Kurz nach der Befreiung beteten US-Soldaten in der Synagoge…
Von Jim G. Tobias
Der Krieg war noch nicht vorbei, da wurde am 27. April 1945 ein erster Gottesdienst in der missbrauchten, geschändeten und provisorisch wiederhergestellten Synagoge von Bad Nauheim gefeiert. „Da in Nauheim keine jüdischen Einwohner übrig geblieben sind, wird das Gotteshaus vorläufig nur von den jüdischen Jungens des XIX. Corps besucht“, berichtete die Zeitschrift Jüdische Welt über dieses ungewöhnliche Ereignis. Doch unter den Teilnehmern befand sich auch eine Handvoll deutscher Juden, wie etwa der gebürtige Bad Nauheimer Ralph Baum, der als Elfjähriger in die USA emigriert war und nun als GI und Befreier in seine Heimat zurückkehrte.
Erster Gottesdienst in der Synagoge Bad Nauheim, 27. April 1945, Foto: Jüdische Gemeinde Bad Nauheim
Im November 1938 war das neun Jahre zuvor im Stil der Neuen Sachlichkeit erbaute Gotteshaus von SA-Leuten geschändet und demoliert worden: „Als ich am anderen Tag zur Synagoge ging“, erinnerte sich die Frau des Kantors, „fand ich ein Bild der Zerstörung vor. Die Scheiben waren eingeschlagen, Türen aufgebrochen und das Mobiliar mit Äxten zerstückelt.“ Das Gebäude wurde jedoch nicht zerstört, sondern als Lagerhaus zweckentfremdet. 1942 verschleppten die Nationalsozialisten die letzten von einst rund 300 Bad Nauheimer Juden in die Vernichtungslager.
Mit Unterstützung der US-Militärregierung entstand jedoch schon wenige Monate nach Kriegsende eine neue jüdische Gemeinde. Im Herbst 1945 war der vom amerikanischen Präsidenten eingesetzte „Consultant on Jewish Problems“, Judah Nadich, durch das besetzte Deutschland gereist, um die neugegründeten Gemeinschaften von Schoa-Überlebenden zu besuchen. Über seine Visite in Bad Nauheim schrieb er: „Die etwa sechzig Juden in der Stadt haben sich zusammengeschlossen und ein Exekutiv-Komitee unter dem Vorsitz von Dr. Kellermann gegründet. Von den in der Stadt lebenden Juden stammen rund fünfzig aus Polen, die restlichen sind Rumänen, Ungarn und Deutsche. Fast alle von ihnen möchten das Land verlassen und nach Palästina einwandern.“
Doch den Staat Israel gab es noch nicht. So waren die Juden gezwungen, in Deutschland auszuharren. Wie in anderen Orten kam es auch in Bad Nauheim kurzzeitig zu einer Renaissance des nahezu vernichteten jüdischen Lebens. Die Gemeinde erhielt mit der Villa „Haus Flörsheim“ ein eigenes Zentrum, die Synagoge wurde auf Befehl der Militärregierung komplett renoviert und bereits im Juli 1945 feierlich eingeweiht. Bis über 400 Gemeindemitglieder sowie zahlreiche in der Region stationierte jüdische US-Soldaten konnten sich hier fortan zum Gottesdienst versammeln.
Anfang Juli 1945 wurde die Synagoge durch US Chaplain Samuel Binder im Rahmen eines feierlichen Gottesdienstes eingeweiht. Foto: Stadtarchiv Bad Nauheim
Zudem entwickelte sich in der Stadt für einige Jahre ein ausgeprägtes kulturelles Leben. Am 8. September 1946 gastierten etwa auf Einladung der Gemeinde „die berühmten jiddischen Bühnen- und Filmkünstler Diana Blumenfeld und Jonas Turkow“ im Kleinen Kurhaussaal. Im Anwesen der ehemaligen Israelitischen Kinderheilstätte eröffnete die orthodoxe Hilfsorganisation Vaad Hatzala (Rettungskomitee) ein religiöses Kinderheim. Es wurde sogar ein Fußballverein gegründet: Makabi Bad Nauheim spielte in einer Liga mit Hapoel Bensheim, Bar Kochba Wetzlar oder Kadima Bad Salzschlirf um die Meisterschaft.
Doch diese Blütezeit des jüdischen Lebens währte nur kurz. Nachdem die Mehrheit zum Ende der 1940er Jahre nach Israel oder Übersee ausgewandert war, blieben nur wenige Juden in der Stadt. Heute zählt die Jüdische Gemeinde Bad Nauheim wieder über 300 Mitglieder.