Was nun zu tun ist

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Zur Raubkunst-Debatte in Deutschland…

Von Martin Kloke
Zuerst erschienen bei: Tribüne, 03.02.2014

Einundachtzig Jahre nach der sogenannten Machtergreifung der Nationalsozialisten sind die zwi­schen 1933 und 1945 von Deutschen verübten monströsen Verbrechen und ihre Nachwirkungen noch immer präsent. Der Schwabinger Kunstfund vom Herbst 2013, der die brisanten Verstrickun­gen des verstorbenen NS-Kunsthändlers Gurlitt senior und seines inzwischen hochbetagten Sohnes Cornelius zutage förderte, ist nur eines von vielen Beispielen für jene zahllosen NS-Hypotheken, die nicht vergehen wollen. In ihrer Folge ist jetzt auch eine Debatte um die in deutschen Muse­en und Privatsammlungen verbliebenen Raub- und Beutekunstwerke entbrannt.

Im Fokus stehen dabei nicht in erster Linie moralische Erwägungen, sondern grundlegende Fragen von Recht und Unrecht: Eigentum ist gestohlen worden und muss den rechtmäßigen Besitzern zurückgegeben werden. Gleichwohl lassen sich die beschämenden Versäumnisse von einst und heute nicht aufein paar zwielichtige Kunsthändler und -sammler beschränken. Mitschuldig an dem veritablen Skandal sind auch staatliche Museen, die die zaghaften Auf klärungsbemühungen zur Rückgabe gestohlener Werke mit bürokratischer Präzision hintertreiben – ganz zu schweigen von jenen staatlichen Stellen in Deutschland, die es bis heute unterlassen, ein Gesetz zur Rückgabe geraubter Kunstwerke auf den Weg zu bringen. In einer Veranstaltung des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien und der Stiftung Topographie des Terrors auf dem Gelände der ehemaligen Zentralen der Geheimen Staatspolizei, der SS und des Reichssicherheitshauptamts in der Berliner Niederkirch­nerstraße unternahmen am 30. Januar 2014 verschiedene Redner den Versuch, Licht in das Dunkel der komplizierten Vorgänge zu bringen.

AUSGANGSBEDINGUNGEN UND FAKTEN

Andreas Nachama, der Direktor des Dokumentationszentrums Stiftung Topographie des Terrors, erinnerte in seinem Grußwort an die Repressionsmaßnahmen, die zeitgleich mit der »Machtüber­nahme« Hitlers und der NSDAP am 30. Januar 1933 entfesselt wurden. Juden und andere Minder­heiten wurden gesellschaftlich und politisch in die Enge getrieben, marginalisiert und für vogelfrei erklärt; der Verfolgungsdruck war allumfassend. Bei allem Respekt vor der heute herrschenden Er­innerungskultur in Deutschland wies Nachama apologetische Vorstellungen interessierter Kreise zurück, es habe in der Frühphase der NS-Herrschaft noch eine Zeit gegeben, in der Juden bei ihren

Fluchtvorbereitungen ihre Habe unter »normalen« Marktbedingungen veräußern konnten. Nacha-ma stellte klar: Alle »Geschäfte« zwischen 1933 und 1945 gehörten auf den Prüfstand, weil davon auszugehen sei, dass der Verkauf von Häusern, Wohnungseinrichtungen und Kunstwerken ohne mehr oder weniger dramatische Preisnachlässe nicht abgewickelt werden konnte.

»WIR BRAUCHEN EIN RAUBGUT-RÜCKERSTATTUNGSGESETZ«

Der Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien, Julius Schoeps, leuchtete in seinem Einführungsvortrag den historisch-politischen und rechtlichen Hintergrund der Raubkunst-Debatte aus. Demzufolge sollen gemäß der auch von Deutschland unterstützten »Wa­shingtoner Erklärung« von 1998 jene Kunstwerke, die in der NS-Zeit beschlagnahmt oder unter Druck verkauft bzw. abgegeben worden sind, den rechtmäßigen Eigentümern oder deren Erben zurückgegeben werden. Gleichwohl liegt dieser Absichtserklärung keine rechtsverbindliche Qua­lität zugrunde – bislang sei dieses »soft law« zu einem weitgehend folgenlosen moralischen Appell verkümmert, so Schoeps. Im nationalsozialistisch beherrschten Europa wurden ca. 600.000 Kunst­werke »beschlagnahmt«, will sagen: gestohlen. Viele dieser Fälle sind juristisch und moralisch noch ungeklärt. Allein in Deutschland schätzt Schoeps die Zahl der auch Anfang 2014 nicht geklärten Raubkunstwerke auf mehrere tausend Exponate; lediglich 350 von 6.000 Museen in Deutschland hätten es für nötig befunden, eigene Provenienz-Recherchen in die Wege zu leiten.

Schoeps forderte in seinem engagierten Vortrag eine Beschleunigung der Aufklärungsverfahren; der »Fall Gurlitt« bilde nur die Spitze eines Eisbergs. Gegen Privatsammler, so empörte sich der Potsdamer Historiker, gehe die Justiz entschlossen vor, doch bei der Durchleuchtung der Bestände staatlicher Museen drücke man gern ein Auge zu. Sinnvoller und zweckdienlicher sei es, wenn sich die im November 2013 gebildete »Gurlitt-Task-Force« über ihren eng umrissenen Auftrag hinaus auch um die Klärung der mehrere hundert Kunstwerke »zweifelhafter Provenienz« kümmere, die in deutschen Museen gelagert seien. Schoeps kritisierte, dass Erben, die sich um die Restitution ihrer verlorenen Güter kümmerten, systematisch gedemütigt würden. Die Behörden gingen dabei nicht selten gnadenlos bürokratisch vor. So werde argumentiert, die Rückgabefristen seien längst abgelaufen und die Jewish Claims Conference habe ohnehin globale Zahlungen erhalten. Dabei würden auch offensichtliche Geschichtsklitterungen betrieben und erfklärt, der Besitzer sei »gar nicht verfolgt worden« oder es sei »ein angemessener Kaufpreis« entrichtet worden. Bis heute, so Schoeps, müssten sich nicht die Täter und Profiteure rechtfertigen, sondern die Opfer die Unrecht­mäßigkeit von Besitzerwechseln einzelfallbezogen nachweisen – dies, obwohl die Erben nach so langer Zeit vielfach keine präzisen Erinnerungen mehr haben. Verbale Entgleisungen in einigen Medien (»Sie sagen Holocaust und meinen Geld«) tragen zu einer allgemeinen Stimmungsbildung gegen legitime Eigentümer bei.

Schoeps betonte, jeder Restitutionsfall sei anders. Viele Museen hätten aber die Aufklärung sie betreffender Fälle erschwert oder gar unmöglich gemacht. Es stelle sich auch die Frage, was zu tun sein, wenn bei geraubten Kunstgütern gar keine Erben mehr auszumachen seien. »Wir brau­chen dringend ein Raubgut-Rückerstattungsgesetz!«, rief der Historiker aus. »Jegliche Provenienz­Forschung muss unabhängig von den Museen betrieben werden und einen ungehinderten Zugang zu Archiven und Museen erhalten!« Die 2003 eingerichtete sogenannte Limbach-Kommission zu Fragen der Restitution von Raubkunst müsse endlich dergestalt neu konstituiert werden, dass sie auch ohne Zustimmung der Museen agieren dürfe. Einen ersten positiven Schritt sieht Schoeps in der jüngsten Erklärung von Kulturstaatsministerin Monika Grütters, wonach die Provenienz­Forschung künftig mehr gefördert werden soll.

»WAS NUN ZU TUN IST«

Höhepunkt der Veranstaltung war der Vortrag von Ronald S. Lauder, dem Vizepräsidenten des World Jewish Congress, der selbst Kunstsammler und Mäzen ist. Einige seiner Projekte fördern auch die Renaissance jüdischen Lebens in Berlin. Lauder sprach von einem »ongoing drama«, bei dem Kunstwerke, »die letzten Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkrieges«, auch »in Regierungs­büros, in Museen, in privaten Sammlungen« hingen. »Wie kann es eigentlich sein, dass jemand annimmt, dass ein gestohlenes Kunstwerk automatisch in den Besitz eines Museums oder eines Ministeriums übergeht, nur weil sich die Eigentümer nicht gemeldet haben? […] Man kann es doch nicht den Opfern des Holocaust oder ihren Nachfahren auferlegen, Tausende von Kunstsammlun­gen in Deutschland zu durchforsten, um herauszufinden, was einem vor 70 Jahren entwendet wur­de! Warum aber sollten wir bei einem Picasso, einem Chagall oder einem Matisse anders verfahren als bei einem Auto? [.] Deutsche Museen brauchen keine Raubkunst, um großartig zu sein. Sie sind es auch ohne sie.«

Ungeachtet der teilweise komplexen Rechtslage rief Lauder die Deutschen zur Rückgabe dieser Kunstwerke an die Opfer des Holocausts und ihre Erben auf. Weder die von 44 Staaten unterzeich­nete Washingtoner Erklärung noch die Limbach-Kommission hätten angesichts ihres jeweils nicht­bindenden Rechtscharakters die Problematik lösen können. Deutschland habe sich im Umgang mit jüdischen Opfern und mit den Folgen des Zweiten Weltkrieges »vorbildlich« und »anständig« ver­halten. »Ich möchte Deutschland deswegen ermutigen, in gleicher Weise mit dem Problem der Raubkunst umzugehen und nicht immer nur abzuwarten, bis Ansprüche geltend gemacht werden, und insgeheim zu hoffen, dass sich schon über alles der Mantel des Vergessens breiten wird.«

Lauder regte eine Abschaffung von Verjährungsfristen bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit an, wozu auch die Kunsträubereien während der NS-Zeit gehörten. Nach dem Vorbild Österreichs, Frankreichs, der Niederlande und Großbritanniens solle eine unabhängige Kommission »mit rea­ler Entscheidungskompetenz« sowie einem effizienten und gerechten Schlichtungsverfahren ein­gesetzt werden, die systematisch und »proaktiv« staatliche Museen nach möglichen Raubkunst­werken überprüfen, die Opfer bzw. deren Erben ermitteln und auch die Öffentlichkeit umfassend informieren solle. »Aber wir sollten nicht vergessen: Wir sind hier in Deutschland. Hier begann das Unrecht. Deswegen braucht es hier noch mehr Anstrengungen.«

Zu diesem Zweck brauche Deutschland, so Lauder, eine klare gesetzliche Grundlage. Aufdiese Weise könne man das Prozedere enorm vereinfachen und sich hunderte separater Gerichtsverfahren ersparen, die allein dem Gurlitt-Fund geschuldet seien. Abschließend appellierte Lauder an das kollektive Verantwortungsgefühl der Deutschen: »Seit 1945 hat Deutschland schon so oft seine Bereitschaft gezeigt, Unrecht wieder gut zu machen. Die Opfer des Holocaust bzw. ihre Erben erwarten ein faires und gerechtes Verfahren. Es ist nun an Deutschland, wieder so einen Schritt zu tun.«

Die anschließende Frage- und Diskussionsrunde nutzte Ronald S. Lauder, um seine Überlegun­gen zu präzisieren. Er forderte, dass grundsätzlich alle Museen ihre zwischen 1933 und 1945 er­worbenen Kunstwerke kritisch prüfen sollten. In jenen Fällen, in denen keine Erben mehr auszu­machen seien, könnten unter zweifelhaften Umständen erworbene Werke öffentlich versteigert und der Erlös zur Förderung jüdischen Lebens verwendet werden. Lauders pragmatischer Vorschlag: Die eine Hälfte des Erlöses erhält der Staat Israel und die andere Hälfte die jüdische Gemeinschaft in Deutschland.

3 Kommentare

  1. Haken:

    http://de.wikipedia.org/wiki/Gutgläubiger_Erwerb_vom_Nichtberechtigten

    A verschafft sich von X Besitztümer, um „sie aufzubewahren für X“. Veräußert sie, ohne X zu informieren, an B, der sie ihm gutgläubig abnimmt, weil A behauptet, sie seien sein Eigentum. B verkauft sie erneut weiter an C in gutem Glauben. Damit hat X keine Chance mehr, seinen Besitz zurückzuerhalten.

    Wunderbares Gesetz – http://www.gesetze-im-internet.de/bgb/__932.html – für Räuber, Hehler & Co. Habs selbst erlebt 🙁
    Schaden: 5-stellig… Ãœbrigens ging es dabei um Kunstobjekte.

      • Wen meinst du mit „man“? Den ursprünglichen Besitzer? Der hat sein Recht verloren, wenn der gutgläubige“ Erwerber die Sache nicht zurückgeben will, und warum sollte er auch. Außer er hat sie kostenfrei erworben, sagt der Gesetzgeber.

        Wenn ich es nicht selbst erlebt und mich notgedrungen damit abgefunden hätte, würde ich sowas, wie aus dem Tollhaus, auch nicht glauben, denn da half mir mein Besitztitel überhaupt nichts:

        „3.2. Gutgläubiger Erwerb
        3.2.1. Grundsätzliches

        Der gutgläubige Erwerb ist eigentlich ein starkes Stück, denn der Eigentümer verliert sein Recht, er wird ‚enteignet‘.

        nachzulesen hier: http://schroeder.rewi.hu-berlin.de/downloads/Sachenrecht04/SaR3.pdf , darin auch eine historische Betrachtung.

        Stell dir vor, jemand erwirbt, völlig gutgläubig, Raubgut, womöglich von jemand, der es selber mal gutgläubig kaufte.

        Die Erben des ursprünglichen Eigentümers mochten es zurück haben. Pech gehabt… wenn sie Glüch haben, können sie es
        vielleicht „zurückkaufen“.

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