Comeback des Politrentners?

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Ex-Ministerpräsident Ehud Barak meldet sich aus dem politischen Ruhestand zurück. Der 77-Jährige gründete jüngst eine neue Partei und steigt noch einmal in den Ring. Ob er seinem alten Rivalen Benjamin Netanyahu damit wirklich gefährlich werden kann, darf bezweifelt werden…

Von Ralf Balke

Eigentlich war es mittlerweile recht ruhig um ihn geworden. Und als er im vergangenen Jahr unter dem Titel „My Country, My Life: Fighting for Israel, Searching for Peace“ seine Memoiren veröffentlichte, dachten die meisten wohl, dass Ehud Barak sich nun endgültig auf sein Altenteil zurückgezogen habe und allenfalls noch seinem Hobby, dem Klavierspielen, nachgehen wird oder ab und zu als Elder Statesman das Tagesgeschehen kommentieren könnte. Der grau melierte Vollbart, den er sich irgendwann hat wachsen lassen, unterstrich das Ganze. Zudem konzentrierte sich Barak auf seine zweite Karriere als Geschäftsmann. Er war in das boomende Geschäft mit medizinischen Cannabisprodukten eingestiegen und bald schon Manager bei gleich zwei Unternehmen, und zwar Intercure und Canndoc.

Doch irgendwie reichte dem ehemaligen Ministerpräsidenten und Generalstabschef der Armee das alles nicht mehr. Zwar hatte Barak im November 2012 verkündet, dass er sich für immer aus der Parteipolitik verabschieden würde und räumte im März 2013 dann auch seinen Sessel als Verteidigungsminister. „Es gibt so viele Möglichkeiten, wie man etwas für das Gemeinwesen beisteuern kann, Politik ist nicht die einzige Option“, waren damals seine Worte. „Meine Entscheidung beruht auf dem Bedürfnis, mehr Zeit mit meiner Familie verbringen zu wollen. Außerdem hatte ich nie das Gefühl, dass die Politik wirklich der Höhepunkt meiner Ambitionen sein kann.“ Aber vor wenigen Tagen meldete sich Barak aus dem politischen Ruhestand zurück und gab bekannt, eine neue Partei zu gründen, die den Namen „Israel Demokratit“ tragen soll, was auf deutsch so viel wie „Demokratisches Israel“ heißt.

„Hoffnung und Mut“ will Barak dem Land zurückgeben. „Schließlich befindet sich Israel am Scheideweg. Es droht der totale Zerfall der Demokratie.“ Diese Einschätzung erklärt dann auch die Namenswahl. „Unser Ziel ist es, Israel wieder auf Kurs zu bringen und das Netanyahu-Regime zu stürzen“, verkündete er jüngst auf einer Pressekonferenz. Ein erstes Plakat gibt es bereits. Es zeigt auf blauschwarzem Hintergrund das Konterfei von Ehud Barak. Zu lesen ist ebenfalls der eigens kreierte Parteislogan: „Der Staat Netanyahu oder der Staat Israel“. Das Ganze vermittelt optisch eher den Eindruck eines Warnhinweises vor Gefahren und ist wohl auch als ein solcher zu verstehen. Es geht vor allem darum, den amtierenden Ministerpräsidenten, der gleich mehrere Verfahren wegen Bestechung und ähnlichem am Hals hat, ins Visier zu nehmen. Netanyahu muss weg – so lautet denn auch das Mantra der neuen Partei. „Bibi, das ist Deine letzte Chance, freiwillig nach Hause zu gehen und Dich vor dem Gefängnis zu retten“, rief Barak unmittelbar nach seiner Ankündigung Ende Juni, mit einer eigenen politischen Gruppierung anläßlich der Wahlen im September ins Rennen zu gehen. Was man jedenfalls bis dato vergeblich sucht, sind konkrete politische Inhalte oder gar programmatische Aussagen, was Israel Demokratit so alles anders machen würde. Allenfalls zum Thema Wehrpflicht für Ultraorthodoxe hatte sich ihr Chef mal geäußert. Diese würde er komplett ablehnen. Dafür sollte es einen„Integrationsplan“ geben, der vielmehr auf eine Art Zivildienst setze, um so der weiteren gesellschaftlichen Entfremdung der Haredim entgegenzuwirken und sie einzubinden.

Bis dato hat Barak mit seiner Rückkehr in die Politik vor allem eines geschafft, nämlich viel Staub aufzuwirbeln. „Netanyahus Angstgegner“ betitelte denn auch das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ kürzlich eine Geschichte über das Comeback des Politrentners. Und wie so oft haben die Autoren einen Text produziert, der so gar nichts mit der Realität zu tun hat. Wenn man den jüngsten Umfragen Glauben schenken darf, dann käme Israel Demokratit allenfalls auf vier von 120 Sitzen in der Knesset – zu wenig, um dem Amtsinhaber auch nur ansatzweise schlaflose Nächte zu bereiten. Eigentlich sollte Barak selbst Angst haben, und zwar dass er mit seiner Partei die 3,25 Prozent-Hürde schafft, die notwendig ist, um überhaupt in die Knesset zu kommen. Auch rein personell ist Israel Demokratit etwas dünn aufgestellt. Bis dato schaffte es Barak gerade einmal, den ehemaligen Vorsitzenden von Shalom Achschav, dem Oldtimer unter den israelischen Friedensbewegungen, Avi Buskila an Bord zu holen sowie Noa Rothman, Enkelin des 1995 ermordeten Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin. Zudem ist Yair Golan mit von der Partie, ein ehemaliger stellvertretender Generalstabschef, der aber durch die vor wenigen Tagen gemachte Äußerung, dass man als Partei einer zukünftigen Zusammenarbeit mit Netanyahu offen gegenüberstehe, eher für Irritationen sorgte. Gerüchtehalber wird auch die ehemalige Außenministerin Tzipi Livni heftig umworben. Doch sie hat erklärt, dass ihre Rückkehr in die Politik – Ende 2018 wurde sie auf sehr unfeine Weise vor laufenden Kameras von Avi Gabbay aus einer Listenverbindung mit der Arbeitspartei rausgeschmissen – davon abhängig sei, ob sich Israel Demokratit und die mittlerweile stark geschrumpfte Arbeitspartei zusammenraufen.

Und genau das ist das eigentliche Problem für Ehud Barak. Als Einzelkämpfer hat er mit seiner Minipartei wenig Chancen, politisch irgendwie an Relevanz zu gewinnen. Der einzige Weg ist das Zusammengehen von Israel Demokratit mit der Arbeitspartei und womöglich auch noch mit Meretz, um so eine Listenverbindung zu schaffen, die dann links von dem anderen Newcomer anzusiedeln ist, nämlich Blau-Weiß mit Benjamin Gantz und Yair Lapid an der Spitze. Auf den ersten Blick bietet sich ein solches Bündnis quasi an und würde vielleicht eine Lücke in der Parteienlandschaft schließen, die sich durch den Absturz der altehrwürdigen Arbeitspartei aufgetan hat. Gemeinsam käme man auf ungefähr 15 Sitze in der Knesset – immer noch viel zu wenig, um Netanyahu vom Thron stürzen zu können. Das könnte allenfalls gemeinsam mit Blau-Weiß gelingen, weshalb Barak auch die zentristische Partei als Partner ins Spiel bringt.

Bei Blau-Weiß werden die Ambitionen von Barak jedenfalls mit wenig Begeisterung aufgenommen. „Das ist ein Schlag in unsere rechte Flanke“, hieß es von dort. „Wir müssen mehr Stimmen von Rechts für uns gewinnen, um irgendwie als Block expandieren zu können.“ Genau diese könnten aber fernbleiben, wenn man sich auf eine Mitte-Links-Listenverbindung einlassen würde, so die Befürchtung. Außerdem sind sich Ehud Barak und die Nummer 4 bei Blau-Weiß, Ex-Generalstabschef Gabi Ashkenazi, absolut spinnefeind. Zudem wären im Rahmen einer möglichen Kooperation zwischen beiden Partei-Blöcken zu viele Personen mit einem großen Ego involviert, so dass Konflikte unvermeidlich sind.

Trotzdem könnte Barak sich selbst neben Gantz nun als zweiter Herausforderer von Netanyahu ins Spiel bringen. Doch dafür müssten die Vorsitzenden der beiden potenziellen Partner Arbeitspartei und Meretz erst einmal mitspielen. Und da beginnt der Ärger. Denn die Arbeitspartei hat sich gerade ihres glücklosen Vorsitzenden Avi Gabbay entledigt und Amir Peretz zum neuen Chef gewählt. Genau diesem aber hatte Barak im Januar 2007 das Amt des Verteidigungsminister auf recht grobe Weise abspenstig gemacht und ihm seine Demission per Fax mitgeteilt, weshalb das Verhältnis zwischen beiden nicht gerade herzlich genannt werden kann. „Die Wahl von Peretz zum Vorsitzenden der Arbeitspartei ist deshalb gerade eine Ohrfeige in das Gesichts von Ehud Barak“, kommentierte Yossi Verter in Haaretz die Rückkehr des 67-Jährigen an die Parteispitze der Avoda – schließlich könnte sich dies als Bremse für Baraks Pläne erweisen.

Ein weiteres Hindernis ist die chronische Unbeliebtheit von Ehud Barak bei den israelischen Wählern. Zwar hat er es 1999 geschafft, Benjamin Netanyahu aus dem Amt zu drängen und selbst Ministerpräsident zu werden. Doch das Scheitern des Friedensgipfels von Camp David, wo Barak versuchte, den gesamten Konflikt mit den Palästinensern quasi im Hauruck-Verfahren zu lösen, was wiederum an der Blockadehaltung von PLO-Chef Yassir Arafat scheitern sollte, sowie die danach ausbrechende zweite Intifada sorgten dafür, dass Barak bereits 2001 wieder abgewählt wurde, woraufhin er sich zum ersten Male aus der Politik zurückzog. 2005 dann der Neuanfang, als Barak zum Vorsitzenden der Avoda gewählt wurde und 2007 das Verteidigungsressort erhielt, das er bis 2013 innehaben sollte. Damals bereits kam es zum Krach mit der eigenen Partei, weshalb er den Hut nahm und 2011 mit der Unabhängigkeitspartei seine eigene Partei ins Leben rief, die aber keine zwei Jahre existieren sollte. Israel Demokratit ist also nicht seine erste Parteigründung und seine aktuelle Rückkehr in die Politik auch nicht das erste Comeback. „Barak mag ein grandioser Stratege sein, aber er ist zugleich immer ein miserabler Taktiker“, brachte es der politische Analyst Calev Ben Dor auf den Punkt. Genau deshalb könnte er auch schnell wieder ins Stolpern geraten und sich zum dritten Mal von der Politik verabschieden.

Zudem könnten Barak einige Geschäftsbeziehungen aus der Vergangenheit noch zum Problem werden. Denn finanziell ist der Ex-Ministerpräsident ein Schwergewicht. Laut Forbes Israel belegt er im Ranking der vermögendsten Politiker mit der derzeit rund 120 Millionen Schekel, umgerechnet rund 30 Millionen Euro, aktuell den dritten Platz. Das ist fast doppelt so viel, was er noch vor vier Jahren besaß. Nach eigenen Angaben hat er dieses Geld mit seiner Consultingfirma sowie mit Vorträgen verdient. Trotzdem gab es in der Vergangenheit immer wieder Fragen, wie er sich als Ex-Politiker sowohl in den Akirov Towers im Norden Tel Avivs ein 540 Quadratmeter-Appartment sowie auf dem ebenfalls dort gelegenen Gelände des ehemaligen Assuta Krankenhauses, wo der Quadratmeterpreis bei 50.000 Schekel, umgerechnet rund 12.500 Euro, liegt, ein weiteres, etwas kleineres Domizil leisten kann. Doch nun wurde bekannt, dass auch Jeffrey Eppstein zu seinen Geschäftspartnern gehörte, genau jener amerikanische Investor, der gerade wegen sexuellem Missbrauch minderjähriger Mädchen angeklagt wurde. „Direkt als die aktuellen Anschuldigungen im Fall Eppstein bekannt wurden, habe ich meine Rechtsanwälte beauftragt, alle Optionen zu prüfen, wie wir unsere ohnehin begrenzten Partnerschaften mit der Firma, die im Zusammenhang mit Eppstein steht, beenden können“, schrieb Barak auf Facebook. Trotzdem lieferte er seinem politischen Gegner mit diesen Kontakten Munition. „Leitet sofort Untersuchungen gegen Ehud Barak ein“, twitterte niemand Geringeres als Netanyahu persönlich am Donnerstag.

Bild oben: Ehud Barak, 2016, (c) Adi Cohen Zedek (עדי כהן צדק), wiki commons