Bibi immer mehr unter Druck

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Die Liste der Vorwürfe gegen Israels Ministerpräsidenten wird länger. Zudem hat die Staatsanwaltschaft mit Netanyahus ehemaligem PR-Berater Nir Hefetz einen weiteren prominenten Zeugen gegen ihn gewinnen können… 

Von Ralf Balke

Da waren es plötzlich drei. Am 2. März tauchten in der Residenz von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu auf der Balfour Straße in Jerusalem Beamte der Sonderkommission Lahav 433, dem israelischen FBI, auf, um ihn sowie seine Gattin Sara mehrere Stunden lang zu einer weiteren Causa in Sachen Korruptionsvorwürfen zu befragen. Denn zu dem seit Monaten verhandelten Fällen Nummer 1.000, der die vielen kleinen Aufmerksamkeiten prominenter Geschäftsleute an die Familie Netanyahu zum Gegenstand hat, Nummer 2.000, wo es sich um eine Netanyahu-freundlichere Berichterstattung im Rahmen eines nicht ganz sauberen Deals mit der Zeitung Yedioth Ahronoth dreht, rückt plötzlich die Nummer 4.000 immer stärker in den Vordergrund. Zwar gibt es ebenfalls einen Fall Nummer 3.000, in dem die Schmiergelder beim geplanten Kauf von U-Booten der deutschen Firma ThyssenKrupp untersucht werden. Dieser betrifft mit dem Geschäftsmann Miki Ganor, Netanyahus Rechtsberater David Shimron sowie dem ehemaligen stellvertretenden Chef des Nationalen Sicherheitsrates, Avriel Bar-Yosef zwar Personen aus seinem engeren Umfeld, aber nicht ihn persönlich.

Bei Fall Nummer 4.000, auch Bezeq-Affäre genannt, sieht das schon wieder ganz anders aus. Auch hier lautet der Vorwurf, dass der Ministerpräsident, der zwischen 2015 und Frühjahr 2017 ebenfalls das Amt des Kommunikationsministers inne hatte, massivst auf die Medien Einfluss nahm und einen Quid-pro-quo-Deal eingefädelt hatte. Konkret geht es dabei um Shaul Elovitch, dem Mehrheitseigner von Bezeq, einem Telekommunikationsunternehmen und Platzhirschen in der Branche, wozu auch das in Israel äußerst populäre Internetportal Walla! News gehört. Dort waren einige Artikel über den Ministerpräsidenten und seine Familie zu lesen, die vor allem Netanyahus Gattin Sara überhaupt nicht gefielen. Prompt bombardierte sie Iris Elovitch, die Frau von Shaul Elovitch, mit Textnachrichten der hysterischen Art: „Ihr tötet mich, ihr schlachtet uns. Ihr ruiniert das Land.“ Und weiter: „Was für eine Webseite ist das überhaupt?“, fragte sie. „Was passiert dort? Ändert es. Macht was. Ihr seid die Besitzer der Webseite. Macht es schnell.“

Nun sind diese Textnachrichten kein Hirngespinst der Medien. Vielmehr befinden sie sich im Besitz der Polizei. Genauso wie weitere zwischen den beiden, in denen es um Nettigkeiten für Bezeq und seine Anteilseigner geht, wenn denn bitteschön die Meldungen über die Netanyahus auf Walla! News nicht mehr ganz so kritisch ausfallen. Von finanziellen Vorteilen für die Mehrheitseigner von Bezeq in Höhe von mehreren Millionen Dollar war die Rede. Darüber hinaus hat die Polizei Aufzeichnungen der Gespräche zwischen Walla-Chef Ilan Yeshua sowie den Eheleuten Elovitch. Darin heisst es, dass Netanyahu „sich sehr für uns eingesetzt hat. Deswegen sollten wir nun dasselbe für ihn tun.“ Es blieb wohl nicht nur beim Reden darüber. Netanyahu hat wohl ordentlich Druck ausgeübt, damit Shaul Elovitch den Chefredakteur von Walla! News, Aviram Elad, feuerte. Dieser stand nicht nur hinter einem Artikel über die U-Boot-Affäre, der dem Ministerpräsidenten und seiner Gattin übel aufgestoßen war, sondern war zudem Autor eines Beitrags, der den von Netanyahu bekämpften Nuklear-Deal mit dem Iran in ein positiveres Licht setzte. Deshalb musste er auf Intervention der Netanyahus seinen Schreibtisch räumen. Aus dem Büro des Ministerpräsidenten hiess es dazu nur lapidar, dass es sich bei diesen Vorwürfe nur um „Fake News“ handelt.

Offensichtlich teilen die Ermittlungsbehörden diese Einschätzung nicht ganz. Zudem haben sie jetzt ein Ass im Ärmel. Netanyahus ehemaliger PR-Berater Nir Hefetz hat sich dazu bereit erklärt, gegen den Ministerpräsidenten und seine Gattin als Zeuge der Anklage zur Verfügung zu stellen. Ganz so uneigennützig handelt er dabei nicht. Denn gegen ihn laufen ebenfalls einige Verfahren. So habe er der pensionierten Richterin Hila Gerstl den Job des Generalstaatsanwalts angeboten, wenn sie im Gegenzug auf ein Verfahren Einfluß nimmt, in dem es um den verschwenderischen Lebensstil des „Königlichen Ehepaars“ – so werden die Netanyahus in den Medien mittlerweile gerne genannt – geht. Gerstl lehnte geschockt ab, den Job bekam damals der jetzige Generalstaatsanwalt Avichai Mendelblit. Der wiederum erklärte der Presse gegenüber, dass er „niemals in der Vergangenheit und Gegenwart die Adresse von Bestechungen war.“ Auf die Frage, ob er das unmoralische Angebot an Gerstl mit ihr im Rahmen seiner professionellen Arbeit zur Sprache gebracht hatte, wollte er sich dennoch nicht äußern. Hefetz selbst wurde Mitte Februar in Zusammenhang mit der Annahme von Schmiergeldern sowie der versuchten Einflussnahme auf die Justiz verhaftet. Netanyahu sagte zu diesen Vorgängen: „Hefetz hat niemals so ein aberwitziges Angebot gemacht und wurde auch nicht darum gebeten es zu machen. Zudem können wir es nicht glauben, dass er ein so etwas aus eigenem Antrieb heraus tat.“

Nun will Hefetz seine Haut retten. „Ich lasse mich doch nicht an seiner Stelle hinrichten“, sagte er erbost. „Netanyahu konnte seine Befragung verschieben, liess mich aber hängen. Dass ich bereits im Gefängnis sitze, ist ihm offensichtlich egal.“ Sollte Hefetz plaudern, könnte die ganze Schlammschlacht eine neue Dimension annehmen. Denn er hat den Ermittlern wohl Tonbandaufzeichnungen überlassen, die Interna darüber verraten könnten, wie Gattin Sara sowie Sohn Yair massiv Entscheidungen, die die Sicherheit Israels betreffen, beeinflussen und auf ihn einreden. „Ich bin einer seiner größten Bewunderer, doch er steht ganz unter der Fuchtel von Frau und Sohn. Sie bedrängen ihn in wichtigen nationalen Angelegenheiten.“ Deswegen hätte Hefetz bereits im Oktober 2017 das Handtuch geschmissen. Nun wolle er der Nation einen Gefallen tun – oder vielmehr sich selbst. Denn im Gegenzug für die Dokumente hat man ihm sehr wahrscheinlich Straffreiheit versprochen. Und er ist nicht der Einzige. Netanyahus ehemaliger Personalchef Ari Harrow sowie der einstige Generaldirektor des Kommunikationsministeriums, Shlomo Filber, wollen ebenfalls als Zeugen gegen den Ministerpräsidenten aussagen.

Bereits wird viel darüber spekuliert, ob es nun zu einer Begegnung zwischen Hefetz und den Netanyahus kommen wird, wenn die Ermittlungsbehörden ein solches anordnen. So etwas wird gerne in die Wege geleitet, um zu schauen, wie die Beschuldigten dabei reagieren. Vor allem nachdem der Ministerpräsident der Polizei vorwarf, sie würden Zeugen zum Lügen gegen ihn anstiften, wächst auf Seiten der Justiz die Bereitschaft, Netanyahu den Prozess zu machen. „Er spricht mittlerweile wie ein Mafia-Boss“, lautete dazu der Kommentar der Yedioth Ahronoth-Kolumnistin Sima Kadmon. Vielfach ist bereits auch von Neuwahlen die Rede. Denn aus den verschiedensten Gründen kracht es gerade wieder in der Koalition. Die Orthodoxen wollen ein Aussetzen der Wehrpflicht für ihr Klientel, anderenfalls drohen sie, die Verhandlungen über den nächsten Staatshaushalt zu blockieren.

Was Außenstehende vielleicht überraschen mag: Trotz aller Vorwürfe gegen den Ministerpräsidenten steht er in den aktuellen Umfragen recht gut da – genauer gesagt seine Partei. Würde jetzt gewählt werden, läge der Likud mit 29 Mandaten auf Platz Eins. Die zentristische Yesh Atid Partei von Yair Lapid käme mit 24 Sitzen auf den zweiten Platz. Weit abgeschlagen liegt das oppositionelle Zionistische Lager mit gerade mal zwölf Sitzen, ebenso viele wären wohl für die gemeinsame arabische Liste drin. Aus der Perspektive Netanyahus könnte ein Platzen der Koalition sowie ein erneuter Urnengang eine Super-Option sein, wie Yossi Verter von Haaretz schreibt. „Danach kann er wunderbar behaupten, dass das Volk trotz aller Anschuldigungen weiterhin zu ihm hält.“ Und die Justiz hätte es schwerer, ihn zu belangen. Aber noch ist es nicht so weit. Erst einmal werden mit Spannung die Zeugenaussagen erwartet.

Bild oben: Premier Netanyhu, 2015, (c)  Foreign and Commonwealth Office