Juden im Gaumusterdorf

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Heinz Ganz-Ohlig hat die Geschichte der erst Mitte des 19. Jahrhunderts bestehenden kleinen jüdischen Gemeinde Hermeskeil und das Schicksal der Gemeindemitglieder in der NS-Zeit akribisch rekonstruiert. Der Titel der Publikation deutet an, dass Hermeskeil eine NS-Hochburg war…

Von Franz Josef Schäfer

Eine NSDAP-Ortsgruppe wurde 1926 u.a. von Gustav Simon (1900–1945) gegründet, dem späteren Gauleiter des Gaues Moselland. Die örtlichen Nazis bezeichneten sich selbst voller Stolz als „Judenfresser“. Die Parteigeschichte und antisemitischen Aktionen, auch vor den Novemberpogromen 1938, werden ausführlich dargestellt. Der Pogrom 1938 zog sich über mehrere Stunden hin. In aller Öffentlichkeit drangsalierte eine Meute aus NSDAP-, SA- und HJ-Leuten über Stunden Kurt Sender und schlug ihn halbtot. Mindestens 19 jüdische Männer und Frauen, die in Hermeskeil gelebt hatten und zwei Jüdinnen, die in Hermeskeil geboren wurden, wurden in Vernichtungslagern ermordet.

Als Beispiel für die Hoffnung deutscher Juden auf Inklusion wurde ein Kleiderbügel des Kaufhauses „Geschwister Baum, Hermeskeil“ abgebildet, auf dem in Verbindung mit Eisernem Kreuz der Vers „Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern!“ aus Schillers Schauspiel „Wilhelm Tell“ zu lesen ist.

Der Autor stellt „jüdische Einzelhandelsgeschäfte“ und „jüdische Selbstständige“ Hermeskeils vor und dokumentiert die jeweilige „freiwillige Arisierung“ bzw. „Zwangsarisierung“ der Betriebe.

Es ist ein wichtiges Anliegen Ganz-Ohligs, die heutigen Bewohner für das Schicksal ihrer einstigen jüdischen Mitbürgerinnen und -bürger zu sensibilisieren. Wie notwendig dieses Anliegen ist, wird an der Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Gymnasiums Hermeskeil aus dem Jahre 2013 ersichtlich, in der das Schicksal der jüdischen Schülerinnen und Schüler unerwähnt bleibt. 1970 schrieben die Herausgeber der Stadtchronik „Hermeskeil, Stadt im Hochwald“, Anton Backes, Günther Barthel und Georg Marx – der katholische Pastor, der evangelische Pfarrer und ein Schulleiter – : „Bedrückt durch diese Ausschreitungen [Novemberpogrome] und Zwangsmaßnahmen [Sühnemaßnahmen und Zwangsarisierung] wanderten die jüdischen Familien von Hermeskeil nach Amerika aus, so dass der Amtsbürgermeister 1942 ,voll Stolz‘ melden konnte: ,Hermeskeil ist judenfrei’“. 25 Jahre nach der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus wurden die ermordeten Hermeskeiler Jüdinnen und Juden vollständig ausgeblendet.

Erst 2006 wurden in Hermeskeil Stolpersteine für Moritz, Else und Gertrud Kahn verlegt. Heinz Kahn (1922–2014), ein Auschwitz-Überlebender, hat seine Leidenszeit dokumentiert und war auch für den Autor ein wichtiger Informant. Er war der erste Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde Trier nach dem Zweiten Weltkrieg und seit 1987 Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde Koblenz.

Der Autor berichtet mit Genugtuung, dass 2013 nach Erscheinen der Festschrift des Hermeskeiler Gymnasiums mehrere Personen die Schulleitung auf das gravierende Defizit aufmerksam machten. Heinz Kahn wurde zum Festakt jener Schule eingeladen, die er von 1932 bis 1936 besucht hatte.

Die Monografie Heinz Ganz-Ohligs ist beispielhaft, auch für andere Gemeinden. Akten aus 29 Archiven wurden ausgewertet und 300 Zeitungsartikel sowie 128 Literaturangaben sind angegeben. Ein Personen-, Orts und Sachregister rundet die Publikation ab.

Heinz Ganz-Ohlig: Juden im Gaumusterdorf. Auf den Spuren ehemaliger jüdischer Nachbarn in Hermeskeil. Schriften des Emil-Frank-Instituts. Herausgegeben von Erasmus Gaß und René Richtscheid. Band 20. Trier: Paulinus 2018, 288 S, 133 Abb. ISBN 978-3-7902-1947-0, 29,90 €, Bestellen?