Unter falscher Flagge

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Messianische Juden betrachten Jesus als ihren Messias. Aus theologischer Sicht macht sie genau das zu Christen. Doch das ist nicht der einzige Grund, warum diese Gruppierung sowohl in Israel als auch in Deutschland auf massive Kritik stößt…

Von Ralf Balke

Aus die Maus. Am 28. Juni entzog Israels Rundfunkaufsichtsbehörde dem in Großbritannien beheimateten evangelikalen TV-Sender GOD TV die Ausstrahlungsrechte. „Wir haben festgestellt, dass es sich bei GOD TV um einen Kanal handelt, der gezielt versucht, Juden an das Evangelium heranzuführen“, so ihr Vorsitzender Ascher Biton. „Das aber widerspricht der Erklärung, ein Sender zu sein, der sich mit seinen Programminhalten ausschließlich an die christliche Bevölkerung richtet.“ GOD TV wurde über den Hebräisch-sprachigen Satelliten-TV-Anbieter Shelanu angeboten und via Hot, dem Marktführer für Kabelfernsehen in Israel, ins Netz eingespeist. Ron Cantor, Sprecher von Shelanu, will die Entscheidung der Rundfunkaufsichtsbehörde nicht einfach hinnehmen. Er plant nun, gerichtlich dagegen vorzugehen – schließlich habe man bei der Beantragung der Sendelizenz ja nie damit hinter dem Berg gehalten, dass nicht nur Christen, sondern alle Israelis die Zielgruppe seien.

Die Argumente für die Entscheidung der Rundfunkaufsichtsbehörde – übrigens die erste ihrer Art gegen einen christlichen Sender – lieferte GOD TV-Boss Ward Simpson, ein ehemaliger Autohändler von der Karibikinsel Barbados, höchstpersönlich im Rahmen eines Spendenaufrufs: „Gott hat uns auf eine übernatürliche Weise die Tür geöffnet, um die Botschaft Jesu in die Häuser und Herzen des jüdischen Volkes zu bringen (…) Jetzt erfahren sie, dass Jesus für sie da ist. Er ist ihre Antwort, ihr Erlöser und ihr Erretter.“ Das klingt nach dem frommen Wunsch, nicht nur Werbung in eigener Sache zu machen, sondern gezielt Juden zum Glaubensübertritt zu bewegen.

Zwar ist die Missionsarbeit in Israel nicht generell verboten – schließlich herrscht Religionsfreiheit. Doch laut Gesetz dürfen keine materiellen Zuwendungen mit dabei im Spiel sein. Darüber hinaus besteht ein besonderer Schutz für Minderjährige. Ohne explizite Zustimmung der Erziehungsberechtigten ist es Religionsgemeinschaften generell nicht gestattet, sie zur Konversion zu einem anderen Glauben anzustiften. Doch die Programme von GOD TV richten sich ebenfalls an Kinder und Jugendliche, so die Kritik. Und daher die Entscheidung der Rundfunkaufsichtsbehörde, dem Sender die Ausstrahlungsrechte zu entziehen und den Stecker zu ziehen.

Zugleich gibt es auch konkrete historische Gründe, warum man in Israel auf das Thema Missionsarbeit reichlich allergisch reagiert. Denn viel zu oft waren Juden in der Vergangenheit Zielscheibe der Bestrebungen der verschiedensten christlichen Konfessionen, sie zum Übertritt zu bewegen. Mal sahen die Versuche, sie dem „wahren Glauben“ näher zu bringen, subtil aus, mal wurde sanfter Druck ausgeübt, sehr häufig aber rohe Gewalt. Allzu oft geschah es, dass Juden vor die Wahl zwischen Taufe und Tod gestellt wurden. Und unter dem Stichwort „Judenmission“ finden sich zahlreiche Versuche, dem Judentum seine Daseinsberechtigung abzusprechen.

Ein Musterbeispiel dafür war die 1809 gegründete „London Society for Promoting Christianity Amongst the Jews“, die sowohl in Großbritannien als auch in Nordafrika, Palästina oder Indien aktiv war. Dabei setzte man auf das Konzept der Sozialarbeit und der Verbreitung des Neuen Testaments in hebräischer oder jiddischer Sprache. Der Erfolg war eher bescheiden. Und in Deutschland gab es unter anderem die „Gesellschaft zur Beförderung des Christenthums unter den Juden“. Für ihre Akteure und Unterstützer war der Übertritt zum Christentum der einzige gangbare Weg, wie sich Juden in einem zukünftigen Deutschland hätten integrieren könnten. Generell bewegte sich die Judenmission zwischen zwei Polen: Der sogenannten Verwerfungstheologie, die den Ansatz vertritt, dass der Bund zwischen Gott und dem Volk Israel keine Gültigkeit mehr besitzen würde, sowie der Betonung der Bedeutung des jüdischen Volks als Träger einer Heilsgeschichte. Egal, wo sich sich die verschiedenen christlichen Gruppen in diesem Spektrum positionieren. Am Ende stand und steht immer das Ziel einer Auslöschung des Judentums.

Vor diesem Hintergrund sind auch die Aktivitäten der zahlreichen evangelikalen und freikirchlichen Bewegungen zu verstehen, die sich gerne um Juden „kümmern“. Vor allem jüdische Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion sind ihre Zielgruppe, weil ihre Kenntnis vom Judentum oftmals nur rudimentär ausgeprägt ist oder jüdische Gemeinden sie aus den verschiedensten Gründen nicht immer als Juden anerkennen. Sie bieten vermeintliche Schabbat-Gottesdienste an, halten Vorträge zu jüdischen Themen und wollen ihnen auf diese Weise „Jesus näher bringen“. Und während die protestantische Kirche sich weitestgehend von der Judenmission mittlerweile verabschiedet hat, erklären andere wie beispielsweise der pietistische Evangelische Gemeinschaftsverband Württemberg ganz offen, dass „das Ringen um die Wahrheit stattfinden“ müsse, so ihr Vorsitzender Steffen Kern. Und dazu gehöre für ihn eben auch, „dass ich mir wünsche, dass mein jüdischer Gesprächspartner meine christliche Sicht annimmt“.

In diesem Kontext kommt der Bewegung der sogenannten messianischen Juden, also Juden, die an Jesus glauben und sich das Ziel gesetzt haben, auch alle anderen Juden vom Evangelium zu überzeugen, eine gewisse Scharnierfunktion zu. Dies belegt exemplarisch auch die Kontroverse rund um GOD TV. Denn Sender-Boss Ward Simpson, der von sich behauptet, selbst jüdische Wurzeln zu haben, hat bereits im Mai davon gesprochen, nicht wirklich missionieren zu wollen, sondern den Israelis das Bild von Jesus als das eines jüdischen Messias zu vermitteln. Dabei verwies er auf die in Israel bereits existierende Gruppierung der messianischen Juden, die seine Einstellung ebenfalls teilen, aber keinesfalls zum Christentum konvertieren würden. Sie seien doch alle Juden geblieben, so sein Argument, hätten sich aber auch Jesus gegenüber geöffnet. Und – was für eine Überraschung – Shelanu-Sprecher Ron Cantor gehört ebenfalls diesem Personenkreis an.

Eine einheitliche Struktur hat diese Strömung nicht. Es gibt nationale Organisationen wie die „Messianic Jewish Alliance of America“ oder lose Netzwerke von Gemeinden in einzelnen Ländern wie Deutschland oder Israel. Auch der Ritus ist nicht überall identisch. Zwar feiert man Schabbat und Feste wie Pessach oder Sukkot, eine Brith Mila bei Jungen ist ebenfalls die Regel, bei den Kashrut-Vorschriften ist man sich jedoch uneins. Aber zugleich sind Taufen sowie Abendmahlfeiern üblich. Torah-Lesungen werden mit Passagen aus dem Neuen Testament kombiniert. Aus Jesus wird dann Yeshua, aus Paulus ein Shaul. Darüber hinaus kommt reichlich Musik zum Einsatz, die man eher aus dem Umfeld der Evangelikalen kennt. Und im Unterschied zu der ebenfalls weltweit aktiven Sekte „Jews for Jesus“ will man Juden nicht in die Kirchen locken, sondern sie davon überzeugen, als Juden an Jesus zu glauben. Entsprechend dann auch die Namen ihrer Gemeinden wie beispielsweise „Ahavat Yeshua“, zu deutsch: “Jesusliebe“ in Jerusalem.

Wie viele dieser messianischen Juden in Israel leben, darüber gibt es unterschiedliche Angaben. Die Zahlen schwanken zwischen 4.000 und maximal 20.000. Die allermeisten von ihnen haben die israelische Staatsbürgerschaft und dienen in der Armee. Politisch stehen sie weit rechts und unterstützen die Siedlungspolitik sowie Annexionspläne. Doch in einem Punkt unterscheiden sie sich grundlegend von den Nationalreligiösen, die ganz ähnliche Anliegen vertreten. Für messianische Juden ist die Ansiedlung möglichst aller Juden im Land Israel ein wesentlicher Bestandteil ihres apokalyptischen Endzeitglaubens. Denn nur dann kehrt Jesus als jüdischer Messias zurück nach Jerusalem, um die finale Schlacht gegen den Antichristen einzuläuten. Ist diese erst einmal gewonnen, wobei ein Großteil der Menschheit auf der Strecke bleiben wird, soll die Welt vom Tempelberg aus regiert werden. Und genau wegen dieser höchst blutigen Theorie klingen ihre Botschaften von Liebe und Sanftmut reichlich absurd.

In Israel haben die messianischen Juden schon mehrfach die Gerichte beschäftigt. Streitpunkt war dabei stets ihre Anerkennung als Juden, um auf Basis des Rückkehrgesetzes, das allen Personen den Zugang zur israelischen Staatsbürgerschaft ermöglicht, die ein jüdisches Eltern oder Großelternteil vorweisen können, einzuwandern. Ob sie aus halachischer, sprich religionsgesetzlicher Sicht als Juden gelten, spielt dabei keine Rolle. Doch wer freiwillig eine andere Religion annimmt, zählt laut Obersten Gerichtshofs eben nicht mehr als Jude. Genau diese Auffassung wurde 1989 sowie 2008 nach Klagen von messianischen Juden aus dem Ausland, die sich in Israel niederlassen wollten, von den Richtern bekräftigt. Und dass sie bei den allermeisten Israelis, allen voran bei den Orthodoxen, auf Unverständnis bis zur Ablehnung stoßen, dürfte angesichts ihres missionarischen Eifers, dem kruden Mix aus Judentum und Christentum sowie dem frommen Wunsch, Jerusalem „zu reinigen“, wenig verwundern.

Einen koscheren Jesus will man auch in Deutschland vermarkten. Laut Evangelischer Kirche gibt es rund 40 solcher Gemeinden mit schätzungsweise 2.000 Mitgliedern. Offiziell hält man Abstand zu ihnen, obwohl es immer wieder Berichte über einzelne Mitglieder und Pastoren gibt, die sie in der Vergangenheit unterstützt haben, vor allem in Baden-Württemberg. Eine der zentralen Figuren dieser Szene in Deutschland ist Wladimir Pikman vom Beit Sar Shalom-Evangeliumsdienst e.V., das einem internationalen Netzwerk angehört und nach eigenen Angaben in 16 Ländern aktiv ist. Einer ihrer Tricks bei der Missionsarbeit und Außendarstellung ist es, sich stets als einen legitimen Teil des Judentums zu präsentieren, dessen Geschichte weit in die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg zurückreichen würde. Angeblich hätten in Deutschland damals 100.000 bis 300.000 Judenchristen gelebt, wobei schlichtweg die Tatsache ignoriert wird, dass es sich dabei um Personen und ihre Nachfahren handelte, die aus den unterschiedlichsten Gründen irgendwann einmal zum Christentum konvertiert waren und rein gar nichts mit den evangelikal durchwirkten messianischen Juden gemein hatten. „Dass es heute Gruppen gibt, die sich Juden nennen, zugleich an Jesus als Erlöser glauben und andere Juden dazu bekehren wollen, ist völlig inakzeptabel“, wird Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, auf der Seite von Domradio.de dazu zitiert. „Messianische Juden sind keine Juden. Sie segeln unter falscher Flagge.“ Doch die Mogelpackung scheint nicht jeder auf den ersten Blick zu erkennen.

Bild oben: Screenshot Shelanu

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