Mehr Geschichtsverdrehungen und Verschwörungsphantasien des AfD-Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon

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Ein Beitrag auf haGalil über den AfD-Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon aus Baden-Württemberg und seine Beurteilung der antisemitischen Fälschung „Die Protokolle der Weisen von Zion“ sorgte in der vergangenen Woche für viel Aufmerksamkeit. Nach einem Bericht der Stuttgarten Nachrichten kündigte AfD-Fraktionschef Jörg Meuthen an, die Vorwürfe gegen Gedeon „sorgfältig“ prüfen zu wollen. Im Folgenden eine erweiterte Analyse von Gedeons Schriften, die seine Ansichten zu „Freimaurern“ und „Zionisten“ verdeutlichen…

Von Armin Pfahl-Traughber

„Wählt so, wie Ihr wirklich denkt“ – mit diesem Motto warb Wolfgang Gedeon, um 2016 als Abgeordneter der „Alternative für Deutschland“ (AfD) in den Landtag von Baden Württemberg einziehen zu können. Doch was denkt das Parlamentsmitglied selbst. Darüber geben gleich vier Bücher mit um die 2000 Seiten Auskunft: 2009 erschien von ihm ein dreibändiges Werk mit dem Titel „Christlich-europäische Leitkultur. Die Herausforderung Europas durch Säkularismus, Zionismus und Islam“. Dabei bediente sich Gedeon des Pseudonyms „W. G. Meister“. „W. G.“ waren seine Initialen, als „Meister“ wollte er wohl angesprochen werden. Denn die Bände sind wie ein Gespräch aufgezogen, fragt doch eine „Gerlinde Wolf“ den Meister, wobei sie – sollte es sich überhaupt um eine reale Person handeln – nur als Stichwortgeber für die Ausführungen von Gedeon dient. Die Bücher erschienen im kleinen R. G. Fischer-Verlag in Frankfurt/M., wo die Autoren für den Druck selbst zahlen müssen. Insofern fanden die Bände bislang kaum Interesse.

Das sollten sie aber durchaus, offenbart doch der Inhalt das aus Geschichtsverdrehungen und Verschwörungsphantasien bestehende Weltbild des Verfassers. Bereits im ersten Band formuliert Gedeon als „Meister“ über seine Botschaft: „Europa wird entweder heidnisch untergehen oder christlich erneuert wieder aufleben“ (Bd. I, S. 17). Mit „heidnisch“ ist bei dem Autor aber entgegen der eigentlichen Bedeutung kein Glaube an Naturgötter, sondern die Säkularisierung gemeint. Weiter geht es dann um Kultur und Zivilisation, das Christentum und die Kirchengeschichte, den Judaismus und die Freimaurer. Bei den letztgenannten Aspekten ahnt man schon, worauf das dann hinauslaufen wird. Denn hier war noch vom „Relativismus der Freimaurerei“ (Bd. I, S. 575) und vom „II. Vatikanum als „Etappensieg des Judaismus“ (Bd. II, S. 614) die Rede. Denn der zweite Band trägt den bezeichnenden Titel „Über Geschichte, Zionismus und Verschwörungspolitik“ – und hier präsentiert sich der früher praktizierende Arzt als überzeugter Konspirationsideologe:

Nachdem Gedeon bereits bei den Ausführungen zum Ersten Weltkrieg die Schuld der Freimaurer und die Unschuld des Kaiserreichs betont hat, geht es dann auch schon zum Zweiten Weltkrieg. Die Auffassung, wonach die Hauptschuld daran der Hitler-Regierung zuzuschreiben sei, hält Gedeon für eine „im wesentlichen vom Zionismus diktierte Version“ (S. 157). Andere Faktoren seien da relevanter, wie die Polen, die USA oder der Versailler Vertrag. Für angebliche Angriffsabsichten der Erstgenannten nennt er dann eine Fülle von vorgeblichen Original-Zitaten. Doch woher hat der Autor diese, hat er in den Archiven geforscht? Der Blick ins Literaturverzeichnis macht deutlich, dass Gedeon immer nur aus zweiter Hand arbeitet. Und es sind immer Bücher aus bekannten rechtsextremistischen Verlagen wie Arndt, FZ oder Nation Europa. Originalquellen hat er erkennbar nicht geprüft, gibt sich aber seitenlang als angeblicher Sachkenner. Dabei referiert Gedeon nur distanzlos und unkritisch rechtsextremistische Darstellungen zu Geschichte und Gegenwart.

Besonders heikel und interessant wird es dann, wenn es um den Holocaust geht. Er räumt hier zwar ein, dass die „Massenmorde an den europäischen Juden singulär“ gewesen seien und man hier auch nicht „relativieren“ (Bd. II, S. 221) könne. Gleichwohl müssten der „Holocaust-Revisionismus und die Geschichtsdissidenten“ (Bd. II, S. 223) ernstgenommen werden. Deren Argumente sollten einer kritischen Prüfung unterzogen werden: „Andernfalls wäre es ehrlicher, gleich ein Wahrheitsministerium im Orwellschen Sinn einzurichten und es beim Zentralrat der Juden in Deutschland anzusiedeln“ (Bd. II, S. 239). Wenn in einer solchen Formulierung nicht mal Ressentiments mitschwingen, könnte man leicht polemisch fragen. Da die Holocaust-Leugner alle Rechtsextremisten sind bzw. für solche arbeiten, haben sich seriöse Historiker einer näheren Beschäftigung mit deren Unterstellungen verweigert. Wenn demnach dazu nur die Alternative das Ministerium beim „Zentralrat“ wäre, suggeriert derartiges die Existenz einer Kontrolle über die Wissenschaft durch den Zentralrat.

Denn ohnehin würde die offizielle Auffassung vom Holocaust „nur von extremen Zionisten vertreten“ (Bd. II, S. 236). Damit deutet sich Gedeons zweites großes Thema an: die Verschwörung. Es muss dann auch erst mal wieder um die Freimaurerei gehen. Er referiert deren Geschichte ohne genaue Quellenangaben. Einmal nennt er Jan Udo Holey (vgl. Bd. II, S. 249 und S. 554), der von einer Konspiration von Außerirdischen und Illuminaten in anderen Schriften berichtet hatte. Dann kommt aber auch mit Friedrich Wichtl (vgl. Bd. II, S. 253) ein „Klassiker“ der Auffassungen von einer „jüdisch-freimaurerischen Verschwörung“ direkt nach dem Ende des Ersten Weltkriegs vor. All dies dient als Beleg für die Deutung: „Das äußere, politische Geheimnis der Freimaurerei besteht also darin, dass sie … eine konspirative politische Organisation ist, die einen freimaurerischen Weltstaat mit einer freimaurerischen Weltregierung zu Ziel hat. Sie versucht dies zu erreichen, indem sie die Führungsschichten der Nationalstaaten subversiv infiltriert“ (Bd. II, S. 268).

Da ist es dann auch nicht weit bis zu den „Protokollen der Weisen von Zion“, der weltweit am weitesten verbreiteten antisemitischen Schrift. Der je nach Druckform um die 80 Seiten starke Text legt nahe, dass es sich um Aufzeichnungen einer Geheimkonferenz von Juden handelt, worin Pläne und Strategien zur Erlangung der Weltherrschaft entwickelt wurden. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs fanden die „Protokolle“ in nahezu allen Ländern der Welt große Verbreitung. Auch die Nationalsozialisten stützten sich in ihrer Propaganda auf den Text. Dabei störte die Anhänger bis in die Gegenwart hinein nicht, dass bereits 1921 eine Artikelserie in der „Times“ die Fälschung dieses „Kronzeugendokuments“ belegt hatte. Greift man zu der von dem französischen Publizisten Maurice Joly 1864 verfassten Schrift „Gespräche in der Unterwelt“ und sieht sich dabei die Machiavelli zugeschriebenen Passagen an, so offenbaren diese den Ursprungstext der „Protokolle“. Denn die Fälscher hatten dort abgeschrieben und die Inhalte um antisemitische Textpassagen ergänzt.

Gedeon schreibt aber:  „Die Protokolle sind mutmaßlich keine Fälschung“ (Bd. II, S. 466), wobei er den durch einfachen Textvergleich nachweisbaren Tatbestand des Plagiats negiert. Er listet im Literaturverzeichnis übrigens weder eine Originalausgabe der „Protokolle“ noch die Schrift von Joly auf. Auch ignoriert er bis auf ein kleines Buch komplett den umfangreichen Forschungsstand zum Thema. Dafür schreibt der jetzige AfD-Landtagsabgeordnete: „Ich halte die Beurteilung Fleischhauers … für plausibel. Danach handelt es sich um die Mitschrift einer Geheimtagung …“ (Bd. II, S. 466) Bei der gemeinten Person ging es um „Oberstleutnant a. D. Ulrich Fleischhauer“ (Bd. II, S. 472), den Leiter der antisemitischen Organisation „Weltdienst“. Diese formal private und unabhängige Einrichtung wurde von Goebbels’ Propagandaministerium bei ihrem judenfeindlichen Wirken finanziell unterstützt und betrieb in dessen indirektem Auftrag auch in den im Zweiten Weltkrieg besetzten Ländern judenfeindliche Hetze in anderen Sprachen.

Aber auch Fleischhauers „Gutachten“ in dieser Frage kennt Gedeon ausweislich des Literaturverzeichnisses seiner Triologie nicht. Er beruft sich bei all seinen Aussagen aus zweiter Hand auf einen Johannes Rothkranz, einen katholischen Fundamentalisten, der durch verschwörungsideologische Publikationen mit antisemitischen Tendenzen bekannt geworden ist. Fleischhauers Auffassung zitiert der heutige AfD-Landtagsabgeordnete auf ganzen vier Seiten aus dessen Schrift. Als Ausdruck seiner Wertschätzung für die „Protokolle“ bemerkt Gedeon: „Wer die Geschichte und Politik der letzten 100 Jahre betrachtet, muss konzedieren, dass viele der in den Protokollen aufgeführten Elmente und Praktiken schon tatsächlich umgesetzt wurden“ (Bd. II, S. 480). Diese Einschätzung kann man kaum anders interpretieren, als dass er von Existenz einer jüdischen, bei ihm „zionistischen“ Weltverschwörung ausgeht. In seiner Literaturliste finden man denn auch noch weitere konspirationsideologische Schriften von Roland Bohlinger bis zu Friedrich Wicht.

Dass es sich hier nicht um einen „Ausrutscher“ handelte, macht das drei Jahre später erschienene Buch „Der grüne Kommunismus und die Diktatur der Minderheiten. Eine Kritik des westlichen Zeitgeists“ deutlich. Auch darin gibt es einen Abschnitt zu den „Protokollen“, worin es heißt: „Es wird aber nirgendwo ersichtlich, dass die Urheber der Protokolle, die auch auf dem Baseler Zionistenkongress von 1897 nicht offen, sondern nur in einer geheimen Parallelveranstaltung aufgetreten sind, in irgendeiner Weise repräsentativ für das jüdische Weltkollektiv wären“ (S. 277f.) Demnach meint Gedeon, die Autoren der „Protokolle“ zu kennen, wofür er aber keinen einzigen Beleg liefert. Sodann differenziert er scheinbar zwischen Juden und Zionisten, spricht aber gleichzeitig von einem „jüdischen Weltkollektiv“, was es nur in der Phantasie von Antisemiten gibt. Außerdem meint Gedeon in diesem Buch, dass es Parallelen zwischen den Ausführungen in den „Protokollen“ zu „Strategie und Taktik und zum Beispiel den politischen Methoden der Brüsseler EU“ (S. 278) geben würde.

Die Ausführungen von Gedeon machen deutlich, dass mit ihm ein Anhänger von antisemitischen Verschwörungsauffassungen im Landtag von Baden-Württemberg sitzt. Denn angesichts des klaren judenfeindlichen Charakters der „Protokolle“ ist eine scheinbare Differenzierung von „Juden“ und „Zionisten“ hier nicht besonders glaubwürdig. Auch der Blick auf andere Ausführungen in den genannten Büchern veranschaulicht, dass der AfD-Landtagsabgeordnete von rechtsextremistischen Publikationen zu den unterschiedlichsten Themenfelder geprägt ist. Dabei distanziert er sich aber schon von Hitler, heißt es doch: „Mein Hauptvorwurf ist, dass er ein biologistischer Heide war, der Deutschland und Europa in radikaler Weise entchristlicht und verheidet hat“ (S. 187). Andere denken da eher an die Etablierung einer totalitären Diktatur oder die Massenmorde an den Juden. Aber auch diese Aussage macht deutlich, was der AfD-Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon – um noch einmal an die Formulierung seines Wahlplakats zu erinnern – wirklich denkt.

W.G. Meister, Christlich-europäische Leitkultur. Die Herausforderung Europas durch Säkularismus, Zionismus und Islam, 3 Bände, Frankfurt/M. 2009 (R. G. Fischer-Verlag), Bd. I: 665 S., Bd. II: 575 S., Bd. III: 638 S.
Wolfgang Gedeon, der Grüne Kommunismus und die Diktatur der Minderheiten. Eine Kritik des westlichen Zeitgeists, Frankfurt/M. 2012 (R. G. Fischer-Verlag), 431 S.

Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber, Politikwissenschaftler und Soziologe, ist hauptamtlich Lehrender an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl und gibt ebendort das „Jahrbuch für Extremismus- und Terrorismusforschung“ heraus.

2 Kommentare

  1. Statt sich auf die Couch zu legen und einem verständnisvollen professionellen Zuhörer sein Herz auszuschütten und endlich einmal alles zu erzählen, schreibt Wolfgang Gedeon Bücher. So ganz traut er sich nicht, deshalb kritzelt er unter dem Pseudonym „W.G. Meister“. Dann legt er aber los: 2.000 Seiten Gesprächsstoff, die er besser direkt bei obigem Zuhörer rausgelassen hätte, so muss er alles nochmal erzählen.

    Wirklich gruselig ist, dass sein wahnhaftes Weltbild niemanden aufgefallen ist und sowas Landtagsabgeordneter werden kann.

  2. „Nach einem Bericht der Stuttgarten Nachrichten kündigte AfD-Fraktionschef Jörg Meuthen an, die Vorwürfe gegen Gedeon „sorgfältig“ prüfen zu wollen“.

    Was von dem Ergebnis dieser „sorgfältigen Prüfung“ bei der AfD zu erwarten ist, sollte niemand verwundern: mit vielen Worten wird alles bestritten und eine „Lügenpresse“ unterstellt, die gegen die AfD polemisiert.

    Grüße
    Kyniker

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