Von Theodor Herzl bis heute

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Michael Brenner über Traum und Wirklichkeit des jüdischen Staates…

Ist Israel ein Staat wie jeder andere? Oder ist der Staat der Juden vielmehr durch die Besonderheiten der jüdischen Geschichte geprägt und dadurch zu einem einzigartigen Gebilde geworden? Dies ist der rote Faden, an dem Michael Brenner seine Geschichte Israels von den Anfängen des Zionismus bis heute erzählt. Schon im Vorwort macht er deutlich, dass beide Ansätze die Geschichte des Staates prägten, sowohl der Wunsch nach „Normalität“, also so zu sein wie alle anderen, wie auch die Idee, „anders zu sein und ein Vorbild für den Rest der Welt darzustellen“. Das Buch zeigt die Debatten über den Charakter des Staates, sowohl im Vorfeld seiner Gründung wie auch durch die Jahrzehnte seines Bestehens hinweg. Brenners These ist dabei: „Obwohl Israels Vordenker und später Israels Politiker immer wieder den Weg in die Normalität einzuschlagen versuchten und dem „besonderen“ Schicksal der jüdischen Geschichte entfliehen wollten, konnten sie sich nicht von dem Bann lösen, der die Geschichte der Juden über Jahrtausende begleitet hat.“

Brenner spinnt die Geschichte Israels anhand der Visionen und Träume, die die unterschiedlichen Wegbereiter und Politiker für den Staat hatten. Die Ideen Theodor Herzls, Achad haAms und Vladimir Zeev Jabotinskys bringt er dem Leser anhand ihrer Schriften nahe, die durchaus für überraschende Erkenntnisse sorgen. Neben Herzls besser bekanntem utopischem Roman „Altneuland“ etwa ein genauer Blick auf Jabotinsky, der eben keinen rein jüdischen Nationalstaat ersannte, wie man von dem rechten Revisionisten-Führer erwarten könnte, sondern eine jüdisch-arabische Förderation. Gleichzeitig spannt Brenner immer auch den größeren Bogen und stellt auch Konzepte jüdischer Denker vor, die keine Zionisten waren, wie beispielsweise Walther Rathenaus, der für ein „völliges Aufgehen der Juden in ihrer Umgebung“ plädierte, oder Simon Dubnows, der eine kulturelle Autonomie der Juden in Osteuropas theoretisierte.

Vom ersten Zionistenkongress über das Auftauchen der Zweistaatenlösung ab Mitte der 1930er Jahre, die eben nicht von Beginn des Zionismus an, sondern erst mit der zunehmenden jüdischen Einwanderung wegen der Lage der Juden in Europa und der damit einhergehenden Widerstands der arabischen Bevölkerung Palästinas, aufkam, stellt Brenner die Vorgeschichte des Staates in ihren groben Zügen dar. Die Zeit ab 1948 bis heute zeigt er von mehreren Paradigmenwechsel geprägt. Während die ersten beiden Jahrzehnte „vor allem im Zeichen der Transformation vom zionistischen Traum zur israelischen Realität“ standen, während derer nicht nur praktische Anforderungen gemeistert werden mussten, sondern auch Fragen um die Essenz des Staates geklärt wurden, allen voran die Frage „Wer ist Jude im jüdischen Staat?“, rückte nach 1967 und dem Rechtsruck der Wahlen von 1977 wieder die Utopie in die israelische Politik. Israel wurde zur „Projektionsfläche eines breiten Spektrums von Meinungen“.

Die Auswirkungen des Sechstagekriegs zeigt Brenner als großen Einschnitt: „In gewissem Sinne kann man von einer zweiten Staatsgründung im Jahr 1967 sprechen.“ Die sechs Tage im Juni 1967 haben nicht nur das Selbstbewusstsein des Staates verändert, den Israelis Zugang zu Jerusalem, Hebron und anderen Stätten, die in der jüdischen Tradition wichtig sind, ermöglicht, sondern auch die Besatzung gebracht, also israelische Kontrolle über Hunderttausende Palästinenser. Die Diskussionen darüber zeigt Brenner anhand der Aussagen von Intellektuellen wie Martin Buber, Yeshayahu Leibowitz und A.B. Yehoshua. Daneben geht er auch der Entwicklung und dem Aufstieg der Siedlerbewegung mit ihren Vordenkern nach.

Einen gesonderten Abschnitt widmet Brenner dem „globalen Israel“ und dem Spannungsfeld von Israel und Diaspora. Dass ausgerechnet Berlin zum Eldorado junger Israelis geworden ist, findet hier genauso Erwähnung wie Beispiele aus der Literatur zur Auseinandersetzung mit der Diaspora, wie etwa in Eshkol Nevos Roman Neuland. Über die Integration von Diaspora in Israel handelt das Unterkapitel über die „neuen Israelis“, das über die Zuwanderung verschiedener Gruppen, wie der äthiopoischen Juden, berichtet. Aber auch von Gruppen beispielsweise im Nordosten Indiens, wo einige Tausend Angehörige der Mizo, Kuki und Chin-Völker darauf warten, als Juden anerkannt zu werden und nach Israel auszuwandern. Das Bild der Gesellschaft rundet ein Exkurs über Nicht-Juden im Land ab, neben Gastarbeitern und Flüchtlingen, vor allem aus Sudan und Eritrea, sind dies natürlich vor allem die Araber Israels, wie auch Drusen und Beduinen. Auch wenn das Thema Gleichberechtigung dieser Bevölkerungsgruppe immer wieder angesprochen wird, ist dies doch ein Aspekt der einen größeren Fokus verdient hätte, da seine Komplexität starken Einfluß auf die Gesellschaft hat. Im letzten Kapitel unter der Überschrift „Die zwei Gesichter Israels“ thematisiert Brenner schließlich noch den großen Konflikt zwischen Religiösen und Säkularen im Land.

Michael Brenner, Inhaber des Lehrstuhls für Jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Direktor des Center for Israel Studies an der American University in Washington, DC, hat es einmal mehr verstanden, eine kurzweilige und sehr gut erzählte Überblicksdarstellung vorzulegen, die sich wohltuend von anderen Werken zu Israel abhebt. Mit dem kritisch-objektiven Blick eines Historikers, aber mit viel Empathie erzählt und klug aufgebaut , ist das Buch ein Muss für alle, die Israel verstehen wollen. Es gibt hier kein Schwarz und Weiß-Denken, aber die Erkenntnis, dass alles dazu gehört, und dass man alles das wissen muss, um wirklich zu verstehen: „Israel ist nicht das utopische Siebenstundenland, von dem Theodor Herzl träumte, und auch nicht der neue Nahe Osten, den Shimon Peres erstrebte, es ist werden zum Kanaan geworden, das mit der jüdischen Tradition bricht, noch zum Zion, das sich als religiöser Staat definiert. Das Israel von heute ist ein bisschen von alledem geworden.“ – al

Michael Brenner, Israel: Traum und Wirklichkeit des jüdischen Staates, C.H.Beck Verlag 2016, 288 S., Euro 24,95, Bestellen?
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