Wenn du erwachsen wirst…

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Leo Steiner, geboren 1912, war der Star einer der berühmtesten Gesangsgruppen im Prag der 1930er Jahre. „Zlata hvezda“ (‚Goldener Stern‘) wurde oft mit den Comedian Harmonists verglichen. 1941 wurde er von der Gestapo verhaftet und von einem ordentlichen deutschen Gericht zum Tode verurteilt. Vor 80 Jahren, am 24. Februar 1942 wurde er in Dresden hingerichtet. Seine Tochter wurde genau einen Monat vor der Hinrichtung geboren. Er hat sie niemals gesehen. Im Herbst 1942 wurden Leos Frau Hanna und seine Tochter Jirina deportiert. Im Winter 1942/43 wurden beide in Auschwitz ermordet. Hanna war 31 Jahre alt, Jirina knapp ein Jahr…

Leo’s Schwester Greta und ihr Mann Jiri wurden 1943 deportiert. Greta war die einzige Überlebende.

Über Theresienstadt, Auschwitz, Neuengamme gelangte sie nach Bergen-Belsen. Dort erlebte sie im April 1945 die Befreiung durch die Briten.

Sie kehrte nach Prag zurück und heiratete Otto Ehrlich, der die NS-Zeit als Zwangsarbeiter in Prag überlebt hatte. Wie unzählige andere KZ-Überlebende aus der ehemaligen Tschechoslowakei wartete sie vergebens auf eine symbolische Geste der ‚Wiedergutmachung‘ seitens eines deutschen Staates. Am 18. Januar 1995 starb sie, im Alter von 85 Jahren.

Wir denken oft an sie.

Leos letzter Brief

„Dresden, 23.2.1942

Meine geliebte Hanicka, Jirinka, Gretinka und Jirka !

Heute um 6 Uhr abends habe ich Deinen Brief vom 9. diesen Monats erhalten und um 1/2 7 wurde ich vorgeführt und es wurde mir eröffnet, daß ich um 1/2 7 morgen früh hingerichtet werde. Ich wußte es bereits mittags, weil man mich rasierte und mir neue Kleider gab.

Hanicka, meine geliebte, glaube mir, daß ich in den ganzen 3 Monaten nicht so gefaßt und tapfer war. Es ist 11 Uhr abends, ich bin hier mit Lustik und Hermann und gegenüber in der Zelle sind auch noch 4 junge Leben. Ich verlasse diese Welt ganz ruhig, mit einem Lächeln auf den Lippen, mit Erinnerung an Dich und Jirinka und mit eueren Bildern in der Tasche. Sei stark und tapfer wie ich. Du mußt es tun für meine Jirinka. Ich bin von großen Qualen befreit, da Gitter für mich schlimmer sind als der Tod. Mir wird es gut gehen, es tut mir leid, daß durch meinen Fehler eigentlich nur Du die Leidtragende bist. Bitte verzeih mir. Ich glaube an G’tt und an unser Wiedersehen, aber Du mußt warten, bis Deine Zeit kommt.

Mein Wunsch ist, daß Dir Jarmila mein Armband und 600 Kronen zurückgibt. Auch mein Anzug ist noch bei ihr. Ich verzeihe ihr alles und auch Du mußt es tun. Ich wußte, daß es so kommen wird und deswegen war ich nicht überrascht und trete rein vor G’tt, denn ich habe niemandem Unrecht getan.

Ich singe hier für die Kameraden „Wenn du erwachsen wirst“ und der Ewige gibt mir dazu große, fast bewundernswerte Kraft. Wir lachen sogar zusammen. Die Kameraden sagen, daß ich schön singe, aber ich weiß, daß ich in 8 Stunden noch schöneren Gesang hören werde, Engelsgesang, Gesang des Herrn.

Ich freue mich, Mama und Papa zu sehen. Ich schreibe Dir hier ein kleines Gedicht für Jirinka:

„Meine Jirinka, mein Engelchen, sei Du mir gesund und pausbackig,
nicht so mager wie ich!
Meine Lieben haben den Wunsch mich zu sehen, ich machte Fehler –
bin nur ein Mensch und so wurde ich dafür eingesperrt.
Für diesen Fehler muß mein Körper für immer in der Erde ruhen,
ihr lebt aber, ihr dürft die Welt nicht fürchten.
Wenn ich Dich nur einen kleinen Moment bei mir hätte,
der Atem würde mir stocken, nur – ich könnte Dich gar nicht auf dem Arm halten,
da meine Hände gefesselt sind.
Weine nicht, schlafe, mache Deine Äuglein zu,
Dein Papa schaut vom Himmel auf Dich
und Deine Mamilein.“

Hanicka, ich bitte Dich so sehr, sei stark, wir alle müssen mal sterben. Du darfst nicht weinen, das ist mein Wunsch. Ich danke Dir für alles, für Deine große Liebe, ich habe Dich auch geliebt, wie niemanden auf dieser Welt. Ich verabschiede mich von Dir und glaube mir, heute tut mir nichts weh und ich habe keine Angst vor dem Sterben. Ich verabschiede mich von meiner Jirinka und von meinem Schwesterlein Gretinka und von Jirka.

Wenn der Schmerz vergangen ist, wirst Du vielleicht einen guten Vater finden. Meine sterblichen Überreste könnt ihr verlangen und in Prag beisetzen. Auch den Freunden, meiner Großmutter und Jarmila das letzte Lebewohl. Ich werde über euch wachen und euch beschützen. Seid nicht verzweifelt und wünscht mir, daß ich nicht mehr eingesperrt sein muß und nie mehr Hunger leiden muß.

Ich küsse euch meine Hanicka und Jirinka zum letzten mal
tausendmal und bin in eueren Herzen.

Euer Leo

Diese Stelle habe ich 10mal geküßt.
Für Gretinka viele Küße und viel Kraft.“

Zlata hvezda, Leo Steiner ganz rechts

Prag 1935:
Mit Holcicka fing es an
Das Hinausfahren aufs Land, am besten mit einem Motorrad mit Beifahrerwagen, war in der ersten tschechoslowakischen Republik der absolute Renner. Als Begleitmusik waren sogenannte „Trampisten-Bands“ angesagt, die noch vom „Picknick im Grünen“ sangen, als sich im Deutschen Reich der Himmel längst verfinstert hatte…

Die Aufnahmen aus dem Jahre 1938 liegen im Real-Audio Format vor (36kB). 

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