Vor der Wahl ist nach der Wahl?

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Unabhängig von den zahlreichen Skandalen sowie der lauten Kritik von Links und Rechts an seinem Regierungsstil stehen die Chancen nicht schlecht, dass nach den vorgezogenen Neuwahlen am 9. April 2019 der nächste Ministerpräsident Israels wieder Benjamin Netanyahu heißen wird…

Von Ralf Balke

Nun also doch. Eigentlich war die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu schon Mitte November am Ende, als Verteidigungsminister Avigdor Lieberman aus Protest gegen die seiner Meinung nach zu soften Reaktionen auf den heftigen Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen genervt das Handtuch warf und die Sechs-Parteienkoalition verließ. Denn der Likud, Beit HaYehudi, Kulanu sowie Schass und das Vereinigte Thora-Judentum hatten fortan mit insgesamt 61 Abgeordneten gerade einmal eine einzige Stimme Mehrheit in der Knesset. Als dann auch noch Naftali Bennet, Vorsitzender der Partei Beit HaYehudi die Nachfolge auf den Posten von Lieberman für sich beanspruchte, was ihm Netanyahu aber verweigern sollte, schien für wenige Stunden das Schicksal der 34. Regierung seit der Gründung Israels im Jahr 1948 besiegelt. Nur der Rückzieher Bennets tags darauf sorgte dafür, dass das Thema Neuwahlen vom Tisch war – den Schuh, die wohl nationalistischste Regierung in der Geschichte des Landes zu Fall gebracht zu haben, wollte er sich dann wohl doch nicht anziehen.

Aber ein Streitpunkt schwebte weiterhin wie ein Damoklesschwert über der Koalition, der mit Schass und Vereinigtes Thora-Judentum gleich zwei orthodoxe Parteien angehören: Der Endloskonflikt über ein Gesetz, das die Wehrpflicht auf junge Ultraorthodoxe ausweiten und am 14. Januar 2019 zur Abstimmung in der Knesset anstehen sollte. Während Schass angeblich die Novelle unterstützen würde, hieß es wenig überraschend vom Vereinigten Thora-Judentum, dass man die Gesetzesinitiative keinesfalls mittragen würde, weshalb Netanyahu auf die Stimmen seines ehemaligen Koalitionspartners Israel Beitenu sowie der zentristischen Oppositionspartei Yesh Atid angewiesen war.

Mit deren Unterstützung ist jedoch Essig. „Bereits vor einem Monat habe ich gefordert, dass Netanyahu der Öffentlichkeit versichert, dass die Haredim keinerlei zusätzliche finanzielle Zuwendungen erhalten, wenn sie den Deal irgendwie durchgehen lassen“, so der Yesh Atid-Vorsitzende Yair Lapid am Montag. Seiner Einschätzung zufolge sei genau das aber nicht der Fall, weil die in dem Gesetzestext angekündigten Geldstrafen als Mittel der Sanktionierung nicht greifen können, wenn unter der Hand an anderer Stelle weitere Vergünstigungen für die Religiösen ausgehandelt werden. „Deshalb ist das Ganze auch kein Wehrpflichtgesetz, sondern ein Fundraising-Gesetz zugunsten der Haredim.“ Da würde er genauso wenig wie Lieberman mitspielen. Daraufhin trat Netanyahu die Flucht nach vorn an. „Wenn es so schwer wird, Gesetze durchzubringen, dann brauchen wir eben Neuwahlen“, erklärte er noch am Montag. Offiziell wäre in Israel sowieso im kommenden Jahr gewählt worden. Doch statt turnusgemäß am 5. November, wird der Urnengang wohl nun bereits am 9. April stattfinden. Das beschloss die Knesset dann auch am Mittwoch mit den Stimmen aller 105 anwesenden Abgeordneten.

Wer nun im Frühjahr das Rennen um die Gunst der Wähler machen wird, das steht noch in den Sternen. Würde aber heute gewählt, käme laut einer aktuellen Umfrage des TV-Senders Channel 10 der Likud auf 30 von 120 Sitzen in der Knesset. Die Partei des amtierenden Ministerpräsidenten wäre damit die mit Abstand stärkste Kraft im Parlament, gefolgt von Yesh Atid mit 15, der Zionistischen Union und der Vereinigten Arabischen Liste mit jeweils zwölf, Israel Beitenu mit zehn, Gesher, der neuen Partei von Orly Levy-Abekasis, Tochter des frühen Likud-Ministers David Levy, der selbst einmal eine Gruppierung unter diesem Namen ins Leben gerufen hatte, mit acht sowie mit jeweils sieben Sitzen Israel Beitenu, das Vereinigte Thora-Judentum sowie die Linkszionisten von Meretz. Schlusslichter würden demnach mit jeweils sechs Sitzen Kulanu und Shass sein. Und obwohl nur ein Drittel aller Israelis Netanyahu erneut als Ministerpräsidenten sehen will, würde er dann angesichts der Tatsache, dass aktuell nirgends ein ernstzunehmender Konkurrent in Sicht ist, mit großer Wahrscheinlichkeit der alt-neue Regierungschef sein – schließlich gewinnt angesichts völligen Zersplitterung der israelischen Parteienlandschaft nur der Politiker, der am ehesten in der Lage ist, eine Koalition auf die Beine zu stellen. Und weil diese aus mindestens vier Parteien bestehen muss, um überhaupt eine Stimmenmehrheit in der Knesset auf sich zu vereinen, ist das Ganze vor allem eine Frage des diplomatischen Geschicks und der Bereitschaft, potenziellen Partnern die richtigen Zugeständnisse zu machen.

Aber Israel wäre nicht Israel, wenn sich alles so einfach vorhersehen ließe. Denn sehr wohl lauern da noch einige Gefahren auf dem Weg. Benjamin Netanyahu könnte kurz vor der Zielgraden scheitern, als der israelische Ministerpräsident in die Geschichtsbücher einzugehen, der das Land länger regiert hätte als Staatsgründer David Ben Gurion und damit jeder andere Politiker vor ihm. Das wäre nämlich am 19. Juli 2019 der Fall. Zum einen ist da der ehemalige Generalstabschef der Armee, Benny Gantz. Die Frage, ob er tatsächlich in den Ring steigt, hat er am Donnerstag geklärt und eine neue Partei mit dem Namen „Widerstandskraft für Israel“ gegründet. Laut Prognosen käme Gantz wohl auf bis zu 15 Sitze in der Knesset. Er könnte also zum Königsmacher aufsteigen und vielleicht sogar selbst einmal Ministerpräsident werden, falls er wirklich Ambitionen auf den Job haben sollte. Laut einer Channel 10-Umfrage jedenfalls würde Gantz im Rahmen eines links-zentristischen Parteienblock immerhin 54 Sitze auf sich vereinen können, wenn er es schaffen sollte, aus Yesh Atid, dem Zionistischen Lager und einigen kleineren Parteien eine Allianz zu schmieden. Das Dilemma: Einer solchen Konstellation würde nach wie vor die Mehrheit fehlen. Die orthodoxen Parteien kämen als Unterstützer kaum in Frage, weil die Säkularen von Yesh Atid oder Meretz dann abspringen. Also wäre auch ein Zusammengehen von Gantz mit Netanyahu und einigen zentristischen oder nationalistischen Partnern eine Option. Aber auch die würde schwerlich mehr als 60 Sitze erreichen. Last but not least hat am Mittwoch Ex-Verteidigungsminister Moshe Ya’alon ebenfalls angekündigt, mit einer eigenen Partei bei den Wahlen anzutreten. Der von Netanyahu 2016 geschasste Militär könnte ihm einige traditionelle Likud-Anhänger abspenstig machen. Sollte Ya’alon wirklich einige Sitze in der Knesset für sich gewinnen können, ist aber immer noch offen, wen er anschließend unterstützen wird.

Zum anderen sind da noch die vielen Verfahren, die gegen Netanyahu und seine Frau wegen Bestechung, Untreue und Betrugs laufen. Zwar hat die Polizei empfohlen, ihn deshalb vor Gericht zu stellen – doch die Entscheidung des Generalstaatsanwalts Avichai Mandelblit darüber steht noch aus. Netanyahu selbst hat bereits erklärt, dass er keinesfalls von seinem Amt als Regierungschef zurücktritt, sollte das der Fall sein. Das muss er auch nicht, weil das israelische Gesetz ihm das auch nicht vorschreibt. Erst nach einer erfolgten Verurteilung wäre er dazu gezwungen, alle öffentlichen Ämter abzugeben. Zwar kann die Knesset rein theoretisch einen amtierenden Ministerpräsidenten bitten, vor dem Urteilsspruch der Richter seinen Hut zu nehmen, aber dafür muss es erst einmal eine Mehrheit geben. Und aus dem Likud dürfte sich kaum jemand hervorwagen, um die Rolle des Königsmörders zu übernehmen. Einige Juristen wie Professor Barak Medina von der Hebräischen Universität glauben dennoch, dass die Neuwahlen nicht wegen des Streits um das Wehrpflichtgesetz für die Haredim ausgerufen wurden. „Auf diese Weise will Netanyahu Druck auf Mandelblit ausüben“, so der Experte. „Er glaubt, ein Wahlsieg könne den Generalstaatsanwalt von seinem Vorhaben abbringen.“ Ob ihm das auch gelingen wird, das steht auf einem anderen Blatt.

Als ein weiterer Stolperstein auf dem Weg zu einer fünften Amtszeit könnte sich Netanyahus angekratztes Image als „Mister Security“ erweisen. Vor allem die Bewohner des Südens, traditionell eher seiner Partei zugeneigt, fühlen sich von ihm im Stich gelassen, weil auf den ständigen Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen nicht die Reaktionen des israelischen Militärs erfolgten, die sie erwartet hatten. Wer in Sderot oder Ashkelon lebt, dürfte sich vermutlich eher nach Alternativen zu Netanyahu umschauen als bei den vorangegangenen Wahlen, wovon dann Israel Beitenu oder Beit HaYehudi profitieren werden. Doch keine dieser nationalistischen Parteien wäre in der Lage, genug Stimmen auf sich zu vereinen, um einen Ministerpräsidenten zu stellen oder eine regierungsfähige Allianz ohne den Likud zu bilden. Und wer aktuell am ehesten dafür sorgt, dass Netanyahu eine fünfte Amtszeit sicher sein kann, sind die Abgeordneten der Zionistischen Union rund um die Arbeitsparteichef Avi Gabbay und Tzipi Livni von der HaTnuah-Partei. Die Mitte-Links-Allianz scheint restlos zerstritten. Fünf ihrer Abgeordneten in der Knesset suchen aktuellen Medienberichten zufolge gerade das Weite und könnten sich anderen Parteien wie Meretz anschließen. Als ernstzunehmende Opposition geraten sie deshalb immer mehr ins Hintertreffen, was Netanyahus Chancen deutlich erhöht. Aber – und das zeigen die Erfahrungen der Vergangenheit – Israels Politik ist immer für eine Überraschung gut und bis April kann sich noch viel ändern.

Bild oben: Premier Netanyhu, 2015, (c)  Foreign and Commonwealth Office

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