„Es war eine Aufbruchstimmung, die kaum zu beschreiben ist“

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Eine Unterhaltung mit Frieder Schuller über Rumänien, Siebenbürgen und die Bukarester Jahre Paul Celans …

Von Christel Wollmann-Fiedler

C.W.-F. Siebenbürger sind Sie, das hat sich herumgesprochen. Auch Pfarrerssohn sind Sie, haben selbst Theologie und Germanistik studiert. Schriftsteller und Filmemacher sind Sie, Gedichte und Essays schreiben Sie, Dramaturg im deutschsprachigen Theater in Hermannstadt waren Sie, bei der Karpatenrundschau in Kronstadt arbeiteten Sie als Redakteur. Das Ceaucescuregime hinderte Sie an Vielem und so verließen sie 1978 Rumänien und gingen in die Bundesrepublik Deutschland.

F.S. Ich konnte nichts mehr veröffentlichen, ein Theaterstück, das gezeigt werden sollte wurde untersagt, ein Gedichtband wurde untersagt…Es war nicht nur die kommunistische Enge, auch die siebenbürgische Spießigkeit hat mir gereicht. Ich wollte weiter kommen und freier sein.

C.W.-F. Sie schreiben Gedichte, Sie schreiben Essays, Sie schreiben auch Theaterstücke, glaube ich. Sie haben eine Vielfalt von Aktivitäten und ein großes historisches Wissen.

F.S. Ach, nicht doch, nicht doch…

C.W.-F. Man soll  nicht unterschätzen, was das alles bedeutet, wenn man es tut und die Gabe hat, es tun zu können. Auch sind Sie Filmemacher.

F.S. Jetzt nicht mehr, ich schreibe nur noch Drehbücher. Früher habe ich die Filme auch noch produziert, das war immer ein Abenteuer. Ich habe ja als Dilettant in Deutschland angefangen bis ich begriffen habe, dass das ein Geschäft ist. Man muss viel Geld auf die Beine stellen, um einen Film finanzieren zu können, usw. Das Thema „Einschaltquote“ kommt auch noch hinzu. Das habe ich sehr spät gelernt und jetzt bin ich ein alter Mensch und mache mir die Mühe nicht mehr.

C.W.-F. Dann kamen sie plötzlich wieder nach Hermannstadt und drehten eine Dokumentation über den Raketenbastler Konrad Haas, der bei Wien geboren wurde und vor 550 Jahren in Hermannstadt starb. Weitere Spielfilme entstanden. Theaterstücke von Ihnen wurden aufgeführt, über Oskar Pastiors Rumänische Jahre schrieben Sie eines, das 2012 uraufgeführt wurde in Hermannstadt und weitere Dokumentationsfilme folgten. Auch über Siegfried Jägendorf, der aus der Nähe von Czernowitz in der Nordbukowina stammte und sehr vielen Juden das Leben rettete, gibt es einen Film von Ihnen. Portraits scheinen Sie anzusprechen. So komme ich direkt zu Paul Celan, den deutschsprachigen jüdischen Lyriker und Dichter aus der Bukowina, aus Czernowitz, der das Arbeitslager, wohin er verschleppt wurde, überlebte, von 1945 bis 1947 in Bukarest wohnte und sein Leben 1970 in Paris beendete. Sie besannen sich in den 1980er Jahren einen Film über diese zwei Jahre zu drehen. Wie kam Ihnen die Idee?

F.S. Wir begannen einen Film über Moses Rosekranz zu drehen. Der Film wurde vom Rimbaud Verlag in Aachen bestellt. Moses Rosenkranz wurde 99 Jahre alt, hatte ein spektakuläres Leben und führte ein abenteuerliches Leben in Rumänien, gemessen an dem von Celan. Er hat die Memoiren der Königin Maria geschrieben, er war der Ghostwriter der Königin Maria. Mit Paul Celan, damals noch Paul Antchel, war er im Arbeitslager in Tabaresti neben Buzau. Dort wurden zwei Akten gefunden, die das belegen. Dann kommen die beiden zurück nach dem 2. Weltkrieg, gingen nach Bukarest und Rosenkranz wird vom KGB direkt für zehn Jahre in die Sowjetunion in den Gulag verschleppt. Was der arme Rosenkranz mitgemacht hat. Ich habe ihn persönlich nicht mehr gekannt, aber andere erzählten mir, dass er sehr zurückhaltend war, wenn die Rede von Celan war. Da muss etwa gewesen sein zwischen den beiden, zwischen Rosenkranz und Celan. Tatsache ist, die ich auch nicht verstehen kann, dass man Immanuel Weissglas immer völlig übergeht, wenn von der „Todesfuge“ die Rede ist, denn alle Motive kommen von Weissglas. Der Titel „Todesfuge“ stammt von Moses Rosenkranz. Er hat ein Gedicht „Blutfuge“ geschrieben. Das ist längst vor Celans Todesfuge erschienen. Das kann man ruhig sagen. Celan hat sich sehr stark bedient. Er hat sich auch bedient bei seinem besten Freund Immanuel Weissglas, der unbekannt 1979 in Bukarest gestorben ist. Kaum jemand kennt ihn, dabei kommen all die Motive: der Tod ist ein Meister von Deutschland…dein goldenes Haar Margarete…das aschene Haar…er hetzt seine Rüden auf uns…dann hebt ihr ein Grab in den Wolken… All das hat bereits Immanuel Weissglas in seinem Gedicht „Er“ verwendet. Das ist eigentlich die Todesfuge, alles ist im Inhalt enthalten. Abgesehen von der „Schwarzen Milch“, die von Rose Ausländer stammt. Das Gedicht von Celan ist so großartig, ihm fällt kein Stein aus der Krone, wenn man sagt, dass er sich sehr stark bedient hat bei anderen. Natürlich hat Paul Celan etwas Fantastisches daraus gemacht. Mir tut manchmal ein wenig der Weissglas leid. Da kann man vielleicht die Zurückhaltung von Moses Rosenkranz verstehen, der scheint das nicht verziehen zu haben, das seine „Blutfuge“ vereinnahmt wurde und sein Name nie genannt wird. Es wäre ganz gut, wenn man in Deutschland die sacrosante „Todesfuge“ ein bisschen kritischer sehen würde.

Es ist ein heiliges Gedicht. Wenn man wissenschaftlich an das Gedicht geht, sollte man über die Entstehung nachdenken. Was hat Celan übernommen von Freunden, von anderen…

Todesfuge

SCHWARZE Milch der Frühe wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
wir trinken und trinken
wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne er pfeift seine Rüden herbei
er pfeift seine Juden hervor läßt schaufeln ein Grab in der Erde
er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich morgens und mittags wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
Ein Mann wohnt im Haus und spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
Dein aschenes Haar Sulamith wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng

Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr andern singet und spielt
er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts seine Augen sind blau
stecht tiefer die Spaten ihr einen ihr andern spielt weiter zum Tanz auf

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags und morgens wir trinken dich abends
wir. trinken und trinken
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit den Schlangen

Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland
er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft
dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland
wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken
der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau
er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft
er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus Deutschland
dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith

(Paul Celan)

 

C.W.-F. Ich komme nochmal auf die Idee des Films zurück.

F.S. Es sind natürlich die Bukarester Jahre. Ich merke hier in Deutschland, dass wenige davon wissen, dass die „Todesfuge“ als erstes in rumänischer Sprache erschienen ist. Ich musste auch etwas anbieten, was ich vom Stoff her beherrsche, wo ich überlegen bin hier in Deutschland. Dann dachte ich, wenn ich das an Originalschauplätzen in Bukarest drehen kann, ist das was Besonderes. Als Celan in Bukarest wohnte, gab es im kommunistischen Land noch den König. Wenn ich gewusst hätte, dass dieses kommunistische Regime vier Jahre nach meinem Drehen zu Ende geht, hätte ich noch gewartet. Es wäre einfacher für mich gewesen.

C.W.-F. Ich finde aber besonders schön und authentisch, dass Sie den Film noch in der besagten Zeit gedreht haben. Nicht, weil die Zeit großartig war, nein, die Atmosphäre in der Stadt war eine völlig andere und das fand ich in dem Film „Im Süden meiner Seele“ so besonders.

F.S. Oh, ja, das stimmt natürlich. Damals traf ich noch einige Zeitzeugen, die es jetzt nicht mehr gibt. Eine alte Dame nach der anderen konnte mir erzählen und jede sei die erste Freundin von Paul Celan gewesen. Die Frauen liebten ihn. Vielleicht waren die Bukarester Jahre sogar die schönsten in seinem Leben. Er war fröhlich und lebte gern. Das verstehen viele Deutsche nicht. Wieso Celan? Er muss ja tieftraurig gewesen sein, gar depressiv. Wie kann man ihn so fröhlich darstellen, aber so war er damals. Mir wurde immer wieder erzählt, dass er ein lebenslustiger junger Mann, schön und erfolgreich war.

C.W.-F. Aber er wollte dann doch in die westliche Welt.

F.S. Na, ja, es bahnte sich eine neue Diktatur an damals in Bukarest

C.W.-F. Jetzt verlassen wir Bukarest und springen direkt 120 km nördlicher in die Karpaten, nach Siebenbürgen. Wann ist Ihnen der Gedanke mit dem Dorfschreiber gekommen? Stadtschreiber gab und gibt es hier und dort, doch Dorfschreiber?

F.S. Ich bin in Katzendorf/Cata geboren, mein Vater ist dann als Pfarrer in ein anderes Dorf gegangen und ich habe zuletzt in Hermannstadt gelebt. Nach der Wende stand das Katzendorfer Pfarrhaus leer, weil kein Pfarrer mehr dort war. Für mich als deutscher Staatsbürger war es möglich, dort ein Haus haben zu können. So übernahm ich das Haus. Mit Hilfe meiner Söhne bauten wir aus und machten eine Art Festspielhaus daraus. Vor 20 Jahren war das.

Im Sommer bin ich meistens dort, meistens von Juni bis Oktober. In diesem Jahr sind wir wegen Corona nicht gefahren. Das Dorfschreiberfest mache ich meistens im Spätherbst. Der jetzige Dorfschreiber Thomas Perle ist mal in Katzendorf, dann wieder in Wien. Ein Jahr lang kann der Dorfschreiber kommen und gehen. Er hat seine eigene Wohnung im Ort und wird verköstigt von einer Köchin. Es ist dort ein riesiger Garten, es ist genug Platz und er kann in Ruhe arbeiten. Seit 2011 gibt es den Dorfschreiber.

Zuvor hatte ich in Katzendorf bereits Kulturtreffen organisiert. Schon 1992, zum ersten Mal nach der Revolution, nachdem der Kommunismus gefallen war, veranstaltete ich ein Deutsch-Rumänisches Kulturtreffen. Damals kam ein Bus mit sechzig Schriftstellerinnen und Schriftstellern aus Deutschland. Dieter Lattmann, Mitbegründer und damaliger Vorsitzender des Vereins Deutscher Schriftsteller, VS, selbst Schriftsteller und Bundestagsabgeordneter, begleitete den Bus nach Katzendorf. Eva Leipprand, ebenfalls Politikerin und Schriftstellerin und spätere Vorsitzende des VS war auch dabei. Es wurde ein Riesenfest. Wissen Sie, damals, 1992, waren alle neugierig, niemand kannte Rumänien. Es war eine Aufbruchstimmung, die kaum zu beschreiben ist. Die Leute wollten sehen, wollten erfahren, wie es hier ist. Alle zwei Jahre habe ich dann das Kulturtreffen wiederholt und 2011 kam dann der Dorfschreiberpreis. Er ist geboren aus diesem Kulturtreffen in Katzendorf.

C.W.-F. Danke, Frieder Schuller, nun sehen wir uns erneut Ihren Film „Im Süden meiner Seele“ an. Den 100. Geburtstag von Paul Celan aus Czernowitz feiern wir und denken an den 50. Todestag des Dichters in Paris. Organisiert hat Dr. Ingeborg Szöllösi vom Deutschen Kuturforum östliches Europa in Potsdam diese Gedanken an Paul Celan.

Das neue Buch von Frieder Schuller kam gerade mit der Post, deshalb möchte ich es erwähnen. „Ossis Stein“ erschien im Jahr 2020 im Pop Verlag in Ludwigsburg, ISBN 978-3-86356-305-9. Zwei Theaterstücke „ Ossis Stein oder Der werfe das erste Buch“ und „Tanz mit der Stille“ sind im Inhaltsverzeichnis zu lesen. Das erstgenannte Theaterstück wurde 2012 im Radu-Stancu-Nationaltheater in Hermannstadt uraufgeführt. In Hermannstadt wurde Oskar Pastior, genannt „Ossi“, 1926 geboren.