Der Inlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“ (VS) in Baden-Württemberg beging am 5. Dezember 2012 seinen 60. Geburtstag mit einer offiziellen Veranstaltung und einer Festschrift. Grund genug sich dem Geburtstags“kind“ und seiner Festschrift einmal genauer zu widmen…
Von Lucius Teidelbaum
Unter dem Titel „Verfassungsschutz 1952–2012“ erschien mit Redaktionsschluss vom 31. Juli 2012 eine „Festschrift zum 60. Jubiläum des Landesamts für Verfassungsschutz Baden-Württemberg“, die im Dezember 2012 herausgegeben wurde und auch auch als PDF ((http://anonym.to/http://www.verfassungsschutz-bw.de/images/stories/meldungen/Festschrift/2012-11-15_Festschrift.pdf)) erschien.
Diese Festschrift liest sich über weite Strecken wie der Bericht einer ehrenamtlich tätigen NGO und nicht wie der Abriss über die vergangenen sechs Jahrzehnte eines Geheimdienstes.
Die Aufdeckung der NSU-Mordserie und die damit einhergehende Kritik an den Behörden verlangen notgedrungen nach einen Kommentar von Seiten des Verfassungsschutz. Das schlägt sich auch am Anfang der Festschrift nieder:
„Die Herausforderungen, die sich dem Landesamt für Verfassungsschutz in der Zukunft stellen werden, sind keinesfalls geringer, wie die jüngsten Ereignisse zeigen. Die Mordserie des sogenannten »Nationalsozialistischen Untergrunds« hat bundesweit für Bestürzung gesorgt.“ (Seite 10)
Doch die Antwort besteht – natürlich – nicht in einer generellen Hinterfragung der eigenen Institution, sondern in mehr „Entschlossenheit“:
„Eine derartige terroristische Vorgehensweise hatte sich im Bereich des Rechtsextremismus bis dato nicht gezeigt. Gemeinsam mit den Sicherheitsbehörden werden wir uns dieser Bedrohung entschlossen entgegenstellen.“ (Seite 10)
Stattdessen beklagt man sich, dass angesichts des Totalversagens der Behörden gerad keine „Festtagsstimmung“ herrsche und zeigt sich entsetzt:
„Hätten wir den Mut gehabt, eine Festschrift herauszugeben, wenn wir im Frühjahr letzten Jahres schon gewusst hätten, in welche schwere Krise der Verfassungsschutz im November 2011 geraten würde? Möglicherweise nicht. Im Amtherrscht seither alles andere als Festtagsstimmung. Da ist Entsetzen über die menschenverachtenden Verbrechen des sogenannten »Nationalsozialistischen Untergrunds«, die nicht verhindert und nur durch Zufall aufgeklärt wurden.“ (Seite 13-14)
Danach geht es weiter mit dem Selbstlob:
„Denn gerade jetzt ist es so dringend wie vielleicht kaum zuvor in den vergangenen 60 Jahren notwendig, darzustellen, was Verfassungsschutz in der Vergangenheit geleistet hat und welche Aufgabe er auch in Zukunft noch haben wird.“ (Seite 14)
Auch die V-Leute-Praxis wird in der Festschrift verteidigt und ihre Fortführung bejaht:
„Ohne die in der Öffentlichkeit vehement kritisierten V-Leute können konspirativ agierende Szenen und eine sogenannte »hidden agenda« von sich nach außen demokratisch präsentierenden Organisationen nicht erkannt werden.“ (Seite 19)
Nichts Konkretes zur Geschichte: als „politische Kammerjäger“ gegen „schwäbische Moskowiter“
In der Geburtstags-Festschrift wird nirgendwo konkret auf die Väter und Mütter des Geburtstagskindes eingegangen. Wer hat ihn aufgebaut, auf welches Personal wurde dabei zurückgegriffen? Zumindest von einem alten Nazi an der Wiege des VS Baden-Württemberg weiß man: Viktor Hallmayer. ((http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.verfassungsschuetzer-aus-dem-suedwesten-der-spezialist-fuer-linke-war-einst-ss-mann.3386adb1-ca25-4a09-a431-be5e06f640dc.presentation.print.v2.html)) Hallmayer war SS-Hauptscharführer und hat in Paris beim Gestapo-Kommando Gutgesell Résistance-Mitglieder aufgespürt und die Hinrichtungen u.a. von zwei Zwangsarbeitern beaufsichtigt. Deswegen stand er auf einer amerikanischen Kriegsverbrecherliste und die französischen Behörden suchten ihn wegen Mordverdachts und Folter. Hallmayer arbeitete 1951 bis 1970 beim Verfassungsschutz Baden-Württemberg.
Aller Wahrscheinlichkeit ist diese Leerstelle in der Festschrift kein Zufall. Bei anderen Verfassungsschutz-Ämtern und beim Bundesverfassungsschutz waren bekanntermaßen altgediente Antikommunisten die Aufbauhelfer.
Die antikommunistische Stoßrichtung war damals generell stark verbreitet. Häufig wurden wie zu NS-Zeiten in Bezug auf den politischen Gegner auf Ungeziefer-Vergleiche zurückgegriffen. Zur Entstehung des VS heißt es unter Bezugnahme auf die lokale Presse:
„Die Schaffung der neuen Behörde in Württemberg-Baden wurde von den »Stuttgarter Nachrichten« offensichtlich befürwortet, denn die Redaktion sorgte sich um den Etat der Behörde: »Vordringlicher erscheint uns eine Intensivierung der Arbeiten des Landesamtes für Verfassungsschutz, das der ungeheuren Aufgabe gegenüber steht, in das Halbdunkel von Organisationen und Zellen hineinzuleuchten, die in der politischen Wühlarbeit über jahrzehntelange Übung, große Vorbilder und reiche Geldquellen verfügen. ›Es sind viel mehr, als wir denken‹ – heißt es in einer ausgezeichneten Broschüre eines Bundesministeriums über diese Elemente, und sie sind hartnäckig und erfindungsreich wie Insekten. […]‹ Auch in Württemberg-Baden sind weder die schwäbische Sauberkeit noch die sprichwörtliche Ruhe der Hausbewohner eine Garantie gegen dieses Ungeziefer. Wir bedauern deshalb, dass die politischen Kammerjäger im Landesamt für Verfassungsschutz vorläufig mit unzureichenden Mitteln ausgestattet sind«.“ (Seite 26 )
Die Gründung des Landes-Verfassungsschutz wurde in der „Presse mit dem Argument begrüßt, dass »die schwäbischen Moskowiter (Kommunisten, Anm. d. Red.) […] nämlich recht schlau [seien] und manche unserer biederen Landsleute […] ihnen sogar auf den Leim [gingen].« Ende März 1951 gab das Innenministerium des Landes Württemberg-Hohenzollern die Gründung des Landesamts für Verfassungsschutz, ebenfalls unter der Leitung von Ministerialrat Picht, mit Dienstsitz in Tübingen bekannt. Hans-Heinrich Picht leitete von nun an die Landesämter in Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern gemeinschaftlich, da ein Zusammenschluss der Länder im Südwesten Deutschlands bereits absehbar war.“ (Seite 27)
Immerhin gesteht die Festschrift ein, dass der „Verfassungsschutz“ in Vergangenheit sehr einseitig agierte: „Zur Zeit des »Kalten Kriegs« vom Kriegsende 1945 bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 lag ein Schwerpunkt der Beobachtungstätigkeit auf dem Linksextremismus, insbesondere auch dem Linksterrorismus der »Rote Armee Fraktion« (RAF) und der »Revolutionären Zellen« sowie anderer linksterroristischer Strukturen und deren Unterstützerbereiche.“ (Seite 34)
Der alte antikommunistische Geist im Verfassungsschutz scheint aber bis heute lebendig. Das führt dazu, dass der Verfassungsschutz die Leidensgeschichte von NS-Opfern relativiert. So heißt es in der Festschrift im Zusammenhang mit der als „linksextremistisch beeinflusst“ diffamierten NS-Opferorganisation „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA):
„Gleichzeitig präsentiert die VVN-BdA der Öffentlichkeit ein derart ambivalentes Erscheinungsbild, dass sie sich weitgehender allgemeiner Akzeptanz erfreut und deshalb besondere Chancen hat, ihre Einflussstrategien bis weit ins bürgerlich-demokratische Spektrum hinein zu praktizieren. […] 1997 verfassten die von der VVN-BdA als »Sängerin und Auschwitz-Überlebende« bezeichnete Kommunistin Esther Bejarano und das 2006 verstorbene KPD bzw. DKP- und VVN-BdA-Mitglied Peter Gingold einen »Appell an die Jugend«, der quasi eine »Stafettenübergabe« der ehemaligen »antifaschistischen Widerstandskämpfer« an die Jüngeren symbolisieren sollte und die Jugend in Anbetracht des zunehmenden, altersbedingten Ausscheidens von Zeitzeugen zur Fortsetzung der »antifaschistischen« Traditionen der VVN-BdA aufforderte.“ (Seite 210)
Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Eine Organisation, die mutmaßlich auch von NS-TäterInnen mit aufgebaut wurde, erweckt durch gezielt gesetzte Anführungsstriche den Eindruck, dass eine Holocaust-Überlebende in Wahrheit keine sei. Wie sonst wäre diese Zeichensetzung zu deuten? Außerdem wird Esther Bejaranos (http://de.wikipedia.org/wiki/Esther_Bejarano) antifaschistisches Engagement in Frage gestellt. Dass eine Überlebende von Auschwitz andere und sinnvollere Schlüsse aus der deutschen Vergangenheit zieht, als der VS mit seiner „Extremismusbekämpfung“, scheint dem Inlandsgeheimdienst unfassbar.
Auch an anderer Stelle wird die Biografie von einem weiteren Widerstandskämpfer durch perfide Zeichensetzung in Frage gestellt:
„[…] war Lorenz Knorr von der VVN-BdA als Zeitzeuge für den »Widerstand gegen den Faschismus« angekündigt.“ (Seite 221)
Lorenz Knorr ((http://de.wikipedia.org/wiki/Lorenz_Knorr)), Jahrgang 1921, war Mitglied der Sozialdemokratischen Partei der Tschechoslowakei und in der NS-Zeit im Widerstand aktiv. Dafür wurde er wegen „Wehrkraftzersetzung“ vor einem Kriegsgericht angeklagt und verurteilt.
Doch auch insgesamt wird das Wirken des VVN-BdA in Frage gestellt. Wenige Seiten zuvor heißt es:
„Das Thema »Antifaschismus« öffnet auch der VVN-BdA in ihrem vordergründig verdienstvollen Engagement gegen Rechtsextremismus den Weg in die Schulen. Dort leisten ihre, altersbedingt allerdings immer rarer werdenden, Zeitzeugen – in einer Vielzahl der Fälle Kommunisten – ihren Beitrag zur politischen Bildung, indem sie vor Schulklassen authentisch, aber politisch gefärbt, über ihre Erlebnisse in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten berichten und politische Schlüsse daraus für die Gegenwart ableiten. Solche Aktivisten führen darüber hinaus Schulklassen durch Gedenkstätten des Nationalsozialismus und Orte des historischen Widerstandes, aber auch durch die organisationseigene, bereits in mehreren Neuauflagen aufbereitete Ausstellung »Neofaschismus in Deutschland«, die ihrerseits sublime politische Botschaften in die Öffentlichkeit streut.“ (Seite 214)
Fazit: Ab in den Ruhestand!
Im Alter von 60 Jahren sollte man sich sich schon längst Gedanken über den Altersruhestand gemacht haben. Das ist auch dem VS im Ländle wie auch bundesweit dringend zu empfehlen.
An seiner Stelle sollte eine starke Zivilgesellschaft sich vermehrt den rechten Umtrieben an den Rändern und in der Mitte der Gesellschaft widmen. Dies sollte aber jenseits von Geheimdiensten und Staatsgewalt geschehen.
Beim Zitierten fällt auf, dass anscheinend – oder scheinbar? – der VS BW sich darin gefällt, ausgerechnet jüdische VVN-BdA-Mitglieder (Esther Bejarano, Peter Gingold) vorzuführen – er hätte aus Hunderten anderer wählen können. Zufall?
Ebenfalls vielen Dank! Der VS in Baden-Württemberg, natürlich darin bestärkt vom Innenministerium, hat sich schon immer damit hervorgetan, dass er im Gegensatz zu Schlapphüten in anderen Bundesländern sich taub stellt gegenüber den Forderungen der VVN-BdA, ihre Observation mangels stichhaltigen Gründen zu unterlassen.
Seine Vorläufer konnten dies nicht verhindern:
„Mit dem in Stuttgart aufgewachsenen Graf von Stauffenberg, den Geschwistern Scholl, die ihre Kindheit in Forchtenberg, Ludwigsburg und Ulm verbracht haben, sowie dem Hitler-Attentäter Georg Elser, der auf der Ostalb und in Konstanz lebte, haben vier der bekanntesten deutschen Widerstandskämpfer ihre Wurzeln im Südwesten.“ (Wikipedia)
Irgendwie peinlich. Sowas darf nicht wieder vorkommen.
Danke für den Artikel.
Es fällt mir dazu ein: „“Was haben Sie denn eigentlich verbrochen, dass Sie in Auschwitz waren?“ Frage eines Reporters am 1.2.2004 an die Auschwitz-Ãœberlebende Esther Bejarano
Passend auch: „Der Linksextremismus unterscheidet sich von den Nazis nur marginal“ – Innenminister Friedrich vor Gymnasiasten in Erfurt. „Er verwies darauf, dass diese wie jene die Freiheit des Individuums unterdrückten.“ (Bericht TLZ vom 19.1.2013)
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