Marseille: Einwohner treiben Roma in die Flucht

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Ungute Rolle örtlicher Politiker, von sozialdemokratischer ebenso wie von konservativer Seite. Auch anderswo finden Ansätze von Anti-Roma-Mobilisierung statt…

Von Bernard Schmid, Paris

Am vergangenen Wochenende flimmerten Bilder von verkohlten Besitztümern über die Fernsehbildschirme, auf dem unteren Bildschirmrand erschien in kleiner Schrift der Städtename: Marseille. BesucherInnen aus dem Ausland fragten den Verfasser dieser Zeilen bereits bange, ob da ein Flugzeug abgestürzt sei. Nein: Die Aufnahmen von der erkalteten Asche oder den züngelnden Flammen stammten aus einem peripheren Stadtteil der französischen Mittelmeermetropole, wo Anwohner am vorigen Donnerstag Abend (den 27. September) in einer eigenmächtigen Aktion rund fünfzig Roma – die sich frisch angesiedelt hatten – vertrieben hatten. Daraufhin, „nach gelungener Aktion“, steckte sie von ihnen zurückgelassenes Hab & Gut in Brand. Dabei handelte es sich um Matratzen und, allem Anschein nach, um elektrische Haushaltsgeräte. Diese waren von ihren vormaligen Nutzern zurückgelassen worden; in welchem Zustand (und ob es sich eher um Abfall handelte) ist nicht ganz klar, anscheinend wurden sie aber kurz zuvor noch genutzt.

Der genaue Hergang der Ereignisse ist bislang noch im Unklaren. Zumal es kein polizeiliches Ermittlungsverfahren gibt, eher im Gegenteil: Die örtlichen Polizeikräfte scheinen der Szene beigewohnt zu haben, ohne gegen die „wütenden Anwohner“ vorzugehen, sondern haben im Gegenteil deren Abzug begleitet. Die Präfektur – das ungefähre Pendant zu einem deutschen Polizeipräsidium, das auch die Ausländerämter und anderen Behörden unter sich hätte – von Marseille erklärte beruhigend: Es gebe keine Strafanzeigen und keinen Kläger. „Bislang haben wir nur verbrannten Müll auf fünf Quadratmetern Fläche.“ Da keine Straftaten festgestellt worden seien, habe man die handelnden Personen abziehen lassen.

Brandstiftung ist aber auf jeden Fall eine Straftat, auch nach französischem Recht (Artikel 322-5 des Strafgesetzbuchs, Code pénal). Tatsächlich ist es offenkundig nicht zu Gewalt gegen Personen gekommen, ebenso wenig wie zum Anzünden noch bewohnter Unterkünfte – wohl aber zu Drohungen, die zur Vertreibung einer Gruppe von Roma mit 40 Erwachsenen und fünfzehn Kindern führten. Diese hatten sich vier Tage zuvor, am 23. September, auf einer Brachfläche am Rande der Cité des Créneaux, eines randständigen Stadtteils von Marseille, niedergelassen, nachdem sie zuvor zwei Dutzend mal andernorts vertrieben worden waren. An dem Ort waren kurz zuvor drei vormalige Wohngebäude (Hochhäuser oder Plattenbauen) abgerissen worden, ein viertes harrte seiner bevorstehenden Zerstörung. Die frei gewordene Fläche diente den Roma zur Niederlassung.

Ein Teil der Einwohner der Siedlung – zum Teil mit Migrationshintergrund, meist nordafrikanischem – war offenkundig mit der eigenen Aussiedlung aus dem Stadtteil nicht einverstanden. Und so drückte sich eine gewisse Form von Sozialneid gegen noch Schwächere aus, nach dem Motto: „Wir durften nicht bleiben, warum sollten Andere sich da einfach so ansiedeln dürfen?“ Die eher als „sozial schwach“ zu charakterisierenden Einwohner fühlten sich chronisch von Staatsmacht und Stadt Marseille vernachlässigt. Nun wurden die neu hinzu gekommenen Roma zu ihrer Zielscheibe. Ersten Presseberichten vom Ort des Geschehens zufolge echauffierten sich die Anwohner über Einbrüche , die begangen worden seien – was natürlich möglich ist, nur scheint der Zusammenhang zwischen ihnen und der erst vier Tage zurückliegenden Ansiedlung der Roma ausgesprochen konstruiert, wenn nicht ins Reich der Fantasmen gehörend. Eine Gruppe von dreißig bis fünfzig Anwohnern ging demzufolge mit den Roma diskutieren, um ihnen klar zu machen, dass es nicht zu Straftaten kommen dürfte, wobei Jugendliche aus der Gruppe aber schnell unkontrolliert (verbal) aggressiv geworden seien. Die Roma hätten es „vorgezogen“, so berichtet etwa die Regionalzeitung La Provence, den Ort des Geschehens zu verlassen, und dabei einige Gegenstände zurückgelassen. Diese waren es, die daraufhin angezündet wurden.

Bedenkliche Rolle von Politiker/inne/n

Eine alles in allem kritikwürdige Rolle spielt dabei die sozialdemokratische Senatorin (d.h. Abgeordnete im parlamentarischen Oberhaus) und Bürgermeisterin des 15. und 16. Marseiller Arrondissements – beide Stadtbezirke sind administrativ zusammengeschlossen -, Samia Ghali. Die Mandatsträgerin erklärte zu den jüngsten Handlungen von Anwohnern des Roma-Camps: „Ich verurteile es nicht, ich heiße es nicht gut, aber ich verstehe es.“ So etwas komme nun eben einmal davon, dass die Staatsmacht sich nicht um die Sorgen der Leute kümmere.

Hingegen reagierte der konservativ-wirtschaftsliberale Regierende Bürgermeister von Marseille, Jean-Claude Gaudin (UMP), in scharfen Worten: Es komme nicht in Frage, dass Leute daran gehen, „Milizen zu bilden und die Probleme der öffentlichen Ordnung selbst regeln wollen“. Zwar scheint der Ausdruck „Milizenformierung“ im derzeitigen Stadium übertrieben: Noch (?) befindet die Sache sich nicht in einem Stadium wie in Italien, wo regelmäßig rechte „Bürgerwehren“ patrouillieren und Roma-Camps attackieren und dabei auch nicht vor Personenschäden zurückschrecken. Um solche Formen von kriminellem Vorgehen handelt es sich bislang in Marseille nicht; weder steht eine rechte Organisierung hinter der eigenmächtigen Aktion von Einwohnern, noch kam es zu körperlichen Verletzungen. Aber eine potenziell gefährliche Keimzelle wurde angelegt, und das negative Beispiel könnte Schule machen. (Auch die Satiresendung eines französischen Privatfernsehsenders, Les Guignols de l’info, sprach am gestrigen Montag Abend vom Wirken einer „Miliz“ in Marseille. Ihr ging es vor allem darum, den ausgesprochen rechtslastigen sozialdemokratischen Innenminister Manuel Valls aufgrund der Untätigkeit der Polizei zu kritisieren. In Anspielung auf die in Jahren 1997-2002 durch die damalige sozialdemokratische Regierung entwickelte Konzeption einer police de proximité, also ungefähr einer „einwohnernahen Polizei“, lobt die Puppe von Manuel Valls in der Satiresendung vom 01. Oktober die Ergebnisse einer milice de proximité…)

Tatsächlich muss jeglicher Gefahr von Selbstjustiz, vor allem wenn es sich gegen bereits hinreichend stigmatisierte „ethnische Minderheiten“ richtet, entschieden und schon im Ansatz der Riegel vorgeschoben werden. Dem UMP-Politiker Gaudin geht es dabei allerdings zuvörderst auch um das Ansehen „seiner“ Stadt, das durch solche Eindrücke ramponiert werde – Jean-Claude Gaudin erklärte sich entsetzt über den Eindruck, den solche Aktionen hinterließen: „Marseille ist eine Stadt, wo man arbeitet, wo man spazieren geht, wo die Polizei überall hinkommt. Der Medienzirkus muss aufhören!“ – und um den Vorrang für die polizeiliche Kontrolle statt eigenmächtigen Handelns. Der amtierende Bürgermeister brüstete sich und seine Stadtverwaltung mit folgender Bilanz: „Wir hatten vor einigen Monaten noch 60 Roma-Camps in der Stadt, und ohne Lärm zu veranstalten, haben wir ihre Anzahl auf 25 reduziert.“ Da die darin lebenden Menschen sich jedoch nicht in Luft aufgelöst haben, befinden sie sich eben permanent auf der Suche nach neuen Plätzen zur Niederlassung; und nach vorausgehender Stigmatisierung vervielfacht dies die Konfliktstellen und Reibungsflächen mit den Anwohnern.

Just am gestrigen Montag, den 1. Oktober verfügte die Stadtverwaltung von Marseille die erneute Vertreibung derjenigen Roma, welche am vergangenen Donnerstag durch die Anwohneraktion verjagt worden waren, von ihrem neuen Terrain. Die Menschen hatten bis dahin in einem leerstehenden Hangar vorübergehenden Unterschlupf gefunden. Am Dienstag, den 02. Oktober wurden sie daraufhin evakuiert. ((vgl. dazu http://www.lemonde.fr/societe/article/2012/10/02/marseille-des-roms-deja-chasses-jeudi-par-des-habitants-a-nouveau-evacues_1768843_3224.html))

Gaudin kritisierte ferner Ende vergangener Woche seine sozialdemokratische politische Rivalin Samia Ghali, die beabsichtigt, im März 2014 für den Marseiller Bürgermeistersessel (also gegen ihn als Amtsinhaber) zu kandidieren: Durch ihre „unbedachten Äußerungen“ seit Ende August habe sie eine bestimmte Anzahl von Einwohnern auf die Idee gebracht, dass sie auf eigene Faust handeln könnten.

Tatsächlich hatte Ghali vor einigen Wochen eine Debatte darüber angestoßen, ob nicht in Marseille die Armee eingesetzt werden könne/müsse, um Ruhe & Ordnung wiederherzustellen, nachdem es im August – zum wiederholten Manne – in peripheren Stadtteilen zu Schusswechseln zwischen Drogendealerbanden gekommen war . Insgesamt kamen im Laufe des Jahres bis dahin im ganzen Stadtgebiet von Marseille 14 Menschen bei solchen „Abrechnungen“ ums Leben. Das ist schlimm genug – rechtfertigt aber kein Gerede, das den Eindruck erweckt, die Stadt befinde sich im Kriegszustand.

Zum wiederholten Male in diesem Sommer/Frühherbst 2012 also tut Samia Ghali sich mit Äußerungen hervor, die inhaltlich ausgesprochen bedenklich sind, auch wenn sie ein gewisses reales Echo in Teilen der Bevölkerung finden mögen. Dass Einwohner/innen in der Nähe der Schauplätze regelmäßiger Bandenkriminalität nach einem staatlichen Eingreifen dagegen rufen, ist nicht unverständlich – dass militärische Gewalt dagegen auf Dauer ein probates Hilfsmittel dagegen sein könnte, ist dagegen eine ziemlich wahnwitzige Idee. Würde die Armee einmalig mit Truppen durch die betroffenen Stadtteile ziehen, sähe dies zwar spektakulär aus, hätte jedoch längerfristig so gut wie keine Wirkung, auch wenn vielleicht einige Schusswaffen dabei beschlagnahmt würden. Möchte eine Befürworterin militärischer „Problemlösung“ also ehrlich sein, müsste sie dazu sagen, ob sie sich für eine dauerhaftere Besatzung als angebliche Krisenlösung ausspricht oder nicht.

Dass Samia Ghali als Einwanderertochter auf erhebliche politische Widerstände auch in ihrer eigenen („Sozialistischen“) Partei stößt, die ihrer gewünschten Nominierung als Spitzenkandidatin bei der Kommunalwahl im März 2014 entgegen stehen, ist sicherlich eine bittere Realität. Aber mit solchen irrwitzigen Profilierungsversuchen – Befürwortung eines Armeeeinsatzes gestern, Quasi-Rechtfertigung von rassistisch aufgeladener Selbstjustiz heute.. – zu arbeiten, ist (um mit einem französischen stehenden Ausdruck zu sagen) „ein Heilmittel, das schlimmer sein könnte als das Übel selbst“.

Am 01. Oktober verlangte der sozialdemokratische Bürgermeister des 4. Pariser Bezirks, Christophe Girard, ein Parteiverfahren und disziplinarrechtliche Sanktionen für Samia Ghali aufgrund ihrer „Verständnis“erklärung für die militanten Anwohner. Er sei „schockiert“ über das Ausbleiben von Reaktionen seitens der Partei (seitens der französischen Sozialdemokratie), erklärte er gegenüber der Nachrichtenagentur AFP.

Andere Orte der Mobilmachung

Unterdessen demonstrierten am vergangenen Samstag, den 29. September 12 vor dem Rathaus von Lille rund 700 Personen gegen die behördliche Ansiedlung eines Roma-Camps in Cysoing, in der Nähe der nordfranzösischen Regionalhauptstadt. Diese war vormals offiziell geplant worden, doch der Plan wurde inzwischen bereits aufgegeben. Hinter vordergründig technischen Argumenten – etwa dem, das Gelände sei verseucht und für eine solche Ansiedlung nicht geeignet – hörte die Regionalpresse schnell auch rassistische Anfeindungen heraus. ((vgl. etwa http://www.nordeclair.fr/Actualite/2012/09/30/roms-une-manif-contre-qui-en-fait.shtml))

Reaktion von Rechtsextremen

Die aggressive „Anwohner-Aktion“ von Marseille hat allem Anschein nach keinen organisierten, „rechten“ Hintergrund. Aber wie reagieren parteiförmig strukturierte Rechtsextreme auf die Nachricht davon? Nun: in der Sache ziemlich eindeutig.

In einer Presseaussendung mit Datum vom Freitag, den 28. September 12 erklärt Stéphane Ravier, Kommunalparlamentarier in Marseille und Vorstandsmitglied (Mitglied im „Politischen Büro“) des Front National sowie voraussichtlicher Kandidat der rechtsextremen Partei auf den Chefsessel im Marseiller Rathaus 2014, zum Thema: << (…) Die Methode ist radikal, aber sie hat den Verdienst/Vorzug, dass sie der UMPS ((eine für die ,Altparteien‘ UMP und Parti Socialiste bei der extremen Rechten übliche Bezeichnung)) klar macht, dass es reicht mit dem Saustall! (…) Diese Demonstration des Überdrusses und des Wunsches, Herr im eigenen Haus zu bleiben, muss ihren demokratischen und Rettung bringenden Ausdruck bei der Kommunalwahl finden, indem sie dem FN all die Unterstützung bringt, die er verdient (…) >>

Das Votum für den Front National aus Ausdruck derselben Geisteshaltung wie die rabiate „Anwohneraktion“ gegen die Roma – ein deutliches Statement…

5 Kommentare

  1. Mehr fällt ihnen wohl nicht ein…

    Argumente, Fakten, damit wären Sie wohl überfordert. Sie sind wohl gerne Teil des „entfesselten Mobs“.

    Das Herr Pfeifer Jane argumentativ versucht zu korrigieren oder zu widersprechen ist überzeugender als ihr Boykott Aufruf!

    Aber es ist wohl menschlich, – wenn man nicht mehr weiterweiß -, dann flippt man eben schon mal aus…

  2. DIE MEHRHEIT FORDERT ULTIMATIV!
    RAUS MIT JANE!

    Schließt Euch alle an!
    RAUS MIT DER ISRAELGEGNERIN!
    RAUS MIT JANE!
    RAUS!
    RAUS MIT JANE!
    RAUS!
    RAUS MIT JANE!
    RAUS!

    HAU AB! HAU AB!

  3. Ergänzung:
    …und natürlich zur Zielscheibe der autochthonen Bevölkerung macht,
    sehen diese die Sozialkassen, in die man zeitlebens eingezahlt hatte „hinreichend“ geplündert.

    Vielleicht sehen sie auch die „Pöstchen und Planstellen“ der „Integrationsindustrie“,
    die nach Ausweitung und Wachstum schreit.

  4. Zunächst einmal:

    Solche Berichte gereichten vielen „Mainstream-Medien“ zur Ehre,
    aber was nicht ist, ist nicht.

    Sinti und Roma werden zunehmend zur Zielscheibe.
    Von jenen, die Landnahme betreiben und fragen, „was man in ihrer Straße“ zu suchen hätte,…
    (sie fragen dies vermeintlich aus gutem Grund, interpretieren sie die Sache doch aus ihrer Sicht)
    …von jenen, die sich durch eben genannter Gruppe überrollt sehen und ohne jegliche Differenzierung „selbstverständlich“ alles auf alles Nichtautochthone projizieren…
    …von opportunistischen „Politikern“, für die klar ist, dass das Gewaltpotential der Roma insbesondere mangels Masse ein geringes und überschaubares ist.

    Ich habe mir vor langer Zeit sagen lassen, Sinti und Roma seinen zwei Paar Stiefel.
    Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Roma beispielsweise aus Bulgarien und Rumänien zum Überleben in jenen Ländern eine gewisse Grundaggressivität haben müssen, der manche braven Mitteleuropäer eher hilflos gegenüberstehen, die aber bei weitem nicht jene koraninduzierte erreicht.

    Was eigene Erfahrungen betrifft:
    Ich kenne seit einigen Jahrzehnten einen Angehörigen der Sinti, dessen Gitarrenspiel und Harmonieverständnis nur durch einen Jazz-Gitarristen, der leider nicht mehr lebt, übertroffen wurde (finde ich):
    Joe Pass. (Der „Oscar Peterson der Gitarre“, könnte man beinahe sagen)
    Einem Kenner der Materie fällt es schwer, das Spiel beider zu unterscheiden,
    es wird ihm nicht immer und unbedingt gelingen.

    Warum gebe ich Derartiges hier zum Besten?

    Weil Urteile, Vorurteile, Gruppen und Menschen (aus diesen Gruppen) jeweils eine Sache für sich sind,
    weil ich glaube zu sehen,
    dass viele Angehörige der Sinti und Roma nun „Empfänger“ dessen sind,
    was seinen Ursprung in einer „anderen Gruppe“ hat,
    umso mehr,
    als das Gefahrenpotential vergleichsweise niedrig ist,
    was sie zur „dankbaren Zielscheibe“ für muslimische Immigranten und opportunistische und populistische Politiker macht.

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