Von der Zweistaaten- zur Einstaatenlösung

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Micha Brumliks Überlegungen zur Zukunft Israels und des Judentums…

Rezension von Ruth Zeifert

Die Umsetzung eines jüdischen Staates, wie Theodor Herzl, Wladimir Jabotinsky oder auch Hannah Ahrendt ihn andachten ist in der Praxis gescheitert. So Micha Brumliks Analyse in seinem neusten Werk. Israel habe sich regelrecht zu einem ‚Unrechtsstaat‘ entwickelt, verwaltet nach religiös und ethnisch diskriminierenden Gesetzen. Brumlik denkt in „Wann, wenn nicht jetzt?“ laut die binationale bzw. biethnische Utopie an, in der ein gleichberechtigtes politisches, wirtschaftliches und soziales System einstige Ideale und heutige Visionen vereinen könnte. Würde Israel jetzt ‚richtig‘ handeln, könnte es ein Vorbild für alle Staaten werden. Und das jüdische Volk vielleicht gar ein Stück weit seine biblische Bestimmung erfüllen.

Ob dies die zentrale Aussage des Buches ist, würde ich nicht beschwören. Das liegt tatsächlich mehr am Stil, als am Inhalt. Es ist ein ungleiches Werk. Fast wie drei. Zuerst wissenschaftlich, kompelx, anspruchsvoll, danach – nicht weniger anspruchsvoll aber – politisch, wertend und kraftvoll und schließlich selbstreflexiv, nachdenklich. Vor allem und insgesamt aber eines: philosophisch.

In den ersten Kapiteln diskutiert Brumlik verschiedene Hintergründe und Gedanken über Israel, das Judentum und die Diaspora. Er begründet darin beispielsweise, warum Juden ein Recht haben, auf heutigem israelischem Grund zu leben. Brumlik stellt hierfür etwa die Regeln der religiösen Bestimmungen der Mischna Gemera vor, im ‚Israelland‘ zu leben oder, dass es eine Verheißung am Berge Sinai gewesen sei, in der ein ‚partikulares Volk‘ aufgefordert wurde in ein ‚partikulares Land‘ einzureisen. Mitgedacht gehört, dass das Volk Israel immer wieder auch ungehorsam gegenüber seinem Gott war und dieser es immer wieder auch aus seinem Land fern hielt.

Sowohl das Recht auf das heilige Land, wie auch die Diaspora gehören also zur religiösen Historie der Juden. Und das ist relevant, denn das Judentum ist für Brumlik nicht vorstellbar, wäre es völlig ohne Religion – also rein als Ethnie oder Kultur etwa – gedacht. Brumlik betont tatsächlich, dass die jüdische Diaspora als Tradition verstanden werden muss, in einer „stets weltgesellschaftlicher organisierten potsnationalstaatlichen Gesellschaft zu leben“ und diese mit zu gestalten.

Die wohlwollende, akademisch anspruchsvolle Bestandsaufnahme schließt Brumlik mit einer philosophischen Überlegung über die Frage nach der vielseitig kritisierten Kritik an Israel. Auch hier folge ich Brumlik noch gerne. Die Form der Kritik, die er zulassen möchte, denkt nicht an, antizionistischen und antisemitischen Ressentiment Tür und Tor zu öffnen. Er spricht viel mehr von Kritik auch als Aufgabe, sie nicht zurück zu halten und einer Möglichkeit des Umdenkens für Kritiker und Kritisierte – was er anhand seines Austauschs mit Jürgen Habermas sensibel beschreibt.

Stellte ich in der ersten Hälfte fest, dass ich Brumlik nicht reden höre, liest sich das Werk ab hier (endlich), wie er selbst: literarisch, wertend, schnell. Aber hier kippt auch die Stimmung. Brumlik geht nun vehement Israels Politik an und verurteilt unter anderem jene Deutschen, die heute radikal zu Israel stehen, als seien es Marionetten, die einer falschen Ideologie aufsässen.

Brumlik richtet sich mit seiner Kritik an Israels an dessen eigentlich unwiderrufliche Besatzungspolitik und seine ethnisch nahezu alleinig Juden favorisierenden Gesetze. In dem – nicht unbekannten – Artikel ‚Plan B‘, bietet er nun eine von ihm selbst als Utopie bezeichnete Lösung an. Diese entsteht auch daraus, dass er die allseits als Lösung des Konflikts postulierte ‚Zweistaatenlösung‘ de facto für nicht mehr realisierbar hält. Zum einen, weil durch die israelische Siedlungen irreversible Fakten geschaffen wurden, zum anderen, weil es nicht zu verantworten sei, die integrierten arabischen Israelis einfach ‚rauszuschmeißen‘. Brumliks logische Konsequenz ist, dass es keinen ‚jüdischen Staat‘ geben kann, sondern nur einen Staat, der (unter anderem) auch den bereits dort lebenden Arabern ein gleichberechtigtes Zuhause böte. Er stellt bis ins Detail vor, wie dieser funktionieren könnte und sollte. So könnte Israel letztendlich zu einer in sich und weltweit anerkannten säkularen Demokratie im Nahen Osten wachsen.

Hier erfolgt ein erneuter stilistischer Szenenwechsel. Nun sitzt der Leser neben einem nachdenklichen Brumlik auf einer Bank und schaut mit ihm über den Schwielowsee. Brumlik reflektiert aus einem jüdischen Leben in Deutschland. 1947 geboren erlebte er sowohl die unmittelbare Aufarbeitung des Holocaust, wie auch die Entwicklungen zu einem Land, dessen Werte und Gesetze er durchaus schätzt. Aber er thematisiert in diesem Abschnitt doch auch Gefahren, die er für Juden wahrnimmt: die religiösen, historischen und aktuellen; die Gefahren in der Diaspora und die in Israel. Was jetzt richtig ist, hat Brumlik in seiner Utopie formuliert. Was in Zukunft folgen könnte, lässt trotz dem zunächst optimistisch wirkenden ‚Plan B‘ auch in Brumliks Gedanken immer wieder auch wenig optimistisches vermuten.

Micha Brumliks oft so wortgewaltigen Ausführungen zu folgen begeistert mich seit meiner Jugend. Er ist einfach nicht langweilig. So auch dieses Werk, dass es sich lohnt, mehrfach zur Hand zu nehmen. Besonders faszinieren mich im ersten Lesen seine Überlegungen, in denen er Grundgedanken des Judentums in die Gegenwart zu ziehen vermag. Aufgrund seines ‚Tons‘ aber höre ich seine Argumente gegen die israelische Politik besonders laut. Er wischt verbal jene, die seiner Überzeugung nicht entsprechen, einfach weg. Gleichzeitig zitiert Brumlik Habermas innerhalb der Frage nach zu äußernder Kritik mit der Frage an den Kritiker, zu wem dieser spreche. Ich als ‚Andersgläubige‘ tue mich aufgrund Brumliks Stil tatsächlich schwer, so seine Gedanken zuzulassen.

Gleich, wie überzeugt Brumlik von etwas zu berichten vermag, hat er die Gabe, seine Auffassungen zu ändern. Und genau diese Offenheit für den Dialog spiegelt sich in „Wann, wenn nicht jetzt?“ dann letztendlich doch wieder. So sehe ich in seiner Utopie den Anspruch an Ratio und Menschlichkeit, an Israel und die Welt; für die Realität aber ausreichend Skepsis, um auch im Leser den produktiven Reiz zum Weiterdenken auszulösen.

Micha Brumlik, Wann, wenn nicht jetzt? Versuch über die Gegenwart des Judentums, Neofelis Verlag 2015, 132 S., Euro 10,00, Bestellen?