Inge Deutschkron: Eine unermüdliche Mahnerin

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Interview mit Inge Deutschkron anlässlich der Finissage der Ausstellung „Dem Leben hinterher – Fluchtorte jüdischer Verfolgter“ am 28.2.2014 in der Bremischen Bürgerschaft…

Von Orlando Berliner/ Susanne Benöhr-Laqueur

Im Zweiten Weltkrieg tauchten in Berlin ca. 7.000 Jüdinnen und Juden unter. Als „U-Boote“ versuchten sie der Deportation zu entkommen. Zu ihnen zählte auch Inge Deutschkron und ihre Mutter. Die beiden Frauen überlebten. Ihnen halfen ’stille Helden‘ und nicht zuletzt Otto Weidt. Seine Blindenwerkstatt in der Rosenthaler Straße 39 bot jüdischen Menschen eine Zufluchtsstätte. ((http://www.museum-blindenwerkstatt.de/)) Otto Weidt, dem posthum im Jahre 1971 die Auszeichnung eines ‚Gerechten unter den Völkern‘ ((http://www.yadvashem.org/yv/de/righteous/stories/weidt.asp)) verliehen wurde, ist erst kürzlich ein filmisches Denkmal gesetzt worden. ((http://www.daserste.de/specials/die-liebe-des-otto-weidt-06012014-104.html))

Das Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt e.V. und der Förderverein „Blindes Vertrauen“ e.V. ((http://www.museum-blindenwerkstatt.de/de/foerderverein/)) hat eine Wanderausstellung erarbeitet, die anhand von 29 Ausstellungselementen einige ausgewählte Orte in Berlin und Umgebung zeigt, in denen sich Untergetauchte zu verstecken suchten, darunter in Kirchen- und Werkstattkellern, Gartenlauben und Gutshäusern, Wohnungen und Pensionen, in einer Badeanstalt, einem Ziegenstall oder einer Zollstation. ((http://www.museum-blindenwerkstatt.de/fileadmin/dokumente/Fluchtorte_Flyer100824.pdf)) Die Ausstellung war vom 16. 1.2014 bis zum 28.2.2014 im Festsaal der Bremischen Bürgerschaft zu sehen.

Zum Abschluss sprach Inge Deutschkron, Jahrgang 1922, zart und zerbrechlich aber mit klarer und fester Stimme. Sie referierte vor einem ‚vollen Haus‘. Circa 85 % der Zuhörer waren Schüler, der höheren Jahrgangsstufen – dies entspricht dem Ziel der Inge-Deutschkron-Stiftung, nämlich insbesondere der jüngeren Generation über den Geschichtsunterricht hinaus Informationen über die Schrecken des Nationalsozialismus in Deutschland zu vermitteln. ((http://www.inge-deutschkron-stiftung.de/)) Die Bremische Bürgerschaft bot somit dankenswerter Weise der bremischen Jugend und Inge Deutschkron ein Forum. Dass sich die Botschafterin des Königreiches der Niederlande, Monique T.G. van Daalen, und der Präsident der Bremischen Bürgerschaft, Christian Weber, sowie der ehemalige Kulturstaatsminister und jetzige Vorsitzende der Filmförderungsanstalt, Bernd Neumann, zu den Zuhörern gesellten war umso erfreulicher.

Inge Deutschkron sprach – unverkennbar „Berlinerisch“ – ca. 30 Minuten über ihr Leben. Ihr kurzweiliger Vortrag wurde von den sehr hörenswerten musikalischen Einlagen eines Akkordeonspielers unterbrochen. ((Der Akkordeonspieler Alexander Seemann (Bremen) intonierte: 1. Ozhidanje (trd.), 2. Sherele (trad.), 3. Amol is geven a majsse (trad.), 4. Die Gedanken sind frei (trad.))) Nach der Rede trat sie in einen lebhaften Dialog mit den ihren jugendlichen Zuhörern. Massiv und äußerst eindringlich forderte sie: „Ihr müsst kämpfen! Ihr müsst den Kampf auf das Stärkste aufnehmen gegen Antisemitismus und Rassismus!“

In einem anschließenden Interview mit haGalil erzählte Inge Deutschkron noch einmal von ihrem Leben als „U-Boot“, als Überlebende in der Nachkriegszeit und als Zeitzeugin.

haGalil: Sie haben den Verein “Blindes Vertrauen e.V“ ins Leben gerufen – hatten Sie die Idee für den Vereinsnamen?

Inge Deutschkron: Nein. Ich hatte zwar die Idee für den Verein – der Namensgeber war aber ein anderer. 

haGalil: Haben Sie Otto Weidt „blind“ vertraut? Hatten Sie einen „Plan B“?

Inge Deutschkron: Also ganz ehrlich, es gab keinen „Plan B“. Es musste einfach klappen. Es musste einfach gut gehen. Wissen Sie, Otto Weidt war ein Mann von großer Stärke. Man konnte ihm vertrauen. Es musste gut gehen – und es ging gut. 

haGalil: Worauf führen Sie seine große uneingeschränkte Hilfsbereitschaft zurück? Auf seine Behinderung oder seine politische Einstellung?

Inge Deutschkron: Auf beides. Otto Weidt war Pazifist. Er hat nie eine Waffe angefasst. 

hagalil: Otto Weidt hat Ihnen die „arischen Papiere“ einer Prostituierten besorgt. Wie hat er das geschafft?

Inge Deutschkron (lacht): Das war ganz einfach. Die Nationalsozialisten hatten verfügt, dass alle Frauen unter 55 Jahren in einer Fabrik arbeiten mussten. Dazu hatte die Dame keine Lust. Sie wollte lieber ihrem alten Gewerbe nachgehen und hat ihr Arbeitsbuch für 50 Mark angeboten. Otto Weidt hatte gleich akzeptiert. Dann liefen wir beide mit der gleichen Identität rum … das war auch nicht weiter schwierig, da wir ungefähr um selben Alter waren und uns auch irgendwie ähnlich sahen. Aber dann flog das Ganze auf und die Kripo rief in der Blindenwerkstatt an und fragt nach der Dame. Zufällig war ich am Apparat und sagte: “ Ich verbinde mal eben mit der Pressestelle“ (lacht wieder). Wir hatten aber gar keine Pressestelle…das habe ich mir schnell ausgedacht und sofort Otto Weidt ans Telefon gerufen. Er sagte sofort:“Die ist selten hier, die habe ich schon lange nicht mehr gesehen“. Damit war die Sache erledigt. Meine falschen Papiere aber auch.

haGalil: Welche Rolle spielte seine Ehefrau, Else Weidt bei der Hilfsaktion?

Inge Deutschkron: Wissen Sie, Else Weidt ging viel auf Reisen. Durch die Wehrmachtsaufträge war nun ja Geld da. Sie war also selten im Geschäft. Sie kam häufiger und fragte, ob Sie mit „Frau von-und-zu“ verreisen könne und Otto Weidt, ganz großzügiger Ehemann sagte dann,: „Aber natürlich, verreise nur…“ Aber sie hat „dicht“ gehalten und uns nicht verraten. Sie hat sicherlich auch die Pakete für Theresienstadt mit gepackt. ((Hinweis: „Otto Weidt schickt in den Jahren 1943 und 1944 mit der Unterstützung einiger Helferinnen und Helfer mehr als 100 Lebensmittelpakete an seine im Ghetto Theresienstadt inhaftierten Arbeiter, deren Angehörige und Freunde. So hilft er ihnen zu überleben.“, Quelle: http://www.museum-blindenwerkstatt.de/de/ausstellung/themen/postkarten-aus-theresienstadt/)) Alleine hätte Otto Weidt das nicht geschafft. Nach dem Krieg ging es ihr finanziell sehr schlecht. Ich habe ihr dann immer Kaffee und Zigaretten zukommen lassen.

haGalil: Im Westsektor der Stadt wurden auf Betreiben des damalige Innensenator Joachim Lipschitz von 1956 bis 1963 über 700 Berliner geehrt, die jüdischen Verfolgten uneigennützig Hilfe gewährt hatten. Lipschitz hatte eine jüdischen Vater, wurde aus der Wehrmacht ausgestoßen, musste sich verstecken… Musste erst Joachim Lipschitz auf die Idee dieser Ehrung kommen – wie waren Ihre Erfahrungen?

Inge Deutschkron: Ja, wissen Sie, Lipschitz hat sich wirklich sehr engagiert. Im Gegensatz zu sehr vielen anderen westdeutsche Politiker… und vor allen Dingen der damalige Bundeskanzler (gemeint ist Adenauer) sagten doch immer: Die meisten Deutschen waren doch in Wirklichkeit gegen Hitler. Das stimmt aber nicht.

haGalil: Die „Inge Deutschkron Stiftung“ hat sich zum Ziel gesetzt insbesondere der jüngeren Generation über den Geschichtsunterricht hinaus Informationen über die Schrecken des Nationalsozialismus in Deutschland zu vermitteln, um dem Wiederaufleben rechtsradikaler Tendenzen entgegenzuwirken,junge Menschen zu Toleranz und Zivilcourage zu ermutigen und darüber hinaus das Andenken an die sogenannten „Stillen Helden“ wach zu halten. Haben Sie in den letzten 20 Jahren einen Stimmungswandel in der deutschen Jugend wahrgenommen?

Inge Deutschkron: Ja, schon, jede Generation ist anders. Die heutige Jugend ist zum Teil sehr gut informiert und wirklich engagiert. Aber der Nahostkonflikt wird auch in Deutschland diskutiert, dass spielt schon rein, dass Verhältnis zu Israel und zu den Palästinensern, aber das wisst Ihr ja auch…

1 Kommentar

  1. Auch das Internetportal http://www.redok.de [Anm.: und natürlich auch hagalil.com] darf sich als “nationaler Feind” geehrt fühlen. Da sind sich die “Orcus”-Herrschaften im übrigen einig mit einem Leser einer “Linken Zeitung”, der vor kurzem von einer “Mossad-gesteuerten Webseite redok” zu berichten wusste.

    http://test.hagalil.com/2010/02/08/orkus/

    … und (O-Text) natürlich auch:

    deutschkron inge, autorin,
    de,
    Jude,
    nationaler
    Feind,
    1957
    deutschkron inge, jvhs,
    de,
    Jude,
    nationaler Feind,
    72

    Das erschien 2010, in dem Jahr, in dem die Interviewte sich anmaßte, ausgerechnet 88 zu werden 🙂

    Man könnte vielleicht meinen, selbst die ärgsten Alt- und Neonazis sollten wenigstens den minimalen Anstand besitzen, einen solchen leidgeprüften Menschen nicht zu brandmarken in ihrem Sinn. Aber wie soll das gehen, wenn der einzige Anstand, den Braun besitzt, der des Heinrich Himmler ist: „… Von euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammen liegen, wenn 500 daliegen oder wenn 1000 daliegen. Dies durchgehalten zu haben, und dabei – abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwächen – anständig geblieben zu sein, …“

    Die in der Liste – die vielfach im Internet abruf- und herunterladbar ist – genannten „Feinde Deutschlands“ sind seine Freunde. Gut, dass sie sind. Möge Deutschlands Freundin Inge Deutschkron noch die bekannten 120 erreichen!!

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