Der „Historische Verein“ –  Landsberg am Lech in der NS-Zeit

0
41

Der 1856 gegründete Verein – sechs Jahre nach Veröffentlichung des skrupellosen Landsberger Protestes gegen die Juden – wähnte sich streckenweise im Besitz einer wurzelechten Wahrheit von Vergangenheit und Gegenwart. Zu den Strippen-Ziehern nach dem Ersten Weltkrieg gehörten vorzugsweise Lehrer, ein Redakteur, ein Pfarrer und Beamte. Der provinzielle „Geistes-Adel“ vermittelte den Eindruck, sich blut- und bodenständiger ins Stadtleben eingeschlichen zu haben als jeder andere Verein…

Von Hermann Kriegl

Die instinktgeleitete, kulturpolitische Sturmabteilung steuerte ab 1933 scharf auf Nazi-Kurs. Besonders ihre völkisch-ideologischen Belehrungen hatten etwas vom Hauch des Authentischen, das verschaffte dem heimatlichen Forscher-Team, der Stadt und NSDAP entscheidende Vorteile. Die eingespielte Formation zeigte waches Interesse an gesellschaftlichen Befindlichkeiten. Es gelang, das Nazi-Regime übergangslos aufzuwerten: Stadt, NSDAP, Reichswehr und „Historischer Verein“ ergänzten einander prächtig.

Bis dato ein heikles Thema mit politischem Hautgout: Die inspirierende Sonderrolle der angepassten Heimatpfleger am geschichtsträchtigen Ort. Das leicht entzündliche  Aktenmaterial des „Historischen Vereins“ wird auf dem Markt der Meinungen noch nicht gehandelt. Entwürfe der Zunftgenossen, Aufzeichnungen, Entschliessungen, Rapporte von 1918 bis 1945, sind, so ist anzunehmen, sorgsam gehütete Imponderabilien, öffentlicher Forschung bislang nicht zugänglich, hört man. Wenn das so ist, könnte der „Historische Verein“ durch Öffnen des Depots weiter helfen und aufklären.

Zur Intoleranz erstarrte NS-Schleppen-Träger schauten von höherer Warte auf Landsberg. Glaubt man der hausgemachten Geschichtsschreibung des „Historischen Vereins“, so verdankte Landsberg seinen Aufschwung einzig dem Nationalsozialismus. Mehr noch. Landsberg rückte ins Zentrum ziemlich eindimensionaler Begutachtung, und 1936, auf dem Gipfel des Geschehens, hatte sich längst ein Mythen-Bündel in den Köpfen eloquenter Bescheid-Wisser festgesetzt: Der Glaube an die „geheimen Kräfte der Volksseele“, Adolf Hitler als Inkarnation all dessen und Landsberg mit ihm „auf ewig verbunden“.

So kommt der „Historische Verein“ in Verdacht, seine missionarische Aufgabe simultan als städtischer Kammerdiener erfüllt zu haben. Denn fast alles, was diese „SA der Heimat“ von 1933-1945 veranstaltete, geschah zur Ehre Hitlers und förderte das öffentliche Ansehen im Dritten Reich. Herausragend die unentwegte Einsatz-Bereitschaft des Stadtarchivars Pg. Adalbert Maier, den Bürgermeister Dr. Linn als die „Seele unserer historischen Vorträge“ voller Anerkennung taxierte. Die Impuls gebendenden Leitfiguren des „Historischen Vereins“ hielten die Reihen stets dicht geschlossen und kochten ihre Suppe auf der Flamme des Nationalsozialismus.

Am 2. Dezember 1936 schrieb der Vereinsführer an „Herrn Ortsgruppenleiter der NSDAP“ (Nieberle):

„Um die Verbundenheit des Historischen Vereins mit der Partei zu bekunden gestatten wir uns zur Erbauung eines H. J. Heimes einen Betrag von 50 RM zu überweisen. Für die Ausschmückung des Heimes stellen wir historische Stiche und für die Bibliothek geeignete Heimatbücher zur Verfügung.
Heil Hitler ! Gez. Adalbert Maier Vereinsführer.“

Pg. Hanns Frank, Lehrer und ab 1936 Schriftleiter der „Landsberger Geschichtsblätter“, gab schon mal eine Kostprobe seiner Ambitionen und knauserte nicht mit Superlativen, als er öffentlich kund tat, wie Landsberg einst Weltruf besaß, indes durch des „Führers“ Festungshaft und „Mein Kampf“ weltweite Berühmtheit erlangte.

Landsberg war vom Charisma Hitlers regelrecht berauscht, und die „Hitler-Zelle“ hatte den Nimbus des Außergewöhnlichen, ein tolles NS-Monopol, auf das keine andere Stadt im Großdeutschen Reich hoffen konnte.

„Wir wissen aber auch“, beteuerte Vereinsführer, Pg. Adalbert Maier, „dass wir diesen Auftrieb dem Nationalsozialismus zu danken haben. Reich an alter Tradition und durch die Festungshaft Adolf Hitlers mit der Neuzeit verbunden, möge Landsberg wie ehedem Bayerns getreueste Grenzstadt, des Führers getreueste Stadt sein.“

Bereits 1923 warb die kulturbeflissene Schar grob und zugkräftig für dumpfen Nationalismus, von der ideologiedämpfigen Nummer „Schlageter“ und den dadurch freigesetzten Energien profitierte merklich die erstarkende Hitler-Partei.

Im affektbeherrschten Meinungsklima hat der „Historische Verein“ missionarische Präzisionsarbeit geleistet, den latenten Antisemitismus ungeniert angeheizt und im provinziellen Prestige-Gerangel dazu beigetragen, kritisches Denken zu verhindern.

Das national-biologische Gebaren der reputierlichen Clique erbrachte den Nachweis, wie Einbildung und Intoleranz aus boden-wüchsiger Gläubigkeit ins Kraut schossen. Unverhüllter hätte der volksbewusste Club, seine gesinnungsträchtige Teilnahme an der Rassenpflege nicht öffentlich bekannt geben können, als durch die leichthändig feilgebotene Neuauflage der Landsberger Skandalschrift von 1850. Da vernahm der gutgläubige Durchschnitts-Bürger blindwütige Töne gegen das jüdische „Fremdvolk“.

An einer Kreuzzugs-Mentalität wie dieser kann unschwer abgelesen werden, wer im christlichen Gemeindeverband die Fäden in der Hand hielt, aus denen sich die „moderne“ Juden-Feindschaft geradezu von selbst entspann. Bis zum Verlust humanitärer Maßstäbe – Nürnberger Gesetze und „Reichskristall-Nacht“ – dauerte es nicht mehr lange.

Wenn es darum ging, Landsberg ins Hymnische zu übersetzten, hatte nur einer die ungeteilte Zustimmung: Paul Winkelmayer, Redakteur der „Landsberger Zeitung“, ein wichtiger Mann im „Historischen Verein“, Propagandist am rechten Platz. Das belegen die von ihm verfassten „Sonder-Artikel“, zuweilen ein fatales Gemisch von NS-Ideologie und Heimat. Darüber wird noch zu reden sein.

Die Hauspostille: Werkzeug der NS-Stadtpolitik

Die 1902 vom Realschullehrer Schober aus der Taufe gehobenen „Landsberger Geschichtsblätter“  galten 1936 nach Auffassung der hiesigen Geschichtspfleger als bayerische Vorzeige-Lektüre. Im bewährten Kungeln mit NSDAP und Stadt übernahm es der „Historische Verein“ nur zu gerne, wuchtige Themen der NS-Ortsgeschichte einheitlich auszurichten. Landsberg fand Gefallen an der schöpferischen Kopfarbeit des „Historischen Vereins“, der verfehlte die erhoffte Wirkung nicht. Dazu Kreisleiter von Moltke:

„Niemals ist der Heimat- und Volkstums-Gedanke stärker und sinnfälliger in Erscheinung getreten, als seit der Machtübernahme durch den Nationalsozialismus. Heimat und Volkstum sind die Grundkräfte unseres geistigen und sittlichen Lebens und die tragenden Pfeiler unserer völkischen Kultur.“ (Eigentlich: Machtübergabe an den Nationalsozialismus).

Es ist daher auf das Lebhafteste zu begrüßen, dass die im Dienste der Heimatforschung und Volkskunde stehenden „Landsberger Geschichtsblätter“ des Historischen Vereins für Stadt und Bezirk Landsberg a. L. aufs Neue erscheinen… Partei, Bezirk und Stadt bekunden ihre innere Verbundenheit an dem neu umgestalteten Heimatblatt und werden es noch angelegen sein lassen, seine Weiterentwicklung mit Nachdruck zu unterstützen.“

Bezirks-Oberamtmann Loew als Wächter der reinen Lehre

„Wenn man die Behandlung des Heimatgedankens in anderen deutschen Gegenden betrachtet, so muss man Landsberg rühmen, dass in seinen „Geschichtsblättern“ schon seit 35 Jahren die Heimatforschung tätig pflegte, und man muss das Verdienst der Männer anerkennen die diese wertvolle Hauptquelle für die Heimatgeschichte in Stadt und Bezirk schufen und bearbeiteten. Es ist ein glücklicher Ausblick, wenn nun der Anregung der Kreisleiters diese „Landsberger Geschichtsblätter“ neue Form und neuen Auftrieb erhalten. Die „Geschichtsblätter“ sind heute mehr als je unentbehrlich für die Pflege und Liebe zur Heimaterde, für die Kenntnis ihrer Geschichte und des Lebens der Vorfahren unentbehrlich als Stätte und Anreiz für weitere Forschung…

In der Heimatgeschichte sind Stadt und Bezirk eng verbunden, sind nahe auf ihre gemeinsame Kultur, auf ihre gemeinsame  Geschichte hingewiesen….

Dem Stadtoberhaupt, Dr. Schmidhuber, imponierte der vollzogene Wandel

„Eine so alte, weit in die deutsche Vergangenheit zurückreichende Stadt wie Landsberg hat aber auch die Verpflichtung, das Geschichtsgut der engeren Heimat zu pflegen und für seine Vertiefung und Weiterforschung zu sorgen. Viel mustergültige Arbeit hat in dieser Richtung der Historische Verein geleistet, insbesondere auch sein jetziger Vorstand, der Stadt-Archivar Adalb. Maier.

Vieles auch ist den Landsberger Geschichtsblättern, ihren Herausgebern und Mitarbeitern zu danken. In mehr als 30 Jahren nun wurde Stadtgeschichte zusammen getragen und so der Gegenwart erhalten und aufs neue lebendig gemacht. Nun erscheinen diese Geschichtsblätter wieder und zwar unter einer neuen Schriftleitung… Mögen diese Blätter aber auch die neue deutsche Geschichte dieser Stadt widerspiegeln. Ist doch Landsberg mit der Geschichte des Nationalsozialismus auf ewig verbunden. Der Führer schrieb hier hinter Festungsmauern das Buch der Deutschen „Mein Kampf“,  und die Stadt ist um deswillen schon heute zum nationalsozialistischen Wallfahrtsort geworden.

Wenn diese Blätter dann alte und neue Vergangenheit der Stadt für Gegenwart und Zukunft künden und sie deutsch künden, werden sie ihre Pflicht der engeren Heimat und dem deutschen Volk gegenüber erfüllen. Das ist ihre Aufgabe.“

Während des Zweiten Weltkrieges taten die schöpferischen Kräfte des „Historischen Vereins“ ihr Möglichstes. Erwähnenswert „Das Kriegstagebuch, ein wichtiges Stück für die Heimatgeschichte“, „Krieg und Heimatgeschichte“, „Unser Haus im Kriege“ und „Kriegsgeschichte der Heimat“. Der historische Ratgeber: Hanns Frank, 2. Vorstand des „Historischen Vereins“ und Schriftleiter der „Landsberger Geschichtsblätter“. Paul Winkelmayer erinnerte an ihn, in: LG, 1,2(1949), Sp. 51:

„Der wahre Forschergeist ruhte nicht, ob am Westwall oder im Osten, ob im Lazarett oder in der Heimat-Garnison, immer spürte er heimatkundlichen Dingen nach und schließlich darf uns nicht verwundern, dass er sogar aus einem Lazarett des Ostens einen Beitrag  schickte.“

Ferner existierte noch die kreisamtliche „Front-Zeitung“, ein gelenkiges Heimatblatt, das Augenschein produzierte und geistigen Proviant für Ostfront-Kämpfer.

Weil man 1945 notgedrungen aufhören musste, bedurfte es einiger Anstrengung, den verhängnisvollen Irrtum mit demokratischem Donner zu überspielen.

Den „Historischen Verein“ samt Intelligenz-Comptoir neu auferstehen zu lassen, war das Verdienst eines Mannes: Paul Winkelmayer. Der volkstümliche Chronist konnte ja nicht da anschließen, wo er ein paar Jahre zuvor stand, pochte aber auf das unverzichtbare Existenzrecht des Vereins mit dem atemberaubenden Spektrum. Und dann, 1947, eine verblüffende Nachricht im Landsberger Amtsblatt: Die Neugründung des  „Historischen Vereins“ im Beisein des Oberbürgermeisters Überreiter. Die fachliche Kompetenz ließ nichts zu wünschen übrig:

Erster Vorsitzender Adalbert Maier
Zweiter Vorsitzender Paul Winkelmayer
Schriftführer Studienrat Hartlmaier
Kassier Franz Weishaupt
Konservator Studienrat August Haberl

Die beiden Spitzenkräfte waren also wieder im Geschirr, so als wären sie schädlicher Einflüsse unzugänglich gewesen und immunisiert gegen Kritik. Freilich, die Fieberkurve der vom NS-Makel behafteten Heimatforscher, die damals wieder den Mund aufmachten, schien inzwischen allgemein abgeflacht. Ein gelungener Start, wenigstens aus Sicht der Beteiligten, wie unheimlich und befangen die kollektive Erinnerung auch sein mochte.

Quelle: Hermann Kriegl, Die „Hitler-Stadt“. Hass auf Juden . NS-Dynamik – „Endlösung“, Landsberg am Lech 2009, Seiten 161 – 167

Jene Weichzeichner, die Heimatgeschichte konzeptionell in romantische Richtung bewegen, und dabei das bessere Gewissen für sich reklamieren, behaupten steif und fest, der ehemalige Sympathie-Träger des Landkreises Landsberg am Lech –Landrat Bernhard Müller-Hahl (31. März 1918 -17. März 1985)  – habe beispielhaft für die Geschichte seiner Heimat gearbeitet. Bernhard Müller-Hahl, von großer Lust zu fabulieren beseelt, ließ Zweifel an eben dieser Qualität nicht aufkommen. Unbequeme Wahrheiten im strammen NS-Revier Landsberg am Lech, kaschiere er einfach, und verstieg sich zur absurden Leitthese:

„In unserer Kleinstadt war ab 1933 wirklich nicht viel los, insbesondere in der Juden-Frage.“

Und weil Bernhard Müller-Hahl nicht nur Kriegsveteran und Memoiren-Erzähler war, sondern zugleich Politiker und Stimmungsmacher, kommt der ahnungslose Leser zwingend  zum Schluss: Landsberger haben „ihren“ Juden nichts angetan – was hinterher erkennbare Gesinnungsfreunde konformistisch nachplapperten. Die „Hitler-Stadt“ Landsberg am Lech war jedem deutschen Volksgenossen ein Begriff, doch etlichen Heimatforschern aus dem Stadt- und Landkreis, wohlgemerkt nach 1945 nicht mehr. Dieser eigentümliche Zuschnitt der Heimatgeschichte sollte womöglich den Eindruck erwecken, Landsberg sei eine Insel der NS-Unschuld gewesen. Ähnlich eklatante Ausrutscher – und es sind so wenige nicht – kennzeichnen die Spezifika des selektiven Heimatbildes.

Zusätzlichen Dampf in die aktuelle Debatte brachte die Dissertation „Entnazifizierung in Landsberg am Lech“. Autor Wolfgang Daum verließ jedoch die Fakten-Ebene, als er salopp beiläufig erwähnte: „Landsberg spielte im Nationalsozialismus keine besonders herausragende Rolle.“

Diese geradezu befremdliche Instruktion, obendrein in der, 1996 von Augsburgs Universitäts-Stiftung preisgekrönten Arbeit, sorgte für weitere Konfusion. Merkwürdig ist schon, dass derart distinguierte Legenden-Verwalter, die allzu gern nur die eigene Meinung hören wollen, das Definitions-Monopol für Landsbergs Stadtgeschichte beanspruchen und belehren, was von 1933-1945 tolerierbar ist.

Anmerkung: Teilweise zitiert aus: Hermann Kriegl, Adolf Hitlers „treueste Stadt“ – Landsberg am Lech 1933-1945, Neufassung 2018, erschienen am 19.03.2019 (2. Auflage)

In diesen Tagen wird aber noch woanders deutlich, wie Heimatgeschichte in die Krise rutscht: Das Schlamassel im Thüringer Landtag – ruiniert politische Kultur und Demokratie in Deutschland.