Der Filmtitel ist zweisprachig, aber die O-Töne fast nur deutsch – bis auf die Lieder, die auf Romanes gesungen werden. Die besingen keine Lagerfeuerromantik: Eine Frau verlässt in einem Lied ihren Mann und die Kinder.–
Von Gaston Kirsche
Bawo Reinhardt singt in „Illusionen“: „Sie haben uns verfolgt, sie haben uns eingesperrt“. Seine Tochter Heidi sitzt im Publikum und kann dabei nur schwer die Tränen halten, während sie gefilmt wird. Ihr Vater hat seine ersten Lebensjahre in KZ verbringen müssen, die Deutschen haben ihn zusammen mit den Eltern eingesperrt. Zuletzt war er in Auschwitz. Je älter er wird, desto mehr kommt die Erinnerung daran aus dem Unterbewusstsein hoch. Täglich muss er Tabletten nehmen und in kleinen Räumen hält er es nicht aus. Bawo Reinhardt sitzt, als er dies den Filmleuten schildert, auf einem Ausflugsboot, dass das „deutsche Eck“ ansteuert, am malerischen Rheinufer voller Weinberge. Ein Kontrast, durch den die Kamera das zusammenbringt, was zusammengehört und so schwer auszuhalten ist: deutsche Gemütlichkeit und die Vernichtungslager, die KZ.
Newo Ziro porträtiert drei Sinti, die in Koblenz leben: Bawo Reinhardt, den Opa, seine Enkelin Sibel Mercan, ihren Onkel und Bawos Sohn Lulo Reinhardt. Alle drei wirken mit beim jährlichen Musikfestival „Djangos Erben“, dass bei der Siedlung „Unterer Asterstein“ stattfindet – dort, wo die meisten Sinti leben, am Stadtrand. Deutsche sagen oft, dort leben „die Asozialen“, ohne uns zu kennen, erklärt eine junge Frau. Vom „sozialen Brennpunkt“ heißt die Siedlung einfacher, mehrgeschossiger Mietshäuser oft auch, oder Ghetto. Aber ein Ghetto ist es nicht, erklärt Bawo Reinhardt, es ist weder eingezäunt noch abgesperrt. Ohne es zu sagen ist klar, aus welcher Zeit seine Definition kommt.
Dabei haben sie einen Fußballverein, grillen am Wochenende, für die Kinder gibt es im Sommer ein Planschbecken. Die Eltern ermahnen die Kinder, das Wasser im Planschbecken zu lassen. Alltag.
Vor ein paar Wohnungsfenstern in der Siedlung hängen bei der WM Deutschlandfahnen. Bawo steht mit Sascha Reinhardt, Trainer der Mannschaft von SV Reinhardt davor. Sie erklären in die Kamera, dass sie das nicht verstehen, Sascha sagt: Naja, Privatsache. Bawo meint, jeder hier wisse doch, was im Namen Deutschlands ihren Vorfahren angetan wurde. Wenn er die Deutschlandhymne hört, muss er daran denken, wie viele im Namen des „Deutschland über alles“ sterben mussten.
Bawo Reinhardt geht mit ein paar Kindern zur „Feste Asterstein“. Die hat dicke Mauern, ist feucht, dunkel. In den fünfziger Jahren diente sie als Notunterkunft für Sinti. Eher Verschläge als Wohnungen. Auch damals hiess es in Koblenz, dort würden die Arbeitsscheuen wohnen.
Die beiden Regisseure Monika Nolte und Robert Krieg sind durch das Festival auf die Reinhardts aufmerksam geworden. Die Dramaturgie des Filmes folgt nahezu einer ethnologischen Feldforschung über eine ab-, besser ausgegrenzte Gruppe. Dabei nähert sich der Film aber immer mehr den drei Porträtierten, je mehr sie als Persönlichkeiten hervortreten, desto bedeutungsloser werden kulturalistische Zuschreibungen. Zu Beginn eine Totale. Eine große Wiese am Rhein, ein Zirkuszelt, viele Wohnwagen, davor spielen meist dunkelhaarige Kinder Fußball. Vier Männer fangen an einem Campingtisch an, Musik zu machen, mit zwei Gitarren, Cello und Geige. Immer mehr ZuschauerInnen bleiben stehen, schauen mit gezücktem Fotoapparat, als ob es hier eine touristische Attraktion gäbe. Das Filmteam mit Kamera und Tonband sorgt offensichtlich für besondere Aufmerksamkeit. Lulo Reinhardt, dessen Band hier probt, bedient nicht die Erwartungen, bei den Standards des Swing zu verweilen. Später im Film, der ihn zum Auftritt bei einem Festival auf den Shetlandinseln begleitet, redet er über seinen Ausbruch aus der Tradition – der Abstand zu Koblenz, zur Familie scheint dabei zu helfen: Er wolle nicht spielen wie andere, nur den erwarteten Gipsy-Swing spielen: „Django Reinhardt ist so einmalig, so wie er kann niemand sonst spielen“. Er sucht einen eigenen Stil: „Unser Geiger ist Jude, wie verstehen uns, er hat den gleichen Erfahrungshintergrund wie ich, seine Großmutter war im KZ“.
Lulo Reinhardt, der sich nicht den Erwartungen einer Gemeinschaft unterordnen will – auch nicht seiner Sintifamilie – ist auch darin ein Vorbild für sein Nichte Sibel Mercan. Sie spielt gern Fußball, trainiert Kung Fu. Sibel hat es aufs Gymnasium geschafft, als einzige aus ihrer Grundschulklasse der Kinder aus der Siedlung. Das war am Anfang merkwürdig. Röcke tragen ist bis jetzt für sie ungewohnt, sie will ihren eigenen Weg gehen. Mit Lulo komponiert sie eine Ballade über die Vertreibungsgeschichte der Sinti und Roma. Am Schluss, über dem Abspann ist zu hören, wie Sibel die Ballade, begleitet von Lulo auf der Gitarre, auf dem Festival singt.
Newo Ziro (Neue Zeit), D 2012, 84 Min., Regie: Robert Krieg und Monika Nolte (W-Film-Verleih)
Tourt durch Programmkinos: Mi, 20.06., Berlin, Hackesche Höfe Filmtheater; Di, 26.06., Darmstadt Rex Kino; Do, 05.07., Worms, LincolnTheater; Do, 16.08., Trier, Broadway Filmtheater; Mi, 26.09., Frankfurt am Main, Mal Sehn Kino; Mo, 8.10., Oldenburg, Casablanca.
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