Ein unbeugsamer Widerstandskämpfer

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Einer der mittlerweile über 4.000 Stolpersteine in Hamburg erinnert an den Kommunisten Carl Suhling…

Von Moritz Herbst

Seit 1995 verlegt der Kölner Gunter Demnig die kleinen Gedenksteine mit Messingplatten, auf denen Name, Kurzbiografie und Todesdatum von Opfern der Nazi-Diktatur eingestanzt sind, vor deren früheren Wohnhäusern. Seit 2002 gibt es Stolpersteine in Hamburg – jetzt sind es über 4.000 ((http://www.stolpersteine-hamburg.de/index.php?RECORD_ID=166)). Oft ist es schwierig, mehr über die Personen und ihre Lebensläufe zu erfahren, als auf den Stolpersteinen steht. (( Es gibt bereits acht Bücher über die Hamburger Stolpersteine in Barmbek,  Hamm, Altona, Wandsbek mit den Walddörfern, Winterhude, St. Pauli, St. Georg und der Isestraße. Herausgegeben von und erhältlich bei der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg.))  Aus Anlass der Einweihung des Stolpersteins für Carl Suhling am 25. Februar 2012 vor dem Haus Wattkorn 7 in Hamburg-Langenhorn erinnerte seine Tochter Ulla Suhling mit Unterstützung der Willi-Bredel-Gesellschaft Hamburg an sein Leben. Die Historikerin hat viel Biografisches in Wort und Bild zusammengetragen. ((Ulla Suhling hat für ein weiteres, noch nicht erschienenes Stolpersteinbuch über Hamburg-Nord eine Biografie ihres Vaters geschrieben. Ihr verdanke ich einen Großteil der Informationen zu ihrem Vater.))

Der 1904 geborene Carl Suhling wohnte bis 1924 in Barmbek in der Fuhlsbüttler Straße 280. ((In einem kleinen Haus an der Barmbeker Ringbrücke, nahe des heutigen Margaretha-Rothe-Gymnasiums.)) Sein Vater wurde im I. Weltkrieg nahezu blindgeschossen. Nach der Novemberrevolution beschloss die erste frei gewählte Hamburger Bürgerschaft 1919, in Langenhorn eine moderne Kleinhaussiedlung für kinderreiche Familien nach Plänen von Fritz Schumacher zu bauen. Das Gebiet wurde enteignet. Wie andere Kriegsinvaliden konnte der Vater von Carl Suhling hier, in der Straße Wattkorn 7, ein Grundstück erwerben und mit einem zinslosen Kredit bauen. In Eigenarbeit wurden die Gärten angelegt, die Fritz-Schumacher-Siedlung war „wie eine große antifaschistische Familie“, wie Lucie Suhling rückblickend schrieb.

Carl Suhling hatte als Kind Hunger und Mangel kennengelernt, war lange zu See gefahren, um Arbeit und Brot zu haben. 1928 musterte er ab, weil er an Malaria erkrankt war. Aufgrund seiner Erfahrungen wurde er Mitglied der KPD. 1931 lernte er seine spätere Frau Lucie kennen: „Beide verband nicht nur eine große Liebe, sondern auch dieselbe Weltanschauung“, so Ulla Suhling: „ein junges, glückliches Paar, das Zukunftspläne machte, sich aber auch um die politische Entwicklung in Deutschland sorgte.“ Als im September 1933 ihre Tochter Ulla geboren wurde, waren beide in der kommunistischen Bewegung aktiv. Carl war Leiter des Rotfrontkämpferbundes in Langenhorn – dessen Aufgabe war es, Angriffe der aufstrebenden Nazipartei und ihrer SA-Horden abzuwehren.


Carl Suhling mit Tochter Ulla, 1934, fotografiert von Lucie Suhling, (c) Archiv Suhling

Nachdem Reichspräsident Hindenburg die Regierungsmacht am 30. 1. 1933  Hitler übertragen hatte, trat am 28. Februar die erste Notverordnung in Kraft, mit der „nur für Kommunisten“ die Grundrechte außer Kraft gesetzt wurden. Carl Suhling wurde bereits im Juli 1933 das erste Mal verhaftet und im Konzentrationslager Fuhlsbüttel, KolaFu eingesperrt. Nach seiner Freilassung Mitte August 1933 warf er sich nachts „stöhnend und ächzend im Bett herum“, wie Lucie Suhling in ihrem Buch „Der unbekannte Widerstand“ ((Lucie Suhling: Der unbekannte Widerstand, Neuauflage agimos Verlag, Kiel, 1998. Restexemplare sind bei der Willi-Bredel-Gesellschaft Hamburg erhältlich.))schrieb: „Fasste ich ihn an, schlug er um sich. Hatte ich ihn endlich wachgerüttelt, atmete er auf wie nach einem schweren Alptraum. Er bat mich: `Bitte fass mich nicht an, wenn Du mich weckst! Ich denke dann, dass sie wieder auf mich einschlagen.“

Am 1. Oktober 1934 wurde beide verhaftet und wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ verurteilt. Lucie zu zwei, Carl zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus. Um ihre Tochter kümmerten sich Verwandte. Die ihnen vorgeworfene „gewaltsame Änderung der Verfassung“ bestand darin, unter Anhängern der KPD Geld für mittellose Familien gesammelt zu haben, deren Ernährer von den Nazis eingesperrt worden waren, Parteidokumente zu verstecken und mit dem Kinderdruckkasten ihrer Tochter Flugblätter mit der Aufschrift: „Wehrt Euch! Es gibt Krieg“ hergestellt zu haben. Außerdem malten sie mit einem befreundeten Ehepaar Parolen an Häuserwände, verkauften die illegale Zeitschrift „Der Klassengewerkschaftler“ und hingen am 1. Mai Fahnen der KPD an markanten Punkten auf.

Im Oktober 1936 wurde Lucie, im März 1937 Carl Suhling aus der Haft entlassen. Aber am 30. Dezember 1938 wurden sie zusammen mit einem 30-köpfigen Freundeskreis rund um Käthe Hochmuth abermals verhaftet: „Die Beschuldigten wurden lange Zeit von der Geheimen Staatspolizei beobachtet und die Ermittlungen mit Hilfe von V-Leuten durchgeführt“, notierte der sie anklagende Oberreichsanwalt in einer Handakte. Die Tochter wurde ins Waisenhaus gesteckt – „ein traumatisches Erlebnis“, so Ulla Suhling.

Die „Ermittlungen“ der V-Leute reichten nicht aus für eine Anklage, und die Inhaftierten belasteten sich auch in den Gestapo-Verhören nicht gegenseitig. Alle Inhaftierten wurden im März 1939 wieder entlassen. Carl Suhling wurde mit Beginn des Überfalls auf Polen aber dienstverpflichtet, als LKW-Fahrer in Polen. Mit neun Jahren sah Ulla Suhling ihren Vater, den sie Cuddl nennt, das letzte Mal: „Auch in Polen durfte ich mitfahren – trotz Lucies sorgenvoller Proteste. Sie wusste, dass Cuddl Kontakte zu Partisanen hatte und seinen Einsatz in Polen dazu nutzte, antifaschistische polnische Kräfte zu unterstützen. Viele der von ihm transportierten Lebensmittel landeten nicht bei der Wehrmacht. Ich habe selbst erlebt, wie er nachts anhielt und im Dunkeln Personen half, auf den Anhänger zu steigen und sie später wieder absetzte.“ Carl Suhling galt in Folge seiner Verurteilung wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“  als „wehrunwürdig“, aber nach den deutschen Niederlagen vor Moskau wurde er im Juni 1943 in das „Bewährungsdivision 999“ gesteckt: Es war eine Strafeinheit, bestehend aus Schwerverbrechern  – und politischen Gefangenen. Kanonenfutter für den „Endsieg“. Ulla Suhling im Rückblick über diese Zeit: „Cuddl hatte während seiner Zeit im Strafbataillon nie Heimaturlaub gehabt, war immer einfacher Soldat geblieben, nie in eine höhere Charge aufgerückt. Er hatte auch keine Aussicht, je einen Urlaubsschein zu erhalten. 999er erhielten keinen Heimaturlaub – nicht einmal dann, wenn ihre Familien total ausgebombt wurden.“ Carl Suhling ist im März 1945 beim Versuch, zu desertieren und sich den jugoslawischen PartisanInnen anzuschließen nahe Sarajevo ums Leben gekommen. Lucie Suhling überlebte die Nazis und war bis zu ihrem Tod 1981 Mitglied der DKP und der VVN.