Anna Freud – Mutter der Kinderanalyse

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Am 9. Oktober jährte sich zum 30. Mal der Todestag Anna Freuds, die 1982, mit fast 87 Jahren in ihrem Haus in London starb…

Von Katharina Seifert

Anna Freud wurde am 3. Dezember 1895 als jüngstes der sechs Kinder von Sigmund Freud geboren. Sie wuchs mit ihren drei Brüdern und zwei Schwestern in der Berggasse 19, im 9. Wiener Gemeindebezirk, im bürgerlich-jüdischen Milieu Wiens auf. Sie war ein lebhaftes und oft Unruhe stiftendes Kind. Damit fand sie aber durchaus die wohlwollende Aufmerksamkeit ihres Vaters, der einige ihrer kindlichen Äußerungen, und Beobachtungen, die er an ihr machte in seinen Arbeiten verwendete.

Sie bewunderte ihren Vater, und war ihm sehr zugeneigt, während das Verhältnis zu ihrer Mutter zeitlebens angespannt war. Sie besuchte das Cottage Lyceum, im 18. Wiener Gemeindebezirk, an dem sie 1912 die Reifeprüfung ablegte.

Anschließend entschied sie sich für eine Ausbildung zur Volksschullehrerin (Grundschullehrerin), eher gegen die damaligen Vorstellungen ihres Vaters, der sich eine konventionellere häusliche Laufbahn für sie gewünscht hätte. Nach der Abschlussprüfung, 1914, reiste sie für einige Monate alleine nach England, um Verwandte zu besuchen, und um ihr Englisch zu verbessern. Dort wurde sie vom Kriegsausbruch überrascht, und konnte deshalb nicht mehr selbständig zurück reisen. So kehrte sie im Gefolge des österreichischen Botschafters auf Umwegen über Gibraltar nach Wien zurück.

Von 1917 bis 1920 unterrichtete sie an der Volksschule des Cottage Lyzeums, der Schule, die sie selbst bis zur Reifeprüfung besucht hatte. Fünf Jahre lang unterrichtete sie alle Fächer und alle Altersstufen der Grundschule, eine Arbeit, die ihr viel Vergnügen bereitete und ihr wertvolle Erfahrungen im Umgang mit Kindern bot, die sie als prägende Basis für ihre weitere Laufbahn als Psychoanalytikerin sah. In der Zeit begann sie sich intensiver für die Arbeit ihre Vaters zu interessieren und machte in den Jahren 1918 bis 1921 eine Psychoanalyse bei ihm, mit einem Nachtrag 1924. In den Pionierzeiten der Psychoanalyse – noch vor der Einführung von orthodoxen Ausbildungsordnungen etc., waren Naheverhältnisse zwischen Analytiker und Analysanden nicht ungewöhnlich, besonders da viel Angehörige von Analytikern auch in Analyse gingen. Wenn auch diese Kombination einmalig blieb und stets sehr kritisch gesehen wurde.

Anna Freuds Leidenschaft für Psychoanalyse und für die Kinderentwicklung prägten von da an ihr gesamtes Leben. Ihre andere Leidenschaft, seit ihrer Jugend, war die Dichtung.
Ab 1918, nahm sie an Psychoanalytischen Kongressen und an den Sitzungen der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung (WPV) teil. 1922 erwarb sie mit ihrem ersten psychoanalytischen Vortrag „Über Schlagephantasien und Tagtraum“ die Aufnahme in die Wiener Psychoanalytische Vereinigung.

Sie übernahm von da an verantwortungsvolle Positionen in der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, und zunehmend wurde sie zur wichtigsten Stütze ihres Vaters in allen Dingen, die die Psychoanalytische Bewegung betraf. Nach dem Beginn seiner Krebserkrankung wurde sie ihm unersetzlich auch in der persönlichen Fürsorge und übernahm dann oft in Zeiten seiner akuten Krankheit die Rolle der Vermittlerin zur psychoanalytischen Gemeinschaft.

So vertrat sie Sigmund Freud bei internationalen Kongressen in seiner Position als Präsident der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (1927 in Innsbruck, 1929 in Oxford). 1930 nahm sie in Frankfurt den Goethepreis für ihn entgegen und verlas seine Dankesadresse. Sie wurde aber auch sehr schnell bekannt als ausgezeichnete eigenständige Rednerin, die sich einer ungewöhnlich klaren und einfachen Ausdrucksweise bediente.

Im neu gegründeten Psychoanalytischen Verlag war sie von Beginn an für Redaktion und Übersetzungen zuständig gewesen. Ab 1924 war sie Sekretärin des damals neu begründeten Lehrinstituts (zur Ausbildung zukünftiger Analytiker) der WPV, und ab 1935 übernahm sie dessen Leitung. Von 1927 bis 1934 war sie Sekretärin der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung.

1923 eröffnete sie ihre eigene psychoanalytische Praxis, neben der ihres Vaters, in der Berggasse 19. Von Anfang an arbeitete sie sowohl mit Erwachsenen als auch mit Kindern.

Im gleichen Haus zog bald eine Amerikanerin aus wohlhabendsten Verhältnissen ein, Dorothy Burlingham (aus dem Hause Tiffany), die wegen einer psychoanalytischen Behandlung für sich und ihre drei Kinder nach Wien übersiedelt war. Zwischen den beiden eher gegensätzlichen Frauen – D. Burlingham war sehr zurückhaltend – entstand bald eine enge Freundschaft, die zu einer lebenslangen loyalen Verbindung und Arbeitsgemeinschaft wurde.

Anna Freud war mit vielen bedeutenden Psychoanalytikern befreundet, wie Lou Andreas-Salomé, Max Eitingon, August Aichhorn, und stand mit ihnen in regem, auch brieflichem Austausch, wodurch wir heute noch einen lebendigen Einblick in diese, für die Psychoanalyse prägenden Zeit gewinnen können.

Um Anna Freud bildete sich ein Kreis von jungen Psychoanalytikern der zweiten Generation, die sich regelmäßig trafen, um über die Anwendung der Kenntnisse der Psychoanalyse auf die Behandlung und Beobachtung von Kindern und auf die Pädagogik zu diskutieren: Willi Hoffer, August Aichhorn, Annie Rosenberg Angel (später:Katan), S. Bernfeld, Dorothy Burlingham.

Gemeinsam mit A Aichhorn, Willi, Hoffer und S. Bernfeld bot sie ab 1927 Kurse in Psychoanalytischer Pädagogik für Kandidaten der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, für Lehrer und Sozialarbeiter an.

Ab 1927 hielt Anna Freud das kinderanalytische Seminar in der WPV, an dem auch viele Amerikanerinnen teilnahmen, die sich in Wien ausbilden lassen wollten. Ein Umstand, der später wesentlich zum Überleben der Kinderanalyse beitrug, nachdem die Nationalsozialisten sie aus Europa vertrieben hatten.

Im Wintersemester 1933/34 wurde der „Lehrgang für Pädagogen“ an der WPV eingerichtet, in dem Anna Freud gemeinsam mit August Aichhorn, Willie Hoffer, S. Bernfeld, Editha Sterba, Grete Bibring und Jenny Waelder Kurse für LehrerInnen und ErzieherInnen hielt.

Anna Freuds frühe Schriften zur Kinderanalyse, die grundlegende „Einführung in die Technik der Kinderanalyse“ (1927) entstehen, und ihr, für das psychoanalytische Denken grundlegende Werk, „Das Ich und die Abwehrmechanismen“ (1935) , in dem sie sich auch viel auf ihre analytische Arbeit mit Kindern bezieht. Anna Freud begründete damit sowohl ihre Stellung als eigenständige Psychoanalytikerin, als auch die der Kinderanalyse als eigenen Zweig der Psychoanalyse.

Mit der für sie charakteristischen Energie schuf sie in den nächsten Jahrzehnten auch mehrere Einrichtungen, die der Psychoanalytischen Pädagogik und der Betreuung von Kindern in Notzeiten dienten und Pioniercharakter hatten.

Ihr erstes eigenständiges Projekt war ein erzieherisches Experiment gemeinsam mit Dorothy Burlingham, die Hietzinger Schule. 1927 eröffnet, bestand die Schule bis 1932. In dieser kleinen Privatschule für 7 – 13 Jährige wurden Kinder unterrichtet, die in Analyse waren, denn diese bräuchten, davon war Anna Freud überzeugt, ihr eigenes psychoanalytisch orientiertes schulisches Umfeld. Die Familie Rosenfeld stellte das Haus und das Grundstück für die Schule zur Verfügung. Eva Rosenfeld, eine enge Freundin Anna Freuds, betreute auch einige Kinder und nahm sie in ihren privaten Haushalt auf, denn einige Kinder kamen von außerhalb Wiens oder stammten aus zerrütteten Elternhäusern. Der Unterricht erfolgte vor allem nach der Methode des Projektunterrichts, die Anna Freud selbst in ihren Jahren als Volksschullehrerin benützt hatte. Unter den Schülern befanden sich auch Kinder von Analytikern oder Künstlern, z.B. die Tochter von Nijinsky. Zwei der jungen Lehrer dort sollten später selbst als Psychoanalytiker weltberühmt werden: Peter Blos und Erik Homburger (später: E. H. Erikson).

Über Anregung einer amerikanischen Kinderärztin, Edith Jackson, die nach Wien gekommen war, um sich bei Sigmund und Anna Freud in Psychoanalyse ausbilden zu lassen, wandte Anna Freud ihre Aufmerksamkeit verstärkt den Störungen der frühen Kindheit zu. Unter dem Eindruck der sich rapide verschlechternden ökonomischen und politischen Situation in Wien wurde dann im Februar 1937 die „Jackson Krippe“ gegründet, eine experimentelle Krippe für Kleinkinder unter zwei Jahren aus den ärmsten Verhältnissen. Sie wurde großteils durch Edith Jackson, und zu einem kleineren Teil durch Dorothy Burlingham finanziert, und befand sich am Rudolfsplatz Nr. 5, im 1. Wiener Bezirk, in den Räumlichkeiten der Montessori Schule. Auch inhaltlich bestand eine Nähe zur Montessori-Pädagogik. Die Leitung der Jackson Krippe teilten sich Dorothy Burlingham und Anna Freud.

Dort begannen sie mit der systematischen Beobachtung von Kleinkindern und mit Experimenten zum selbständigen Spiel- und Essverhalten. Forschungsschwerpunkte waren die Etablierung von Schlaf- und Essmustern, beginnende Impulskontrolle und die Entwicklung der Beziehungen zu anderen Kindern. Von allen Mitarbeitern wurden detaillierte Aufzeichnungen über jedes Kind gemacht, diese Notizen dann täglich thematisch geordnet, und auf diese Weise zum ersten Mal Beobachtungsmaterial für die regelmäßig stattfindenden Besprechungen systematisiert. Der körperlichen wie der psychischen Entwicklung der ca. zehn Kinder und der ärztlichen Versorgung, durch eine eigene Kinderärztin, wurde gleichermaßen genaueste Aufmerksamkeit geschenkt. Zur Förderung der Autonomieentwicklung wurden den Kindern zum Essen kleine Buffets angeboten, bei denen sie sich selbst bedienten. Es ging Anna Freud darum, Bedingungen für die Erziehung zu finden, unter denen das libidinöse Verhalten keine Einschränkungen erleiden würde. Schon im März 1938 mußte die Jackson Krippe mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wieder geschlossen werden.

Anna Freud selbst wurde am 22. März 1938 verhaftet und verbrachte einen Tag in Gestapohaft, wo sie zum Psychoanalytischen Verlag verhört wurde. Es gelang ihr jedoch, die Gestapo davon zu überzeugen, dass es sich dabei nicht um eine terroristische Organisation handelte. Offenbar auch dank eines anonym gebliebenen Anrufs, wurde sie am gleichen Abend wieder freigelassen.

Die Emigration der Familie Freud (er selber hatte sich lange der Idee einer Emigration widersetzt) war nur dank des persönlichen Einsatzes und Schutzes von Prinzessin Marie Bonaparte von Griechenland, die ihre politischen Verbindungen voll ausspielte, von Ernest Jones (Präsident der Britischen Psychoanalytischen Gesellschaft), der geschickten Unterstützung von Dorothy Burlingham, und der Interventionen des amerikanischen Botschaftssekretärs Wiley, möglich. Anna Freud war in dieser Zeit unermüdlich tätig, die notwendigen organisatorischen Vorbereitungen und Dienstwege zu erledigen, wobei sie Marie Bonaparte tatkräftig unterstützte.

Gemeinsam mit Sigmund Freud reiste sie dann über Paris (als Gäste von Marie Bonaparte) nach London, wo sie am 7. Juni 1938 eintrafen. Persönlich wurden sie von der Öffentlichkeit und von psychoanalytischen Freunden sehr freundlich begrüßt. Obwohl Anna Freud sofort zur Lehranalytikerin der Britischen Psychoanalytischen Gesellschaft ernannt wurde, traf sie dort auf eine schwierige Situation (Vorwort zum 1. Band der Ges. Schriften AF): „Was die Britische Psychoanalytische Gesellschaft betrifft, so wurde unser ‚kontinentaler‘ Zweig der Kinderanalyse durch ihre Mitglieder nicht sehr bereitwillig aufgenommen. In der Zwischenzeit hatte Melanie Klein in Kontrast zu meinen Wiener Bemühungen einen anderen Typ der Kinderanalyse begründet und ausgebaut, der zum großen Teil auf einer neuen, unabhängigen Theorie der frühen Kinderentwicklung beruhte.“

Die Differenzen bestanden im wesentlichen darin, dass Anna Freud der Beziehung des Kindes zu seinen Eltern eine wichtige Rolle zusprach, deren Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung beobachtete, und es für notwendig erachtete, die Eltern in die Therapie einzubeziehen. Melanie Klein hingegen konzentrierte sich ganz auf die Innenwelt des Kindes („sui generis“) und seine Phantasien, und setzte psychische Entwicklungsschritte unabhängig von der Entwicklung der realen Objektbeziehungen viel früher an. Diese Differenzen wurden in einer Reihe von Vorträgen und zum Teil sehr kontrovers geführten Diskussionen zwischen den Anhängern der verschiedenen Richtungen innerhalb der Britischen Psychoanalytischen Vereinigung ausgetragen, den so genannten „Controversial Discussions“ in den Jahren 1941 – 1942. Diese führten zu einer Spaltung innerhalb der Britischen Vereinigung, die in der Folge zwei Ausbildungskurse einführte – eine kleinianische und eine freudianische.

Gemeinsam mit anderen Wiener Emigranten, die in den Kursen für Psychoanalytische Pädagogik tätig gewesen waren (D. Burlingham, W. Hoffer etc.) knüpfte Anna Freud auch in London sofort Kontakte zu fortschrittlichen Schul- und Wohlfahrtsbehörden, hielt sehr beliebte Vorträge für Lehrer und Sozialarbeiter, und etablierte so einen Jahrzehnte währenden Einfluss auf die dortige fortschrittliche Pädagogik.

Nach dem Ausbruch des Krieges setzten Anna Freud und Dorothy Burlingham ihre mit der Jackson Krippe begonnene Arbeit der Betreuung von Kleinkindern fort, mit der Errichtung der so genannten Hampstead War Nurseries. Diese waren Kinderheime für Kinder, die durch die Bombardements von London ihr Heim verloren hatten, oder die Trennung von den Eltern während der Evakuierung aufs Land nicht ertragen hatten. Die meisten von ihnen kamen aus dem Ostteil Londons, der von den Deutschen Bombern schwer getroffen worden war („London blitz“ 1940).

Dabei schlugen Anna Freud und Dorothy Burlingham wieder für die damalige Zeit neue Wege in der Kinderbetreuung ein: um die Bindung an die Mutter und die Familie so weit wie möglich zu erhalten, wurden Mütter und Väter dazu aufgefordert, wann immer sie konnten und jeder Zeit zu Besuch zu kommen, und sie konnten auch dort übernachten. Müttern wurde angeboten, im Heim als bezahlte Haushaltskraft mitzuarbeiten, um möglichst viel bei ihren Kindern bleiben zu können.

Die Kinder wurden in Familien-Gruppen von drei bis fünf Kindern von einer jungen Mitarbeiterin betreut, um dem Bedürfnis nach individueller Bindung entgegenzukommen. Die einzelnen Familiengruppen wurden nach den Vorlieben einzelner Kinder für bestimmte Betreuerinnen – und umgekehrt – zusammengestellt. Viele der jungen Mitarbeiterinnen waren selbst Emigrantinnen aus Deutschland und Österreich.

Von Anfang an, wollten Anna Freud und Dorothy Burlingham die War Nurseries auch dazu nutzen, um ihre Forschung über die frühe kindliche Entwicklung fortzusetzen, und um den Einfluss der Kriegsereignisse und des Gemeinschaftslebens in einem frühen Alter zu untersuchen. So beobachteten sie, dass „Von der Mutter getrennt zu werden, für Kinder …. einen schlimmeren Schock bedeutet, als in Gegenwart der Eltern mitzuerleben, wie das Haus von Bomben zerstört wird“. (Ges. Schriften AF, 431). Ihre Arbeiten über die Wirkung von alltäglichen Kriegsereignissen (Alarme und Zerstörung) auf das Triebleben von Kindern und dessen Bewältigung, insbesondere die Entwicklung der Aggression, sind Pionierarbeiten auf diesem Gebiet.

Im Okt 1945 kam noch eine Gruppe von 6 Waisenkindern im Alter von 3-4 Jahren aus dem KZ Theresienstadt unter die Obhut von Sophie und Gertrud Dann, die in den War Nurseries zwei Abteilungen geleitet hatten.

Diese Kinder hatten alle ihre Mütter im ersten Lebensjahr verloren und waren zweieinhalb Jahre als Gruppe gemeinsam im Haus für mütterlose Kinder in Theresienstadt von wechselnden Häftlingen betreut worden. Diese Kinder hatten eine einzigartige Gemeinschaftsbeziehung untereinander, sie bildeten gewissermaßen eine emotional autonome Gruppe: sie waren unzertrennlich, sorgten füreinander, und gingen zunächst keine Bindung an Erwachsene ein, die sie offensichtlich als Eindringlinge erlebten. Ihre Aggressionen waren ausschließlich nach außen, auf die Erwachsenen gerichtet. Anna Freud beschrieb dies präzise als: „It was evident that they cared greatly for each other and not at all for anybody or anything else.“ (Ges. Schriften AF, 1166). Diese Beobachtungen wurden als „Gemeinschaftsleben im frühen Kindesalter“, 1951 von Anna Freud und Sophie Dann, veröffentlicht. Länger als zwei Jahre gelang es nicht, diese Kinder als Gruppe zusammen zu betreuen, die meisten wurden dann adoptiert.

Noch während des Krieges verfassten Anna Freud und Dorothy Burlingham umfangreiche Berichte über ihre Arbeit in den Hampstead War Nurseries (ursprünglich für die amerikanischen Geldgeber), die teilweise auf Englisch noch während des Krieges, und nach dem Krieg unter dem Titel „Infants without families“ veröffentlicht wurden, auf Deutsch viel später unter den Titeln „Kriegskinder“, „Anstaltskinder“.

Eine erste Anerkennung für ihre in den Kriegszeiten geleistete Arbeit erfuhr Anna Freud 1946 als sie (über Vermittlung von Stephen Spender) eingeladen wurde, eine Rede vor den Vereinten Nationen, der Unesco, über Kinder in Kriegszeiten zu halten.


Anna Freud mit ihrem Kollegen August Aichhorn 1948 in Lausanne, © Thomas Aichhorn

Die War Nurseries wurden 1945 geschlossen, fanden aber ihre Fortsetzung im Hampstead Kurs für Kinderpsychoanalyse, und in der Hampstead Nursery – einem Tageskindergarten. Diese, von privaten Unterstützern, vorwiegend aus Emigrantenkreisen in den USA erhaltene, Institution wurde als Hampstead Clinic weltberühmt. Sie erlangte in den 60er und 70er Jahren Weltruhm als einziges Behandlungs- und Forschungszentrum, das sich ausschließlich der psychoanalytischen Behandlung von emotional gestörten Kindern widmete, und für seine weitreichende Forschungs- und Publikationstätigkeit im Bereich der Kinderentwicklung und Diagnosemethoden. Diese metapsychologischen Instrumentarien waren das „Diagnostische Profil“, und der so genannte „Hampstead Index“ für dessen Erstellung das Konzept der von Anna Freud über Jahrzehnte entwickelten Entwicklungslinien grundlegend ist. Ausgangspunkt für Anna Freud war immer die Kenntnis der normal verlaufenden Entwicklung.

Die einmal jährlich erscheinende Zeitschrift Psychoanalytic Study of the Child, 1945 gegründet, und mit Anna Freud, Ernst Kris und Heinz Hartmann als Herausgebern, wurde zum hauptsächlichen Publikationsorgan der Hampstead Clinic.

Schon für die jungen Mitarbeiterinnen der War Nursery hatte es eine Ausbildung gegeben, und nach dem Krieg entschloss sich Anna Freud, wieder gemeinsam mit lange bewährten MitstreiterInnen (D. Burlingham, K. Friedländer, W. Hoffer) eine eigenständige und komplette Ausbildung in Kinder- und Jugendlichenpsychoanalyse zu gründen. Der erste Kurs begann 1947, großteils für ehemalige Mitarbeiter der Hampstead War Nurseries, die sich dann offiziell „child experts“ nennen durften.

Ab 1952 standen dem Kurs zwei Häuser, in Maresfield Gardens Nr 12 und 21, zur Verfügung, nur ein paar Häuser entfernt von Freuds Haus, in dem nun Anna Freud und Dorothy Burlingham lebten. Damit konnten die psychoanalytischen Behandlungen von Kindern und Jugendlichen auch an diesem Ort stattfinden und die eigentliche Klinik eröffnet werden. Von 1952 bis zu ihrem Tod (in den letzten Jahren unterstützt durch Hansi Kennedy und Clifford Yorke) war Anna Freud Direktorin der Hampstead Clinic.

In vier bis fünfjährigen Kursen, die auf eine Vollzeitbetätigung hinausliefen, wurden KinderanalytikerInnen sehr gründlich sowohl in Theorie und Forschungstechniken, wie in praktischer Behandlungstechnik ausgebildet. Diese durften sich aber nicht als PsychoanalytikerInnen bezeichnen, da die Ausbildung nicht von der Britischen Psychoanalytischen Gesellschaft anerkannt war. Deshalb gründete Anna Freud, gemeinsam mit der in die USA emigrierten Marianne Kris 1965 die „Association for Child Psychoanalysis“, die ihren Sitz in den USA hat. Marianne Kris war eine der vielen aus Wien emigrierten PsychoanalytikerInnen, mit denen Anna Freud ihr Leben lang befreundet blieb und in regem brieflichen und wissenschaftlichen Austausch stand. Auch die Finanzierung der Hampstead Clinic als Stiftung war diesen, in den USA lebenden Kollegen zu verdanken, die eigene Fonds dafür ins Leben gerufen hatten.

Einmalig für Forschungszwecke war das Archiv der Hampstead Clinic, mit einer Dokumentation sämtlicher behandelter Fälle, von Beginn der Klinik an. Eine genaue Dokumentation des Therapieverlaufs, in dem eine inhaltliche und eine metapsychologische Zusammenfassung des Therapiegeschehens gegeben wurde, war Teil der Ausbildung zur KinderanalytikerIn.

Der Kindergarten, bekannt geworden als Hampstead Nursery, für bis zu 12 Kinder, konnte 1956 eröffnet werden. Alle Kinder wurden nach den in der Jackson Nursery und den War Nurseries entwickelten Grundsätzen der größtmöglichen Förderung ihrer Autonomieentwicklung und des Gemeinschaftssinns auf den Schuleintritt vorbereitet. Immer wurden auch bis zu drei Kinder mit Behinderungen aufgenommen, die ihren Bedürfnissen entsprechend betreut wurden. Eine wichtige Funktion des Kindergartens war auch, dass er zur Beobachtung normaler Kinderentwicklung für die KandidatInnen des Ausbildungskurses diente. Für die noch jüngere Altersgruppe gab es die Well-Baby Clinic für die Betreuung von Babies, Kleinstkindern und deren Müttern. Die leitende Ärztin, Dr. Josefine Stross, war schon die Ärztin der Jackson Nursery gewesen.

Besonders in den USA war Anna Freud zunehmend als Rednerin sehr gefragt, wegen der Klarheit ihrer Ausführungen und der Lebendigkeit ihrer Vorträge.

Anna Freud arbeitete bis ins hohen Alter, sowohl als Analytikerin, als auch unermüdlich schreibend als Verfasserin psychoanalytischer Schriften und als Verwalterin und Herausgeberin des Nachlasses ihres Vaters. Zuletzt setzte sie sich noch dafür ein, dass Erkenntnisse der kinderanalytischen Forschung im Rechtswesen zur Geltung kamen: gemeinsam mit dem amerikanischen Juristen Joseph Goldstein und dem Kinderpsychiater Al Solnit (Yale Child Study Centre) erarbeitete sie Richtlinien für Unterbringungskonflikte und Fragen des Sorgerechts, die das Wohl des Kindes in den Vordergrund stellen sollten (Before /Beyond the best Interests of the Child, 1979. Jenseits des Kindeswohls 1991).

Dr. Katharina Seifert – Psychoanalytikerin für Erwachsene, Kinder und Jugendliche. Ausbildungen am Anna Freud Centre, London und in der Wiener Psychoanalytische Vereinigung (Mitglied der WPV). Arbeitet in freier Praxis in Wien. Nebenbei Vorträge und Seminare zur Technik der Kinderanalyse und zur Geschichte der Psychoanalyse.

Foto oben: Anna Freud 1965 auf einem Kongress in Amsterdam, © The Carter-Jenkins Center; weitere Bilder, Texte und Audio-Beiträge von Anna Freud unter: http://www.thecjc.org/afreud.htm

Weiterführende Literatur:
Anna Freud / August Aichhorn: „Die Psychoanalyse kann nur dort gedeihen, wo Freiheit der Gedanken herrscht“ Briefwechsel 1921-1949. Aichhorn, Th. (ed.) 2012. Brandes & Apsel.
Freud, Anna (1980): Die Schriften der Anna Freud. 10 Bde. München, Kindler
Young-Bruehl, Elisabeth (1988): Anna Freud. New York.
(deutsch) Anna Freud. Wiener Frauenverlag, 1995
Sigmund Freuds Weg ins Exil