ISIS und IRAN

0
45

Teheran hat nicht nur mit al Qaida, sondern auch mit Isis verdeckt kooperiert…

Von Matthias Küntzel

Kaum hatte die Terrorarmee »Islamischer Staat im Irak und in Syrien« (Isis) die irakischen Städte Mossul und Tikrit erobert, da schöpfte man in Berlin neue Hoffnung, der Iran könne eine kons­truktive Rolle übernehmen. Hatte Präsident Hassan Rohani nicht angedeutet, bei der Wiederherstellung von Sicherheit im Irak mit dem Westen zusammenarbeiten zu wollen?

»Wenn die Zeichen, die wir aus Teheran hören, zuträfen und in diese Richtung gingen, dann würden wir das sehr begrüßen«, sagte der Sprecher des Auswärtigen Amts. ((Bundespressekonferenz, 16. Juni 2014.)) Sein Minister, Frank-Walter Steinmeier, appellierte Mitte Juni »an den Iran und andere Regionalmächte, Verantwortung für die Stabilisierung des Irak zu übernehmen« ((Jochen Gaugele, Claus Christian Malzahn und Daniel Friedrich Sturm, Steinmeier warnt vor „Stellvertreterkrieg“ im Irak, Die Welt, 15. Juni 2014.)), während ein Leitartikel der Zeit das iranische Regime bereits zum potentiellen »Retter« erklärte. »In einem Punkt« seien »sich alle Iraner (…) einig«, schrieb dort Ulrich Ladurner. »Der Iran ist dazu prädestiniert, Ordnungsmacht in der Region zu sein.« Und er fügte hinzu: »Jetzt, da die ganze Region in Blut versinken könnte, muss der Westen sich das klarmachen. Je früher, desto besser.« ((Ulrich Ladurner, Irak: Stell dir vor, es ist Krieg und der Schurke wird zum Retter, ZEIT, 18. Juni 2014, S. 1. Einen älteren Artikel über die ZEIT und Ulrich Ladurner finden Sie hier .))

Gewiss, niemand kann sich bei einem so grausamen Krieg aussuchen, mit wem er dagegen angehen will. Und doch ist die Hoffnung, ausgerechnet die Machthaber in Teheran seien dazu geeignet, absurd. Solange sich der Iran als Gottesstaat definiert, ist er kein Teil der Lösung. Er ist das Problem.

Schon die Geschichte von Isis macht dies deutlich. Dieser Terrorverband sei »bis vor kurzem nur eine von vielen Rebellengruppen im syrischen Bürgerkrieg« gewesen, heißt es im Spiegel, als habe Bashar al-Assad den »Islamischen Staat« so wie die anderen Rebellen bekämpft. Tatsächlich aber »ließ Assads Armee Isis stets in Ruhe« – auch das berichtet das Hamburger Magazin und ergänzt: »Außerdem eroberten (die Isis-Soldaten, M. K.) Ölquellen und verkauften den Rohstoff auch an das Assad-Regime.« ((Kampf für das Kalifat, Spiegel Nr. 26, 23. Juni 2014, S. 76f.)) Was soll Isis also nun gewesen sein: Rebell gegen Assad oder dessen Kompagnon? Der Spiegel sieht in seiner Titelgeschichte davon ab, diesen Widerspruch zu lösen.

»Die nicht-jihadistische Opposition in Syrien ist sich sicher, dass Isis vom Iran geschaffen wurde«, bemerkt hingegen die Washington Post, ((Michael Doran and Max Boot, The United States should not cooperate with Iran on Iraq, Washington Post, June 17, 2014.)) und eben dies liegt nahe.

Bekanntlich geht die Gründung von Isis auf den al-Qaida-Ableger ISI (»Islamischer Staat im Irak«) zurück. Eine verdeckte Koordination zwischen der sunnitischen al-Qaida und dem schiitischen Iran ist aber seit langem belegt. So gab die amerikanische Regierung im Februar 2012 bekannt, dass das iranische Geheimdienstministerium den »Islamischen Staat im Irak« mit Geld und Waffen unterstütze. ((http://www.treasury.gov/press-center/press-releases/Pages/tg1424.aspx .)) Im Gegenzug hat al-Qaida versprochen, die Interessen und Versorgungswege Irans zu respektieren. ((Bill RoggioMay, ,Iran owes al Qaida invaluably,’ ISIS spokeman says, The Long War Journal, May 12, 2014.)) Erst im Mai 2013 wurde die Zusammenarbeit zwischen al-Qaida und dem ISI-Nachfolger Isis formell beendet. ((Thomas Joscelyn, Al Qaeda’s general command disowns the Islamic State of Iraq and the Sham, The Long War Journal, 3. Februar 2014.))

Belege für die Nähe von ISI und Isis zu Assad (und damit zu Iran) sind Legion. Als der Aufstand gegen Assad 2011 begann, entließ Assad Hunderte ISI-Jihadisten aus den Gefängnissen. ((Murhaf Jouejati, ISIS advance should mean more arms for Syrian opposition, Al-Monitor, 20. Juni 2014.)) Später wurden in einem Isis-Hauptquartier bei Aleppo zahlreiche iranische Sim-Karten und Pässe entdeckt. ((Iranian regime uses ISIL to preserve Syria interests: analysts, http://www.mesop.de/2014/05/14/iranian-regime-uses-isil-to-preserve-syria-interests-analysts-watch-document/ .)) Im Laufe der Jahre verkaufte Isis »Öl in Millionenhöhe aus den von ihnen besetzten Gebieten«, und zwar »an die Zentralregierung in Damaskus«, berichtete die FAZ am 20. Juni. »Die Diktatur Bashar al-Assads bezahle die Terroristen für den Schutz von Öl- und Gaspipelines und erlaube den Transport in von Regierungstruppen gehaltenen Gegenden, hätten britische M16-Mitarbeiter herausgefunden«, zitierte die FAZ den britischen Telegraph. ((Markus Bickel, Dschihad-Tycoons, FAZ, 20. Juni 2014.))

Für Isis lohnte sich diese Kooperation schon deshalb, weil das Assad-Regime im Gegenzug die Territorien der Terrorgruppe mit Elektrizität versorgte, was deren Beliebtheit bei der Bevölkerung steigerte. Der Widerspruch, den der Spiegel nicht lösen wollte, ist damit geklärt: Isis war Assads als Widersacher verkleideter Kompagnon. Doch warum eine solche komplizierte Operation?

Zum einen ging es darum, den Widerstand gegen Assad zu schwächen. So sparte Isis bei seinen Angriffen die Truppen Assads oder der Hizbollah in der Regel aus. Isis konzentrierte stattdessen seinen unfassbar brutalen Krieg auf Assads gefährlichste Widersacher: die Angehörigen der vom Westen im Stich gelassenen »Freien Syrischen Armee«. Gräuelvideos von Enthauptungen wurden auf Youtube eingestellt – bezeichnenderweise mit Absenderadressen aus dem Libanon oder dem Iran. ((Iranian regime uses ISIL to preserve Syria interests: analysts, http://www.mesop.de/2014/05/14/iranian-regime-uses-isil-to-preserve-syria-interests-analysts-watch-document/ .))

Zum anderen ging es darum, die Bewegung gegen Assad zu diskreditieren und der Schutzbehauptung des Regimes, man kämpfe gegen »Terroristen«, Glaubwürdigkeit zu verleihen. Man bezahlte den Brandstifter und profilierte sich als Feuerwehr. Diese Kriegslist stellte den Westen vor die vermeintliche Alternative, entweder das Assad-Regime oder al-Qaida-Terroristen zu unterstützen. Man kalkulierte zutreffend, dass der Westen unter diesen Umständen für Assad votieren würde.

Die Absprachen zwischen den sunnitischen Islamisten von Isis und den schiitischen Islamisten Irans kamen somit beiden Seiten zugute und belegen, dass die Rede vom »Konflikt zwischen den großen Konfessionen des Islam: den Schiiten (…) und den Sunniten« (so die neueste Ausgabe des Spiegel) den tatsächlichen Charakter der Auseinandersetzung verkennt.

Offen ist allerdings die Frage, ob Irans Beziehungen zu Isis auch nach den jüngsten Eroberungsfeldzügen weiterbestehen. Der israelische Nahost-Experte Pinhas Inbari hält dies für möglich und vermutet, dass die iranische Regierung den Irak nach konfessionellen Kriterien spalten und sich erneut als »Bekämpfer des Terrorismus« in Szene setzen will. ((Pinhas Inbari, ISIS: Iran’s Instrument for Regional Hegemony?. Institute for Contemporary Affairs, June 20, 2014.))

Andererseits bombardierte die syrische Armee nach dem Fall von Mossul erstmals ein Isis-Hauptquartier in der syrischen Stadt ar-Raqqa. ((Nicholas Blanford, Why ISIS gains in Iraq are reshaping Syrian regime’s war strategy, The Christian Science Monitor, 16. Juni 2014.)) Dies spricht für die These, dass der Isis-Vormarsch auch Syrien und den Iran überraschte.

Die Reaktionen des iranischen Regimes zeugten von Konfusion: Während anfangs Präsident Rohani Anti-Terrormaßnahmen in Absprache mit Washington nicht ausschloss, machte Parlamentssprecher Ali Larijani die USA für den Isis-Terror verantwortlich. ((Scott Lucas, Week Past, Week Ahead: Iran – Rouhani Overruled on Iraq, EA Worldview, 23. Juni 2014.)) Erst am zwölften Tag nach dem Sturz von Mossul gab Revolutionsführer Ali Khamenei die Linie vor: »Wir lehnen die Einmischung der USA in die inneren Verhältnisse Iraks energisch ab.« Gleichzeitig wies er Forderungen nach einer Ablösung des bisherigen proiranischen Ministerpräsidenten Nouri al-Maliki zurück. ((AP, Ayatollah of Iran Says U.S. Should Avoid Iraq, New York Times, 22. Juni 2014.))

Dies deutet darauf hin, dass Khamenei nicht auf die Einheit des Irak, sondern auf eine schiitische Mobilisierung setzt. Lieber eine Teilung des Irak in eine Isis-Enklave und ein Schiistan als die Wiederherstellung der Multikonfessionsstaats Irak – dies scheint die Präferenz des Revolutionsführers zu sein. Dann könnte vielleicht auch die verdeckte Kooperation, die Iran mit al-Qaida praktizierte, mit Isis weitergehen.

Schon heute ähneln sich der »Islamische Staat« von Isis und die Islamische Republik Iran in ihrer Ablehnung der Demokratie. Während Artikel 2 der iranischen Verfassung die »alleinige Entscheidungsbefignis und Gesetzgebung Allahs« verlangt, fordert der »Code of Conduct«, den Isis im Irak veröffentlichte, die »weltweite Einsetzung von Allahs Gesetz«. ((Code of Conduct Issued By ISIS in Nineveh Province, MEMRI, Special Dispatch No. 5768, 13. Juni 2014.))

Wer aber, wie Ulrich Ladurner, »dem Iran jetzt eine Rolle als Ordnungsmacht in der Region zugestehen« will, macht den Bock zum Gärtner und verschärft den Konflikt. Beikommen könnte ihm nur massiver westlicher Beistand für jene, die als Sunniten und Schiiten miteinander leben und Demokratie und Freiheit verteidigen wollen – ob in Syrien oder im Irak. Ihr wichtigster irakischer Repräsentant ist der schiitische Ayatollah Ali al-Sistani, der Khomeinis Lehre ablehnt, die Ablösung Malikis fordert und das Verbot schiitischer Milizen verlangt.

Der Artikel erschien in der Jungle World v. 26.6.2014.