„Seiner Würde auch posthum noch einmal beraubt“

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Das Titelblatt des Manuskripts, Peter Finkelgruens Heim in Kfar Samir (ehemals Neuhardthof), Israel, circa 1954

Der nächste Teil von Peter Finkelgruens Buch über die Kölner Edelweisspiraten…

TEIL 6: „Seiner Würde auch posthum noch einmal beraubt“

„Soweit er Jude war…“
Moritat von der Bewältigung des Widerstandes. Die Edelweißpiraten als Vierte Front in Köln 1944…

Von Peter Finkelgruen

Ich fragte Dr. Richard Dette, wie sein Amt es mit dem Gleichheitsgrundsatz hielte, da einer der 13, denen er die Eigenschaft von Verfolgten des Nazireregimes absprach, von seinem Haus doch anerkannt worden sei. Und hier lächelte der Wiedergutmachungsdezernent und sagte: „Ja, aber nur soweit er Jude war!“

Er gestand dem Juden Günther Schwarz nicht zu, dass dieser nicht zuletzt als Jude allen Anlass hatte, Widerstand zu leisten, und demzufolge vom Kommando Kütter als Angehöriger der Ehrenfelder Widerstands­gruppe verhaftet und schließlich hingerichtet wurde. Dieser Günther Schwarz wurde am 6.11.1944 von dem Gestapobeamten Josef Schiffer in Brauweiler vernommen – demselben Josef Schiffer, der als Zeuge für den Regierungspräsidenten am 16.6.1951 aussagte: „Brau­weiler war damals keine politische Haftanstalt.“

Und es war derselbe Josef Schiffer, der ein Verhör-Protokoll des Günther Schwarz am 6.11.1944 unter­schrieb, in dem es heißt:

„Mir ist bekannt, dass „Bombenhans“ ein Waffenlager in der Schönsteinstraße im Keller des Hauses Nr. 15 eingerichtet und unterhalten hat. Mir ist weiter bekannt, dass „Bombenhans“ im Falle eines Einmarsches der alliierten Truppen in Köln einen bewaffneten Aufstand machen wollte, woran sich alle Komplizen beteiligen sollten. Auch habe ich hierzu meine Zustimmung gegeben.“

Diesem Widerstandleistenden, kämpferischen Juden (Michael „Mike“ Jovy) hat der Kölner Wiedergutmachungsdezernent mit diesem Satz seiner Würde auch posthum noch einmal beraubt und versucht, ihn wieder in die Rolle des von den Nazis als wehrloses Opfer Ausersehenen hineinzuzwingen.

Bei dem Gespräch mit Dr. Dette machte ich einen weite­ren Anlauf. Wenn es mir schon nicht zu gelingen schiel seine persönliche Meinung über die von der Gestapo Ermordeten zu ändern, wollte ich ihm beweisen, dass er auch ganz formal unrichtig handelte, dass er also juristisch falsch urteilte und sein technisches Instrumentarium, die Gesetze, falsch anwendete. Ich versuchte ihm darzulegen, dass er – auch wenn er persönlich eine andere Wertung über Widerstand vornähme – verpflich­tet sei, die von seinem Haus bisher abgelehnten Anträge von Angehörigen der Ehrenfelder Widerstands­gruppe erneut zu überprüfen. Ich legte ihm also dar, wie ich die Situation rechtlich sah:

I. Dass der Gesetzgeber, der Deutsche Bundestag, das – am 29.6.1956 verabschiedete – BEG (Bundesentschädigungsgesetz) mit einer Präambel versehen hat, zeigt die außerordentliche Bedeutung, die man diesem Gesetz beige­messen hat – so hat das Grundgesetz eine Präambel, nicht aber das Ladenschlussgesetz. Daraus folgt gewiss eine besondere Verpflichtung zur Sorgfalt seitens der dieses Gesetz ausführenden Beamten, und zwar im Sinne dieser Präambel. Dort heißt es:
“ … dass der aus Überzeugung oder um des Glaubens oder des Gewissens willen gegen die nationalso­zialistische Gewaltherrschaft geleistete Wider­stand ein Verdienst um das Wohl des deutschen Volkes und Staates war …“.
Es konnte doch wohl nicht gemeint sein, dass nur Personen, die sich durch Ausbildung, Rang und Überblick besonders auszeichneten, dazu auser­sehen waren, sich um das Wohl des deutschen Volke verdient gemacht zu haben.

II. Der § 1 des BEG definiert den Begriff des NS- Verfolgten. Dort steht in Absatz 1:

„Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung ist, wer aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus … verfolgt worden ist …“

Im Absatz 2 wird dem Verfolgten gleichgestellt, wer „… auf Grund eigener Gewissensentscheidung sich unter Gefährdung seiner Person aktiv gegen die Missachtung der Menschenwürde eingesetzt hat …“

Schließlich heißt es in Absatz 3:

„… der eine ihm zur Last gelegte Handlung in Bekämpfung der nationalsozialistischen Gewalt­herrschaft … begangen hat, aber den Beweggrund dieser Handlung verbergen konnte“, ist NS-Verfolgter.

III. Die Kommentierung der Präambel und des §§ 1 erläutert den Text. Im Kommentar zur Präambel des BEG wird festgestellt:

„Es kann durch, eine Widerstandshandlung gegen das Unrecht auch ein Recht verletzt worden sein: für diesen Fall wird festgestellt, dass die Handlung zwar nicht Recht, aber ein Verdienst um das deutsche Volk gewesen ist“.

Und im Kommentar zum §§ 1 BEG heißt es sogar: „Eine gegen den Nationalsozialismus gerichtete Einstellung braucht daher bei dem Verfolgten nicht notwendig tatsächlich vorgelegen zu haben, vielmehr reicht es aus, wenn die Schädigung ihren Grund darin hat, dass der Betroffene auf politi­schem Gebiet als Gegner des Nationalsozialismus angesehen wurde.“

Selbst wenn man bei den Erhängten annehmen würde sie hätten nicht bewusst und gewollt Widerstand ge­leistet, so sind sie auf jeden Fall Verfolgte des Nationalsozialismus im Sinne des BEG, weil die Gestapo der Höhere SS- und Polizeiführer West und selbst der Reichsführer-SS Heinrich Himmler die Erhängten und die zu ihrer Gruppe gehörenden Freunde auf politischem Gebiet als Gegner des Nationalsozialismus angesehen haben.

Ich wies den Wiedergutmachungsdezernenten noch einmal auf die Protokolle der Gestapo, die Mitteilung des Höheren SS- und Polizeiführers West und den Erlass des Reichsführer- SS Heinrich Himmler vom 1.11.1944 hin, in dem dieser sich die Anordnung der­artiger Exekutionen persönlich vorbehielt. Diese Doku­mente hat Herr Dr. Dette – wie er eingestand – bei unserem Gespräch zum erstenmal zur Kenntnis genommen.

IV. Um seinem Argument zu begegnen, dass die „krimi­nellen“ Taten der Verfolgten, ganz besonders aber die Tatsache, dass sie von ihren Schusswaffen Ge­brauch gemacht haben gegen „die kleinen Uniformträger“, sie als Widerstandskämpfer disqualifi­zierten, hielt ich ihm die sogenannte höchst­richterliche Rechtssprechung vor.

So hat der Bundesgerichtshof im November 1962 zum Thema Widerstandsrecht ein Urteil gesprochen, welches als „Überfall-auf-die-SA-Urteil“ im juristischen Schrifttum bekannt geworden ist.[1]

In diesem Fall ging es um einen KP-Funktionär, der einen Überfall auf Angehörige der SA anführte. Seine Eigenschaft als Widerstandskämpfer wurde vom Bundesgerichtshof trotz dieser „kriminellen“ Tat anerkannt. Dabei machte der zuständige Senat des BGH in seinem Urteil deutlich, dass Widerstand im Dritten Reich nicht mit den Mitteln einer staatlichen Ordnung mit anerkannten und rechtlichen sowie tatsächlich geschützten Grundrechten ge­leistet werden konnte. Die Eskalation der im Widerstand angewandten Mittel musste gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der Eskalation der Perversion der Rechtsordnung durch den NS-Staat entsprechen.

Entscheidend für meine Argumentation aber war, dass in diesem Urteil der BGH feststellte, dass die Gesundheit und körperliche Unversehrheit einzel­ner SA-Männer keine Schranke des Widerstandsrecht bildete. Die SA als nationalsozialistische Kampftruppe habe die Aufgabe gehabt, die Gewaltherr­schaft zu schützen.

Das bedeutete – und ich bemühte mich, dies dem Dezernenten Dr. Dette klarzumachen – , dass nicht nur Hitler und Himmler zu bekämpfen waren, son­dern tatsächlich auch die „kleinen Hitlers und Himmlers“, und dass keiner, der das Unrechtssysten beschützte und förderte, sicher sein durfte, dass nicht auch er von Aktivitäten von Widerständlern betroffen werden könnte.

Ich trug dem Wiedergutmachungsdezernenten aber noch weitere rechtliche Überlegungen vor:

Der § 206 des BEG legt Folgendes fest bei „Ansprüchen auf wiederkehrende Leistungen“, also in Fällen, wie sie hier zur Debatte standen nämlich Renten nach ermordeten Söhnen, wenn dies zum Lebensunterhalt der überlebenden Eltern beigetragen hätten, oder Gesundheitsschadenrenten für solche, die die Gestapofolter überlebt haben, dass dann die Entschädigungsbehörde „befugt und auf Verlangen des Antragstellers verpflichtet sei, einen neuen Bescheid zu er­lassen“, wenn „… sich die tatsächlichen Ver­hältnisse, die für die Zuerkennung oder Ablehnung maßgebend waren, wesentlich geändert haben“.

Die Dokumente, die ich Dr. Dette vorlegte, waren – wie gesagt – erst seit 1970 im Hauptstaats­archiv verfügbar. Ihr Inhalt konnte ja wohl nicht anders gewertet werden, als da neue Tatsachen, die zum Zeitpunkt der ablehnenden Bescheide und Urteile unbekannt waren, nun bekannt wurden. Und dies sei ja tatsächlich eine Änderung der maß­geblichen Verhältnisse.

Sowohl der Wiedergutmachungsdezernent als auch der Regierungspräsident beriefen sich immer wieder auf Urteile von Kölner Gerichten, denen diese Dokumente aber nicht bekannt waren, und die darüber hinaus Opfer von Falschaussagen ehemali­ger Gestapobeamten waren.

Ich erwähnte also auch noch einen weiteren Satz aus dem §§ 206 des BEG. Er lautet:

„… die Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung steht dabei (dem Recht und der Verpflichtung der Behörde, einen neuen Bescheid zu erlassen, d. Verf.) nicht entgegen.“

Der mir am wichtigsten erscheinende Punkt war, dass die Behörde verpflichtet sei, von sich aus zu handeln und die Fälle erneut zu prüfen, nachdem sie von den neuen Beweisen Kenntnis er­halten hatte. Denn im Kommentar zu dem genannten § 206 des BEG heißt es:

„Die Formulierung, die Behörde sei zum Erlass eines neuen Bescheides befugt und auf Verlangen des Antragstellers hierzu verpflichtet, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch ohne einen ausdrücklichen Antrag des Antragstellers für die Behörde die Pflicht besteht, einen neuen Bescheid zu erlassen, wenn sie zuverlässige Kenntnis darü­ber erlangt, dass sich die damals zugrunde geleg­ten tatsächlichen Verhältnisse inzwischen geändert haben.“‚

Es war mir besonders wichtig, den zustän­digen Beamten Dr. Dette darauf hinzuweisen, gerade weil er betonte, er brauche ja von sich aus überhaupt nichts zu tun, solange niemand einen entsprechen­den Antrag „auf Zahlung von Geld“ stelle.

Die Schwäche des einzelnen Bürgers gegenüber der Behörde festzustellen ist heute so beliebt wie banal – hier aber war sie konkretisierbar.

Opfer der Gestapo in schwieriger sozialer Situa­tion auf der einen Seite, der Apparat des Re­gierungspräsidenten auf der anderen Seite. Menschen, die nicht in Archiven nach alten Gestapo-Dokumenten suchen können, die sie nicht auswerten können, selbst wenn sie sie in die Hände bekämen. Menschen, die die Gesetze nicht kennen, die zu ihren Gunsten verabschiedet wur­den. Menschen, die nicht die Möglichkeit haben, die öffentliche Meinung gegen den Starrsinn und Uneinsichtigkeit von Beamten zu mobilisieren. Menschen die darüber hinaus in dieser Gesellschaft unter­drückt wurden, indem sie unter Berufung auf Gerichtsurteile, die auf Falschaussagen beruhten, öffentlich als Angehörige von „kriminellen Banden“ bezeichnet wurden. Von ihnen forderte dieser Beamte, sie sollten, wenn sie „Geld“ wollten, ihn doch bitte unter Benutzung aller verfügbaren rechtlichen Mittel zwingen, von seinem Standpunkt abzugehen. Das Gespräch mit Dr. Richard Dette dauerte über vier Stunden – er wischte mit mokantem Lächeln alle Beweise, alle Argumente beiseite.

Diese Unterhaltung erweckte in mir die Gewissheit, dass sich der Regierungspräsident in Köln durch die normale Information der Öffentlichkeit über den Skandal in den Zeitungsartikeln nicht bewe­gen lassen würde, seine Haltung zu revidieren und seiner Verpflichtung nachzukommen. Das aber war nicht alles. Er versuchte auch in dem Ge­spräch mit mir Mittel anzuwenden, die ich als nahezu eine verdeckte Form amtlicher Erpressung und Verleumdung empfand. Aber ich war vorgewarnt.

Vor dem Gespräch im Regierungspräsidium unter­hielt ich mich mit Dr. Rüdiger Hoffmann vom Westdeutschen Rundfunk. Er war der Autor des Beitrages über Bartholomäus Schink in der Sendung Monitor vom 23.5.1978, die zu einem Zeitpunkt gesendet wurde, als die amtliche Benutzung der Zeugenaussagen von belasteten Gestapobeamten durch die Wiedergut­machungsbehörde noch nicht öffentlichkeitsbekannt war. Dr. Hoffmann sagte mir, auch er sei vor wenigen Tagen von Dr. Dette zu einem Gespräch eingeladen worden. Die Sache sei aber nun doch problematisch, denn Dr. Dette hätte ihm Gestapo­unterlagen gezeigt, wonach die Mutter des Bartho­lomäus Schink selber ihren Sohn bei der Gestapo angezeigt hätte. In diesen Unterlagen befänden sich auch andere unangenehme Einzelheiten, deren Bekanntwerden nicht im Interesse der Sache liegen könne.

Ich war also nicht sonderlich überrascht, als der Wiedergutmachungsdezernent während des Ge­sprächs plötzlich auf drei alte Aktenordner hin­wies und sagte:

„Ich will Ihnen jetzt sagen, was für tolle Men­schen diese von Ihnen so hochgejubelten „Wider­standskämpfer“ waren. Wussten Sie, dass dieser legendäre „Bombenhans“ sich bei der Gestapo be­worben hatte, nicht angenommen wurde und später wegen Amtsanmaßung, weil er sich als Gestapoangehöriger ausgegeben hatte, verhaftet wurde? Und der Schink – der ist ja von seiner eigenen Hütte angezeigt worden.“ Er blätterte dabei durch die Aktenordner …

„Dieser Kütter, man kann ja über ihn sagen, was man will, aber er war ein außerordentlich ge­wissenhafter und penibler Beamter. Er hat alles penibel recherchiert und festgehalten, eine außerordentlich genaue Arbeit. Und am Schluss seiner Zusammenfassung hat er auch ein Namens­verzeichnis aller in diesen Akten erwähnten Per­sonen angefertigt, in Handarbeit! Und erst die Verhörprotokolle! Das waren ja wohl keine Wider­ständler, keine Helden. Die haben doch alle gesungen, die haben sich doch überboten im Nennen von Namen. Die haben doch selber gesagt, wie sie gestohlen haben, wie sie aus dem Dunkeln auf Leute, die im Fenster lehnten, geschossen haben.“

Natürlich war Dr. Dette nicht bereit, mich diese Unterlagen einsehen zu lassen, von denen er meinte, dass sie ihn zu solchen Äußerungen berechtigten. Ich musste also fürs Erste unterstellen, dass er tatsächlich solche Unterlagen besaß. Weiter teilte mir Dr. Dette mit, dass diese drei Aktenordner die kompletten Ermittlungsakten über die Ehrenfelder Gruppe enthielten. Besagte Ordner hätten sich durch reinen Zufall im Keller der Staatsanwaltschaft gefunden und würden ihm nun erlauben, sich anhand dieser originären Unter­lagen ein Urteil zu bilden, welches die Ablehnung von Entschädigungsanträgen durch Angehörige dieser Gruppe als rechtens erkennen lasse. Die Pedanterie, mit der diese Akte angelegt und ge­führt worden sei, mache sie auch glaubwürdig.

Hier ist also ein Beamter der Meinung, wenn eine Akte nach verwaltungsrechtlichen Vorschriften korrekt geführt wird, dann ist auch ihr Inhalt ganz einfach glaubwürdig. Eine derartige Beamtenblindheit wäre noch verständlich gewesen. Was aber nicht verständlich und auch nicht hinzunehmen ist, ist die Tatsache, dass ein Regierungsfachmann für Wiedergutmachung nach nationalsozialistischem Unrecht bereit ist, derartige Unterlagen ohne jeden Anflug von Quellenkritik zu übernehmen.

Die drei Aktenordner mit dem Ermittlungsverfahren gegen die Ehrenfelder Gruppe sind das erhaltene Produkt der Arbeit einer Sabotagekommission der Unterabteilung II A der Kölner Gestapo. Der An­sprechpartner beim Reichssicherheitshauptamt war die Gruppe A des Amtes IV. Also die Gruppe A beim Reichssicherheitshauptamt war federführend zustän­dig für Links- und Rechtsopposition, Sabotage­bekämpfung, Spionageabwehr, Juden, Kirchen, Sonderaufträge und Schutzhaft.

Hinzu kommt das Gesetz über die Geheime Staatspolizei, wo in § 1 die Definition der Aufgaben der Gestapo ganz klar zum Ausdruck kommt:

„Die Geheime Staatspolizei hat die Aufgabe, alle staatsgefährlichen Bestrebungen im gesamten Staatsgebiet zu erforschen und zu bekämpfen … Die Zuständigkeit der Organe der ordentlichen Rechtspflege bleibt unberührt.“

Wichtig, und im vorliegenden Fall schon makaber, ist der § 7 der Verordnung zur Ausführung des Gesetzes über die Geheime Staatspolizei. Dort heißt es:

„Die Ober- und Regierungspräsidenten haben den Weisungen des Geheimen Staatspolizeiamtes in Angelegenheiten der Geheimen Staatspolizei Folge zu leisten.“

Der belehrende Ton der ehemaligen Gestapobeamten in ihrer Eigenschaft als Zeugen des Regierungs­präsidenten in Sachen Aufgaben der Geheimen Staatspolizei und die unkritische Identifizierung mit dem Inhalt dieser Aussagen durch den Regierungspräsidenten bedeutet ja faktisch, eine Geltung dieser Verordnung über das Dritte Reich hinaus und gibt dem Begriff von Rechtsnachfolge einen ganz eigenartigen Beigeschmack.

Jedenfalls war Dr. Dette nicht bereit, seine Meinung zu ändern – weder aus gesundem Menschen­verstand heraus, noch durch das Auftauchen an­derer Dokumente der Gestapo, die seine Beurtei­lung widerlegten. Drei Aktenordner mit einem „ordentlich“ geführten Vorgang sind für ihn die „ultima ratio“.

Mein Eindruck von dieser Angelegenheit war eher der, dass die Vorstellung von Gestapobeamten, die wenige Wochen vor der totalen Kapitulation ihrer menschenverachtenden Beamtentätigkeit pedantisch nachgehen, Verhöre mit verschärften Metho­den durchführen, Ermittlungen anstellen, die Jugendliche öffentlich aufknüpfen und darüber fein säuberlich Akten führen, eine Form von Krankheit darstellen, die es verbietet, den Inhalt als objektiv zu übernehmen.

Als ich all das im Gebäude des Kölner Regierungs­präsidiums überdachte, also in dem Haus, dessen Hausherr einmal der Gründer der Gestapo war, nämlich Dr. Werner Best, wurde mir langsam klar, dass der für Wiedergutmachung zuständige Beamte dieses Hauses eher im Lichte dieser Kontinuität gesehen werden kam als jemand, der den Geist und den Sinn der Präambel des Bundesentschädigungsgesetzes praktiziert. Dr. Dette sagte ja selbst, dass er nur dazu da sei, um über die Auszahlung von finanziellen Forderungen zu entscheiden und nicht um historische Wertungen vorzunehmen. Politisch verhängnisvoll ist aber vielmehr die Tatsache, dass der verantwortliche Vorgesetzte, der Regierungspräsident Dr. Franz-Josef Antwerpes in diesem Fall jene besondere Form der deutschen Beamtenloyalität an den Tag gelegt hat, die Gift ist für republikanisches Bewusstsein. Die Klagen von Politikern über die Staatsferne von Bürgern würden möglicherweise zurückgehen, wenn Bürger die Erfahrung machen könnten, dass Beamte nicht ohne Konsequenz einer nicht tragbaren Inkompetenz nachgehen können.

Man muss sich nur mal vorstellen, ein Handwerker würde genauso miserabel seiner Tätigkeit nachgehen.

Der Gedanke, dass sein Meister dann gegenüber dem sich beklagenden Kunden die Rechtfertigung des Handwerkers ganz unkritisch decken würde, ist ziemlich absurd. Das aber ist die Realität des Beamtentums in der Bundesrepublik Deutschland.

Im Falle des Kölner Regierungspräsidenten geht diese negative Loyalität noch weiter.

Um noch einmal das Handwerker-Beispiel heranzuziehen: Da sagt der Meister gegenüber anderen Kunden, die ihn auf die Pfuscharbeit seines Gesellen ansprechen, der sich Beklagende solle doch lieber still sein, denn das Intimleben des Geschädigten könnte ja einen prima Tratschgegen­stand abgeben!

So ungefähr sah die „Öffentlichkeitsarbeit“ von Dr. Richard Dette aus, nachdem das Bekanntwerden seiner Berufung auf die Zeugenaussagen der ehe­maligen Gestapobeamten eine ihm nicht genehme Aufmerksamkeit erregt hatte.

Zum einen verbreitete er weiterhin die Beschuldi­gungen, die ihm die Gestapobeamten in den Mund gelegt hatten, einschließlich deren Wertung.

Zum anderen nahm er Kontakt zu Journalisten auf, wie zum Beispiel zu dem Lokalredakteur des Kölner Stadt-Anzeigers, Klaus Zöller. Diesem gegenüber hat Herr Dr. Dette ebenfalls unter Berufung auf die drei Bände Ermittlungsakten Andeutungen über doch wohl menschlich fragwürdi­ges Verhalten der Mutter des Bartholomäus Schink gemacht sowie über einige der Erhängten, die sich ja gegen seine Verleumdungen nicht mehr zur Wehr setzen konnten.

Wie manipulativ aber seine Informationen an die­sen gutgläubigen Kölner Lokalredakteur waren, erfuhr derselbe, als ich ihn am 7.11.1978 fragte, ob denn Dr. Dette ihm nichts von den Dokumenten der Kölner Gestapo, die im Staatsarchiv des Landes Nordrhein-Westfalen lägen, gesagt hätte. Denn diese Dokumente gäben doch, eher Aufschluss über den Charakter der von dem Wiedergutmachungsdezernenten zur Grund­lage seines Werturteils gemachten Vernehmungsprotokolle der verhafteten Widerständler.

Als der Redakteur Klaus Zoller von der Existenz dieser anderen Dokumente erfuhr, konnte er nur – auf Dr. Dette gemünzt – die Frage stellen: „Ja, aber warum macht der das?“

Darum?


Bild oben: Das Titelblatt des Manuskripts, Peter Finkelgruens Heim in Kfar Samir (ehemals Neuhardthof), Israel, circa 1954

Zum Buch:
„Soweit er Jude war…“
Moritat von der Bewältigung des Widerstandes. Die Edelweißpiraten als Vierte Front in Köln 1944…

Herausgegeben von Roland Kaufhold und Andrea Livnat
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Die Buches liegt auch in Druckversion vor:

Peter Finkelgruen, „Soweit er Jude war…“ Moritat von der Bewältigung des Widerstandes. Die Edelweißpiraten als Vierte Front in Köln 1944, Hrsg. v. Roland Kaufhold, Andrea Livnat und Nadine Englhart, Hardcover, 352 S., ISBN-13: 9783752812367, Euro 39,90, Bestellen?

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[1] Dr. Günther Scheidle: „Das Widerstandsrecht“, Berlin 1969, S. 51.