80 Jahre nach dem Anschluss

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Oft genug habe ich zu einem Jahrestag des Anschlusses Politikerreden anhören müssen, über Lehren aus der Geschichte und die Ablehnung des Antisemitismus. In den letzten Jahren kommen solche Erklärungen auch von Vertretern der FPÖ. Allerdings steht das Erscheinungsbild dieser Partei immer wieder im Widerspruch zu den schönen Ausführungen…

Von Karl Pfeifer
Erschienen in: Illustrierte Neue Welt, 1/2018

IKG-Präsident Oskar Deutsch hat klargestellt: „Was wirklich nottut, ist die Durchleuchtung der Strukturen des gesamten Parteigefüges, einschließlich der Vereine, Organisationen und parteinaher Medien wie Zur Zeit und Aula. Die Entfernung von Funktionären aus der FPÖ, die Burschenschaften angehören, wo antisemitisches Gedankengut verbreitet wird und die sich einer Aufarbeitung verweigern, wäre nur eine logische Konsequenz. Ein historischer Rückblick der FPÖ ist ohne Wert, solange sie nicht glaubhaft gegen Antisemitismus in den eigenen Reihen vorgeht.“

Als einer der wenigen jüdischen Österreicher, die sich noch an den Anschluss erinnern können, als Journalist, der geklagt wurde, weil er im Freiheitlichen Jahrbuch 1995 „(Neo)Nazi-Töne“ fand und der am Ende erst beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof im Jahr 2007 Recht bekam, finde ich die Forderung von IKG-Präsident Deutsch nur recht und billig.

Es wäre aber ein fataler Fehler, zu glauben, das in der FPÖ verankerte Gedankengut wäre in Österreich mehrheitsfähig. Ich gehe als Zeitzeuge in Schulen und erlebe das andere Österreich, das sich ehrlich mit der eigenen Vergangenheit auseinandersetzt. Jährlich veranstaltet das Bundesministerium für Bildung (BMB) ein Zeitzeugenseminar in Salzburg. „In Zentrum des Seminars steht das Erzählen und Zuhören, die Begegnung mit Lehrerinnen und Lehrern.“ Es ist immer eine Freude und ein Ansporn, bei dieser Tagung den unermüdlichen, heuer 105 Jahre alten Zeitzeugen Marco Feingold zu erleben.

Es gibt leider nicht mehr sehr viele Zeitzeugen, aber die Geschichten sind sehr verschieden. Es macht einen Unterschied, ob man Jahre lang in einem engen Versteck unter Lebensgefahr oder in täglicher Lebensgefahr im KZ verbringen musste. Anders lauten die Geschichten von österreichischen Sloweninnen, von Zeugen Jehovas und von einem Roma, der seinen Sohn 1995 in Oberwart bei einem terroristischen Anschlag verloren hatte.

Das was ich als zehnjähriges jüdisches Kind 1938 in meiner Heimatstadt Baden bei Wien erlebt hatte, schrieb ich bereits 1995 im Neuen FORVM unter dem Titel Rückkehr nach Österreich und 2013 in meinem Buch Einmal Palästina und zurück nieder. Ich versuchte diese Geschichte zu schildern ohne den moralischen Zeigefinger zu heben und mit einem Schuss Selbstironie. Denn ich hatte Glück, ich überlebte sogar meine nicht ganz unproblematische Rückkehr nach Österreich. Nicht alle hatten genug Kraft und Glück sich hier wieder zu integrieren.

Eine angenehmes Erlebnis hatte ich in Baden bei Wien, als mein Buch Einmal Palästina und zurück im jüdischen Kulturzentrum präsentiert wurde. Ich erzählte über die Familie unseres Mieters Prof. Weber, der am Bundesgymnasium lehrte. Sie verhielt sich während des Anschlusses und nachher vorbildlich. In der Diskussion danach meldeten sich zwei ältere Herren zu Wort, die als ehemalige Schüler von Prof. Weber erfreut waren über das Verhalten ihres beliebten Lehrers zu erfahren.

Warum erzähle ich von Prof. Weber und seiner Familie? Weil wir 1938 Glück hatten, solche Mieter zu haben. Als meine Mutter nach dem Anschluss nicht mehr wagte auf die Straße in Baden zu gehen, weil Juden auch in der Kurstadt gezwungen wurden die vaterländischen Parolen mit Zahnbürsten und Lauge zu entfernen, wurde sie von Frau Weber getröstet, die bereit war, die Einkäufe zu besorgen. Als mein Vater unser Haus Prof. Weber zum Verkauf anbot, hatte dieser sich – auf sein Gewissen berufend – geweigert, am „Raubzug“ teilzunehmen. 1940 unternahm meine Mutter einen verzweifelten Versuch eine jüdische Freundin aus Baden bei Wien zu retten. Sie reiste mit ihrem ungarischen Reisepass ein und konnte eine Woche bei der Familie Weber wohnen. Die Familie Weber gehörte zu jenen „Gerechten“, die nach uraltem jüdischen Volksglauben in jeder Generation leben und durch ihre guten Taten den Weiterbestand der Menschheit ermöglichen.

Eine Berufung auf sie, um die Gesellschaft als Ganzes zu entschuldigen, ist nicht akzeptabel. Aber diese Menschen sind Mahnung und Beispiel dafür, dass jeder – auch im Kleinen – seinen Beitrag dazu leisten kann, damit Menschenwürde und Menschenrechte bewahrt werden.

Bild oben: Karl Pfeifer 2007 bei einem Besuch im Palmach Museum Tel Aviv, © haGalil