Wiener Mosaik

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Kurznachrichten aus Österreich…

Von Peter Stiegnitz

Nicht zu Hause …

Nein. Diesmal geht es nicht um den modernen Antisemitismus, egal welcher Ausprägung, sondern um das, was der Autor dieser Zeilen seit sechzig Jahren sagt: „Ein Jude gehört ins Kaffeehaus“. Oder im Sinne der Kaffeehausliteraten einstiger Zeiten: Nicht zu Hause und doch nicht an der frischen Luft …“ Gemeint sind Naturerlebnisse, Wanderungen und ähnliche schweißtreibende Anstrengungen statt Zeitungen zu lesen und einen kleinen Artikel zu schreiben. Dass diese „Naturfeindlichkeit“ der Juden nicht stimmte, bewiesen die vielen jüdischen Zweitwohnbesitzer und Wanderer auf dem Wiener Hausberg, dem Semmering. So auch meine Eltern s.A, die – im Gegensatz zu ihrem gehfaulen Sohn – nahezu alle Teile des Wienerwaldes und des Semmering „bewanderten“. Jetzt, wo ich dabei bin, mich vom siebenten Lebensjahrzehnt zu verabschieden, gehe ich mit meiner Frau Helga gerne spazieren und in den letzten 30 Jahren waren wir auch fleißig in der Hügellandschaft des Mühlviertels, in Oberösterreich, unterwegs. Diese Tatsache veranlasste damals meine erste Frau ironisch zu bemerken: „So bist du von einem Kaffeehausjuden zum Wandervogel geworden.“

Die fixen Stammtische

Zu den berühmtesten Wiener Kaffeehäusern zählt heute noch das 140 Jahre alte „Central“ in der Wiener City. Zu diesem Jubiläum hat der heutige Geschäftsführer, Alfred Flammer, die reichhaltige Geschichte des „Centrals“ aufarbeiten lassen. Es muss wohl kaum betont werden, dass die meisten weltberühmtem Gäste Juden waren, so zum Beispiel Trotzki. Laut „Central“-Anekdote hat 1919 ein Ober gesagt: „Was? Unser Herr Trotzki hat Revolution gemacht …? Gleichfalls interessant, dass der Dichter und Kurzprosaschreiber Peter Altenberg, aber auch der große Satiriker Karl Kraus ihre fixen Stammtische hatten, wo andere nur mit Einladungen sitzen duften. Auch Franz Kafka, Stefan Zweig, Hugo von Hofmannsthal, aber auch Sigmund Freud gehörten zu den „Centralisten“. 1943 wurde das Kaffeehaus geschlossen und erst 1986 wieder eröffnet. Auch heute sitzen, wenn auch selten und wenige, Literaten hier. 80 Prozent der Gäste sind hingegen Touristen, die vielleicht irgendwo über die reichhaltige Geschichte dieses einstigen Mittelpunktes deutschschreibender Juden österreichischer Prägung gelesen haben; immerhin besuchen täglich rund 1.400 Gästen das „Central“.

„Salzburgs Juden“

Nein, genau genommen handelt es sich hierbei nicht um die Juden Salzburgs, sondern um „den jüdischen Anteil am heutigen Weltruhm“ (Tina Walzer in „DAVID“, Nr. 109) der Fest(welt)spielstadt. Die Eckpunkte der jüdischen Gleichberechtigung – das Staatsgrundgesetz von 1867 sichert den Juden Österreichs die Gleichberechtigung und das „Israelitengesetz“ von 1890 legt die Grundsteine für die Kultusgemeinde, die Israelitische Kultusgemeinde entstand im Jahre 1911 – eröffneten auch den Weg zu Max Reinhardts Tätigkeit in Salzburg. Das heute noch weltbekannte „Mysterienspiel Jedermann“ aus der Feder von Hugo von Hofmannsthal unter der Regie von Reinhardt kam nicht zufällig nach Salzburg, da die Familie des Seidenfabrikanten Löw –Hoffmann von Hofmannsthal einer der Gründungsväter der Israelitischen Kultusgemeinde war. Hier in Salzburg lebte und werkte bis zu seiner Emigration auch Stefan Zweig. So trägt der mittlerweile Weltbekannte „Stefan Zweig Centre“ seinen Namen.

„Imperial“ – arisiert

Man kann im Kaffeehaus des Hotels „Imperial“ Kaffee und Kuchen konsumieren. Dort traf ich des Öfteren auch meinen alten Freund Rudolf (Rudi) Gelbard, einer den berühmtesten Zeitzeugen Österreichs, der als junger Mensch das KZ Theresienstadt überlebte. Ansonsten wohnen und verkehren im wohl wichtigsten Hotel Österreichs, im „Imperial“ die berühmtesten Staatsgästen und Künstler der Welt. Heute gehört das Hotel dem arabischen Geschäftsmann Khalaf Ahmed Al-Halbtoor. Außer uns, meinem Freund Rudi und dem bekannten Journalisten und den Erzähler von Geschichten in der Geschichte, Georg Markus, kennt kaum jemand die beschämende Arisierung des „Imperial“. Dazu Markus im „Kurier“: „Im März 1938 erklärte Hitler das Imperial zu seinem Wiener Hauptquartier und bewohnte es, wann er immer in der Stadt war. Gleichzeitig wurde das Hotel ,arisiert´, der Hauptaktionär Samuel Schallinger ins KZ Theresienstadt deportiert, wo man ihn 1942 ermordete. Zu einer Restitution ist es nie gekommen.“ Eine Schande für Österreich.

„Arisierung“ und Vertreibung – im 17. Jahrhundert

Die Geschichte der Wiener Juden, ihre Verfolgung und Vertreibung, ihre Beraubung und Ermordung begann nicht 1938, sondern reicht bis zumindest ins 17. Jahrhundert zurück. Im Jahr 1624 mussten – wieder einmal – alle Juden das damalige Wien verlassen; sie mussten sich weit außerhalb der Stadtgrenzen niederlassen, damals nannte man das Gebiet „Untere Wird“, heute ist es die Leopoldstadt, die so genannte „Matzesinsel“. In der Dezemberkälte, in Schnee und Frost mussten damals die Vertriebenen Wien verlassen. Über ihr Schicksal schrieb die Autorin Claudia Erdheim ihr Buch „In der Judenstadt“ (Czernin-Verlag). An Hand einer jüdischen Familie beschreibt die Autorin das wechselvolle Schicksal der Juden im 17. Jahrhundert, wo auch ein jüdischer Arzt ordinierte, der so gut und erfolgreich war, dass auch christliche Patienten aus Wien zu ihm kamen.

In eigener Sache: Das kleine Jubiläum des 20. „Wiener Mosaiks“ darf der Autor ausnützen, um seiner Frau Helga zu danken, die alle Texte eines aus Ungarn zugewanderten Autors, der immer noch in die „Der-die-das-Fallen“ hineinfällt, mit Liebe und Geduld vorlektoriert.

Bild oben: Café Central in Wien, 2011, (C) Philipp von Ostau