Mohammed Dahlan – der heimliche Gewinner?

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Die Annäherung zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten sorgt nicht nur dafür, dass am Golf die Karten neu gemischt werden. Auch für die Palästinensische Autonomiebehörde ist sie eine Herausforderung. Denn es geht dabei ebenfalls um die Frage, wer auf den greisen Präsidenten Mahmoud Abbas folgen könnte…

Von Ralf Balke

Auf die Palästinenser ist Verlass. Kaum war bekannt, dass Israel und die Vereinigten Arabischen Emirate sich auf die Aufnahme diplomatischer Beziehungen verständigt hatten, da kamen auch schon die ersten Reaktionen aus Ramallah und dem Gazastreifen. Das Abkommen sei „ein Verrat an Jerusalem, der al-Aksa-Moschee und der palästinensischen Sache“, schäumte ein sichtlich erboster Mahmoud Abbas. „Für uns ist das ein Stoß mit dem Messer in den Rücken, weshalb wir absolut dagegen sind.“ Der 84-jährige Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde rief aus Protest seinen Botschafter aus Abu Dhabi zurück, forderte Sanktionen gegen die Vereinigten Arabische Emirate und ihre Herrscher. Zudem kündigte man an, dass Palästina aus Protest auf der DubaiExpo2020, die Corona-bedingt wohl erst im Oktober 2021 stattfinden wird, fern bleibe. Die Herrscher am Golf dürfte das wohl wenig beeindrucken. Denn auf dem Mega-Event, den sie sich 8,2 Milliarden Dollar kosten lassen, wird die Palästinenser kaum jemand vermissen. Dafür soll erstmals Israel mit einem Pavillon vertreten sein, auf ausdrücklichen Wunsch der Vereinigten Arabischen Emirate.

In den Städten des Westjordanlandes sowie im Gazastreifen kam es zu den üblichen Demonstrationen einiger hundert Palästinenser, die Flaggen der Vereinigten Arabischen Emirate sowie Bilder von Kronprinz Scheich Mohammad bin Zayed verbrannten. So weit, so wenig originell. Die Choreographie all dieser Proteste auf der Straße ist sattsam bekannt. Zum einen offenbart sich darin ein Mangel an Konzepten zur Verbesserung der Situation der Palästinenser, die über eine Totalverweigerung hinausgeht. Und einmal mehr verweisen sie auf die politischen Sackgasse, in die sich die Autonomiebehörde selbst hineinmanövriert hat. Zum anderen zeigt sich darin auch ein Verharren in alten Deutungsmustern, die an den Realitäten des Nahen und Mittleren Osten mittlerweile vorbeigehen. Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern hat an Bedeutung verloren. Längst sind es die Expansionsbestrebungen des Irans im Irak, Syrien und dem Libanon, der Stellvertreterkrieg im Jemen, aber auch die neo-osmanischen Ambitionen der Türkei in Libyen und Syrien, die alle Verantwortlichen in der Region beschäftigen, weshalb die Hemmschwelle, mit Israel zusammenzuarbeiten für einige Beteiligte deutlich gesunken ist. In Riad, Abu Dhabi oder Maskat fragt man sich einfach: Was hat Israel zu bieten und welche Beiträge können die Palästinenser für die Sicherheit leisten? Die Antworten fallen recht eindeutig aus. Nur scheint diese Botschaft in Ramallah noch nicht richtig angekommen zu sein.

Auch das Konterfei einer anderen Person wurde bei den Demonstrationen mehrfach unter viel Gejohle verbrannt, und zwar das von Mohammed Dahlan, dem ehemaligen Sicherheitschef Arafats im Gazastreifen. Denn Gerüchten zufolge hatte der 1961 im Flüchtlingslager Khan Yunis Geborene maßgeblich Anteil an dem Zustandekommen der Annäherung zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Aber nicht nur deshalb gilt er als Persona non grata in Ramallah. „Dahlan wird von vielen als die Nemesis von Autonomiebehörden-Präsident Mahmoud Abbas angesehen“, skizziert Avi Issacharoff in der Times of Israel die Konfliktlinien. „Der >alte Mann<, wie Abbas unter seinen Männern bekannt ist, betrachtet dieses Abkommen als eine weitere Verschwörung Dahlans, ihn aus dem Amt zu jagen.“

Dahlan, der vielen im Gazastreifen als Arafats Mann für’s Grobe aus den 1990er Jahren noch allzu gut in Erinnerung ist, pflegt auch zu Abbas eine intime Feindschaft, die auf Gegenseitigkeit beruht: Nachdem im Jahr 2007 die Hamas gewaltsam die Herrschaft über den Gazastreifen an sich riss, musste er das Weite suchen und siedelte nach Ramallah über, wo er mit Unterstützung aus Washington kurzzeitig sogar zu Abbas Stellvertreter ernannt wurde. Doch harmonisch war das Verhältnis zwischen beiden nicht wirklich. Dahlan lancierte beispielsweise Berichte über Schmiergelder, die die beiden Abbas-Söhne Tarek und Nasser einkassiert hatten, weshalb der Palästinenserpräsident äußerst verschnupft reagierte. Erst lautete die Anschuldigung, er würde einen Putsch gegen ihn planen, dann hiess es, Dahlan trage die Schuld an Arafats Tod, weil er ihn vergiftet hätte. Um sein Leben zu retten, floh Dahlan aus dem Westjordanland in die Vereinigten Arabischen Emirate. Dort begann er eine zweite Karriere, und zwar als Berater und enger Vertrauter von Kronprinz Scheich Mohammad bin Zayed. Darüber hinaus mutierte Dahlan zum umtriebigen Geschäftsmann mit besten Verbindungen in der gesamten Golfregion und Europa, was ihn nicht nur steinreich machte, sondern unter anderem auch zum serbischen Staatsbürger.

Genau deshalb wird gerade kräftig darüber spekuliert, welchen Anteil Dahlan nun wirklich an der Annäherung zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten hatte. Manche Häuptlinge in der Autonomiebehörde sehen in ihm sogar den eigentlichen Drahtzieher. „Dahlan hat schon früher gegen die Interessen seinen eigenen Volkes und Heimatlandes agiert“, so beispielsweise Nabil Shaath, ein enger Abbas-Vertrauter gegenüber den Medien. „Er hatte also auch eine Rolle bei dem Deal zwischen Israel und den Emiraten gespielt und sollte sich dafür schämen.“ Jibril Rajoub, ehemals Arafats Sicherheitschef für das Westjordanland und hochrangiges al-Fatah-Mitglied, tobte gleichfalls und kündigte an, Dahlan sofort vor Gericht zu stellen, sollte er sich in Ramallah blicken lassen. Dahlan selbst äußerte sich bis dato nicht. Er hat seine ganz eigene politische Hausmacht in den Autonomiegebieten, die unter dem Namen Demokratische Reform-Strömung firmiert – eine der ganz wenigen politischen Stimmen unter den Palästinensern, die das Abkommen vorsichtig begrüßen. Nur ist sie nicht gerade eine Massenbewegung.

Was Abbas sowie die Führungsriege der Autonomiebehörde aber viel mehr verunsichert: In ihrer Wahrnehmung – und damit könnten sie gar nicht so falsch liegen – haben sich wohl mehrere wichtige Player in der Region auf die Person Dahlan verständigt, die einmal die Nachfolgeschaft des greisen Abbas antreten könnte, allen voran die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi Arabien sowie Ägypten und Jordanien. Schon lange wird darüber spekuliert, wer dieses Erbe einmal antreten könnte. Namen wie der in israelischer Haft sitzende Marwan Barghouti oder Mahmoud al-Aloul vom Zentralkomitee der al-Fatah fallen immer wieder, bloss hat sich bisher noch niemand aus der zweiten Riege so richtig aus der Deckung getraut. Auch existiert kein erklärter Kronprinz, den der greise Abbas gerne in seinen Fußstapfen sehen würde. Aber bei dem Namen Dahlan geht allen der Blutdruck gewaltig nach oben. „Dahlan ist ein Agent auf der Gehaltsliste der Vereinigten Arabischen Emirate“, tönte es aus dem Exekutivkomitee der PLO. Auch die Tatsache, dass die Emirate der Autonomiebehörde 2014 den Geldhahn zudrehten und seither nicht mehr knapp 88 Millionen Dollar pro Jahr nach Ramallah überwiesen, wird Dahlan zugeschrieben.

Und so spiegeln sich die aktuellen Konfliktlinien in der Region ebenfalls in der Haltung zu Dahlan wider. Während die genannten sunnitischen Staaten gerne einen Wechsel an der Spitze der Autonomiebehörde sehen würden, weil sie die Verweigerungshaltung von Abbas & Co. nur noch als Hindernis betrachten und auch Israel oder die Vereinigten Staaten mit dem umtriebigen Geschäftsmann eigentlich keinerlei Probleme hätten, versuchen ihre Gegner Dahlan zu schaden – allem voran die Türkei, die zu den lautstärksten Kritikern der Annäherung zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten zählt. Für deren Außenminister Mevlut Cavusoglu ist er nur „ein Terrorist“, der „für Israel spioniert“. Außerdem hatte Ankara bereits vor Jahren ein Kopfgeld in Höhe von 700.000 Dollar auf Dahlan ausgesetzt, weil er angeblich 2016 am Putsch gegen Erdogan beteiligt gewesen sein sollte. Auch das überrascht nicht, gilt die Türkei doch als einer der wichtigsten Verbündeten der Autonomiebehörde, wobei geflissentlich darüber hinweg gesehen wird, dass Ankara ebenfalls zur Hamas, den Rivalen von Abbas, allerbeste Kontakte pflegt.

Zudem rächt sich nun, dass die palästinensische Führung seit Jahr und Tag alle Energie darauf verwendet hat, den „Deal des Jahrhunderts“ von US-Präsident Donald Trump zu blockieren. Die amerikanische Initiative für eine Lösung des Nahostkonflikts setzt auf die Formel „Frieden für Wohlstand“ und schien fast schon das Schicksal aller Konzepte ereilt zu haben, die in den vergangenen Jahrzehnten zu Diskussion standen, nämlich großartig zu scheitern. Zudem war es den Palästinensern sogar gelungen, Deutschland, Frankreich oder Großbritannien und China ein wenig auf ihre Seite bei der Ablehnung des amerikanischen Friedensplans zu ziehen, weil dieser kaum noch etwas mit den bisherigen Roadmaps hin zu einer Zweistaatenlösung zu tun hat, die nun einmal traditionell von der EU favorisiert wird. Dann kam die Nachricht von dem Abkommen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Nun wollen auch andere Staaten wie Bahrain, Oman oder vielleicht sogar Marokko und der Sudan mitziehen.

All das hat die Führung der Autonomiebehörde auf kaltem Fuß erwischt. Jetzt bereitet sie sich auf eine weitere diplomatische Schlacht vor, diesmal gegen ihre langjährigen Verbündeten in der arabischen Welt. Dabei hat sie denkbar schlechte Karten. Momentan ist nicht einmal klar, ob überhaupt ihre Forderung nach einem sofortigen Treffen aller arabischen Außenminister Gehör finden wird, bei dem es nur einen Tagespunkt geben soll: die Annäherung zwischen Jerusalem und Abu Dhabi. Und weil die alte Garde der Palästinenserführung nun mal die alte Garde ist, fällt ihr auch nichts anderes ein, als von einer „Verschwörung“ und von „Verrätern“ zu sprechen, was einmal mehr beweist, wie sehr Abbas & Co. aus der Zeit gefallen sind. Ihre neue Zielscheibe ist übrigens die auf Malta lebende Arafat-Witwe Suha. Weil sie das Verbrennen der Flaggen der Vereinigten Arabischen als schädlich bezeichnete und sich bei der Herrscherfamilie am Golf dafür entschuldigte, gilt selbst sie nun als Verbündete von Mohammed Dahlan.

Bild oben: Screenshot INSS