Ablehnung des Antisemitismus oder Gewinne im Machtkampf?

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Das Antisemitismus-Problem bleibt auch ohne Wolfgang Gedeon in der AfD-Landtagsfraktion Baden-Württemberg bestehen…

Von Armin Pfahl-Traughber

Der AfD-Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon, der mit antisemitischen Stellungnahmen inhaltliche Kritik auf sich gezogen hatte, ist selbst aus der Fraktion seiner Partei in Baden Württemberg ausgetreten. Hat sich damit das Thema „Antisemitismus in der AfD“ erledigt? Handelte es sich nur um einen bedauerlichen Einzelfall? Beide Fragen können angesichts der Entwicklung schwerlich bejaht werden. Dies macht der genaue Blick auf die Ereignisse deutlich: Nachdem die ersten kritischen Einschätzungen zu Gedeons Publikationen öffentlich wurden, versuchte auch der AfD-Fraktionsvorsitzende Jörg Meuthen das Thema zu verdrängen. Da behauptete er doch, mit der „Antisemitismuskeule“ wollten politische Gegner die Partei verunglimpfen. Angesichts der Eindeutigkeit von Gedeons Aussagen in seinen Büchern, die auf den Parteitagen zum Verkauf angeboten wurden, schwenkte Meuthen aber schnell um. Auch andere führende AfD-Politiker wie Alexander Gauland oder Frauke Petry bezweifelten nicht, dass Gedeon antisemitische Behauptungen propagierte.

Dessen beabsichtigter Ausschluss aus der AfD-Fraktion gelang indessen nicht. Bei Probeabstimmungen zeichnete sich keine Mehrheit für eine solche Entscheidung ab. Meuthen hatte sogar mit seinem Austritt aus der Fraktion und seinem Rücktritt als Vorsitzender gedroht. Darüber hinaus betonte er, dass der Eindruck von antisemitischen Auffassungen in der AfD nicht nur die Erfolge bei Wahlen gefährdeten, sondern wohlmöglich auch die Beobachtung durch den Verfassungsschutz motivierten. Er stellte demnach nicht die Ablehnung des Antisemitismus, sondern die Nachteile für die Partei ins Zentrum. Aber auch dann gelang es ihm immer noch nicht, eine Mehrheit für einen Rausschmiss zu bekommen. Mit der Ankündigung, man wolle zunächst wissenschaftliche Gutachten zum Problem einholen, sollte offenkundig Zeit gewonnen werden. Denn wenn selbst für die führenden AfD-Politiker der Antisemitismus bei Gedeon feststeht, kann die inhaltliche Notwendigkeit von wissenschaftlichen Stellungnahmen nicht anders erklärt werden.

Am 5. Juli trat Meuthen dann mit zwölf weiteren AfD-Abgeordneten aus seiner eigenen Fraktion aus. Damit war diese schon zwei Monate nach den Wahlen zerbrochen. Parallel zu dieser Entwicklung intervenierte die Bundessprecherin Frauke Petry, reiste zu Gesprächen nach Stuttgart und motivierte offenbar Gedeon zum freiwilligen Verzicht. Sie erhoffte sich dadurch, dass die Fraktion wieder zusammen finden würde. Dies war aber nicht der Fall, denn Meuthen erklärte: An dem Austritt von ihm und seinen Anhängern würde sich dadurch nichts ändern. Diese Einstellung könnte man inhaltlich gut begründen, denn die verbliebenen zehn Abgeordneten der ursprünglichen AfD-Fraktion hatten sich ja zu Gedeon als einem Anhänger antisemitischer Verschwörungsvorstellungen bekannt. Damit wurde in aller Deutlichkeit klar, wie es um die Auffassungen zu solchen Fragen gerade in der Landtagsfraktion der AfD steht, welche als besonders gemäßigt und seriös gilt. Noch nicht einmal aus taktischen Erwägungen heraus, wollten sich 10 Abgeordnete klar positionieren.

Diese Entwicklung belegt anschaulich, dass es an der einheitlichen Ablehnung des Antisemitismus in der AfD erhebliche Zweifel gibt. Einschlägige Einstellungen wie sie von Gedeon vertreten werden, scheinen sich nicht immer öffentlich zu artikulieren. Aber gerade in dem Abstimmungsverhalten von über einem Drittel der dortigen Abgeordneten in der Landtagsfraktion wird dies deutlich. Man braucht offenbar nur ein wenig genauer hinzuschauen und schon lassen sich noch weitere derartige Vorfälle ausmachen: 2016 trat der ehemalige CDU-MdB Martin Hohmann in die AfD in Hessen ein und errang bei den Kommunalwahlen in Fulda ein Mandat für die Partei. 2003 hatte er sich in einer öffentlichen Rede auf Henry Fords antisemitischen Auffassungen in dessen Buch „Der internationale Jude“ gestützt. Und 2012 äußerte Hohmann in einem Interview: „Offensichtlich möchten einflussreiche Juden dunkle Kapitel jüdischer Geschichte lieber im Dunkeln belassen …“, womit ähnliche Konspirationsvorstellungen wie die von Gedeon bedient werden.

Die Auseinandersetzung in der AfD um den Baden Württemberger Landtagsabgeordneten muss aber auch im Lichte von parteiinternen Konflikten gesehen werden: Zwar hatten Gauland, Meuthen und Petry die antisemitische Dimension von Gedeons Auffassungen sehr wohl gesehen, versuchten sich aber bei der Klärung des Skandals aus machtpolitischen Motiven gegenseitig ein Bein zu stellen. Durch das Einwirken auf Gedeon in Stuttgart wollte Petry offenkundig Führungsstärke beweisen, hatte sich dann aber ohne formale Zuständigkeit in die inneren Angelegenheiten der dortigen Landtagsfraktion eingemischt. Meuthen versuchte dies gar dadurch zu verhindern, dass er beim Pförtner des Landtages den Wunsch äußerte, man möge doch Petry nicht in das Gebäude lassen. Allein dies ist ein Agieren, das man kaum noch nüchtern kommentieren kann, warum dies auch hier nicht geschieht. Petry hatte darüber hinaus zuvor den Ausschluss von Gedeon mit dem Ruf nach den Gutachten verzöget, um sich im Machtkampf mit Meuthen einen Vorteil zu verschaffen.

Auch wenn sie durch die scheinbare Lösung des Problems als Siegerin dastand, blieb die Fraktion gleichwohl gespalten und die Situation insgesamt ungeklärt. Gauland kritisierte öffentlich ihr Vorgehen und schlug sich demonstrativ auf die Seite von Meuthen. Beide hatten sich bereits zuvor mit dem AfD-Landesvorsitzenden von Thüringen Björn Höcke verbündet. Ein gemeinsames Gespräch der drei Männer mit Journalisten, worin es um die Führungsqualitäten von Petry ging, blieb weder der Parteisprecherin noch der Öffentlichkeit verborgen. Damit kooperiert Meuthen als der als am gemäßigtsten geltende AfD-Landesvorsitzende aber mit dem als am extremsten geltenden AfD-Landesvorsitzenden. Höcke und Meuthen bezeichnen sich gar gegenseitig öffentlich als „Freunde“. Berücksichtigt man jetzt noch, dass Höcke im Dezember 2015 auf Facebook eine Arbeit von Gedeon lobend zur Lektüre empfohlen hatte, stellt sich auch gegenüber Meuthen die Frage: Geht es ihm um die Ablehnung des Antisemitismus oder Gewinne im Machtkampf?

Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber, Politikwissenschaftler und Soziologe, ist hauptamtlich Lehrender an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl und ebendort Herausgeber des „Jahrbuchs für Extremismus- und Terrorismusforschung“. Er gehört auch dem Unabhängigen Expertenkreis Antisemitismus des Deutschen Bundestages an.