Finstere Freunde

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Mit ihrer Bewegung „Marsch des Lebens“ wollen Jobst und Charlotte Bittner an die Schoah erinnern. Dafür wurden sie jetzt in Jerusalem ausgezeichnet. Doch die Gründer dieser Initiative sind zugleich Betreiber der evangelikal-charismatischen Freikirche TOS in Tübingen. Und da dreht sich viel um Dämonen, Wunderheilungen und Erbschuld…

Von Ralf Balke

„Israel ehrt Pastor aus Deutschland“, verkündete höchsterfreut am 31. Januar das evangelikale Medienmagazin „Pro“. „Im Rahmen einer Gala hat der Tübinger Pastor Jobst Bittner in Jerusalem eine Auszeichnung von der israelischen Regierung erhalten“, hieß es dort weiter. „Diese würdigt seinen Einsatz gegen das Vergessen der Scho’ah durch die Bewegung ‘Marsch des Lebens’“. Anlässlich der 13. „Nacht zu Ehren unserer christlichen Verbündeten“, organisiert vom Knesset Christian Allies Caucus (KCAC), hatte Noga Sher-Greco, Direktorin im israelischen Außenministerium, Jobst Bittner sowie seiner Frau Charlotte den „Tourism Award“ überreicht. Die Begründung: Seine Initiative hätte es wunderbar verstanden, die Erinnerung an die Schoah in ein positives Handeln umzuwandeln. Durch den ebenfalls von ihm mitbegründeten „Marsch der Nationen“ 2018 seien zudem anlässlich des 70. Jahrestages der Gründung Israel 6.000 Menschen nach Jerusalem gekommen. Laut „Pro“ bedankte sich Bittner artig für die Auszeichnung und erklärte: „Antisemitismus und Hass gegen Israel zeigen in Deutschland und weltweit wieder ihr hässliches Gesicht. Dieser Preis ist eine große Ehre, aber deshalb auch eine Motivation und Verpflichtung, weiterzumachen.“ Es war übrigens nicht die erste Auszeichnung, die die beiden für ihren „Marsch des Lebens“ in Israel in Empfang nehmen durften. Bereits im November 2011 hatte sie die Knesset entsprechend geehrt.

So weit, so unverdächtig. Doch was weder in „Pro“ noch in den israelischen Medien näher zur Sprache kam, ist das eigentliche „Baby“ des Ehepaars Bittner, nämlich die sogenannten TOS Dienste Deutschland e.V mit offiziellem Sitz in Leipzig. Sie selbst bezeichnen sich als eine „Freikirche und ein Missions- und Sozialwerk mit evangelisch-charismatischer Prägung.“ Das Netzwerk aus zwölf Gemeinden wiederum entstand aus der Ende der 1980er Jahre ins Leben gerufenen „Tübinger Offensive Stadtmission e.V“, die sich 1990 in „TOS Gemeinde Tübingen“ umbenannte. In der schwäbischen Universitätsstadt befindet sich auch das eigentliche  Herzstück von TOS, ihr Gemeinde- und Konferenzzentrum samt Café Mazel Tov. Allein die Namensgebung dieses Treffpunkts verweist auf einen ganz zentralen Bestandteil von TOS: ihre enge Verbundenheit mit dem jüdischen Staat. Für Israel wird regelmäßig gebetet. Und wenn es besonders beschwingt in Tübingen zugeht, dann kann man TOS-Mitglieder auch beim Tanzen zur Klezmer-Musik in pseudo-chassidischer Tracht beobachten.

Auf die Idee, mit dem „Marsch des Lebens“ der Schoah zu gedenken, kamen die Bittners bereits im Jahr 2007, als sie mit anderen Gläubigen die Route des Todesmarsches von der Schwäbischen Alb nach Dachau nachgingen. Nach Eigendarstellung verfolgen sie dabei drei wesentliche Ziele: Das Erinnern und Aufarbeitung der Vergangenheit, einen Versöhnungsprozess zwischen den Nachkommen der Täter- und Opfergeneration, sowie Zeichen setzen gegen Antisemitismus und für Israel. Jobst Bittner verfasste zu dem Thema gleich mehrere Bücher. Eines davon trägt den Titel „Die Decke des Schweigens“. Der Theologe schreibt darin von einem jahrzehntelangen Schweigen in den Familien der Tätergeneration und nennt das Ganze eine „Blutschuld“, die noch nicht gesühnt sei. Dabei ignoriert er konsequent jede Form der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Geschichte durch Historiker und spricht lieber vom „Machtbereich Satans, seiner finsteren Mächte und Dämonen“, fordert „geistige Kampfführung“ und natürlich ganz viele Gebete. Und damit zeigt sich auch die zentrale Aussage: die Moderne ist des Satans und nur der Glaube im Sinne der evangelikal-charismatisch Freikirche kann einen Menschen vor allem Übel quasi imprägnieren – ein klassisches dualistisches Weltbild, dass sich jeglicher Komplexität der Realitäten und Wissenschaftlichkeit verweigert.

Genau vor diesem Hintergrund muss man auch Bittners Initiative betrachten. „Wer eine ‘Decke des Schweigens’ behauptet, den ‘Marsch des Lebens’ als so exklusiv vorstellt, ohne die jahrzehntelange Arbeit so vieler auch nur mit einem Wort zu erwähnen, der muss von einer enormen Ignoranz und Arroganz geprägt sein, oder der kämpft auf anderem Terrain mit anderen Mitteln“, heißt es dazu in einer Rezension der Schrift auf der Webseite des Fachbereichs Weltanschauungsfragen der Erzdiözese München und Freising. „Dann aber handelt es sich beim ‘Marsch des Lebens’ nicht oder nicht im eigentlichen Sinne um einen Gedenkmarsch, dann geht es nicht um Mahnung und Erinnerung, sondern dann handelt es sich um eine geistig-geistliche Mobilmachung gegen eine ‘dämonische Decke’. Folgerichtig versteht Bittner den ‘Marsch des Lebens’ als ‘Wegbereiter sowie vollmächtige(s) Werkzeug für einen geistlichen Durchbruch’. Folgt man der dualistisch-magischen Sichtweise nicht, erkennt man die seit Jahrzehnten stattfindenden vielfältigen Initiativen zur Aufarbeitung und Versöhnung an, dann darf man getrost die Annahme der Existenz einer ‘Decke des Schweigens’ ablehnen.“

Die Aktionen der umtriebigen Schwaben stoßen nicht nur deshalb zunehmend auf Kritik hierzulande. Als vor fünf Jahren dem 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau gedacht werden sollte, war man dort wenig von der Idee der „Marsch des Lebens“-Initiatoren begeistert, aus drei Orten mit 500 Personen Richtung KZ zu marschieren. Angefangen von Pfarrer Björn Mensing, dem Landesbeauftragten der Evangelischen Kirche für Gedenkstättenarbeit, bis hin zu den Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern und der Gedenkstättenstiftung warnte man vor den Evangelikalen und ihrer bizarren „dämonologischen Geschichtsdeutung“. „Uns stört, dass das Schicksal der Überlebenden nicht im Vordergrund steht“, brachte es Gabriele Hammermann, Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, in der Süddeutschen Zeitung auf den Punkt. „Es geht, diesen Eindruck muss man gewinnen, eher um die Befindlichkeiten der Teilnehmer.“ Von evangelischer Seite wurde zudem eine kritische Einschätzung der Initiative verfasst. „Mit den Märschen wollen die Initiatoren ein lebendiges Zeichen setzen, um mit einem christlichen Bekenntnis ‘den Gen- Defekt des Schweigens gegenüber Israel und dem jüdischen Volk’ zu überwinden“ heisst es darin. Ihre Autoren, darunter Pfarrer Mensing, kritisieren vor allem das wilde Durcheinander aus psychologischen, genetischen und biblizistischen Deutungen. „Bittner lässt es offen, ob der ‘Marsch des Lebens’ die ‘Summe dämonologischer Belagerung’ oder ‘territoriale Mächte’ überwinden soll. Sein Konzept geht von einer ‘Blutschuld’ bzw. Vorfahrensschuld aus. Demgegenüber könne das Verhalten der Menschen die ‘geistliche Atmosphäre’ positiv wie negativ beeinflussen. Dabei überträgt Bittner genetische Erkenntnisse unmittelbar auf geistliche Zusammenhänge: ‘Unsere geistliche DNA gleicht einer unsichtbaren Speicherkarte, die von Generation zu Generation immer mehr Information abspeichert. Diese Information ist unser geistliches Erbe und der ‚Speicherplatz‘ für die Information, die man Vorfahrensschuld nennt.’“

Aber auch die TOS Gemeinde Tübingen gerät immer wieder in die Schlagzeilen. Wenig überraschend sind Sex vor der Ehe, Homosexualität und Abtreibung ganz besonders problematische Themen für die evangelikalen Charismatiker. Aber sie haben noch mehr im Angebot, und zwar Dämonenaustreibungen. Davon erzählen in ihrem Buch „Mission Gottesreich – Fundamentale Christen in Deutschland“ die Autoren Oda Lambrecht und Christian Baars. „Der Tübinger Psychologe Axel Schubert sagt, ein ehemaliges Mitglied habe ihm berichtet, dass angeblich besessene Personen über Stunden angeschrien worden sein. Zwei oder drei TOS-Mitarbeiter hätten sich dabei abgewechselt und – wie sie es darstellen – auf den Dämon eingewirkt, um ihn auszutreiben.“ Zudem zeigt die TOS-Gemeinde ein geradezu klassisches Sektenverhalten: „Die Leiter der Gemeinde, Jobst Bittner und seine Frau, hätten sich selbst als ‘Gesalbte des Herren’ bezeichnet, die direkt von Gott Weisungen empfingen“, berichtet ein ehemaliges TOS-Mitglied namens Christiane Schmidt. „Sie habe keine eigene Meinung vertreten dürfen. Während einer ‘seelsorgerischen Betreuung’ sei sie gezwungen worden ‘auf den Knien’ Buße zu tun. Außerdem hätten die Gemeindeleiter bestimmt, wer mit wem Kontakt halten dürfe. Der Umgang mit Personen, außerhalb der TOS – auch mit Familienmitgliedern – sei unterbunden worden.“

Auch die „Heilung“ von Homosexualität wird praktiziert, wie das NDR 2014 in seiner Dokumentation „Mission unter falscher Flagge“ zeigte. Bittner bezeichnete darin Homosexualität selbst als ein von der Bibel abgelehntes Lebenskonzept, gegen das er „etwas machen würde“. Und wer bei TOS mit dabei sein will, muss zudem eine Lebensbeichte ablegen – eine Art Sündenkatalog, in dem man vermeintliches Fehlverhalten detailliert auflistet. Dazu gehören psychologische Erkrankungen ebenso wie der Umstand, dass man womöglich als Kind seine Eltern nackt gesehen hat. Überhaupt ist Heilung ein weiteres, ganz zentrales Thema in der Glaubenspraxis der TOS-Jünger. „Jesus heilt heute noch!“, verspricht die TOS-eigene Webseite. Einmal im Monat findet der sogenannte „Healing Room“ statt, in dem TOS-Mitarbeiter sich für Gebete zur Heilung von allen nur erdenklichen Krankheiten anbieten. Auch gibt es dazu immer wieder Vorträge, was aber Geld kostet, und zwar zwischen 100 und 150 Euro. Beliebt scheinen auch die Heilungskonferenzen mit Dr. Arne Elsen, einem in Hamburg niedergelassenen Diabetologen, zu sein. Besagter Arzt hatte einem Patienten laut NDR-Recherchen Dämonen attestiert, die sowohl für seine Homosexualität als auch für Rückenschmerzen verantwortlich seien. Dagegen würden nur seine Gebete helfen. Aber auch Hepatitis C könne sich dank Dr. Arne Elsen in Luft auflösen, so heisst es bei TOS auf Facebook.

Was in naher Zukunft wohl nicht verschwinden wird, sind jedenfalls die „Marsch des Lebens“-Marschierer. Ganz offensichtlich schaffen sie es immer wieder, durch den ausreichenden Gebrauch von Buzzwords von ihren problematischen Geschichtsverständnis abzulenken. Auf diese Weise klingen die Initiatoren wie viele andere auch, die auf dem Gebiet der Gedenkarbeit unterwegs sind. Doch immer wieder hagelt es Kritik, so wie zum Beispiel seitens Hanna Lehming, Beauftragte für christlich-jüdischen Dialog der Nordkirche, die es reichlich irritierend fand, dass Teilnehmer eines „Marsch des Lebens“ im Frühjahr 2015 sich im Vorfeld registrieren lassen sollten und Richtlinien unterschreiben mussten, in denen sie unter anderem anerkannten, dass es sich dabei um eine „Gebetsveranstaltung“ handele. „Hier stellen sich zumindest Fragen, nämlich z. B. die, ob das Versöhnungsanliegen des Marsches als Mittel der Missionierung missbraucht wird. Es stellt sich außerdem die Frage, warum Teilnehmende an einer Gedenkveranstaltung überhaupt aufgefordert werden, Richtlinien zu unterschreiben.“

Argumentativ – auch das eine klassische Sektenstrategie – wird auf die Einwände mit keinem Wort eingegangen. Jobst Bittner wittert dahinter nur böse Konkurrenz, die ihn und seine Bewegung „dämonisiert, diskreditiert und ausgrenzt“. Sein Projekt wäre doch allenfalls eine Ergänzung im Spektrum der Gedenkkultur, so seine Behauptung. Offensichtlich sei man neidisch auf die Erfolge seiner Initiative. Dabei sind es nicht nur die Kirchen, die das Ganze mittlerweile problematisch sehen. Deutliche Worte fand ebenfalls Herbert Lappe, Mitglied der Jüdischen Gemeinde zu Dresden. „Ich habe Hochachtung vor den Leuten, die den ‘Marsch des Lebens’ antreten“, erklärte er auf einer Gedenkveranstaltung in Dresden im Mai 2017. „Aber es ist eine Verhöhnung der Opfer, wenn man sie für eigene religiöse Zwecke missbraucht“. Dresden sei auf den ‘Marsch des Lebens’ nicht angewiesen, um sich an die NS-Gräuel zu erinnern, betonte er weiter. Israel sollte es vielleicht auch nicht sein. Dort ist allerdings ein „Marsch der Nationen“ in sieben verschiedenen Städten für Mai 2020 geplant.

Bild oben: Screenshot marchofthenations.com