Stolpersteine auch in München

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Angehörige sollten über das Gedenken ihrer ermordeten Verwandten selbst entscheiden dürfen…

Ein Kommentar von Amelie Fried
Zuerst erschienen in: Jüdische Allgemeine v. 23.7.2015

Mindestens zehn Mitglieder meiner jüdischen Familie väterlicherseits wurden von den Nazis ermordet, andere zur Emigration gezwungen oder in den Suizid getrieben. Erst 2005 erfuhr ich vom ganzen Ausmaß der Verfolgung, der meine Familie ausgesetzt war – seither engagiere ich mich für die Stolpersteine. Vom ersten Moment an erschienen sie mir als höchst überzeugende Form des individuellen Gedenkens. Die Namen der von den Nazis Ermordeten werden ins Bild unserer heutigen Städte zurück geholt, jeder Stein erinnert an einen Menschen, vor den Häusern, in denen diese Menschen gelebt haben und aus denen sie verschleppt wurden.

Ein Stolperstein hat Signalwirkung und einen hohen Wiedererkennungswert: Jedes mal, wenn ich irgendwo in Europa einen von ihnen aufblitzen sehe, versetzt es mir einen Stich, denn ich weiß sofort, warum er da liegt. Stolpersteine sind über das individuelle Gedenken hinaus also eine soziale Skulptur, mehr als 52.000 in 19 Ländern gibt es inzwischen, zusammen genommen bilden sie das größte Holocaust-Mahnmal der Welt.

Was derzeit in München stattfindet, ist eine Farce. Es sollte über die Frage abgestimmt werden, ob es – nach dem Verbot von 2004 – dort zukünftig Stolpersteine geben darf oder nicht. Nun haben CSU und SPD schon vor der Abstimmung verkündet, sie hätten einen großartigen Kompromiss ausgearbeitet: Stolpersteine blieben auch weiterhin verboten. Wer seiner Verwandten gedenken wolle, könne ja eine Tafel am Wohnhaus anbringen lassen, oder eine Stele davor. Seit wann ist ein Verbot ein Kompromiss? Das mindeste wäre doch, dass alle drei Gedenkformen erlaubt würden, wenn man sich nicht auf die Stolpersteine einigen kann.
Das Haupt- (und einzige) Argument der Stolpersteingegner lautet, Stolpersteine seien würdelos, weil sie im Straßenschmutz lägen und man auf sie treten könne. Stolpersteine werden aber nicht auf der Straße, sondern auf Gehwegen vor Wohnhäusern verlegt, und jedes Denkmal kann betreten, beschmutzt oder geschändet werden – das kann kein Argument dafür sein, es nicht zu errichten. Gerade die Stolpersteine werden äußerst selten beschädigt (unter 0,3%, Quelle: Landeszentrale für politische Bildung Hamburg). Im Gegenteil: Sehr oft fühlen Hausbewohner sich verantwortlich für „ihre“ Stolpersteine, reinigen und polieren sie und legen an Gedenktagen wie dem 9. November Blumen nieder und stellen Kerzen auf.

Entscheidend ist, dass die Stolpersteine auf öffentlichem Grund liegen, damit das Gedenken nicht von der Willkür einzelner Hausbesitzer abhängig ist. Genau diese Hausbesitzer aber wird man fragen müssen, wenn man eine Gedenktafel anbringen will. Man kann sich vorstellen, wie begeistert die meisten reagieren werden. Eine Tafel mit den Namen ermordeter Bewohner könnte den Wert der Immobilie schmälern. Es könnten Fragen zu den früheren Besitzverhältnissen aufkommen, die dem heutigen Eigentümer unangenehm sind.

Ob Stelen auf Gehwegen wirklich eine Alternative darstellen, wage ich zu bezweifeln. Sie bilden gefährliche Hindernisse für Passanten, würden als Fahrradständer oder anderweitig zweckentfremdet werden und wohl eher für Verärgerung als für nachdenkliches Innehalten sorgen. Aber bei allen möglichen Zweifeln soll in dieser Frage gelten, was die Münchner Stolperstein-Gegner für sich einfordern, nämlich Respekt und Toleranz. Ich finde: Jeder Angehörige soll selbst entscheiden können. Keinem Angehörigen soll eine Gedenkform aufgedrängt werden, die er nicht möchte. Aber es soll auch keinem die Gedenkform verwehrt bleiben, die er als würdig und angemessen empfindet.

Es ist kein Geheimnis, dass die Münchner IKG-Präsidentin Dr. Charlotte Knobloch eine heftige Abneigung gegen die Stolpersteine hegt, die sie bei einem Besuch der beiden großen Stadtratsfraktionen vor kurzem noch einmal zum Ausdruck gebracht hat. Spätestens seither ist klar, dass die Stadträte mehrheitlich gegen die Stolpersteine stimmen werden, auch wenn viele anders denken. In Gesprächen mit Abgeordneten hört man jedenfalls immer wieder: „Ich hätte ja nichts gegen die Stolpersteine (oder: „Ich würde mir Stolpersteine wünschen“), aber so lange Frau Knobloch dagegen ist, kann ich das öffentlich nicht äußern bzw. nicht dafür stimmen.“

Man kann diese Rücksichtnahme auf die wichtigste jüdische Repräsentantin Münchens und Holocaust-Überlebende ehrenwert finden. Man kann aber auch fragen, warum die – wie sie selbst betont – „persönlichen“ Empfindungen von Charlotte Knobloch mehr zählen, als zum Beispiel die von Peter Jordan und Ernst Grube – zwei Münchner Holocaust-Überlebenden, die sich sehnlichst Stolpersteine für ihre Familien wünschen. Oder die Gefühle meines Onkels Walter Fried, der sich für seine aus München nach Auschwitz deportierten und ermordeten Eltern ebenfalls Stolpersteine gewünscht hätte.

Man kann auch fragen, wie viel Empathie mit diesem Verbot den Angehörigen anderer Opfergruppen entgegen gebracht wird, die sich in München geschlossen für Stolpersteine ausgesprochen haben. Sind Sinti und Roma, Euthanasieopfer, politisch Verfolgte, Homosexuelle und andere NS-Verfolgte in München Opfer zweiter Klasse?

Viele Münchner Bürger engagieren sich aus tiefster Überzeugung für diese Form des Gedenkens und werden das weiter tun. Im Gegensatz zu den Stolperstein-Gegnern würden sie selbstverständlich andere Gedenkformen respektieren. Vielleicht sollte man auf Seiten der Gegner noch einmal über die Begriffe Respekt und Toleranz nachdenken. Und auf Seiten des Stadtrates darüber, was einen Kompromiss ausmacht, der diesen Namen wirklich verdient.