Kinder und Jugendliche in den Displaced Persons (DP) Camps

0
56

Ein neuer Sammelband beleuchtet das Schicksal der „Child Survivors“…

Unmittelbar nach Kriegsende hatten die Westalliierten im zerstörten Deutschland in zahlreichen Kasernen, Sanatorien, Hotels und sogar Klöstern Auffanglager eingerichtet. In diesen DP-Camps erhielten die entwurzelten und verschleppten Menschen, darunter viele Überlebende der Shoa, ein sicheres, aber vorübergehendes Zuhause. Zusätzlich zu diesen Massenlagern, in denen bis zu Tausende DPs lebten, entstanden in Indersdorf, Prien, Bad Aibling, Wartenberg und Aglasterhausen „International Children’s Centers“ für „unbegleitete“ Kinder und Jugendliche, deren Eltern verschollen oder ermordet worden waren.

Das Schicksal dieser Jungen und Mädchen steht im Mittelpunkt des Jahrbuchs 2017 des „International Tracing Service“ (ITS). Die in englischer Sprache verfassten Texte von Historikern und Soziologen aus Deutschland, den USA, Israel, Großbritannien und Polen dokumentieren Vorträge einer wissenschaftlichen Tagung, die im Sommer 2016 in der Gedenkstätte Dachau stattgefunden hat. Ziel der Konferenz war es, die Forschungen zu diesem Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte zu intensivieren. Zudem sollten „neue Ansätze in Vermittlung und Forschung“ forciert sowie der Blick auf die sozialen und politischen Folgen der Shoa geschärft werden.

Nun, die Geschichte der DPs wird in Deutschland seit rund 30 Jahren erforscht. Bereits 1985 legte Wolfgang Jacobmeyer seine grundlegende Untersuchung vor, gefolgt von Mark Wymans Studie im Jahr 1989. Seitdem sind zahlreiche Publikationen in englischer und deutscher Sprache erschienen – auch zum Schicksal der „unbegleiteten“ Kinder (zuletzt: The Young Victims of the Nazi Regime. Migration, the Holocaust and Postwar Displacement; nurinst 2016 Beiträge zur deutschen und jüdischen Geschichte – Schwerpunktthema Kinder). Freilich, es gibt immer noch weiße Flecken auf der historischen Landkarte, die nicht erforscht sind. Licht in das partielle Dunkel können etwa die rund 60.000 Akten aus dem Bestand „Child Search Branch“ bringen, die im Archiv des ITS aufgehoben werden.

Um diese Akten kreisen daher auch mehrere Jahrbuch-Beiträge: „More children are to be interviewed. Child Survivors’ Narratives in the Child Search Branch Files“ (Susanne Urban) und „Everywhere where human beings are, we can find our children. On the Organization of the ITS Child Search Branch and its Predecessor“ (Julia Reus). Ausgehend von den historischen Dokumenten des „Child Search Branch“ wird von Verena Buser ergänzend eine kurze Einführung in die Geschichte der „Child Survivors“ sowie der aktuelle Forschungsstand dargelegt. Auf einen breiten Quellenbestand, vorwiegend Dokumente in polnischer Sprache, stützt sich Karolina Panz, die in ihrem Aufsatz „They did not want any more Jews there“ kaum bekannte antisemitische Anschläge gegen Waisenhäuser in der südpolnischen Region Podahle im Sommer 1945 beschreibt. Mary Fraser Kirsh untersucht in ihrem Text „Shattered by mental and physical strain“, wie mit psychischen Verletzungen der Überlebenden umgegangen wurde und welche Anstrengungen die Betreuer unternahmen, die Kinderseelen zu heilen. Aus dem museumpädagogischen Bereich berichtet Nicola Schlichting. Die Mitarbeiterin der Gedenkstätte Bergen-Belsen stellt in ihrem Beitrag „Life after Liberation. DPs in Bergen-Belsen“ die praktische Arbeit mit Jugendlichen vor und beschreibt, welche Chancen und Herausforderungen sich bei der Vermittlung von DP-Erfahrungen an einem historischen Ort der NS-Vernichtungspolitik für die junge Generation ergeben.

Beachtenswert ist der Aufsatz von Christian Höschler „International Families? Community Living in the IRO Children’s Village Bad Aibling“. Bei diesem Text handelt es sich um einen kurzen Einblick in seine soeben publizierte Dissertation „Home(less). The IRO Children’s Village Bad Aibling“, in der der Autor das einzigartige Projekt eines mehr oder weniger autonomen „Kinderdorfs“ in Oberbayern vorstellt. Zwischen 1948 und 1951 durchliefen diese Einrichtung über 2.000 Kinder und Jugendliche aus mehr als 20 Nationen. Sie wurden dabei auf ihr neues Leben in der alten Heimat oder in Übersee vorbereitet. Angesichts der aktuellen Migrationsbewegung und der großen Zahl unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge ist die Auseinandersetzung mit diesem Projekt auch für die Gegenwart von Bedeutung.

Warum die Herausgeber allerdings einen erst 2016 publizierten Aufsatz sowie einen Beitrag, der so oder ähnlich schon mehrfach veröffentlicht wurde (beide von renommierten Historikern), abgedruckt haben, erschließt sich dem Rezensenten nicht. Zudem stellt sich die Frage, warum ein Text in den Band aufgenommen wurde, der auch online auf academia.edu einsehbar ist.

Dennoch ermöglicht die Publikation aufschlussreiche Einblicke in individuelle, aber auch gesellschaftliche Nachwirkungen des Holocaust und beleuchtet die Strukturen und Praktiken alliierter Hilfsorganisationen; summa summarum ist das Überblickswerk mit Gewinn zu lesen. – (jgt)

Henning Borggräfe/Akim Jah/Nina Ritz/Steffen Jost/Elisabeth Schwabauer (Hg.), Freilegungen. Rebuilding Lives – Child Survivors and DP Children in the Aftermath of the Holocaust and Forced Labor, Göttingen 2017, 288 S., 29,90 €, Bestellen?

Bild oben: Spielende Kinder im International Childrens’s Village Bad Aibling, Foto: Personal Archives of Derrick Deane/IRO