstaltungen zu unterstützen, um es so bunt wie möglich zu gestalten. „Vor allem durch die Wahrnehmung der langen Zugehörigkeit und großen Leistungen jüdischer Bürgerinnen und Bürger entstehen Respekt, Anerkennung und Zugehörigkeit“, so Michael Blume, der Beauftragte gegen Antisemitismus des Landes Baden-Württemberg. „Gemeinsam wollen wir deshalb das jüdische Leben heute und seine 1700 jährige Geschichte auch in Baden-Württemberg sichtbar und erlebbar machen!“ Das Bundesland hat sich als Projekt unter anderem die Entwicklung eines Films zum Thema „Jüdisch in Baden-Württemberg“ zur Aufgabe gesetzt, der vor allem junge Menschen ansprechen soll. Das geschieht gerade in Kooperation mit der Filmakademie Baden-Württemberg. Dieser wird dann im Frühjahr 2021 Bildungs- und Kultureinrichtungen, aber auch den weiterführenden Schulen zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus ist im Frühjahr 2021 ein Science Slam mit jüdischen Studierenden geplant. Ferner steht eine Reihe von Veranstaltungen Programm, Kooperationspartner sind die Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg sowie die Israelitische Religionsgemeinschaft Baden – der Oberrat.

Und auch Hamburg will die Jahrhunderte alte jüdische Geschichte in der Hansestadt hervorheben. Jüdische Religion und Kultur hätten lange schon einen festen Platz in der Stadtgesellschaft gehabt. „Der Senat unterstützt das Engagement der Jüdischen Gemeinde und der Zivilgesellschaft für die zahlreichen Projekte im Festjahr >1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland<, die zugleich ein wichtiges Zeichen setzen gegen Diskriminierung und Judenhass“, so Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher. Die Jüdische Gemeinde in Hamburg zählt mittlerweile wieder einige Tausend Mitglieder und 2018 konnte erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg wieder ein Rabbiner in der Hansestadt ordiniert werden. Andrei Kovacs, Geschäftsführer von „321 – 2021“ freut sich über die geplanten Aktionen. „Der Abschluss eines Kooperationsvertrages unseres Vereins mit Hamburg ist ein wichtiger und bedeutender Schritt im gemeinsamen Kampf gegen Antisemitismus und ein wichtiger Beitrag für eine Zukunft jüdischen Lebens in Deutschland. Unser Ziel ist es, dass jüdisches Leben in Deutschland zu einem Stück Normalität wird.“ Und Sylvia Löhrmann, Staatsministerin a.D. und Generalsekretärin von „321 – 2021“, hebt in diesem Zusammenhang hervor: „Jüdinnen und Juden haben unser Land an unzähligen Stellen maßgeblich mitgestaltet und geprägt. Im Festjahr wollen wir auch die große Vielfalt des Judentums von heute sichtbar und erlebbar machen. Wir werden Raum für Begegnungen schaffen. Begegnungen und Gespräche schaffen Nähe. Nutzen wir diese Chance.“ Man darf gespannt sein, was man sich an der Elbe alles dazu einfallen lässt.