Wie die Verdrängung des Rechtsterrorismus begann

0
75

Lässt sich der schwerste Terroranschlag in der Geschichte der BRD heute noch aufklären? Dass die Ermittlungen zum Oktoberfest-Attentat im Dezember 2014 anlässlich neuer Zeugenaussagen wieder aufgenommen wurden, ist extrem ungewöhnlich. Zu verdanken ist es der Hartnäckigkeit des Journalisten Ulrich Chaussy und des Rechtsanwaltes Werner Dietrich…

1982 war das Verfahren eingestellt worden, Hinweise auf einen rechtsradikalen Hintergrund sowie mögliche Mittäter oder Hintermänner wurden ignoriert. Gundolf Köhler galt als Einzeltäter. Warum das nicht stimmen kann, wie vertuscht wurde und was von der Wiederaufnahme der Ermittlungen zu erhoffen ist, erzählt Ulrich Chaussy im Interview.

Der Rundfunkjournalist und Autor ist bekannt für seine kritischen, hartnäckigen Recherchen – und er lässt sich niemals zu Spekulationen hinreißen. Neben Publikationen wie „Die drei Leben den Rudi Dutschke“ (Pendo 1983), „Nachbar Hitler“ über den Obersalzberg (Ch. Links 1995) und „Es lebe die Freiheit“ über die Weiße Rose (Fischer 2013) wurde das Oktoberfest-Attentat zu seinem Lebensthema. Im Juli erhält er den Publizistikpreis der Stadt München.

Interview: Cornelia Fiedler
Zuerst erschienen in: Münchner Feuilleton, Juni 2016

Herr Chaussy, Sie haben nie daran geglaubt, dass der Attentäter Gundolf Köhler ein Einzeltäter war. 2015 erhielten sie einen spektakulären neuen Hinweis.

Eine Zeugin berichtete, dass zu Beginn ihrer Tätigkeit als Krankenschwester im Oststadt-Klinikum Hannover 1980 ein junger Mann eingeliefert wurde, dessen Hand abgerissen war, der Unterarm wurde amputiert. Befremdlich war, dass dieser Mann so stolz in seinem Bett saß und strahlte. Einer ihrer Kollegen meinte damals, die Männer, die ihn besuchten, seien gekleidet wie typische Rechte. Es war der Sohn dieser Zeugin, der mich 2015 angemailt hatte, nachdem er unseren Film „Der blinde Fleck“ gesehen hatte.

Dieser Verletzte könnte ein Mittäter gewesen sein, jeder Unbeteiligte wäre ja in München im Krankenhaus gelandet. Wie geht es mit der Aussage weiter?

Was jetzt passiert, ist Sache der Ermittlungsbehörden. Die Frage ist, ob der Zeitpunkt wirklich passt. Die Zeugin arbeitete seit dem 1.9. auf der Station, der Anschlag war am 26. Nur in den unmittelbar folgenden Tagen kann dieser Patient, der ohne Entlassung nach fünf Tagen verschwand, etwas mit dem Oktoberfestattentat zu tun gehabt haben. Die Aufbewahrungsfrist der Operations-Berichte ist nur 30 Jahre. Man kann also nur hoffen, dass das – in diesem Fall legale – Akten-Schreddern noch nicht geschehen ist.

Bei den Ermittlungen 1980 bis 82 häuften sich Pannen und Vertuschungen, ähnlich wie jetzt beim NSU-Prozess. Sie haben mit Zeugen gesprochen, die Köhler in Begleitung, sogar im Streit gesehen hatten, deren Aussagen wurden aber ignoriert.

Einen dieser Hinweise bekam ich von einem österreichischen Bankkaufmann, er war damals dienstlich in München. Er berichtete, er habe Gundolf Köhler am Nachmittag des 26.9. mit zwei weiteren Männern in seinem Auto mit dem Kennzeichen VS-DD 500 gesichtet. Das hatte er der Polizei gemeldet, wurde aber nie befragt. Diese Information könnte, heute wo DNA-Analysen möglich sind, zu Köhlers Begleitern von damals führen. Im Auto wurden fast 50 Zigarettenkippen mit Speichelanhaftung sichergestellt. Die hat man aber 1980 sofort nach der serologischen Analyse vernichtet.

Zu den möglichen Motiven von Köhler gab es offenbar passende und unpassende Zeugen. Einer seiner Freunde berichtete, Köhler habe davon gesprochen, dass ein Anschlag auf Politiker die bevorstehende Bundestagswahl beeinflussen könne…

Dieser Zeuge wurde pathologisiert. Er war mal wegen psychischer Probleme in Behandlung und nun hieß es, er könne Selbsterlebtes und Berichtetes aus der Presse nicht unterscheiden.

Der andere Freund sagte, Köhler sei extrem frustriert gewesen, wegen einer unglücklichen Liebe, einer verpatzten Prüfung etc.

Letzterer wurde für die Ermittler zum Hauptzeugen, ohne die Hinzuziehung eines Profilers oder Psychologen, das muss man sich mal vorstellen! Es gab mehrere Gründe, ihm zu misstrauen: Man hatte bei ihm ein BGB gefunden, in dem der Paragraf „Nichtanzeige geplanter Straftaten“ unterstrichen war. Er belog die Ermittler wochenlang, behauptete, nicht mit Köhler befreundet gewesen. Unter Druck lenkt er dann ein und plötzlich wird er zum Einzigen überhaupt, der Köhler kennt und versteht. Ab diesem Moment wurde alles, was auf mehrere Täter hinwies, ignoriert.

Damit wurde auch entschieden, nicht weiter in der rechten Szene zu ermitteln, obwohl Köhler Verbindungen zur „Wehrsportgruppe Hoffmann“ hatte.

Ja, nicht nur von den bayerischen Ermittlern, sondern auch vom Generalbundesanwalt. Dabei hätte es sogar im Sommer 1981 noch einmal deutlich Anlass gegeben: Da kamen Mitglieder der „Wehrsportgruppe Libanon“, der Nachfolgeorganisation der verbotenen „WSG Hoffmann“, desillusioniert aus einem Trainingscamp ebendort zurück. 1980 hatten sie geschwiegen, jetzt erklärten drei, sie hätten Köhler bei der WSG gesehen. Dass man da nichts unternommen hat, ließ dieses Vakuum entstehen, das jetzt jeder mit seinen Geschichten füllen kann, das tut auch der WSG-Chef Hoffmann…

der bis heute behauptet, er sei das eigentliche Opfer des Oktoberfestanschlags, es sei nur darum gegangen, ihn zu diskreditieren.

Das ist leider eine beliebte Tendenz, auch bei Leuten die sich mit dem Rechtsextremismus auseinandersetzen: Es ist alles der Staat, der Verfassungsschutz, die Geheimdienste.

Sie spielen auf Wolfgang Schorlau und seinen Krimi „Das München Komplott“ an?

Ich sehe einfach mit Verblüffung, dass es diejenigen, die solchen Thesen folgen, plötzlich nicht mehr kümmert, dass man es doch mit einer realen gefährlichen, neonazistischen Bewegung zu tun hat, die sogar Anteile im Untergrund hat. Die brauchen keine Einflüsterung von durchgeknallten Verfassungsschützern, die sind nicht ausschließlich Marionetten. Verschwörung wird einfach wahnsinnig gern genommen.

Kurz vor dem Oktoberfestattentat wurde auch ein Anschlag auf den Bahnhof von Bologna verübt. Heute ist erwiesen, dass dahinter Akteure einer Stay-behind-Organisation der Nato steckten, einer Art paramilitärischer Struktur zur Verteidigung gegen den Ostblock.

Dort ist das alles recherchiert, ja. Der Anschlag sollte Linken in die Schuhe geschoben werden. Die Staatsanwälte stellten aber fest, dass die rechte Organisation „Nuovo Ordine“ verantwortlich war. Der Sprengstoff stammte aus Stay-behind-Depots, Gladio-Depots, Geheimdienstleute hatten ihnen Zugriff verschafft. Das ist alles kriminalistisch bewiesen, der damalige Präsident Andreotti musste die Existenz dieser Struktur zugeben. Laut der Staatsanwälte wurde hier auf eine politische Stimmung reagiert: 27% wählten in Italien die kommunistische PCI. Die „Strategie der Spannung“, war der Versuch, die Bevölkerung durch vorgeblich „linke“ Attentate umzustimmen und eine Koalition mit der PCI zu verhindern. Man befürchtete, Italien könne aus der Nato austreten, zum Warschauer Pakt überlaufen. Also hatte die Nato ein Interesse. So. Das ist Italien, kommen wir zu Deutschland.

Wahlkampfzeit war zumindest auch.

Ja, aber was sollte der Anlass sein, für eine Strategie der Spannungen in Deutschland? Welcher Kanzlerkandidat wäre der Garant dafür gewesen, die BRD in einer Koalition mit Kommunisten krachend aus der Nato heraus zu brechen? Franz Josef Strauß? Oder Helmut Schmidt? Beides ganz große Nato-Gegner, gell? Es gab auch hier Spuren, die vom Anschlag zu einem möglichen ehemaligen Stay-behind-Waffendepot führten, ich bin dem nachgegangen, aber ein Zusammenhang ist nicht nachweisbar.

Was ist Ihre These, wie kam es zum Attentat?

Über die Frage „cui bono“ spekuliere ich nicht. Den Ablauf kann ich mir nicht anders vorstellen, als dass Köhler aus rechten Kreisen zur Tat angeworben wurde. Das ist ja die Frage, wie löst man sich aus dieser Szene? Man legt nicht einfach einen Kippschalter um. Bei mir mehren sich auch die Zweifel, ob das, was wir als Oktoberfestattentat erleben haben, denn das war, was geplant war. Unterstellen wir mal als richtig, was der diskreditierte Zeuge angegeben hatte: Dass Köhler über die Wahlkampfbeeinflussung durch Anschlägen auf die erste Garde der Politiker gesprochen habe: Die Prominenz saß nur ein paar 100 Schritte entfernt im Käfer-Zelt, auch ein politischer Mordanschlag wäre leicht möglich gewesen. Es kann sogar sein, dass Köhler erst im letzten Moment begriff, was für eine Höllenmaschine er da bedienen soll. Zeugen haben Streit zwischen Köhler und seinen Begleitern beobachtet. Und wir wissen nicht einmal, ob er selbst die Bombe gezündet hat.

Die Ermittlungen zum Anschlag wurde von höchster Stelle torpediert, das haben sie recherchiert. Um die Gefahr von rechts herunterzuspielen?

Der damalige Leiter des bayerischen Verfassungsschutzes Hans Langemann hatte am 27.9. selbst in der NADIS-Datenbank des Verfassungsschutzes entdeckt, dass Köhler 1976 bis circa 1979 an Versammlungen und Übungen der „WSG Hoffmann“ teilgenommen hat. Bei der hochkarätigsten, gewaltbereiten, rechtsextremistischen Miliz im ganzen Bundesgebiet! Die Erkenntnisse stammen aus Baden-Württemberg. Vom eigenen Landesamt hatte er null. Er weiß aber, wie durchdrungen mit V-Leuten der Laden ist. Meine Theorie ist, dass Langemann Panik geschoben hat: Wenn in der Szene ermittelt wird, könnte rauskommen: a) dass Hoffmann und seine Leute den Anschlag geplant, und die V-Leute nichts mitbekommen haben, b) dass seine V-Leute absichtlich nichts gemeldet haben oder c) dass V-Leute selbst daran beteiligt sind.

Was hat er getan?

Langemann verriet den Namen Gundolf Köhler sofort, trotz Nachrichtensperre des Generalbundesanwaltes, an Reporter der Zeitschrift Quick, noch bevor das Umfeld des Täters polizeilich befragt wurde. Die Journalisten waren dann der Polizei immer, wie bei Hase und Igel, einen Schritt voraus. Samstagabend ist Köhlers Name in der Tagesschau. Jetzt ist auch der letzte Rechtsextremist gewarnt. Auch die Zeugen sind informiert, bevor sie polizeilich befragt werden, das beeinträchtigt die Aussagen. Langemann wusste diese Klaviatur zu bedienen…

Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen 2014 wieder aufgenommen. Wie schätzen Sie denn die Chance ein, den Fall heute noch aufzuklären?

Gering. Ich sage das ganz klar, es wäre mir deutlich lieber gewesen, dass eine externe Behörde, das Bundeskriminalamt etwa, den Auftrag vom Generalbundesanwalt bekommen hätte. Meine Beobachtungen bezüglich des LKA Bayern belegen, dass man sich dort überhaupt nicht genötigt sieht, das Handeln der damaligen Kollegen kritisch zu untersuchen.

Ulrich Chaussy: Oktoberfest. Das Attentat. Wie die Verdrängung des Rechtsterrorismus begann, CH. Links Verlag 2015, 320 S., 18 Euro, Bestellen?

Das Oktoberfest-Attentat. Multimedia-Dokumentation: http://story.br.de/oktoberfest-attentat/