Judenhass im Internet

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Es war einer der häufigsten Sätze der letzten Tage, um den Terroranschlag in Halle zu beschreiben: Wenn auf Worte Taten folgen. Die Macht der Worte ist Gegenstand einer Studie, die vor Kurzem erschienen ist und als einer der wichtigsten Beiträge zur Antisemitismusforschung der vergangenen Jahre zu sehen ist. Denn vom „Judenhass im Internet“ bis nach Halle war es nicht weit…

Von Andrea Livnat

Die Antisemitismusforscherin und Kognitionswissenschaftlerin Monika Schwarz-Friedel untersuchte in einem großangelegten mehrjährigen Forschungsprojekt wie Antisemitismus im digitalen Zeitalter kommuniziert wird und welche Rolle das Internet bei der Verbreitung und Radikalisierung von Judenhass spielt. Die Ergebnisse sind sowohl erschütternd wie auch wenig überraschend zugleich.

Wer sich mit der Materie etwas beschäftigt, aber auch wer einfach nur mit offenen Augen im Internet liest, der hat natürlich die Radikalisierung von Antisemitismus im Netz schon lange bemerkt. Die Forschung von Schwarz-Friesel, bei der über vier Jahre hinweg eine große Datenmenge ausgewertet wurde, gibt diesen eher subjektive Empfindungen nun das wissenschaftliche Fundament.

Die Grenzen des Sagbaren sind längst überschritten, so Schwarz-Friesel. Die Äußerungen seien oft von so unbeschreiblicher Grausamkeit, „dass es selbst einer erfahrenen Antisemitismusforscherin den Atem stocken lässt“. Schwarz-Friesel betont, dass das Internet den Hass zwar multipliziert und ihm neue Dimensionen ermöglicht, ihn aber nicht erzeugt. Ein wichtiger Hinweis, gerade um die Tatsache zu verstehen, dass Hass auf Juden im Internet in fast allen Themenbereichen zu finden ist. Auch auf Ratgeber- und Unterhaltungsseiten, in Diskussionsforen, die gar nicht direkt mit Religion, Judentum, Nahost oder ähnlichen Themen befasst sind. Im Netz spiegeln sich Einstellungen der Nutzer wieder, Einstellungen, die aus der zweitausendjährigen Geschichte des Judenhasses gespeist sind. Und so gibt es zur Zunahme von Antisemitismus und zur Radikalisierung seiner Ausprägung in der virtuellen Welt auch eine Korrelation in der realen Welt.

Antisemitismus im Internet hat sich sowohl in quantitativer wie auch in qualitativer Hinsicht drastisch vermehrt und radikalisiert, was nicht ohne Spuren bleiben kann. Denn auch die Bedeutung des Internets selbst hat sich verändert. Schwarz-Friesel zitiert eine Umfrage, wonach 51% der Nutzer zwischen 18 und 24 Jahren Nachrichten auch aus Facebook beziehen, nicht nur von den Seiten traditioneller Medien- oder Nachrichtenportalen. Die vielen Beispiele im Buch in die Abgründe antisemitischer Internet-Semantik zeigen die beängstigende Begleitmusik dieser Art der Nachrichtenbeschaffung.

Was genau gegen die Entwicklung getan werden kann, die Schwarz-Friesel in ihrer Studie deutlich herausgearbeitet hat, bleibt nicht ausreichend beantwortet. Aber das kann natürlich auch nicht Aufgabe der Forscherin sein. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz habe sich als weitgehend untauglich erwiesen, gibt Schwarz-Friesel zu bedenken, da nur die drastischen und expliziten Fälle von Volksverhetzung und Holocaustleugnung erfasst würden. Aber es sind ja gerade bestimmte Chiffren, Symbole und Wortwendungen, die Antisemitismus transportieren und so die unterschiedlichsten Themenbereiche unterwandern. Die Büchse der digitalen Pandora sei weit geöffnet. Der alte Judenhass ströme im digitalen Zeitalter ungefiltert in das kollektive Bewusstsein des 21. Jahrhunderts, konstatiert Schwarz-Friesel. 

Wer Antisemitismus heute verstehen will, muss dieses Buch lesen. Es bleibt zu hoffen, dass die Antisemitismusforschung nicht wie so oft „nur die Rolle des Mahners in der Wüste“ einnehmen wird, wie Schwarz-Friesel schreibt. Die Erkenntnisse sind klar und deutlich formuliert, nun gilt es, aus ihnen Konsequenzen und Handlungsstrategien zu ziehen.

Ob das Land dazu in der Lage ist, wird sich zeigen. Denn dazu, das macht Schwarz-Friesel unmissverständlich klar, muss sich Deutschland von liebgewordenem Wunschdenken verabschieden, dass man aus der Geschichte seine Lehren gezogen habe. Die Reaktionen auf die Tat von Halle lassen derzeit nicht viel Hoffnung keimen.

Monika Schwarz-Friesel, Judenhass im Internet. Antisemitismus als kulturelle Konstante und kollektives Gefühl, Hentrich & Hentrich Verlag 2019, 168 S., Euro 17,90, Bestellen?

BUCHVORSTELLUNG

14.10.2019, 18:30, Landeszentrale für politische Bildung, Berlin
Monika Schwarz-Friesel: Judenhass im Internet
Buchvorstellung:
Monika Schwarz-Friesel, Professorin für Linguistik an der TU Berlin und Autorin
Diskussion:
Lars Rensmann, Professor an der Universität Groningen
Moderation:

Nora Pester, Verlegerin Hentrich & Hentrich