Deal des Jahrhunderts oder Luftnummer des Jahrhunderts?

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Über den Nahost-Friedensplan von US-Präsident Donald Trump wird seit Monaten viel spekuliert. Bekannt ist nur, dass Saudi Arabien darin aller Wahrscheinlichkeit nach eine Schlüsselrolle einnehmen soll. Doch nun könnte ausgerechnet der Mord an dem saudischen Journalisten Jamal Khashoggi Washington einen Strich durch die Rechnung machen…

Von Ralf Balke

Alle sprechen darüber, aber niemand kennt die genauen Details. Die Rede ist von der neuen Initiative Washingtons, den Nahostkonflikt endlich ad acta legen zu können. Schon unmittelbar nach seinem Wahlkampf hatte US-Präsident Donald Trump versprochen, einen „ultimativen Deal“ einzufädeln. Denn warum sollte ausgerechnet ihm nicht das gelingen, woran all seine Amtsvorgänger gescheitert waren, nämlich den Dauerzwist zwischen Israelis und Palästinensern quasi im Handstreich zu lösen? Schließlich hatte er als Immobilienmagnat im Laufe seiner Karriere ja schon so manches komplizierte Mega-Geschäft unter Dach und Fach gebracht – genau das scheint wohl die Haltung hinter seiner doch etwas sehr ambitioniert klingenden Ankündigung gewesen zu sein, unter den „Krieg ohne Ende“ endlich einen Schlussstrich ziehen zu wollen.

So hatte er im Mai anlässlich eines Arbeitsessens mit Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas beispielsweise erklärt: „Ehrlich gesagt, dürfte das eigentlich gar nicht so schwierig sein, wie die Leute immer behaupten. Ich glaube, Sie fühlen genauso wie ich.“ Der greise Palästinenserpräsident antwortete diplomatisch: „Wir haben Hoffnung.“ Damit war jedenfalls wenige Monate später wohl Schluss, als Trump verkündete, dass die US-Botschaft in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem umziehen wird. Abbas schäumte vor Wut und legte erst einmal alle Kontakte mit Washington auf Eis. Und nachdem der US-Präsident die Finanzhilfen für Ramallah massivst zusammengestrichen hatte, ordnete er vor wenigen Wochen ebenfalls die Schließung der Palästinservertretung in Washington an – eine Initialzündung für einen Friedensprozess sieht anders aus.

Aber nicht nur deshalb kommt Trumps Projekt nicht in Fahrt. Auch als Israels Premier Benjamin Netanjahu im Frühjahr wieder einmal im Weißen Haus war, musste er anschließend zugeben, dass selbst er diesen Plan nicht zu sehen bekam. Daran dürfte sich bis heute wenig geändert haben. Und Trump erklärte nach diesem Treffen: „Wir arbeiten sehr hart daran, und ich denke, wir haben eine sehr gute Chance.“ Böse Zungen behaupten daher schon längst, dass es womöglich überhaupt keinen Friedensplan gibt und alles nur heiße Luft sei. Zwar kommen aus dem Weißen Haus immer wieder nebulöse Verlautbarungen, dass man am detailliertesten Friedensplan aller Zeiten arbeiten würde. Doch es blieb bis dato bei vagen Andeutungen. Kernstück, so hieß es mehrfach, seien massive Infrastruktur- und Industrieprojekte, um die Wirtschaft der Palästinenser wieder auf die Beine zu stellen und ihre Lebensverhältnisse zu verbessern. Damit will man Anreize schaffen, um sie überhaupt an den Verhandlungstisch zu bringen.

Entsprechend munter brodelt die Gerüchteküche. Mal orakelte die in London erscheinende saudische Zeitung Asharq al-Awsat unter Berufung auf diplomatische Quellen, der amerikanische Friedensplan sehe einen palästinensischen Staat mit Ostjerusalem als Hauptstadt vor. Größere israelische Siedlungsblöcke würden dem jüdischen Staat einverleibt, kleinere Außenposten dagegen aufgegeben und die Altstadt von Jerusalem käme unter internationalen Schutz – was immer auch das bedeuten mag. Die bittere Pille, die die Palästinenser dann schlucken müssten, lautet: die Aufgabe der Forderung nach einer Rückkehr aller sogenannten Flüchtlinge. Das alles klingt nicht wirklich neu und erinnert stark an die gescheiterten Gespräche zwischen Ehud Barak, Bill Clinton und Jassir Arafat von vor knapp 20 Jahren in Camp David. Mal heißt es, dass ein Palästinenserstaat entstehen soll, der aus dem Gazastreifen sowie Teilen des nördlichen und zu Ägypten gehörenden Sinai bestehen könnte. Angeblich sei diese Idee in der arabischen Welt, wo seit geraumer Zeit das Interesse an den Palästinensern merklich schwindet, weil man sich in Kairo, Amman, Dubai oder Riad mehr Sorgen über die Expansionspolitik des Irans macht, auf offene Ohren gestoßen. Die Palästinenser müssten im Gegenzug auf das ganze Westjordanland oder jedenfalls große Teile davon verzichten. Ob sie bereit wären, in einen derart sauren Apfel zu beißen, darf bezweifelt werden. Wie immer auch das Konzept aussehen mag, eines ist bereits sicher. Das alles wird sehr viel Geld kosten. Von 40 Milliarden Dollar ist die Rede. Und da kommen die Saudis ins Spiel.

Denn in den Entwürfen von Trumps Schwiegersohn Jared Kushner, der zugleich Sonderbeauftragter des Präsidenten für den Nahen Osten ist, nimmt Saudi Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman nicht nur als potenzieller Geldgeber eine Schlüsselrolle ein. Der mächtige Mann in Riad, dem allerbeste Verbindungen zu Jerusalem nachgesagt werden, weil die saudischen und israelischen Sicherheitsinteressen in der Region in vielerlei Hinsicht deckungsgleich geworden sind, soll es nun richten. Er möge bitte Druck auf Abbas ausüben und ihn dazu überreden, den amerikanischen Friedensplan, den eigentlich niemand kennt, zu akzeptieren. Deswegen hatte der Kronprinz in den vergangenen Monaten den Palästinenserpräsident bereits mehrfach nach Riad zum Gespräch einbestellt. Kushner selbst hatte in jüngster Vergangenheit ein besonders enges Verhältnis zu Mohammed bin Salman aufgebaut und ihn immer wieder als einen geradezu „verwegenen Politiker“ gepriesen, der sein Land in die Moderne zu führen vermag. Genau deshalb riet er seinem Schwiegervater auch, im nahöstlichen Machtpoker alles auf die saudische Karte zu setzen. Nicht ohne Grund ging Trumps erste Auslandsreise als US-Präsident nach Riad.

Einen dicken Strich durch diese Rechnung könnte nun ausgerechnet die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul machen, die weltweit für Entsetzen sorgte. Auch Trump musste sich dazu äußern. Er kündigte eine „weitreichende Bestrafung“ für den Fall an, dass Beweise für eine Verwicklung des saudischen Königshauses in die Tat vorliegen. „Genau das zwingt ihn und seine Administration jedoch zu einem Drahtseilakt und wir dürfen gespannt sein, wie dieser aussieht“, kommentierte James C. Oberwetter, unter Präsident George W. Bush amerikanischer Botschafter in Riad, das Ganze. Denn angesichts der Milliarden schweren Rüstungsgeschäfte mit Riad sind Sanktionen keine einfache Sache. Und so rudert Trump bereits zurück. „Ich will deswegen keine Arbeitsplatzverluste sehen“, erklärte er. „Es gibt andere Formen der Bestrafung, um noch einmal dieses harte Wort zu benutzen.“

Fakt aber ist, dass aufgrund des Mordes an Khashoggi der saudische Kronprinz ein ernsthaftes Glaubwürdigkeitsproblem hat und Trumps Nahostfriedensinitiative womöglich über den Haufen wirft. „Auf jeden Fall verkompliziert es seine Planungen, wenn es denn überhaupt welche gibt“, lautet dazu die Einschätzung von Dan Shapiro, Ex-US-Botschafter in Israel. Zum einen, weil es nun noch schwieriger sein wird, „Tabus zu brechen“ und die Palästinenser zu Konzessionen zu bewegen, die in der arabischen Welt ohnehin nicht sehr positiv aufgenommen werden könnten. Zum anderen dürften sowohl der US-Kongress als auch die Europäer ebenfalls nicht wirklich begeistert darüber sein, wenn Mohammed bin Salman weiterhin mit im Boot sitzt. „Ein saudischer Partner muss berechenbar und zuverlässig sein, aber vor allem muss er verantwortungsbewußt handeln können.“ Der Fall Khashoggi habe jedoch gezeigt, dass es damit beim Kronprinz nicht zum Besten bestellt ist.

Bemerkenswert ist auch das Schweigen aus Jerusalem und Ramallah zu dem Mord an dem saudischen Journalisten. Während es sich Abbas ungern mit einem potenziellen Geldgeber verscherzen möchte, hat Netanyahu ganz andere Probleme. Denn die Allianz zwischen Israel und Saudi Arabien ist so etwas wie das Herzstück in seinen Plänen, ein Bündnis mit den sunnitischen Staaten gegen den gemeinsamen Feind Iran zu schmieden. Eine Verurteilung des Mordes käme einer Distanzierung von Mohammed bin Salman gleich und dürfte dem Kronprinzen gar nicht gefallen. Der israelische Ministerpräsident würde damit andeuten, dass er dem Saudi nur bedingt vertraut. Kommt aber aus Jerusalem kein Wort, dann fällt das auf Israel zurück. Denn in der Vergangenheit hatten israelische Politiker die rechtsstaatlichen Defizite in der arabischen Welt immer wieder als Argument angeführt, weshalb man mit Diktaturen nicht verhandeln soll. Vor allem den Europäern wurde gerne vorgehalten, sie würden sich selbst mit den übelsten Potentaten an einen Tisch setzen. Jetzt befindet man sich selbst in der Zwickmühle.
Auch sollte Jerusalem die proisraelische Haltung Trumps mit Vorsicht genießen. Mehrfach schon hieß es vor einem Jahr, dass man für die lange Zeit von Israel geforderte Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem irgendwann einen hohen Preis zahlen werde. Das könnte im Rahmen der amerikanischen Friedensinitiative der Fall werden.

So sagte Trump vor wenigen Tagen zum französischen Präsidenten Emmanuel Macron, dass er durchaus gewillt sei, bei künftigen Gesprächen auch einen anderen Kurs gegenüber Israel einzunehmen, falls man sich dort nicht so verhält, wie es Washington will. „Ich habe Netanyahu bereits so viel gegeben“, betonte er. „Ich habe die Botschaft nach Jerusalem verlegt. Außerdem geben wir Israel jedes Jahr fünf Milliarden Dollar. Und wenn es um den Friedensplan geht, kann ich zu Netanyahu genauso hart sein wie bereits zu den Palästinensern.“ Unklar ist, wie Trump auf die Zahl fünf Milliarden kommt – schließlich sind es nur 3,8 Milliarden Dollar, die jährlich im Rahmen von Rüstungshilfen fließen. Viel interessanter aber ist seine Erwiderung auf den Einwand Macrons, dass er den Eindruck habe, Netanyahu würde den aktuellen Status quo lieber beibehalten als sich auf Kompromisse in einem etwaigen Abkommen einzulassen. Trumps Replik: „Weißt Du was, Emmanuel, ich bin ziemlich nahe daran, das Gleiche zu denken.“ All das dürfte die Spannung erhöhen, wie nun der „ultimative Deal“ zur Beilegung des Jahrhundertkonflikts aussehen soll und wie er umgesetzt werden kann – vorausgesetzt, es gibt ihn auch wirklich.

Bild oben: U.S. Secretary of State Michael R. Pompeo meets with Saudi King Salman bin Abdul-Aziz at the Royal Court in Riyadh, Saudi Arabia on October 16, 2018. [State Department photo/Public Domain]