„In einer Art ‚Reichsschrift(ums)kammer‘-Manier“…

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Wie Hermann Hesse und Max Peinkofer den Nazis trotzten und sich ein niederbayerischer Heimatforscher in Rage schrieb…

Von S. Michael Westerholz

Wie alle Zeitungen im deutschsprachigen Raum gedachten auch die Redakteure der nieder-/oberbayerischen Tageszeitung PASSAUER NEUE PRESSE jüngst des 50. Todestages von Hermann Hesse. Großneffe Gunther Friedrich im Landkreis Altötting kam zu Wort, ((Meidinger, Julia: Erinnerungen an den großen Großonkel, PASSAUER NEUE PRESSE (PNP), 18.08.12, S. 3 über H. Hesses Großneffe Gunther Friedrich in Emmerting/Burghausen, Landkreis Altötting.)) aber auch der Heimatforscher und freie PNP-Mitarbeiter Karl-Heinz Paulus aus dem bayerwaldlerischen Freyung. ((Paulus, Karl-Heinz: Hesse-Kubin-Peinkofer in PNP-HEIMATGLOCKEN; 12.02.12)) Doch der übersah einen besonderen Aspekt im Leben und öffentlichen Wirken des Literatur-Nobel-Preisträgers Hesse, der sich mit seinem Protest gegen den niederbayerischen Ex-Lehrer, Journalist und Dichter Max Peinkofer auf die Seite der von den Nazis verfolgten Juden stellte.

Die nach dem Zweiten Weltkrieg von Dr. Hans Kapfinger (1902 bis 1985) gegründete PASSAUER NEUE PRESSE hatte sich rasch den Ruf erworben, zwar reuelose Altnazis nicht zu schonen, aber auch Übergriffe von US-Besatzungssoldaten im Verbreitungsgebiet der Zeitung unmissverständlich beim Namen zu nennen. Das Image der Kleine-Leute-Zeitung gründete überdies darauf, dass der pragmatische Dr. Kapfinger zum Beispiel einer verarmten Witwe beisprang, als der die einzige Kuh zwangsversteigert wurde: Der Verleger ersteigerte die Kuh und stellte sie der Frau in den Stall zurück. Solch öffentliche und stille Hilfen aus dem Passauer Verlagshaus gab und gibt es zahlreich.

Dr. Kapfinger, später ein Spezl des langjährigen CSU-Chefs Franz Josef Strauß,  war  in den zwanziger/dreißiger  Jahren ein mutiger Gegner der Nazis gewesen. Adolf Hitler nannte er wörtlich den „hergelaufenen Braunauer“. Damals Chefredakteur des STRAUBINGER TAGBLATT , war er am 4. Mai 1933 von SA-Horden aus seiner Redaktion heraus verschleppt worden. Vergeblich sprang ihm  sein Verleger Dr. Huber bei. Bis zum Kriegsende hatte sich Dr. Kapfinger dann unter anderem in Berlin als Anzeigenwerber und in sonstigen Berufen durchgeschlagen.

Wann und warum seine Zeitung nach RECHTS abdriftete, ist unklar: Jedenfalls nahm sie bereitwillig radikale, wegen ihrer Größe lukrative  Werbeanzeigen der DVU  (= Deutsche Volks-Union) des rechtsextremen Verlegers und Parteigründers Dr. Gerhard Frey auf. Und sie berichtete vor und nach den alljährlichen Großveranstaltungen dieser Partei in der Passauer „Nibelungenhalle“ ausführlich und nicht selten mit Angriffen auf DVU-Gegner. Die sich im Laufe der Jahre steigernden Gegendemonstrationen gegen die Neonazis  schwieg sie weitgehend tot. Schlimmer noch: Ihr langjähriger Chefredakteur Erwin Janik schrieb für Dr. Freys unverhüllt neonazistische und rassistische „Deutsche National-Zeitung“ Beiträge unter dem Pseudonym „Jan Neuburger“. So durchsichtig dieses Pseudonym auch war  – lag doch das PNP-Verlagshaus an der Neuburger Straße in Passau – ahnte angeblich niemand das Treiben des Kapfinger-Chefredakteurs. Die Bekanntschaft war zustande gekommen, als Frey sich in der PNP-Redaktion zum Journalisten ausbilden ließ. Bequem war es für Janik auch, dass Freys Hetzblatt zeitweise auf der PNP-Rotationsmaschine  gedruckt wurde.

Als Janik bald nach Dr. Kapfingers Tod unerwartet abgelöst wurde, war noch der Historiker Dr. Wilhelm Grau (1910 bis 2000) im Passauer Verlagshaus tätig, laut  WIKIPEDIA  „ein „Berufsantisemit“: Geboren in Straubing, Geschäftsführer der 1936 gegründeten „Forschungsabteilung Judenfrage“ in München, später für den Naziideologen und Mordhetzer Alfred Rosenberg tätig. Dass er mehrmals mit führenden Nazis in Konflikt geriet, war kein Zeichen von Widerstand, sondern des unstillbaren Ehrgeizes dieses Mannes, der  Dokumente zur Judengeschichte Regensburgs verfälscht und negativ umgedeutet hatte. Der Altnazi gab nach 1945 als Besitzer einer Verlagsdruckerei in Alzey unter anderem lokale Heimatblätter und Bücher mit romantischen Gedichten heraus. ((Grau, Dr. Wilhelm, Wikipedia, zuletzt eingesehen am 07.09.12; Klee, Ernst: Das Personenlexikon zum Dritten Reich, Edition Kramer Koblenz 2003, S. 197))

Erst als Mitte der achtziger Jahre der erfahrene Boulevard-Journalist Ulrich Zimmermann ins PNP-Haus kam, änderte sich die Richtung radikal trotz hinhaltendem Widerstand  rechtsgerichteter Altvorderer: Die bis dahin strikt unbeachtete, bestenfalls heftig befehdete junge Kabarett- und Satirikerszene Passaus mit so bekannten Stars wie Sigi Zimmerschied, Bruno Jonas und anderen Eliten aus dem „Scharfrichterhaus“ in Passau wurde nun Thema der Berichterstattung. Und dann regten Zimmermann und junge Redakteure auch noch die Gründung einer Bürgerbewegung  „gegen RECHTS“  an. Frey protestierte, als seine Anzeigen nicht mehr angenommen und seine Neonazi-Versammlungen in der PNP allenfalls noch im Zusammenhang mit den immer größeren Gegendemonstrationen erwähnt wurden.

Zimmermann und seine Nachfolger verpassten der immer noch CSU-lastigen Zeitung einen gelegentlich rechtsliberalen Mantel. Chefredakteur Ernst Fuchs hält diese Linie, wenn es auch gelegentliche Ausfälle in den Leserbriefspalten gibt. Sein Redakteur und Historiker  Dr. Stefan Rammer sorgt dafür, dass die „braune“ Vergangenheit nicht verdrängt oder gar verharmlost wird.  Und die Redakteure in den zahlreichen Lokalausgaben der PNP sorgen dafür, dass die zunehmenden Auftritte von der Rechtsextremisten etwa der NPD gebrandmarkt und die Antinazisten publizistisch gestärkt werden. Rammer war Mitarbeiter des bekannten Widerstands-Historikers Professor Dr. Peter Steinbach. Aber ausgerechnet in den „HEIMATGLOCKEN“, die Dr. Rammer neuerdings verantwortet, verpasste die PNP ein Glanzstück antinazistischer Historie Niederbayerns:

Der freie Mitarbeiter Karl-Heinz Paulus, früher Beamter im Landratsamt Freyung-Grafenau, hatte sich in Hermann Hesses Wohnort Montagnola in der Schweiz umgesehen. Unter der Überschrift: „Hesse – Kubin – Peinkofer“ schrieb er in den „HEIMATGLOCKEN“ ((Wie oben 2)), über die Freundschaft des schweizerischen Dichters und Romanciers Hesse unter anderem mit dem Maler und Zeichner oft apokalyptischer, prophetischer Bilder, Alfred Kubin (1877 bis 1959). Kubin lebte damals im oberösterreichischen Zwickledt, unweit Passaus und des Bayerischen Waldes. Diesen Bayerischen und den angrenzenden Böhmerwald liebte Hermann Hesse – Kubin hatte ihn seinem Dichterfreund in zahlreichen Briefen  schwärmerisch als „Landschaftswunder“ beschrieben.

Kubin war auch mit Max Peinkofer (1891 bis 1963) bekannt. Dieses 10. Kind einer armen Schmiedsfamilie aus dem Bayerischen Wald war aus dem Schuldienst ausgeschieden und hatte sich als Zeitungsredakteur, Heimatforscher  und als freier Schriftsteller durchgeschlagen. Er schrieb  Mundartgedichte und  –geschichten, Romane und Theaterstücke. 1924 hatte er in Passau die -heimatkundliche Zeitungsbeilage „HEIMATGLOCKEN“ gegründet. Ein Münchner Literatur-Wissenschaftler stellte den Kontakt zu Hermann Hesse her und der erklärte sich bereit, Gedichte in Peinkofers  „HEIMATGLOCKEN“ zu veröffentlichen.

Mittlerweile hatten die Nazis ihre brachiale Macht bis in die stillsten Winkel des Landes etabliert. Peinkofer, als Homosexueller in stetiger Gefahr, war im Bayerwald hochangesehen, auch bei regionalen Nazigrößen. Seine Situation hinderte ihn aber nicht an heftigen Angriffen gegen die Nazis und ihre Ideologie: Unter dem Pseudonym „Drahobl“ sprach er so manche unerwünschte Wahrheit aus. 1934 kam es zu zwei besonderen Ereignissen in Peinkofers Wirken: Er selbst stellte in der Septemberausgabe seiner Beilage das wiederaufgelegte „Deggendorfer Gnadenbüchlein“  vor, das auch die antisemitischen Bilder dieser gnadenlosen Wallfahrt zeigte: Widerwärtige Bilder aus jener  Kirche in Deggendorf, die ab 1338 nach dem Mordverbrechen der Deggendorfer an ihren jüdischen Mitbürgern errichtet worden war. Zur alljährlichen Wallfahrtswoche lockte sie Tausende Pilger in die Donaustadt. Dem Mord war Jahrzehnte später die Begründung einer angeblichen Hostienschändung durch die Juden nachgeschoben worden. Zwei Seiten weiter druckte Peinkofer das erste Gedicht seines neuen Mitarbeiters Hermann Hesse ab. ((HEIMATGLOCKEN Nr. 9/1934))

Hesse bekam ein Belegexemplar und schrieb am 28. September 1934 aus der Schweiz:

„Hochgeschätzter Herr Peinkofer!

Dieser Tage erhielt ich ihr 9. Heft, indem Sie die Gedichte von mir gebracht haben. Ich war zuerst etwas enttäuscht, da Sie mir davon nur ein einziges Exemplar zusandten! Aber als ich dann die `Hostienschändung´ sah, bedauerte ich es nicht mehr. Es tut mir vielmehr leid, dass Sie ausgerechnet heute, wo Antisemitismus (nichts) weniger als eine Heldentat ist, dieses Dokument hervorzogen, ohne schlimme Absicht vermutlich, aber doch Wasser auf die Mühlen der Judenfresser. Tut mir leid, daß meine Gedichte im gleichen Heft stehen. Im übrigen hat auch dieses Heft mir wieder gefallen.

Mit Grüßen,

Ihr Hermann Hesse.“

Zwar reagierte Max Peinkofer erst 1957 auf Hesses Rüge, und natürlich beteuerte er, es sei ihm „nur um das Kulturgeschichtliche und Volkskundliche gegangen“. Seine Angabe, nichts habe ihm ferner gelegen, „als ins braune Horn zu blasen“, entsprach zwar exakt den Beteuerungen einer breiten Mehrheit der einstigen Parteigenossen –  und doch stimmte sie in diesem speziellen Falle. Denn Peinkofer, der im März 1935 noch das Hesse-Gedicht  „Bücher“ abdruckte, scheint  aus Kalkül hier und da seine Ablehnung der Nazis abgemildert zu haben. Auf die „Deggendorfer Gnad“ hinzuweisen, war womöglich reiner Opportunismus und sicherte ihm das Wohlwollen der katholischen Kirche, soweit das zu der Zeit noch Gewicht hatte. Zugleich aber Hesse abzudrucken , der den Nazis überaus suspekt war und ab 1936 in Deutschland nicht mehr gedruckt werden durfte, war mutig. Die Nazis  in der Region wandten sich von Peinkofer ab. Und es war dem Mut und Einfallsreichtum vieler Freunde zu verdanken, dass er sowohl der Euthanasie, als auch der KZ-Haft entging. ((Westerholz, S. Michael/Deggenau: Die Deggendorfer Gnad Das verspätete Machtwort eines Bischofs. www.hagalil.com, 27.07.09))

Der mit  heimatkundlichen Veröffentlichungen hervorgetretene Paulus hat die Zusammenhänge nicht erkannt. Ein PNP-Leser mit einem familiär begründeten Interesse an der jüdischen Geschichte Niederbayerns sprach den Ex-Beamten darauf an. Er schlug vor, dieses Stückl, welches das Andenken Hesses und Peinkofers ehre,  ebenfalls in den „HEIMATLOCKEN“  zu veröffentlichen wie zuvor den Hinweis auf die Freundschaft Hesses mit Kubin und Peinkofer.  Da kam er bei Paulus schlecht an: Der ehemalige reagierte per E-Mail schroff – und im Vokabular  leider typisch für viele Deutsche, wenn es um die „braune“ mörderische Vergangenheit des Landes geht:  „Mit waldlerischem Gruß“ gab er dem Leser einige gesundheitliche Ratschläge und unerbetene Erläuterungen. Und dann schrieb er dem Leser: „Ich lasse mir von Ihnen nicht in einer Art `Reichsschrift(ums)kammer´-Manier vorschreiben, worüber ich zu berichten habe…“ ((Paulus, Karl-Heinz: E-Mail vom 28.02.12))

3 Kommentare

  1. Sehr geehrter Herr Westerholz
    Einerseits fand ich ihre Schlußfolgerungskette ineressant.
    Allerdings habe ich, wohl auch der Länge dieser Argumentationskette wegen, mühe sie präziese nachzuvollziehen.
    Gustav Pfaff

  2. Lieber Herr Westerholz,
    ich schließe mich gerne Hans Feichtinger an. Da ich durch die Braunauer Zeitgeschichte-Tage der Gegend seit 1992 sehr verbunden bin und seit dem Jahr 2000 versuche im Geburtshaus von Adolf Hitler in Braunau am Inn das Projekt Haus der Verantwortung zu verwirklichen, hoffe ich sehr Sie nach unseren Telefongesprächen auch bald persönlich zu treffen.
    Herzliche Grüße aus Innsbruck
    Andreas Maislinger

  3. Lieber Herr Westerholz,

    immer wieder bin ich erstaunt, wie fundiert recherchiert
    sie jüngste Ereignisse und Vorgänge kompakt, schlüssig und auch für den Nichtfachman verständlich aufbereiten.

    Ihnen gebührt ein großes Dankeschön dafür!

    Herzlich Ihr
    Hans Feichtinger

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