Linker Antisemitismus?

0
71

„Linker Antisemitismus“, so der Schriftsteller Gerhard Zwerenz schon 1976, „ist unmöglich“. Richtig daran ist, dass Antisemitismus eigentlich inhaltlich nicht mit einem linken Selbstverständnis einhergehen kann. Beim Blick auf die politische Linke in der Realität, lässt sich indessen sehr wohl konstatieren, dass es dort in Geschichte und Gegenwart antisemitische Positionen gab und gibt. Gegenwärtig artikulieren sie sich häufig in einer israelfeindlichen Kommentierung des Nahost-Konflikts. Doch bei Einwänden in diesem Sinne kann man auch schnell hören, dass es sich hier um einen „Kampfbegriff“ zugunsten der israelischen Politik handele…

Von Armin Pfahl-Traughber

So etwas legen auch die Autoren des Sammelbandes „Linker Antisemitismus?“ nahe, welcher von Gerhard Hanloser herausgegeben wurde. Darin möchte man nach ihm „Diagnosen des ‚Antisemitismus von links‘ nachvollziehen, wo ihnen Realitätsgehalt zukommt, und ihnen widersprechen, wo sie schlicht einer politischen Delegitimierungsstrategie folgen“ (S. 7).

Diese Absicht setzt indessen voraus, dass „Antisemitismus“ inhaltlich und trennscharf definiert wird. Hanloser sieht das in seinem Beitrag zur „Betrachtung des ‚linken Antisemiten‘“ ebenso (vgl. S. 22, 74), liefert aber gerade selbst keine entsprechende Begriffsbestimmung. Stattdessen referiert er historische Entwicklungen und deutet einmal hier und einmal da eine Kommentierung an, ohne begründete Einschätzungen und Zuordnungen vorzunehmen. Gleich in seinem zweiten Beitrag zum „Blick auf kursierende Begriffsdefinitionen“ heißt es aber am Beginn: „Antisemitismus ist Feindschaft gegen oder Ablehnung von Juden, weil sie Juden sind oder dafür gehalten werden“ (S. 89). In Anlehnung an Brian Klug definiert auch der Rezensent so und verweist auf die angeblich jüdische Eigenschaft des Gemeinten. Die als Beleg dafür eigentlich notwendige Fußnote hat Hanloser aber vergessen, einschlägige Texte kennt er indessen schon, was die nächsten Seiten dann zeigen. Auch im zweiten Beitrag legt er indessen selbst keine weitere entwickelte und systematische Definition auch und gerade zur linken Variante vor.

Dafür wird nicht nur von ihm kritisiert, dass die Israelsolidarität eine „Staatsräson“ sein solle. Dies sei ein „autoritärer Ordnungsruf“ gegen ein „linkes Selbstverständnis“ (S. 103). Damit werde von der AfD bis zu Gregor Gysi der Staat Israel gegenüber Kritik immunisiert. Dass es aber in Deutschland häufig Einwände gegen dessen Politik gibt, gelangt angesichts der vorgetragenen Pauschalisierungen aber nicht in die persönliche Wahrnehmung. Nach einem Aufsatz von Karin Wetterau zu „Antisemitismus und die Neue Linke um 68“ gibt es einen weiteren Beitrag von Hanloser über „Die Frühphase des ‚bewaffneten Kampfs‘ in Deutschland und der Antisemitismusvorwurf“. Mit „bewaffneter Kampf“ nutzt er das den deutschen Linksterroristen eigene Selbstverständnis in der Wortwahl, entsprechend häufig gibt es Relativierungen und Verharmlosungen. Bei den bedenklichen Auffassungen wird nicht tiefer gebohrt und nach den Motiven gefragt. Er wählt auch platte Argumentationsmuster wie von Jilian Becker und arbeitet so mit der manipulativen „Strohmann“-Technik.

Nach einem Beitrag von Peter Menne zu Fassbinders Theaterstück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ folgt ein Kommentar von Markus Mohr zu den seinerzeitigen „Israel-Palästina-Parolen der Hafenstraße in der Extremismusfalle“, worin seine Blickrichtung gleich in einer Fußnote erkennbar ist. Dort lehnt der Autor eine Publikation mit der Erklärung ab: „Irreführend, weil mit der Geschichte der außerinstitutionellen Linken brechend“ (S. 234). Die jeweilige Gesinnung ist für Mohr entscheidend, nicht die inhaltliche Wahrhaftigkeit. Dies erlaubt es ihm auch, Einschätzungen zu den gemeinten Parolen falsch zu referieren, um sein eigenes Weltbild damit scheinbar zu bestätigen. Und schließlich gibt es noch einen Beitrag von Karl Reitter zur Antisemitismus-Deutung des marxistischen Historikers Moishe Postone, von Moshe Zuckermann zu den „Metamorphosen des ‚selbsthassenden Juden‘“ und von Ilse Bindseil zu „Antisemitismus als Beute der Intellektuellen“. Bilanzierend wurde hier angesichts ideologischer Einseitigkeiten leider ein wichtiges Thema verschenkt.

P.S. Auch der Rezensent kommt in dem Sammelband gelegentlich vor, sogar bei zwei Autoren mit inhaltlichen Zustimmungen. Indessen können Ausführungen von Mohr hier nicht unkommentiert bleiben: Er unterstellt in einer Fußnote, der Autor sei an der „Entstehungs-, Formierungs- und der Praxisphase des rechtsterroristischen“ NSU beteiligt gewesen. Belege dafür kann er nicht nennen, dies entspricht auch nicht der Wahrheit. Derartige Erfindungen nennt man Lügen. Gleiches gilt für die Aussage, wonach der Autor zuvor „die Existenz von Nazi-Terror … verneint“ (S. 251) habe. In zahlreichen Aufsätzen und Büchern wurde seit Beginn der 1990er Jahre immer wieder auf solche Gefahren aufmerksam gemacht, inclusive dem  auf Einzeltäter und Kleingruppen bezogenen strukturellen Wandel (dezidiert etwa in „Rechtsextremismus in der Bundesrepublik“, München 1999). Derartige Aussagen gegenüber einem Extremismusforscher, der kontinuierlich Drohungen aus dem Rechtsextremismus ausgesetzt war und ist, sagen weniger etwas über den Gemeinten, aber mehr über Mohr aus.

Gerhard Hanloser (Hrsg.), Linker Antisemitismus?, Wien 2020 (Mandelbaum-Verlag, kritik und utopie), 304 S.