Hoffnung auf Erez Israel

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Eine neue Publikation beleuchtet ein vergessenes DP-Lager in der Steiermark…

„Im Lager sind jetzt 1.800 Juden, eine Landplage, unvorstellbar“, berichtet im Mai 1946 ein Bewohner der kleinen steirischen Marktgemeinde Admont seiner Freundin in Wien. „Man kann hier nirgends hingehen, kein Kino nicht ins Kaffeehaus, alles, alles Juden, sie bedrohen die Leute auf das Gemeinste, sie liegen den ganzen Tag in den Wiesen, eine Landplage.“

Zwischen 1946 und 1949 lebten einige Tausend jüdische Displaced Persons in einem von der deutschen Wehrmacht errichteten Barackenlager für Soldaten eines Gebirgsjägerregiments in der Gemeinde Admont. Eigentlich wollten die entwurzelten Menschen weiter nach Erez Israel um mitzuhelfen, den jüdischen Staat aufzubauen. Doch die britische Mandatsmacht in Palästina verweigerte den Juden die Einreise. So waren sie gezwungen, einige Jahre im Transit zu verbringen.

Nach der Niederschlagung des Nationalsozialismus waren rund 30.000 Juden in Österreich gestrandet: Befreite aus den NS-Konzentrations- und Zwangsarbeiterlagern sowie Zuwanderer aus Osteuropa, die in Verstecken, bei den Partisanen oder im sowjetischen Exil überlebt hatten und nun vor antisemitischen Übergriffen in ihren Heimatländern nach Westen geflüchtet waren. Aufnahme fanden dieses Menschen in eiligst errichteten Displaced Persons (DP) Camps, die sich mehrheitlich in der US-Besatzungszone, aber auch in der französischen Zone befanden. Die Geschichte dieser Transit-Lager ist mittlerweile weitgehend erforscht. Ein weißer Fleck auf der historischen Landkarte war lange Zeit jedoch die britische Zone – die jüdischen DP-Lager in Kärnten und der Steiermark. Über das größte und für mehrere Jahre auch einzige jüdische DP-Camp in der britischen Zone hat nun der Historiker Heribert Macher-Kroisenbrunner von der Universität Graz erstmals eine wissenschaftliche Dokumentation vorgelegt.

Im Frühjahr 1946 hatte die UN-Flüchtlingsbehörde in Abstimmung mit der britischen Militärregierung beschlossen, alle jüdischen DPs in ihrer Zone in Admont unterzubringen. Der Ort zählte zu dieser Zeit etwa 1.400 Einwohner. Hinzu kamen rund 2.000 Juden aus Rumänien, Polen, Ungarn und anderen osteuropäischen Ländern, die nun in die 51 Baracken der ehemaligen Militärunterkunft einzogen. Dass die einheimische Bevölkerung darüber nicht erfreut war, ist nicht zuletzt dem immer noch verbreiteten Antisemitismus geschuldet. Konflikte waren nahezu vorprogrammiert. Oft entzündete sich der Streit an der Versorgung mit Lebensmitteln und Zigaretten. Den jüdischen Lagerbewohnern wurden Schwarzmarktaktivitäten und diverse Eigentumsdelikte unterstellt. Dazu ein Beispiel: Bei dem Versuch der örtlichen Gendarmerie, einen vermeintlichen Dieb aus dem Lager festzunehmen, eskalierte der Einsatz. Es fielen Schüsse, wobei ein 26-jähriger Pole tödlich verwundet wurde; er hinterließ Frau und drei kleine Kinder. Als diese traurige Nachricht die Runde machte, bedrängte eine Gruppe von DPs die Polizisten – andere bewaffneten sich mit Stöcken oder warfen Steine auf die Beamten. Letztlich konnte die brenzliche Situation gemeistert werden – es herrschte zumindest eine friedliche Koexistenz – nicht zuletzt auch durch Einbeziehung der jüdischen Lagerpolizei.

Allmählich näherten sich die jüdischen DPs und die örtliche Bevölkerung auch an und es kam sogar vereinzelt zu Freundschaften, denn die nur knapp dem NS-Massenmord entkommenen Juden mussten viele Jahre in Admont ausharren. Die Lagerbewohner nutzten die Zeit und bereiteten sich auf ihr späteres Leben in Erez Israel oder Übersee vor. Sie lernten Hebräisch und Englisch, besuchten Berufsschulen oder lernten ein Handwerk. In der Freizeit traf man sich auf dem Sportplatz und spielte Fußball, Volleyball, lieh sich Bücher in der Bibliothek aus und besuchte Theateraufführungen oder Konzerte der Schauspieltruppe beziehungsweise des Lagerorchesters. Finanzielle und logistische Hilfe leistete die UN-Flüchtlingshilfe UNRRA und der JOINT, eine amerikanisch-jüdische Wohlfahrtsorganisation.

Informationen über das soziale und kulturelle Lagerleben sowie die politische Situation in Palästina erhielten die DPs aus der jiddischsprachigen Lagerzeitung „Admonter Hajnt“, die auch regelmäßig über die Aktivitäten von „Hapoel Admont“ berichtete, wie etwa in der Ausgabe vom 25. Mai 1947: „Mit dem Beginn des Frühlings hat die Fußballmannschaft Hapoel ihren Spielbetrieb wieder aufgenommen. Im Verlauf der letzten Wochen haben wir trainiert und am Samstag, den 19. April fand sogar schon eine Partie zwischen unserem Hapoel und einer Mannschaft aus dem Lager Sankt Marein statt.“ Das Team aus Admont gewann das Spiel übrigens mit 3:2 Toren.

Die Elf von Hapoel Admont, Foto: aus dem besprochenen Band

Mit Gründung des Staates Israel im Mai 1948 verließen die jüdischen DPs nach und nach ihren „Wartesaal“. Manche suchten ihr Glück aber auch in den klassischen Emigrationsländern: USA, Kanada oder Australien. Die letzten Lagerbewohner verließen Admont im Mai 1949. Die Marktgemeinde übernahm das Grundstück, ließ die Baracken abreißen und ein neuer Ortsteil mit Ein- und Mehrfamilienhäusern entstand. Die Geschichte des DP-Camps und seiner Bewohner geriet in Vergessenheit oder wurde verdrängt.

Auf Basis von umfangreichen bislang noch nicht ausgewerteten Quellen aus österreichischen, englischen und US-amerikanischen Archiven ist es Heribert Macher-Kroisenbrunner gelungen, einen detaillierten und sachkundigen Blick auf ein bislang vernachlässigtes Kapitel der steierischen Heimatgeschichte zu werfen. Der Band ist reichbebildert, wobei die Qualität der Reproduktion von manchen historischen Fotos leider zu wünschen übrig läßt. Summa summarum ist „We hope to go to Palestine“ jedoch ein empfehlenswertes, interessantes und quellengesättigtes Buch, das Schlaglichter auf das immer wieder aktuelle Thema von Emigration und Neuanfang wirft. – (jgt)

Heribert Macher-Kroisenbrunner, We hope to go to Palestine. Das jüdische DP-Lager Admont 1946–1949, 176 S. mit zahlr. Abb. ISBN: 978-3-902542-63-2, 22,00 €, Bestellen?

Bild oben: Der Camp-Shop im jüdische DP-Camp Admont. Foto: aus dem besprochenen Band