Von Judennasen und anderen deutschen Nettigkeiten

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Deutschland, von manchen überschwänglich als das Land der „Dichter und Denker“ verehrt, war zugleich die Wiege extremsten Rassenhasses. Rassenhass manifestiert sich gewöhnlich in verschiedenen Formen von Diskriminierung. Diskriminieren kann man Menschen zum Beispiel mit Karikaturen. Karikaturen konzentrieren sich gerne auf vermeintlich (oder tatsächlich) typische Merkmale, wie etwa auf Nasen…

Von Robert Schlickewitz

Vor nicht all zu langer Zeit lief Stephen Spielbergs computeranimierter Streifen „Tim und Struppi“ auch in deutschen Lichtspieltheatern. Wer den Film mit seinen Kindern gesehen hat, genoss gute Unterhaltung und brauchte sich danach im Familienkreis nicht über fehlenden Gesprächsstoff zu beklagen. „Mama, warum hat denn der Käptn so ‘ne riesige Nase gehabt?“ – „Papa, gibt’s solche Nasen wie bei den beiden Zwillingen auch in Wirklichkeit?“ – „Habt ihr den Riesenzinken vom Butler gesehen?“ Solche und ähnliche Fragen, dürften Kinder wohl weltweit nach Besuch des Films gestellt haben.

Altmeister Spielberg hat, wie von ihm nicht anders zu erwarten war, ‚ganze Arbeit geleistet‘ und er hat sich dabei vorbildlich verhalten: In keiner seiner Szenen missbraucht er Äußerlichkeiten zur Stereotypisierung von Nationalitäten, von Minderheiten oder ethnischen Gruppen. Nasen sind ihm zwar ganz offensichtlich sehr wichtig – keiner seiner Charaktere besitzt eine ‚normale‘ Nase – aber seine Nasen sind gewiss keine ‚Kennzeichen‘.

Die Nase als herausragender Teil des menschlichen Antlitzes hat zahllose Dichter, Prosaautoren, Künstler u. ä. inspiriert. Theater und Film nutzen die Kunst der Maske, um Nasen zur besonderen Charakterisierung von Typen aber auch spezifischen Einzelindividuen wirken zu lassen. Schier unzählige Synonyme prägten Völker vieler Länder für Nasen, im Deutschen etwa: Riechkolben, Gurke, Kloben, Gesichtserker, Rotzkanone und natürlich wurden sämtliche Abarten von Nasen eigens benannt: Stupsnase, Adlernase, Himmelfahrtsnase, Hakennase…

Zumeist war die große Aufmerksamkeit die Nasen zufloss mehr oder weniger harmlos und führte ‚nur‘ zu Spott, Hänselei oder Kränkung gegenüber jenen bedauernswerten Menschen, die die Natur mit einer außergewöhnlichen Nasenform ausgestattet hatte. Jedoch kennt die Kulturgeschichte der Menschheit leider auch höchst verwerfliche Instrumentalisierungen von Nasen als diskriminierende Kennzeichen für Minderheiten.

Der hier wiedergegebene Lexikonartikel „Judennase“ stammt von 1927. Vier Jahre zuvor hatte der gebürtige Bayer Julius Streicher sein Antijudenhetzblatt „Der Stürmer“ aus der Taufe gehoben, welches, immerhin, bis Februar 1945 erscheinen sollte. Stets ‚zierten‘ verächtlichmachende oder hassschürende Judenkarikaturen das Titelblatt, für das i. d. R. der berüchtigte Zeichner „Fips“ (Philipp Rupprecht, 1900-1975) verantwortlich war. Dieser setzte um, was man in Deutschland als ‚echt jüdische Physiognomie‘ erachtete, einschließlich der „Judennase“. Wie verbreitet dieses Periodikum voller obszön-pornographischer Gräuelgeschichten, Verleumdungen und Hetzpropaganda gegen Juden war, ergibt sich aus den Auflagezahlen – noch im vorletzten Kriegsjahr 1944 verließen 400 000 Exemplare die Druckerpressen. Dem grafischen Antisemitismus des „Stürmer“ wurde demnach bis zum Schluss des „Dritten Reiches“ eine beträchtliche Propagandafunktion beigemessen.

Der Eintrag „Judennase“ aus dem Jüdischen Lexikon belegt, ähnlich wie der sich anschließende „Juden in der Karikatur“ aus dem gleichen Nachschlagewerk, wie sehr „Der Stürmer“ auf alte deutsche Traditionen zurückgreifen konnte und wie wenig neu oder gar wie wenig ausschließlich ‚Nazi-‘ sein schändliches Wirken war.

Judennase, angeblich charakteristische Nasenform vieler Juden: große, stark gebogene (Adlernase) oder große, fleischige Nase, die zum eisernen Bestand der jüdischen Karikatur gehört. Selbst Anthropologen halten sie für charakteristisch, so Buschan, der sie für als für die meisten Juden typisch bezeichnet. Nach Luschan gehört sie zu dem breitschädligen, mongoloïden, „armenoïden“ Typ der um 1500 v. über ganz Vorderasien verbreiteten, „orientalisch“ aussehenden Rasse, von der die heutigen Juden Europas und Amerikas ihre Nasenform geerbt haben sollen (…).In Wirklichkeit ist diese Nasenform unter den Juden nicht sehr häufig. Fishberg fand bei 4000 Juden New Yorks ca. 60 % gerade, „griechische“ Nasen, ca. 18 % Stumpfnasen, 13-14 % krumme, ca. 10 % breite Nasen; bei anderen jüdischen Gruppen fand man 2 bis 30 % großer oder krummer Nasen. Die große, krumme Nase trifft man aber bei 31 % der nichtjüdischen Bevölkerung Oberbayerns an, sehr häufig ist sie auch bei den Armeniern und verwandten Stämmen. Die Adlernase trifft man bei Griechen, Italienern, Spaniern und Franzosen häufiger als bei den Juden Osteuropas.

   

Jüdisches Lexikon, Berlin 1927.

Karikatur, Juden in der. Die Karikatur – als verzerrte, übertriebene Hervorhebung des Wesentlichen, der charakteristischen, spezifischen Merkmale einer Person oder Sache durch bildliche (oder literarische) Darstellung künstlerischer Art, in der Regel mit verächtlichmachender Tendenz, – ist in ihrer Rolle als Ankläger und Spottmittel gegenüber den Juden eine deutsche Erfindung.

Vor dem 14. Jhdt. finden sich nirgends irgendwelche Anzeichen solcher Methoden sondern nur Darstellungen, die, wie die Frauenfiguren am Preßburger, Bamberger und Naumburger Dom als Symbol der besiegten Synagoge dienen; erst um 1300 setzt eine allgemeine Judenhetze in plastischer Form ein. Es sind Skulpturen aus Stein oder Holz in der Form von Reliefs an Kirchen, Rathäusern, Brückenköpfen, Dachgesimsen, Chorstühlen, die fast alle ein und dasselbe Thema der „Judensau“, des bei den Juden als unrein geltenden Tieres, behandeln. Hadrian soll bereits, nach kirchlichen Schriftstellern (Renan, L’Église chrét.26), zur Verspottung der Juden an einem Tore Jerusalems ein marmornes Schwein aufgestellt haben; doch ist dieses frühe Spottzeichen, wenn es überhaupt existierte, ein Ausnahmefall. Bekannt sind diese Darstellungen aus den Domen zu Magdeburg, Regensburg und Freising. Die Judensau an der Pfarrkirche zu Wittenberg ist von Luther beschrieben worden. 1487 wurde am Rathaus zu Salzburg ein solches Schandmal errichtet, das Heinrich Schröter 1613 besungen hat. Bekannt ist auch die im Original nicht mehr erhaltene Darstellung an der steinernen Brücke zu Frankfurt a. M., die noch zu Goethes Zeiten existierte. Solche Darstellungen finden sich auch an französ. und vlämischen Kirchen. Auch als Brunnenfiguren wurden jüdische Karikaturen verwendet, so in Kolmar und Bern. – Die älteste bekannte graphische Karikatur eines Juden, einer der allerersten deutschen Einzelblattdrucke und einer der wenigen Profandrucke der Frühdrucke des Holzschnittes, ist ein großes Blatt einer Judensau. Aus dem 16. Jhdt. ist ein Wittenberger Holzschnitt erhalten. Anfang des 17. Jhdts. entstanden die unter dem Titel „Der Juden Badstub“ bekannten Kupferstiche, denen sich Anfang des 17. Jhdts. noch ein großer Foliokupferstich und Anfang des 18. Jhdt. drei Kupferstiche des gleichen Themas zugesellen. Erst im 18. Jhdt. erweiterte sich das Darstellungsmotiv, indem der Jude als Wucherer (hauptsächlich als Geld- und Getreidewucherer) dargestellt wird; so von Rowaldson und Hogarth.

Der sog. jüdische Typ tritt als Mittel zur Karikierung der Juden nicht vor der Mitte des 17. Jhdts. in die Erscheinung. Die Judenabzeichen (Judenhut, Judenringlein, Bart, Judennase) werden zu Spottgestalten verwendet. Im 17. Jhdt. erscheinen auch die ersten Spottmünzen auf Juden: 1641 ein Taler mit David und Batseba, 1694 in Hamburg und Schlesien Spottmünzen auf Kornjuden, 1711 die Münze auf den Brand der Frankfurter Judengasse, 1738 auf Josef Süß Oppenheimer. Das 19. Jhdt., das den Juden die Emanzipation brachte, wurde zur Tummelstätte der Judenkarikaturen. 1819 erschien die Posse „Unser Verkehr“ von K. B. Sessa (Superintendent Maertens in Halberstadt), die den Weg durch ganz Deutschland nahm und vielfach illustriert wurde. In den 30er Jahren erschienen etwa 10 illustrierte Bändchen des Goedtschen Verlages in Meißen. Zur gleichen Zeit ungefähr entstanden die ersten satirischen Blätter, die viele Juden-Karikaturen brachten. Die erweiterte jüdische Mitarbeit auf zahlreichen Gebieten der Politik, Wirtschaft und des geistigen Lebens mehrte auch die Satire gegen die Juden. Vornehmlich sind es jetzt die großen Bankiers, die karikiert werden, wie Rothschild, Pereira, Fould, Bleichroeder, Mendelssohn u.a. Hiervon streng zu trennen ist die in den 60er Jahren anhebende rein antisemitische Witzblattpresse, die ohne Geist und Witz platteste Gemeinheiten gegen die Juden schleuderte. So erschien 1862 der Wiener „Kikeriki“, der (bald wieder eingegangen) Leipziger „Puck“, die nur in 20 Nummern erschienenen Dresdner „Antisemitischen Bilderbogen“. Seit 1920 erscheint in Berlin das „Deutsche Witzblatt“.

In Frankreich gründete Edouard Drumont, der durch sein 1887 erschienenes Buch „Das verjudete Frankreich“ bekannt wurde, 1893 „La libre Parole“, die bis zum Weltkriege das führende Antisemitenblatt war. Die bedeutendsten französischen Karikaturisten sind Antisemiten; zu nennen wären Adolf Willette, Forain, Léandre, Huard, Steinlen, Jossot und die unter dem Pseudonym „Bob“ tätige Gräfin Martell – sämtlich Mitarbeiter der „Libre Parole“. 1897 gründete Forain das 20 Monate während der Dreyfusaffäre erscheinende antisemitische Witzblatt „Psst…!“

Zu erwähnen wären noch die in dem zaristischen Russland erschienenen Antisemitenblätter „Der Odessaer Gummiknüppel“ (1905) und „Pluvim“ (1906).

Seit dem Weltkriege ist ein neues antisemitisches Hetzmittel aufgetreten, das bes. in Deutschland und Österreich zur Blüte gekommen ist: das Plakat, hauptsächlich als Wahlplakat, aber auch zur Ankündigung antisemitischer Romane und Theaterstücke.

Jüdisches Lexikon, Berlin 1927

 

Literatur und Internet:

„Der Stürmer“:

Stichwort „Stürmer, Der“ in: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, (Hg.) W. Benz u.a., München 2007

Stichwort „Stürmer, Der“ in: Brockhaus Enzyklopädie in 30 Bdn., Leipzig und Mannheim 2006

http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/antisemitismus/stuermer/

http://www.gelsenzentrum.de/stuermer.htm

http://www.carsten-pietsch.de/stuermer.pdf

http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/artikel_44465

http://de.wikipedia.org/wiki/Der_St%C3%BCrmer

http://en.wikipedia.org/wiki/Der_St%C3%BCrmer

http://it.wikipedia.org/wiki/Der_St%C3%BCrmer

Judennasen:

http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/3256

http://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen/bildergalerie-typisch-klischees-von-juden-und-anderen-1.278863-2

http://www.wienerzeitung.at/meinungen/gastkommentare/481328_Die-Judennase-ist-Schmonzes-der-Davidstern-zaehlt.html

http://reime.woxikon.de/ger/judennase.php

http://www.ruhrbarone.de/der-westen-judennase-lafontaine/

http://www.jstor.org/discover/10.2307/27712302?uid=3737864&uid=2129&uid=2&uid=70&uid=4&sid=21103263626571

http://woerterbuchnetz.de/RhWB/?lemid=RJ01067

http://diepresse.com/home/leben/events/763183/Judisches-Museum_Haben-Juden-grosse-Nasen

http://www.erinnern.at/bundeslaender/vorarlberg/bibliothek/dokumente/warum-ist-die-karikatur-auf-der-hc-strache-facebookseite-antisemitisch/erinnern%20strache%20antisem%20_2_.pdf

http://www.main-netz.de/nachrichten/region/alzenau/berichte/art4010,2173834

http://www.kurzefrage.de/musik-partyzone/138604/Warum-haben-Juden-so-lange-Nasen

Judensau:

http://www.youtube.com/watch?v=z2KVFE7H9LM

http://www.youtube.com/watch?v=mxaSFMpPUs4

http://www.youtube.com/watch?v=b72UwFxG584

http://de.wikipedia.org/wiki/Judensau

http://en.wikipedia.org/wiki/Judensau

http://fr.wikipedia.org/wiki/Judensau

http://tr.wikipedia.org/wiki/Judensau

http://es.wikipedia.org/wiki/Judensau

https://www.hagalil.com/2005/05/judensau.htm

http://jhva.wordpress.com/2012/05/18/die-erfurter-judensau/

http://www.theologe.de/luther_juden.htm

http://www.alemannia-judaica.de/bad_wimpfen_ritterstiftskirche.htm

http://baustein.dgb-bwt.de/PDF/C2-Judensau.pdf

http://www.stviktor-xanten.de/index.php?option=com_content&view=article&id=172:die-judensau-im-xantener-dom&catid=98:doc-archiv&Itemid=109

http://www.sebalduskirche.de/index.php?id=115

Julius Streicher:

http://www.youtube.com/watch?v=pFG21wxchrs

http://www.youtube.com/watch?v=42QePZguA3A

http://www.youtube.com/watch?v=jD9yBcp4bzE

Philipp Rupprecht (FIPS):

http://de.wikipedia.org/wiki/Philipp_Rupprecht

http://en.wikipedia.org/wiki/Philipp_Rupprecht

https://www2.landesarchiv-bw.de/ofs21/olf/struktur.php?bestand=23420&sprungId=2848520&letztesLimit=suchen

Judenkarikaturen:

http://ufdc.ufl.edu/UF00076193/00001

http://www.jm-hohenems.at/mat/504_karikaturen.pdf

http://www.capriccio-kulturforum.de/oper/5056-juden-karikaturen-in-wagners-figuren/

http://m.facebook.com/events/545279972227830

http://books.google.de/books?id=JfSWAAAAQBAJ&pg=PA110&lpg=PA110&dq=judenkarikaturen&source=bl&ots=hHzI16FTNz&sig=uLqDy3XpKb5jDeaOxVCArbVekMI&hl=de&sa=X&ei=9ijcUp21BYLZtQarwYGACA&ved=0CHIQ6AEwDw#v=onepage&q=judenkarikaturen&f=false

http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/urn/urn:nbn:de:hebis:30-180010186005

http://books.google.de/books?id=tU5fUeR1Fs0C&pg=PA9&lpg=PA9&dq=judenkarikaturen&source=bl&ots=CHAHwrQ3vQ&sig=FBUBh0iZNxOCsllgXyt9H7xGjlY&hl=de&sa=X&ei=qincUpjtKYSmtAbQoYHIBQ&ved=0CCsQ6AEwADgK#v=onepage&q=judenkarikaturen&f=false

http://www.judentum-projekt.de/geschichte/neuzeit/antisemi/antisemi.html

http://opac.regesta-imperii.de/lang_de/anzeige.php?aufsatz=Die+%C3%A4ltesten+Judenkarikaturen%3A+die+%22Trierer+Terrakotten%22&pk=1185192

Spielberg’s Tim & Struppi:

http://www.youtube.com/watch?v=q5vL6U3HB2E

http://www.youtube.com/watch?v=ujcbmY9dnJE

Bild oben: „Die Judennase ist an ihrer Spitze gebogen. Sie sieht aus wie ein Sechser…“. Illustration aus: „Der Giftpilz – Ein Stürmerbuch für Jung und Alt“ mit Texten von Ernst Hiemer und Zeichnungen von Philipp Rupprecht („Fips“), erschienen 1938 im Nürnberger Stürmerverlag

1 Kommentar

  1. Wie aktuell der obige Beitrag zu den historischen antisemitischen Karikaturen auch heute noch ist, zeigen Cartoons aus dem Holocaustleugner-Staat Iran, dem Lieblingswirtschaftspartnerland der Deutschen im mittleren Osten:
    http://www.youtube.com/watch?v=oirXALmsAY8
    („Iranian Website Displays Antisemitic Cartoons about the Holocaust“)
    Als Produzent wird übrigens Pouya Masoud und als Zeichner Maziar Bijani genannt.
    Kommentar erübrigt sich.

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