Leben im Transit

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Neues Buch über die jüdischen Displaced Persons…

Das Thema „Jüdische Displaced (DPs) Persons“ hat Konjunktur! Letztes Jahr erschien der Roman „Morgenland“ des Kulturchefs von Radio Berlin-Brandenburg, Stephan Abarbanell, in dem die Hagana-Aktivistin Lilya Wasserfall aus Palästina auf der Suche nach einem verschollenen jüdischen Wissenschaftler einen Parforceritt durch die DP-Camps unternimmt. Dieser Tage kommt der Film „Es war einmal in Deutschland“ in unsere Kinos. Hier verkauft eine Gruppe von Shoa-Überlebenden aus dem DP-Camp Zeilsheim mit Charme und Chuzpe den deutschen Hausfrauen Bettwäsche. Und nun legten die beiden Journalisten Hans-Peter Föhrding und Heinz Verfürth ihre Recherchen „über ein vergessenes Kapitel der Nachkriegsgeschichte“ vor.

Der Band „Als die Juden nach Deutschland flohen“ beschreibt anhand des Schicksals von Lea und Aron Waks die Geschichte der in den DP-Camps gestrandeten osteuropäischen Juden. In Polen geboren, überlebten sie das Ghetto in Lodz. 1946 flüchteten sie aus ihrer Heimat vor antisemitischen Übergriffen. Zunächst lebten Lea und Aron im hessischen DP-Lager Ziegenhain, später mit ihren zwei Söhnen in verschiedenen anderen Camps. Alle diese temporären Lager wurden in Selbstverwaltung geführt, mit den traditionellen Einrichtungen des osteuropäischen Judentums: Synagogen, Schulen, Ausbildungsstätten, Theatern und jiddischen Zeitungen. Für Lea, Aron und die Kinder dauerte die Lagerzeit allerdings bis 1957 – zuletzt im DP-Camp Föhrenwald. Als dieses geschlossen wurde, nahm die Jüdische Gemeinde Düsseldorf die Familie auf.

Umfassend haben die Autoren die einschlägige Sekundärliteratur ausgewertet und viele Erfahrungen ihrer Zeitzeugen in das Buch einfließen lassen. Ergänzend haben sie sich im persönlichen Gespräch bei Historikern fachlichen Rat eingeholt. Leider sind ihnen trotz großer Akribie einige Ungenauigkeiten bei Fakten und Zahlen durchgerutscht. Dazu nur zwei Beispiele:

Die Anzahl der in Deutschland lebenden jüdischen DPs wird mit 300.000 angegeben. Doch eine Quelle dafür sucht man vergeblich. Freilich existierten zu dieser Zeit keine statistischen Landesämter, jedoch liegen aussagekräftige Zahlen der verschiedenen Hilfsorganisationen vor. Demzufolge ergibt sich für Westdeutschland eine Zahl von etwa 200.000 DPs. Für den Sommer 1947 nennt das Standardwerk “European Refugees“ von Malcolm J. Proudfoot für Westdeutschland 184.000, für Österreich 44.000 und für Italien 19.000 jüdische DPs. Der Autor hatte offizielle Quellen der alliierten Besatzungsmächte ausgewertet.

Im Zusammenhang mit der Beschreibung der DP-Trainingskibbuzim, also der jüdischen Bauernschulen (Hachscharot), in denen junge Juden auf ihre Zukunft in Palästina vorbereitet wurden, werden 278 solcher Einrichtungen erwähnt. Kibbuzim, Vereinigungen von Zionisten, die sich im Kollektiv organisiert haben, gab es in Hülle und Fülle in allen DP-Camps, aber Hachscharot-Kibbuzim nur etwa 40. Der bekannteste war sicher der Kibbuz auf dem ehemaligen Hof von NS-Gauleiter Julius Streicher.

Trotz dieser kleinen Wermutstropfen ist das Buch als Einstieg für eine breite Leserschaft in die Welt der jüdischen Displaced Persons zu empfehlen. Denn es ist mit Empathie, versiert, unterhaltsam und verständlich geschrieben. Ergänzend weisen die Autoren im Anhang mit über 480 Endnoten auf ihre Quellen hin. Jedoch fragt man sich bei einigen Anmerkungen nach der Zweckmäßigkeit, da sie leider nicht überprüfbar sind. Ein etwas sorgsameres wissenschaftliches Arbeiten hätte der Publikation wohl gutgetan. – (jgt)

Hans-Peter Föhrding/Heinz Verfürth, Als die Juden nach Deutschland flohen. Ein vergessenes Kapitel der Nachkriegsgeschichte, 347 Seiten, 24,00 €, Bestellen?

Bild oben: Aron Waks mit Sohn Ruwen, der 1947 im Camp Ziegenhain zur Welt kam. Foto: Waks/Gedenkstätte Trutzhain